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Dürfen Rechtsreferendar:innen Kopftücher tragen?

By 16. November 2021Oktober 11th, 2023No Comments
Aktuelle Rechtsprechung

Beschluss des BVerfG – 2 BvR 1333/17 – Beschluss vom 14.01.2020

Hiermit möchte ich dir den als interessantesten bewerteten Beschluss (Stand: Oktober 2021) aus dem vorangegangenen Beitrag über die TOP 10 Beschlüsse im Öffentlichen Recht aus den Jahren 2020 und 2021 näher vorstellen. Dürfen Rechtsreferendar:innen Kopftücher tragen?

JurCase informiert:

Hier findest du den Beitrag „Die TOP 10 Beschlüsse für dein Examen im Öffentlichen Recht“. Du kannst gerne weiterhin abstimmen – sollte ein anderer Beschluss an der Spitze der Abstimmung stehen, werden wir auch diese Entscheidung entsprechend vorstellen.

Die vorliegende Entscheidung behandelt die verfassungsrechtliche Fragestellung, ob Rechtsreferendare Zeichen, die auf ihr religiöses Bekenntnis hinweisen, in einem beruflichen Kontext tragen dürfen. Der konkrete Fall behandelt das Tragen eines Kopftuches.

Zunächst zum Sachverhalt:

Im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin die Untersagung, während bestimmter Abschnitte des Rechtsreferendariats ein Kopftuch zu tragen. Die Beschwerdeführerin ist deutsche und marokkanische Staatsangehörige und trägt nach eigenen Angaben als Ausdruck ihrer individuellen Glaubensüberzeugung und Persönlichkeit in der Öffentlichkeit ein Kopftuch. Das Tragen eines solchen Kopftuches wurde allerdings während verschiedener Abschnitte im juristischen Vorbereitungsdienst untersagt: Entscheidend für die Untersagung sei das Auftreten als Repräsentant der Justiz. Der Beschwerdeführerin werde daher untersagt, bei Verhandlungen mit Kopftuch an der Richterbank sitzen zu dürfen, sowie Sitzungen leiten oder Beweise aufnehmen zu können.

Die Beschwerdeführerin erhob zunächst eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Dieser wurde jedoch erstmal nicht abgeholfen, sodass die Beschwerdeführerin sich sodann an den zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG] wendete und eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie von Art. 3 Abs. 1 und 3 GG geltend machte.

Maßgebliche Norm

Entscheidend in diesem Rechtsstreit ist vorab die Neutralitätspflicht aus § 45 des Hessischen Beamtengesetzes [HBG], welche u.a. über § 27 JAG die beamtenrechtlichen Verhältnisse regelt. Dort heißt es:

§45 HBG Neutralitätspflicht (§ 33 Beamtenstatusgesetz)

„Beamtinnen und Beamte haben sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. Insbesondere dürfen sie Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale nicht tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden. Bei der Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 und 2 ist der christlich und humanistisch geprägten abendländischen Tradition des Landes Hessen angemessen Rechnung zu tragen.“

Hier wird also grundsätzlich eine klare Regelung für derartige Fälle festgelegt, durch die auferlegte Neutralitätspflicht haben jedenfalls Beamte im Dienst keine Kleidungsstücke zu tragen, die objektiv das Vertrauen in die vorgeschriebene Neutralität beeinträchtigen können.

Referendare als Beamte

Fraglich ist allerdings, ob diese Vorschrift vollumfänglich für Rechtsreferendare gilt, denn die ausdrückliche Normierung sei für Referendare im schulischen Vorbereitungsdienst in § 45 HBG und § 86 Abs. 3 S. 3 HSchG [Hessisches Schulgesetz] geschaffen. Rechtsreferendare seien demnach eben keine Beamten auf Widerruf mehr, sondern stehen in einem öffentlich-rechtlichen, in diesem Aspekt ungeregelten Arbeitsverhältnis.

JurCase informiert:

Die Diskussion um eine erneute Verbeamtung der Rechtsreferendare ist weiterhin insbesondere vor der Frage der Unterhaltsbeihilfe aktuell. Die Frage ist allerdings Sache der Länder. Nach Mecklenburg-Vorpommern ist Hessen das zweite Bundesland, welche die Rechtsreferendare wieder verbeamten will. Dies war allerdings 2017, zum Zeitpunkt der Verfassungsbeschwerde, noch nicht der Fall. Siehe hierzu auch unseren folgenden Beitrag: „Rechtsreferendare in Hessen werden wieder verbeamtet„.

Demnach käme zum hier aktuellen Rechtsstand keine Anwendung über § 27 JAG in Betracht, eine dynamische nachträgliche Verweisung auf die in § 45 HBG erwähnten Norminhalte scheide aufgrund der grundrechtlichen Bedeutung der Frage aus.

Weiter wird ein Verbot derartiger Kleidungsstücke im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 45 HGB über § 2 HRiG [Hessisches Richtergesetz] wegen des deutlichen Unterschiedes zwischen Richtern und Rechtsreferendaren als unverhältnismäßig beanstandet.

Stellungnahme des BVerfG

Der BVerfG sieht einen Eingriff in die Schutzbereiche der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG und der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, dieser sei allerdings verfassungsrechtliche gerechtfertigt.

Als Rechtsgüter, die einen solchen Eingriff rechtfertigen können, kommen der Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates, der Grundsatz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und mögliche Kollisionen mit der grundrechtlich geschützten negativen Religionsfreiheit Dritter in Betracht. Es wird allerdings auch erwähnt, dass das Gebot der richterlichen Unparteilichkeit und der Gedanke der Sicherung des weltanschaulich-religiösen Friedens keine rechtfertigende Kraft entfalten kann.

Die Geltung eines derartigen Neutralitätsgebots im Fall eines öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisses wird auf die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gestützt, welche zu den Grundbedingungen des Rechtsstaats zählt und zudem im Wertesystem des Grundgesetzes fest verankert ist. Funktionsfähigkeit setze voraus, dass gesellschaftliches Vertrauen nicht nur in eine einzelne Richterpersönlichkeit, sondern in die Justiz insgesamt existiert. Somit sind auch Rechtsreferendare als Teil der Justiz erfasst. Das aus den maßgeblichen Normen abgeleitete Gebot des Staates zur Neutralität muss auf alle Amtsträger übertragbar sein, da der Staat nur durch Personen handeln kann.

Letztlich hält der BVerfG fest, dass angesichts der konkreten Ausgestaltung des verfahrensgegenständlichen Verbots des Tragens eines religiösen Zeichens, keiner der kollidierenden Rechtspositionen aus denen als verletzt beanstandeten Grundrechten ein überwiegendes Gewicht zukommt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann hier kein Verbot oder Gebot für das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal begründet werden. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine derartige Neutralitätspflicht sei demnach zu respektieren.

Fazit

Der Bundesverfassungsgerichtshof hält ein Neutralitätsgebot auch für Rechtsreferendare, die nicht verbeamtet sind, für einschlägig. Begründet wird dies mit der Funktion als Amtsträger und Teil der Justiz. In der folgenden Argumentation werden die Eingriffe in Berufs- und Religionsfreiheit gegen die Funktionsfähigkeit der Justiz abgewogen, wobei der Bundesverfassungsgerichtshof letztendlich die Verletzungen aufgrund der elementaren Bedeutung der Funktionsfähigkeit der Justiz für gerechtfertigt hält.

Interessant sind aber auch die der Entscheidung beigefügten Stellungnahmen. So haben u.a. die Hessische Staatskanzlei, die Niedersächsische Landesregierung, die Bayrische Staatsregierung, der Humanistische Verband Deutschlands und der Zentralrat der Muslime in Deutschland zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen und sind dabei mit verschiedensten Argumentationen zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Begründetheit gekommen. Die Stellungnahmen sind also durchaus lesenswert.

Auch die Entscheidung über den Beschluss durch den zweiten Senat ging nicht einstimmig aus. Abweichend von der Senatsmehrheit hält ein Richter die Berufsfreiheit sowie die Religionsfreiheit für in ungerechtfertigter Art und Weise verletzt. Seine Ausführungen insbesondere zum Aspekt der Erforderlichkeit des Verbotes finden sich ebenfalls in der Entscheidung und bieten eine abweichende Ausführung der Begründetheitsprüfung dar.

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Beitragsautor:

Luca Willemsen

Luca Willemsen

Luca studierte Rechtswissenschaften an der Universität in Trier und möchte seinen Vorbereitungsdienst im Regierungsbezirk Düsseldorf oder Köln absolvieren. Für JurCase ist er aktuell vor allem für aktuelle Rechtsprechung zuständig.

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