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Referendariat

Die Aktenbearbeitung in der Strafrechtsstation

By 1. August 2019Oktober 18th, 2023No Comments
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Die Aktenbearbeitung in der Strafrechtsstation

Die meisten Referendare halten wohl zum ersten Mal in ihrem Leben eine Ermittlungsakte in den Händen, wenn ihr Ausbilder ihnen den ersten Schwung Akten zur Bearbeitung übergibt. Lehrbücher oder praktische Anleitungen, wie genau man am besten bei der Aktenbearbeitung vorgeht, sind eher rar gesät. Dieser Beitrag soll euch als kleiner Leitfaden dazu dienen, die im Rahmen der Strafrechtsstation zu bearbeitenden Akten in den Griff zu bekommen und eurem Ausbilder ein gelungenes Ergebnis abzuliefern.

Die Arbeit mit den Akten – wozu überhaupt?

Einige Referendare freuen sich in der Strafrechtsstation vor allem auf den Sitzungsdienst, andere auf die Nachtfahrt mit der Polizei, wiederum andere auf das Ende der Station. Strafrecht ist sicher nicht jedermanns Steckenpferd, allerdings kommt man im zweiten Examen – ebenso wie im ersten Examen – nicht drum herum. Die Bearbeitung von Akten für den Ausbilder gehört zur Pflicht, birgt jedoch auch den großen Vorteil, das Gelernte gleich „am echten Fall“ anwenden zu können. Man lernt praktisch zu denken und kann sich vieles auch besser einprägen, da die Abstraktheit des Lehrbuchfalles eben doch nicht so mitreißend ist, wie die Arbeit mit echten Akten, in denen es um echte Straftaten geht. Die Aktenbearbeitung muss demnach keine lästige Pflicht sein, sondern sie ist eine zusätzliche Lernmöglichkeit.

Der Einstieg in die Akte

Vor meiner ersten Akte saß ich noch recht planlos. Mein Ausbilder hatte sie mir mit den Worten „schauen Sie sich die Akte mal an und überlegen Sie, was sie daraus machen würden“ gegeben. Gerade am Anfang möchte man nun nicht total danebenhauen und das Stationszeugnis soll ja auch gut ausfallen, also war ich entschlossen, mir möglichst viel Mühe zu geben. Doch schon die ganzen Kürzel, Berichte, Fotos u.v.m. sorgten für einige Verwirrung. Hiervon sollte man sich aber nicht beirren lassen. Denn der Anfang und den Einstieg in die Akte findet man am besten wie bei der Klausurbearbeitung auch:

Schritt 1: Akte sichten

Schaut euch die Akte erst einmal eingehend an. Von wann ist beispielsweise das Verfahren? Das erkennt ihr am Aktenzeichen auf dem Deckel. In älteren Verfahren wurde oft schon viel mehr ermittelt als in neuen Verfahren. Gibt es Beiakten, sind Bundeszentralregisterauszüge und Auszüge aus dem Verfahrensregister enthalten? Verschafft euch einen groben Überblick, macht euch am besten auch Notizen. Wie viele Beschuldigte gibt es, wie viele Zeugen gibt es, sind die Personen untereinander verwandt oder bekannt, haben sich alle geäußert oder gibt es jemanden, der seine Aussage verweigert? All dies hilft, einen ersten Eindruck von der Akte und den beteiligten Personen zu erhalten. Auch ein Zeitstrahl kann hilfreich sein um den Überblick zu behalten. Genauere rechtliche Beurteilungen müssen jetzt noch nicht erfolgen,

Schritt 2: Der Sachverhalt

Wie natürlich auch in den Klausuren befindet sich in der Akte kein Blatt mit einem feststehenden Sachverhalt. Diesen gilt es eben erst zu ermitteln. Gerade bei mehreren Beteiligten befinden sich oft verschiedenste Anhörungsbögen mit divergierenden Aussagen in der Akte. Liest man die Aussage des Verletzten und dann die des vermeintlichen Täters, meint man nicht selten, man habe es mit zwei gänzlich verschiedenen Vorfällen zu tun. Oft lässt sich aber, vergleicht man alle Aussagen miteinander, eine Art „roter Faden“ finden. Nach diesem solltet ihr Ausschau halten.

Schritt 3: Die rechtliche Einordnung

Ihr denkt jetzt vielleicht „wieso rechtliche Einordnung, die steht doch auf der Akte“ – ja, das tut sie, aber das heißt nicht, dass ihr das einfach so übernehmen solltet. Der auf der Akte vermerkte Straftatbestand rührt häufig von einem Polizeibeamten, der zum Zeitpunkt der Erstellung der Akte oft noch nicht alle Umstände kannte. Dann kann sich ein Diebstahl im Laufe der Akte auch als räuberischer Diebstahl entpuppen. Auch kann die rechtliche Einordnung vom ersten Bild der Tat abweichen oder sich komplizierter gestalten als angenommen, sodass eine andere rechtliche Bewertung erforderlich wird. Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, sodass ihr in der Akte nach allen infrage kommenden Delikten Ausschau halten müsst.

Besonders bei Anzeigen von Privatpersonen gestaltet es sich schwierig, da diese im Gegensatz zu Polizeibeamten oder Rechtsanwälten nicht wissen, welche Tatbestandsmerkmale nun relevant sind. Privatpersonen neigen manchmal dazu, sehr lange Ausführungen zu dem von ihnen beanzeigten Sachverhalt zu machen. Hier solltet ihr mit wachem Auge die Anzeige lesen und euch fragen: welche Straftatbestände könnten denn hier in Betracht kommen?

Schritt 4: Das Ergebnis

Nun gilt es, die durch die vorherigen Schritte gewonnenen Erkenntnisse in ein Ergebnis zu fassen. Hierfür müsst ihr euch aber zunächst überlegen, ob die Akte eurer Meinung nach ausermittelt ist oder ob noch Fragen offen sind. Absolut feststehend muss der Sachverhalt nicht sein, um entscheidungsreif zu sein. Jedoch sind manchmal schlicht noch weitere Ermittlungshandlungen erforderlich, wie beispielsweise die Vernehmung von Zeugen. In diesem Falle solltet ihr eine Verfügung schreiben und beispielsweise ein Ersuchen an die zuständige Polizeidirektion richten, einen bestimmten Zeugen zu einer noch offenen Frage zu vernehmen.

Ansonsten gibt es viele Möglichkeiten, zu welcher Entscheidung ihr kommen könnt. Eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichendem Tatverdacht, eine Einstellung aus Opportunitätsgründen, ein Strafbefehl oder eine Anklage – überlegt, was euch am passendsten erscheint und formuliert einen Entwurf. Zusätzlich solltet ihr eure Gedankengänge, also warum ihr letztlich auf euer Ergebnis gekommen seid, festhalten. So kann euer Ausbilder nachvollziehen, was ihr euch eigentlich dabei gedacht habt.

Fazit

Versucht systematisch vorzugehen und eurem Ausbilder darzulegen, wie ihr zu der Entscheidung gelangt seid. Habt keine Angst zu sagen, dass ihr etwas nicht verstanden habt oder euch manches nicht klar war – wichtig ist, dass ihr mit der Akte arbeitet. Dann kann fast nichts mehr schief gehen.

Ich wünsche auch viel Erfolg bei der Bearbeitung eurer ersten Akten!

-Jennifer

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Beitragsautor:

Jennifer Seiler

Jennifer Seiler

Jennifer berichtete uns über ihre Erlebnisse und Erfahrungen, die sie während ihres juristischen Vorbereitungsdienstes gemacht hat.

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