#HierZucktDeinPrüfungsamt im Öffentlichen Recht in Kooperation mit RiVG Dr. David Stadermann
Moin zusammen,
heute empfehle ich euch ein interessantes Urteil des OVG Bremen vom 06.05.2024 (2 LB 56/24). In meiner gerichtlichen Praxis spielen Frist-Probleme (bislang) keine große Rolle. Klagen werden in der Regel innerhalb der Fristen eingereicht, und die wenigen relevanten Fristen (insbesondere im Zusammenhang mit Betreibensaufforderungen) werden eingehalten. In Klausuren werden Fristen aber gerne genommen, diese anzudicken. Vor diesem Hintergrund lohnt sich – trotz der vielen Daten, die bei Frist-Problemen leider unumgänglich sind – ein Blick in das vorbezeichnete Urteil des OVG Bremen.
JurCase informiert:
Das Urteil des OVG Bremen vom 06.05.2024 (2 LB 56/24) findest du kostenfrei hier auf der Seite des Oberverwaltungsgerichts Bremen.
Was ist passiert?
Ein Ablehnungsbescheid wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24.7.2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. In der Rechtsbehelfsbelehrung hieß es, dass „innerhalb eines Monats nach Zustellung“ Klage erhoben werden könne.
Am 27.7.2020 faxte die Prozessbevollmächtigte die an das VG adressierte Klageschrift „v. 25.7.2020“ (versehentlich) an die Beklagte. Am 16.9.2020 teilte die Beklagte der Prozessbevollmächtigten mit, dass ab dem 28.09.2020 mit der Vollstreckung zu rechnen sei. Am 30.9.2020 beantragte die Prozessbevollmächtigten beim VG u.a., „die aufschiebende Wirkung der am 25.7.2020 erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 17.7.2020 anzuordnen bzw. wiederherzustellen“. In der Eingangsmitteilung vom 1.10.2020 wies das Verwaltungsgericht die Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass „hier eine Klage gegen den Bescheid vom 17.07.2020 nicht vorliegt.“ Am 05.10.2020 übermittelte die Prozessbevollmächtigten die Klageschrift vom 25.07.2020 als Anlage zu einem Schriftsatz mit dem Aktenzeichen des Eilverfahrens „mit der Bitte um Kenntnisnahme“.
Nachdem das VG auf Anfrage nach Mitteilung des Aktenzeichens mitgeteilt hatte, dass eine „Klage vom 25.7.2020“ nicht vorliege, diese aber ausweislich der Behördenakte „offenbar versehentlich“ an die Beklagte gefaxt worden sei, übermittelte die Prozessbevollmächtigte am 28.10.2020 per Fax eine neue, auf diesen Tag datierte Klageschrift gegen den Bescheid vom 17.07.2020 und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Ohne Erfolg. VG und OVG wiesen die Klage ab.
Warum solltest du diese Entscheidung lesen?
- Wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft ist, gilt nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Jahresfrist. Eine Belehrung darüber, dass die Klagefrist mit „Zustellung“ des Verwaltungsakts beginnt, ist (trotz Abweichung von § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) jedenfalls dann nicht fehlerhaft, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich förmlich zugestellt wurde. So ist das hier geschehen. Ob das materielle Recht die förmliche Zustellung vorschrieb, lässt sich dem Sachverhalt nicht eindeutig entnehmen. Darauf dürfte es m.E. aber nicht ankommen, da sich die Behörde an der gewählten Form festhalten lassen muss.
- Nimmt der Kläger irrtümlich schuldlos an, fristgerecht Klage erhoben zu haben, beginnt die Frist für die Wiedereinsetzung in die Klagefrist mit dem Zugang eines Hinweises des Verwaltungsgerichts, dass dort keine Klage vorliegt, beim Kläger. Dies war hier am 1.10.2020 der Fall.
- Wird dem Verwaltungsgericht als Anlage zu einem Schriftsatz in einem anderen Verfahren eine Klageschrift „mit der Bitte um Kenntnisnahme“ übersandt, stellt dies keine Klageerhebung dar. Es fehlt am entsprechenden nach außen kundgetanen Willen, eine Klage zu erheben.
- Übrigens: Nach Überlegungen des BMJ soll in der Rechtsbehelfsbelehrung bald auch über die Form belehrt werden (s. dazu die Eckpunkte zur „VwGO-Novelle II“, S. 8). Es ist m.E. zu erwarten, dass dadurch die Fälle mit längeren Klagefristen zunehmen werden. Warum? Weil die Rechtsbehelfsbelehrungen dadurch fehleranfälliger werden dürften mit der im 1. Bulletpoint angesprochenen Konsequenz.