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Referendariat

Hilfe, mein erstes zivilrechtliches Urteil am AG – ein Spickzettel!

By 30. Januar 2018Oktober 18th, 2023No Comments
Erfahrungsbericht_Zivilstation_FB

Hilfe, mein erstes zivilrechtliches Urteil am AG – ein Spickzettel! 

In Baden-Württemberg beginnt das Referendariat mit der Zivilstation. Direkt nach einem einmonatigen Lehrgang wird man deswegen einer bzw. einem Zivilrichter:in am Landgericht oder einem Amtsgericht im Bezirk zugeteilt. Da ich von weit außerhalb komme, wurde ich an ein kleines Amtsgericht in der Nähe meines Wohnortes versetzt.

Mein Arbeitsalltag am Amtsgericht

Telefonisch vereinbarte ich mit meiner Richterin einen Termin, an dem ich mich zum ersten Mal am Amtsgericht vorstellen würde. Dafür habe ich mich natürlich schick angezogen und stand 15 Minuten zu früh vor dem Gerichtsgebäude. Meine Richterin erwies sich als erfahrene und nette Juristin, die mich als erstes allen Kolleg:innen vorstellte und mir einen Rundgang durch das Gerichtsgebäude gab. Ich sollte sie immer mittwochs an ihrem Sitzungstag begleiten. An diesem Wochentag erledigt meine Richterin alle ihre Prozesse auf einmal. Der Tag geht dementsprechend meistens auch von 08.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Zur Vorbereitung darf ich an einem beliebigen anderen Tag ans Gericht kommen und die Akten zu den anstehenden Verfahren lesen und vorbereiten. Nach den Verhandlungen bleibt oft noch kurz Zeit, das Geschehen juristisch durchzusprechen. Wenn es ein (nicht zuuu schweres) Urteil zu schreiben gibt, darf ich mir nach dem Prozess die Akte mit nach Hause nehmen und muss das Urteil bis zur nächsten Woche schreiben. Insgesamt ist die Station bei einer oder einem Zivilrichter:in sehr abwechslungsreich, da man jede Woche mit anderen Fällen aus unterschiedlichen Rechtsgebieten (Verkehrsrecht, Mietrecht, Kaufrecht, Schadensersatzrecht, Deliktsrecht, Versicherungsrecht, Flugrecht usw.) befasst ist. Im Gegensatz zum Landgericht bekommt man das Ergebnis des Verfahrens am Amtsgericht auch immer mit – da die Verfahren hier nicht so lange dauern wie am Landgericht und oft nach einer einstündigen Verhandlung ihren Abschluss finden.

Das Zivilurteil 1. Instanz:

Das aller erste eigene Urteil zu schreiben ist eine echte Herausforderung. Zwar lernt man in der Arbeitsgemeinschaft, wie ein Urteil theoretisch aufgebaut ist, wenn man dann aber alleine mit der Akte in der Hand dasitzt und entscheiden soll, ist das gar nicht so einfach. Im Folgenden soll allen verzweifelten Referendar:innen kurz noch einmal der Aufbau eines Urteils ins Gedächtnis gerufen werden:

I. Das Rubrum

Das Rubrum ist der „Kopf“ bzw. die Einleitung des Urteils. Es besteht aus dem Aktenzeichen (meistens links oben), der mittigen Überschrift „Im Namen des Volkes“ sowie mittig der Bezeichnung des Urteils („Endurteil“, „Zwischenurteil“, „Teilurteil“ usw.). Danach folgt linksbündig die Bezeichnung der Parteien mit ladungsfähiger Anschrift und deren Prozessvertreter:innen. Die Parteien werden rechtsbündig als „Kläger:in“ bzw. „Beklagte:r“ bezeichnet. Sodann wird das Gericht, der Termin der letzten mündlichen Verhandlung und die bzw. der verhandelnde Richter:in genannt. Es ist üblich kurz anzugeben, worüber verhandelt wird („Schadensersatz“, „Forderung“ usw.) Beispiel:

Aktenzeichen:

17 C 2390/17

Amtsgericht S-Stadt 

Im Namen des Volkes 

Urteil

In dem Rechtsstreit

Max Mustermann, Musterstraße 27, 70777 Musterstadt

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Mustermann, Musterweg 7, 53726 Musterdorf

gegen

Erika Musterfrau, Mustersträßchen 12, 70928 Mustergemeinde

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Dr. Muster & Kollegen, Musterpfad 118, 53789 Musterkaff

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht S-Stadt durch die Richterin am Amtsgericht Dr. Musterfrau auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14.12.2017

für Recht erkannt:

Anmerkung:

Besonderheiten ergeben sich immer dann, wenn auf Kläger- oder Beklagtenseite mehrere Personen stehen oder wenn eine juristische Person o.Ä. beteiligt ist. Hier muss daran gedacht werden alle Kläger:innen/Beklagten aufzuzählen und hinzuzufügen, von wem die juristische Person vor Gericht vertreten wird (Vorstand, Geschäftsführer:innen usw.).

II. Der Tenor

Der wichtigste Teil des Urteils ist der Tenor, denn hier wird über den Rechtsstreit entschieden. Hier wird erstmals klar, ob die bzw. der Beklagte verurteilt wird oder ob die Klage abgewiesen wird und wer letztendlich die Kosten des Rechtsstreits trägt. Außerdem ist immer über die vorläufige Vollstreckbarkeit zu entscheiden. Auch Zinsen und andere Nebenentscheidungen werden im Tenor zu- oder abgesprochen. Die richtige, ordentliche Tenorierung ist eine Kunst für sich. Werden hier Fehler begangen, weiß die bzw. der Gerichtsvollzieher:in unter Umständen nicht, was sie oder er vollstrecken soll.

Deswegen muss der Tenor so genau wie möglich sein. Es genügt nicht zu schreiben, dass die oder der Beklagte ein Darlehen zurückzahlen muss. Vielmehr muss sich direkt aus dem Tenor ergeben, welche Summe die oder der Beklagte an die oder den Kläger:in zahlen muss. Der Anspruchsgrund (Darlehen) wird dafür nicht genannt. Bei der Herausgabe eines Autos genügt nicht die Marke. Anzugeben ist immer auch die Fahrgestellnummer, damit der Pkw eindeutig identifiziert werden kann.

Der Tenor muss komplett sein. Es muss immer über die ganze Klageforderung entschieden werden. Klagt die bzw. der Kläger:in 100 € ein und bekommt nur 99 € zugesprochen, muss der Tenor bezüglich des einen Euro trotzdem „im Übrigen wird die Klage abgewiesen“ lauten. Der Rest ist z.B. auch abzuweisen, wenn die bzw. der Beklagte statt zur uneingeschränkten Leistung nur zur Erfüllung Zug-um-Zug verurteilt wird.

Im Tenor darf nur das zugesprochen werden, was beantragt wurde (Dispositionsmaxime bzw. Antragsgrundsatz). Hat die oder der Kläger:in vergessen, Zinsen zu fordern, die ihm eigentlich zustünden, dürfen ihm im Tenor auch keine Zinsen zugesprochen werden (Pech gehabt!).

Die Kostenentscheidung und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sind jeweils von Amts wegen zu prüfen, egal ob die bzw. der Kläger:in dies beantragt hat oder nicht.

Leistungsurteile beginnen immer mit der Formulierung:

1. Der Beklagte wird verurteilt, …

Feststellungsurteile beginnen immer mit der Formulierung:

1. Es wird festgestellt, dass …

Gestaltungsklagen haben keine einheitliche Formulierung, diese hängt vielmehr vom Gegenstand der Gestaltungsklage ab:

1. Die aufgrund des Endurteils des AG S-Stadt vom 15. 9. 2016, Az. 4 C 355/16, erfolgte Zwangsvollstreckung in den Pkw Ford Fiesta, weiß, amtl. Kennzeichen S-SG-548, Fahrgestell-Nr. 97-2328 wird für unzulässig erklärt (Drittwiderspruchsklage).

Daneben existieren zahlreiche Sonderfälle. Beispielsweise wenn bereits ein Titel existiert (z.B. bei einem vorherigen Mahnantrag mit Vollstreckungsbescheid). Hier bleibt einem nichts Anderes übrig, als in einem Kommentar zur ZPO oder in einem Lehrbuch nachzuschlagen, wie die Tenorierung in diesem speziellen Einzelfall zu erfolgen hat. Der gleiche Ratschlag gilt auch für die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit.

Bezüglich der Kosten gilt der Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung. Dieser besagt, dass Kosten nicht einfach nach Prozessteilen zwischen Kläger:in und Beklagter bzw. Beklagtem aufgespalten werden können, sondern dass über die Kosten des gesamten Rechtsstreits mit einer einzigen Quote zu entscheiden ist. Nach § 91 ZPO trägt die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits. Kosten des Rechtsstreits sind Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten. Bei teilweisem Obsiegen bzw. Unterliegen werden die Kosten gem. § 92 ZPO zwischen den Parteien geteilt.

Bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit sei nur kurz angemerkt, dass alle Urteile grundsätzlich für „vorläufig vollstreckbar“ zu erklären sind. Eine Ausnahme bilden insoweit nur die Urteile, gegen die kein Rechtsmittel mehr möglich ist, da diese naturgemäß sofort vollstreckbar sind. Das Interesse der obsiegenden Partei an einer zeitnahen Vollstreckung soll dadurch geschützt werden. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen der vorläufigen Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung  der Gläubigerin bzw. des Gläubigers und der vorläufigen Vollstreckbarkeit mit Sicherheitsleistung der Gläubigerin bzw. des Gläubigers.

Beispiel bei vollem Obsiegen des Klägers:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.05.2017 zu zahlen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beispiel beim Teilunterliegen:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 70,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.05.2017 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt 70 % der Kosten, die Klägerin 30 %.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

III. Tatbestand

Im Tatbestand wird der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt so dargestellt, wie er sich dem Gericht nach der letzten mündlichen Verhandlung präsentiert. Der Tatbestand soll zwar so knapp wie möglich gehalten werden, er muss aber trotzdem alle relevanten Tatsachen beinhalten, auf die sich die Entscheidungsgründe später stützen.

Der Tatbestand ist grundsätzlich folgendermaßen aufzubauen. Dabei wurden die Gliederungsziffern hier der Übersicht halber verwendet. Der Tatbestand eines Urteils enthält keine Gliederungsziffern. Abschnitte werden lediglich durch Absätze getrennt.

  1. Einleitungssatz
  2. Unstreitiges
  3. Streitiges Klägervorbringen
  4. Antrag des Klägers
  5. Klageabweisungsantrag des Beklagten
  6. Streitiger Beklagtenvortrag
  7. Relevante Prozessgeschichte
  8. Bezugnahme auf Schriftsätze und Protokolle

Beispiel:

„Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch. Die Klageforderung stellt den Restbetrag eines Anspruchs auf Ersatz von Sachverständigerkosten aus einem Verkehrsunfall dar. Dieser ereignete sich am 06.01.2017 in S-Stadt. Das beauftragte Sachverständigenbüro Mustermann & Partner gelangte in seinem Gutachten zu Reparaturkosten in Höhe von 2.086,37 € zzgl. einer Wertminderung in Höhe von 400,00 €. Für die Erstellung dieses Gutachtens wurden der Geschädigten 642,93 € berechnet. Diese wurden von der Beklagten bis heute nicht bezahlt….“

Die Klägerin behauptet, dass sie gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der 642,93 € aus § 823 I iVm. § 249 I BGB habe. Die Beklagte habe bisher keinerlei Zahlungen geleistet.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 642,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

Die Beklage beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass das Sachverständigengutachten zu hoch ausgefallen sei. Sie wäre deswegen nur zur Zahlung eines Betrags von 50,67 € verpflichtet. Diesen Betrag habe sie der Klägerin bereits am 24.05.2017 überwiesen.

IV. Entscheidungsgründe

In den Entscheidungsgründen begründet das Gericht sein Urteil. Dabei wendet es den sogenannten Urteilsstil an, d. h. es stellt sein Ergebnis voran und begründet dieses dann Schritt für Schritt. Die Entscheidungsgründe sind quasi ein umgekehrtes Gutachten. Bei einem zivilrechtlichen Urteil heißt die Überschrift „Entscheidungsgründe“, bei einem bloßen Beschluss dagegen schlicht „Gründe“. Im Gegensatz zum Tatbestand ist eine Gliederung mit römischen Ziffern in den Entscheidungsgründen üblich.

Wird einer Klage voll stattgegeben und ist diese auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützt, so ist nur eine der einschlägigen Anspruchsgrundlagen zu erörtern, am zweckmäßigsten die am leichtesten zu prüfende. Bei einem klageabweisenden Urteil sind dagegen alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu erörtern und abzulehnen. Dies gilt auch bei einer nur teilweisen Klageabweisung.

Normalerweise ist die Zulässigkeit der Klage unproblematisch. Hier sollten Erörterungen nur stattfinden, wenn tatsächlich Probleme gegeben sind. Beispielsweise bei der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Gerichts oder der Partei- und Prozessfähigkeit.

Formulierungsbeispiel: „Die zulässige Klage ist begründet….“

Neben der Hauptsache müssen am Ende der Entscheidungsgründe auch die Zinsentscheidung, die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit kurz begründet werden.

  1. Einleitungssatz
  2. Zulässigkeit (wenn problematisch!)
  3. Begründetheit: Ergebnis und Anspruchsnorm vorangestellt
  4. Subsumtion der Anspruchsnorm
  5. Begründung von
    a) Zinsentscheidung
    b) Kostenentscheidung
    c) Vorläufige Vollstreckbarkeit

V. Rechtsmittelbelehrung

Seit dem 01.01.2014 müssen alle zivilgerichtlichen Entscheidungen, soweit nicht eine anwaltliche Vertretung vorgeschrieben ist, eine Rechtsmittelbelehrung enthalten (§ 232 ZPO). Diese muss von der bzw. dem Referendar:in natürlich nicht selbst erstellt werden. Hierfür gibt es Mustertexte.

VI. Unterschrift des Richters

Ich hoffe, ich konnte euch mit dieser Übersicht weiterhelfen und wünsche euch viel Spaß und Erfolg beim Verfassen eures ersten eigenen Urteils. Übung macht den Meister bzw. die Meisterin!

 

– Jannina

(Referendarin in BW, Autorin auf justillon.de und iurratio.de)

 

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Beitragsautor:

Jannina Schäffer

Jannina Schäffer

Jannina studierte Rechtswissenschaften in Tübingen und legte 2019 ihr Zweites Staatsexamen am Landgericht Stuttgart ab. In ihrer Freizeit betreibt sie unter anderem JURios - das online Magazin für kuriose Rechtsnachrichten.

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