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Rechtsprechung des Monats Januar 2025: Sorgfaltspflicht des RA beim beA genauso wie beim Telefax

By 6. Januar 2025No Comments
Rechtsprechung des Monats

OVG NRW, Beschluss vom 08.11.2024 – 9 A 2178/24.A (BeckRS 2024, 31478)

Schwerpunkte: §§ 60, 124a VwGO

In Kooperation mit Alpmann Schmidt präsentieren wir die Rechtsprechung des Monats. Hierbei handelt es sich um examensrelevante Rechtsprechung, die dir von erfahrenen Praktiker:innen vorgestellt wird. Zusätzlich bieten dir diese Fälle die Möglichkeit, das Schreiben von Assessorklausuren zu üben.

Fall

Das VG Goldstadt hat die Berufung nicht zugelassen und das mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene klageabweisende Urteil der Kl. am 30.08.2024 zugestellt. Beim OVG/VGH geht am 30.09.2024 um 20:13:13 Uhr ein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des VG Goldstadt ein. Das OVG/VGH sendet den Schriftsatz am nächsten Morgen an das VG, das die Gerichtsakten anschließend dem OVG/VGH übersendet.

Rechtsanwalt Robet

11.10.2024

An das OVG/VGH

In Sachen Grün ./. Stadt Goldstadt

beantrage ich Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungszulassung.

Beim Versenden des an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrags auf Zulassung der Berufung über mein beA hat der Unterzeichner wohl versehentlich aus der Adressatenliste das OVG/VGH ausgewählt. Das beA hat eine erfolgreiche Übermittlung des Schriftsatzes angezeigt; ein Dialogfeld mit der Bestätigung „Nachricht wurde gesendet“ ist erschienen. Diese Benachrichtigung habe ich abgewartet, um mich über die erfolgreiche Übermittlung der Antragsschrift zu vergewissern. Dass der Schriftsatz erst am 01.10.2024 beim VG Goldstadt eingegangen ist, habe ich erst durch die Hinweisverfügung des OVG/VGH vom 07.10. 2024 erfahren

RA Robet (qual. elektr. signiert)

Wie entscheidet das OVG/VGH?

Leitsätze

  1. Die Sorgfaltspflichten des RA, der einen Rechtsmittelschriftsatz per beA versendet, entsprechen denen bei der Versendung per Telefax.
  2. Der RA muss nicht nur prüfen, ob der Schriftsatz übermittelt worden ist, sondern auch, ob er den beabsichtigten (richtigen) Empfänger erreicht hat.

BESCHLUSS

Terminologie: In der zweiten und dritten Instanz werden unzulässige Rechtsmittel „verworfen“. In der ersten Instanz werden unbegründete und unzulässige Klagen stets „abgewiesen“.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.

Die Kl. trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig und daher gemäß § 125 Abs. 2 S. 1 VwGO zu verwerfen, da er nicht fristgemäß gestellt worden ist.

1. Wird die Berufung – wie hier – nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen (§ 124a Abs. 4 S. 1 und 2 VwGO).

„[2] … Der an das Verwaltungsgericht … adressierte, von dem Prozessbevollmächtigten der Kl. über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) übermittelte Antrag ist am 30.09.2024, dem Tag des Fristablaufs, um 20:13:13 Uhr beim [OVG/VGH] eingegangen. Eine Weiterleitung an das Verwaltungsgericht erfolgte am 01.10.2024. Somit ist der Antrag dort verspätet eingegangen.“

2. Der Kl. ist die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Beantragung der Berufungszulassung nicht zu gewähren. Die Wiedereinsetzung richtet sich nach § 60 VwGO.

AS-Skript Die verwaltungsgerichtliche Assessorklausur (2023), Rn. 621 ff.

a) Die Antragsfrist des § 124a Abs. 4 S. 1 VwGO ist eine wiedereinsetzungsfähige gesetzliche, keine richterliche FristS.d. § 60 Abs. 1 VwGO. Die einmonatige Wiedereinsetzungs-Antragsfrist (§ 60 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 VwGO), die mit dem Hinweis des OVG/VGH vom 07.10.2024 zu laufen begann, ist eingehalten. Die versäumte Handlung ist mit der Übersendung des an das Verwaltungsgericht gerichteten Zulassungsantrags an dieses nachgeholt.

b) Allerdings war die Kl. nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist zur Beantragung der Berufungszulassung einzuhalten, § 60 Abs. 1 VwGO.

Der Wiedereinsetzungsantrag enthält keine Hinweise auf Kanzleipersonal, dessen Verschulden nicht zugerechnet würde, Kopp/Schenke, VwGO (2024), § 60 Rn. 21. Die Besetzung des Sekretariats um 20:13 Uhr wäre – zumindest außerhalb von Großkanzleien – auch im Einzelnen darlegungsbedürftig.

aa) „[4] … Verschuldet i.d.S. ist eine Fristversäumung dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist. Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten wird ihm zugerechnet (§ 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).“

Zwar hat die Kl. die Frist nicht selbst versäumt, sondern ihr Prozessbevollmächtigter, aber dessen Verschulden wird ihr zugerechnet.

Kopp/Schenke, VwGO (2024), § 60 Rn. 23

bb) Der Prozessbevollmächtigte der Kl. hat die ihn treffenden Obliegenheiten bzgl. fristgebundener Schriftsätze nicht erfüllt.

„[7] Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA entsprechen dabei denjenigen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax.“

Auf Telefax kann bei beA-Ausfall zurückgegriffen werden, § 55d S. 3, 4 VwGO

Die fernschriftliche Übermittlung, geschehe sie per Telefax oder beA, erfordert eine gesonderte Erfolgsprüfung des Rechtsanwalts.

„[8] Auch bei der Nutzung des beA ist es deshalb unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Aus diesem Grund umfassen die Kontrollpflichten auch die Überprüfung der nach § 55a Abs. 5 S. 2 VwGO … übermittelten automatisierten Bestätigung, ob die Rechtsmittelschrift an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Diese Sorgfaltsanforderungen hat der Rechtsanwalt selbst zu erfüllen, wenn er – wie hier – persönlich die Versendung der fristwahrenden Schriftsätze übernimmt.“

Indem der Prozessbevollmächtigte nach seinem eigenen Vortrag nur die Tatsache der erfolgreichen Übermittlung, nicht aber das Erreichen des zuständigen Gerichts geprüft hat, hat er nicht die erforderliche Sorgfalt walten lassen.

cc) Der Prozessbevollmächtigte der Kl. durfte auch nicht darauf vertrauen, dass das OVG/VGH seinen Schriftsatz noch fristgerecht, d.h. am selben Tag, an das Verwaltungsgericht weiterleiten würde.

Offen gelassen: BVerwG NJW 2018, 1272; näher: Kopp/Schenke, VwGO (2024), § 60 Rn. 17 Stichwort: „Absende- oder Ablieferungsfehler.“

Bislang ist ungeklärt, ob das unzuständige Gericht einen Schriftsatz überhaupt an das zuständige Gericht weiterleiten muss, wenn es – wie hier – bislang mit der Sache noch gar nicht befasst war. Selbst wenn eine solche Pflicht besteht, muss es ihn lediglich im regulären Geschäftsgang weiterleiten. Dieser umfasst eine richterliche Prüfung, eine Verfügung über den Umgang mit dem Eingang und deren Ausführung durch die Geschäftsstelle. Demnach war am Abend des 30.09.2024 keine fristwahrende Weiterleitung mehr zu erwarten.

„[10] … [Der] Zulassungsantrag ist beim [OVG/VGH] am Tag des Fristablaufs erst deutlich nach Dienstschluss eingegangen.“

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Diese Rechtsprechung wurde für dich von VRVG Dr. Martin Stuttmann aufbereitet.

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Beitragsautor:

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt ist ein juristischer Fachverlag, der zudem juristische Lehrgänge und Repetitorien anbietet. In Kooperation mit JurCase präsentiert Alpmann Schmidt bei uns monatlich eine Rechtsprechung des Monats. Mehr Informationen zu Alpmann Schmidt gibt es hier.

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