Der Tatbestandsaufbau in der Zivilrechtsklausur
Grundlagen und Formulierungshilfen
Der Tatbestand in einem Zivilurteil ist fester Bestandteil jeder Richterklausur. Auch wenn der Klausurschwerpunkt zum allergrößten Teil in den Entscheidungsgründen liegt, sollte das Abfassen eines ordentlichen Tatbestandes nicht unterschätzt werden. Dieser Beitrag soll euch dabei helfen, die wichtigsten Punkte im Blick zu behalten und mithilfe einiger Formulierungshilfen und -beispiele umzusetzen.
Funktion des Tatbestandes
Wenn man den Sinn und Zweck von etwas versteht, fällt es oft viel leichter damit umzugehen. Wozu dient der Tatbestand also? Das ergibt sich aus § 313 Absatz 2 ZPO: Im Tatbestand sollen die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge nur ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp dargestellt werden. Nach § 314 ZPO hat er Beurkundungs- und Beweisfunktion für das mündliche Vorbringen der Parteien.
Wichtig ist also eine vollständige und knappe Darstellung. Der Tatbestand soll in verständlicher Weise aufzeigen, um was es eigentlich in dem betreffenden Rechtsstreit geht. Wenn man hier nur aus dem Aktenauszug abschreibt, läuft man Gefahr schlicht zu viel (und vor allem Irrelevantes) zu schreiben. Dies kostet wertvolle Zeit und vermittelt dem Korrektor, dass man nicht zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden kann.
Wichtig ist der Tatbestand aber nicht nur für die Parteien, die später das Urteil lesen und sehen wollen, auf welche Tatsachengrundlage der Richter seine Entscheidung eigentlich gestützt hat. Wichtig ist der Tatbestand vor allem für den Richter (also in der Klausur: für euch!), denn er muss ja selbst erst die Entscheidungsgrundlage vor Augen haben, um anhand dessen die Rechtslage zu überprüfen. Wenn hierbei Fehler unterlaufen kann es passieren, dass man schlicht nicht die Klausur löst, die eigentlich gestellt wurde, weil man den Sachverhalt falsch erfasst hat. Schafft man es jedoch hier einen ordentlichen und ansprechenden Tatbestand abzuliefern, hat der Korrektor gleich ein gutes Bild von der ihm vorliegenden Arbeit.
Der Einleitungssatz
Zunächst sollte ein kurzer Einleitungssatz gebildet werden. Je komplexer der Rechtsstreit, desto offener sollte der Satz gehalten werden („Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall.“). Wenn nur um bestimmte Ansprüche gestritten wird, sollte der Einleitungssatz etwas spezifischer sein („Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche des Klägers aus…“). Die Zeitform ist hier Präsens.
Der unstreitige Sachverhalt
Hier ist besondere Aufmerksamkeit gefragt, um nicht versehentlich streitiges Vorbringen als unstreitig einzuordnen. Wie die Einordnung funktioniert würde diesen Beitrag sprengen, weshalb es hier um die Darstellung gehen soll. Die Darstellung erfolgt im Imperfekt („Die Parteien schlossen einen Vertrag“, „der Kläger stürzte auf der Straße“ etc.). Am besten ist eine chronologische Darstellung der Ereignisse. Ihr solltet also nicht schreiben: „Die Parteien schlossen einen Vertrag über ein KFZ der Marke XY. Zuvor besichtigte der Kläger das Fahrzeug…“ Das führt zu Verwirrung und Unübersichtlichkeit. Besser ist es zu schreiben: „Der Kläger besichtigte am 01.01.2018 das KFZ der Marke XY bei dem Beklagten. Am 02.01.2018 schlossen die Parteien hierüber einen Kaufvertrag…“
Das streitige Klägervorbringen
Das Vorbringen wird im Präsens eingeleitet und geht dann in indirekter Rede im Perfekt weiter („Der Kläger behauptet, er habe…“). Tatsachen werden immer mit „behauptet“ eingeleitet, Rechtsmeinungen mit „ist der Ansicht / vertritt die Auffassung“. Ob Rechtsmeinungen darzustellen sind wird nicht einheitlich beantwortet. In der Regel sollte man aber sparsam damit umgehen und nicht den ganzen Vortrag aus den Schriftsätzen abschreiben. Wenn aber der tatsächliche Sachverhalt größtenteils unstreitig ist und vornehmlich um Rechtsansichten gestritten wird, sollten die wesentlichen Punkte verständnishalber dargestellt werden.
Am Ende des streitigen Vorbringens stehen die Anträge. Diese werden im Präsens formuliert und eingerückt („Der Kläger beantragt den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. … seit dem … zu zahlen“). Hat der Kläger seine Klage geändert, ist zunächst der alte Antrag aufzuführen – aber nicht einzurücken – („Der Kläger hat zunächst beantragt den Beklagten zu verurteilen …“). Danach ist kurz zu beschreiben, was zu dem geänderten Antrag geführt hat. Danach ist der neue Antrag eingerückt darzustellen („Der Kläger beantragt nunmehr den Beklagten zu verurteilen…“).
Das streitige Beklagtenvorbringen
Das streitige Beklagtenvorbringen beginnt mit den Anträgen des Beklagten. Dieser wird in der Regel beantragen, die Klage abzuweisen. Erhebt er jedoch einmal Widerklage oder erklärt die Aufrechnung, muss dies auch dargestellt werden. Im Übrigen gilt für die Darstellung das oben Gesagte. Wichtig ist, alle streitigen Punkte nur einmal im Tatbestand anzuführen. Bestreitet der Beklagte also ein Vorbringen des Klägers, ist dies nur im Klägervortrag darzustellen und nicht noch einmal im Beklagtenvortrag. Schreibt man also beim Klägervorbringen: „Der Kläger behauptet, der Beklagte habe mit ihm einen Mietvertrag geschlossen“ und der Beklagte bestreitet dies einfach (also indem er bloß sagt: das stimmt nicht), ist dies bei dem Beklagtenvorbringen nicht mehr zu erwähnen. Nur wenn der Beklagte qualifiziert bestreitet, das heißt zusätzlich Informationen vorträgt („Das stimmt nicht; nicht ich habe einen Mietvertrag mit dem Kläger geschlossen, sondern mein Bruder.“), ist dies im Beklagtenvortrag darzustellen.
Wenn erstmals im Beklagtenvortrag Einreden oder Einwendungen auftauchen (z.B. wenn der Beklagte die Einrede der Verjährung erhebt), kann anschließend nochmals eine Darstellung des Klägervortrags erforderlich sein. Dies ist dann die sogenannte Replik.
Prozessgeschichte
Nun folgt noch die Prozessgeschichte, das heißt eine kurze Zusammenfassung des Verfahrensstandes bis hierhin. Hier bietet es sich an, sofern nichts Außergewöhnliches vorgefallen ist, einen Standardsatz zu lernen und hinzuschreiben. Dieser könnte beispielsweise lauten: „Das Gericht hat Beweis zu der Frage des Abschlusses eines Mietvertrages durch Vernehmung des Zeugen XY erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom…, (Bl. 4 d.A.) verwiesen.“
Üblich ist es in manchen Bundesländern, eine abschließende Gesamtverweisung aufzunehmen. Ob dies in eurem Bundesland der Fall ist, solltet ihr bei euren Arbeitsgemeinschaftsleitern erfragen. Wenn ein solcher Satz Usus ist, könnte er lauten:
„Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.“
Fazit
Zu lernen, in kurzer Zeit einen vollständigen und gut formulierten Tatbestand zu schreiben, ist nicht einfach. Wenn man dies aber geschafft hat, gewinnt man dadurch in der Klausur deutlich an Sicherheit und vermeidet Fehler in der Sachverhaltserfassung. Der „Trick“ heißt auch hier: üben, üben, üben. Viel Erfolg dabei!
Jennifer
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