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Referendariat

Was man in einer Anklageschrift so alles falsch machen kann

By 25. Dezember 2017März 15th, 2022No Comments
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Was man in einer Anklageschrift so alles falsch machen kann

– Don’t try this at home –

„Wir müssen reden“, hat sie gesagt und „setzen Sie sich.“ Nach einem langen AG-Tag ließ ich mich auf einen der gepolsterten Stühle im Büro meiner Ausbilderin nieder, die rund um einen Holztisch stehen, auf dem so viele Süßigkeiten liegen, dass meine Akten regelmäßig kaum mehr drauf passen. Genau so wird mein Büro später auch einmal aussehen, das schwöre ich mir.

„Ihre Akten sind eigentlich ganz geil, aber dennoch muss ich immer noch viel darin ändern.“

Da war er – der Satz, den kein Referendar gerne hört. Knapp zwei Stunden später verlasse ich ihr Büro leicht geknickt, aber dennoch bestrebt, meine Akten künftig „noch geiler“ zu machen, damit die Chefin künftig nichts mehr zu bemängeln hat. Materiellrechtlich klappt bei mir alles ganz gut, aber eine Anklageschrift ist in stilistischer und formaler Hinsicht eine völlig eigene Textgattung, die es zu erlernen gilt. Zudem ist eine Abschlussverfügung im Examen so sicher wie das Amen in der Kirche und was für Akten im RL (Real Life für alle Nicht-Gamer) gilt, gilt gleichermaßen für die Examensklausuren.

Was also habe ich für Fehler gemacht? Und wie geht es richtig?

In der Anklageschrift

  • Gesetzliche Vertreter nicht angegeben: Was man bei Minderjährigen wohl kaum vergisst, muss man natürlich auch bei Volljährigen beachten, die einen gesetzlichen Vertreter für diesen Bereich haben.

Bei Haftsachen gelten einige Besonderheiten: Wegen § 121 StPO ist eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinweg mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden und grundsätzlich nur möglich, „wenn die besondere Schwierigkeit oder Umfang der Ermittlungen“ ein früheres Urteil nicht zulassen.

  • Haftprüfungstermin fehlt oder ist falsch berechnet: Darf auf keinen Fall bei einer Haftsache passieren!
  • „Haft in anderer Sache“ fehlt: Ist ein Angeschuldigter wegen einer anderen Sache in Untersuchungshaft, so muss darauf trotzdem in der Anklageschrift hingewiesen werden.

Im abstrakten Anklagesatz

  • Nicht den genauen Gesetzeswortlaut übernommen: Der abstrakte Anklagesatz ist nicht der richtige Ort für Schöngeistigkeit. Streng am Gesetzeswortlaut orientieren und schon kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
  • Tateinheit und Tatmehrheit falsch aufgebaut: Taten, die in Tateinheit begangen wurden, werden maximal mit Buchstaben oder gar nicht nummeriert, tatmehrheitlich begangene Taten als „1., 2., etc.“ bezeichnet.
  • Zu viel oder zu wenig zusammengefasst: Bei zahlreichen tatmehrheitlich begangenen Taten bietet es sich an, mehrere zusammenzufassen – allerdings nur, wenn es dadurch nicht zu unübersichtlich wird. Wenn ein Täter beispielsweise in 12 Fällen einen Betrug und eine Urkundenfälschung jeweils tateinheitlich begangen hat und dabei in den Fällen 1,5,9 und 12 der Betrug nur versucht war, bei 2,3,7 und 9 die Urkundenfälschung, in allen anderen Fällen beide vollendet aber teilweise noch weitere Delikte in Tateinheit vollendet oder versucht, dann blickt keiner mehr durch. Hier muss man zugunsten der Verständlichkeit jedes Delikt einzeln auflisten, auch wenn man dann neun Mal den gleichen abstrakten Tatbestand formuliert. In der Klausur allerdings wird der Zeitdruck das natürlich nicht zulassen.

Im konkreten Anklagesatz

Der konkrete Anklagesatz, der in der mündlichen Verhandlung vom Sitzungsvertreter mitvorgelesen wird, schildert das Geschehen, das letztlich den abstrakten Anklagesatz begründet. Deshalb muss er alles enthalten, was für die Bejahung des Tatbestandes an Sachverhalt notwendig ist.

  • Blattzahlen nicht angegeben: Auch im konkreten Anklagesatz wird auf die jeweiligen Blattzahlen einer Akte verwiesen.
  • Die Vorgeschichte zu ausführlich erzählt: Wenn es nicht unmittelbar zum Tatbestandsgeschehen führt, gehören lange Ausführungen zur Vorgeschichte der Tat in das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zur Sache und nicht in den konkreten Anklagesatz.
  • Subjektiver Tatbestand fehlt. Im konkreten Anklagesatz muss sich, wie schon erwähnt alles wiederfinden, was einen Tatbestand begründen soll. Sofern es nicht völlig offensichtlich ist, gehören deshalb auch Ausführungen zum Vorsatz des Täters in den konkreten Anklagesatz.
  • Paragraphenkette falsch sortiert: Nach dem konkreten Anklagesatz stehen die angewendeten Vorschriften. Zunächst werden in aufsteigender Reihenfolge die Delikte aus dem besonderen Teil des StGB aufgelistet, dann die maßgeblichen Paragraphen des allgemeinen Teils ebenfalls aufsteigend. Spielt das Nebenstrafrecht eine Rolle, so kommen diese Paragraphen in der Auflistung zwischen den besonderen Teil des StGB und den allgemeinen. Eine Ausnahme bilden die angewendeten Normen des JGG, die in einer neuen Zeile aufsteigend aufgelistet werden. Ein Fehler wäre es, beispielsweise die §§ 22,23 StGB direkt hinter eine Norm des besonderen Teils zu schreiben, weil man deutlich machen möchte, dass ein bestimmtes Delikt im Versuchsstadium steckengeblieben ist.

Richtigerweise sieht es dann beispielsweise so aus:

Verbrechen und Vergehen, strafbar nach

  • § 185, 249 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 52, 53 StGB.

Beweismittel

  • Sortierung der Zeugen: Private Zeugen werden üblicherweise vor Polizeibeamten aufgelistet. Ob man bei privaten Zeugen eine komplette Anschrift oder nur Postleitzahl und Wohnort angibt, handhabt jeder Staatsanwalt verschieden. In der Klausur wird die kurze Variante schon aus Zeitgründen vorteilhaft sein.
  • Urkunden als Augenscheinsobjekte qualifiziert: Faustregel – was man verlesen kann ist eine Urkunde und kein Augenscheinsobjekt.
  • Die korrekte Reihenfolge der Beweismittel nicht beachtet. Richtigerweise kommen zunächst die Angaben des Angeschuldigten, dann die Zeugen, dann Sachverständige, dann Urkunden und zuletzt Augenscheinsobjekte.

Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen

Nach § 200 Abs. 2 StPO gehört in die Anklageschrift auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen, wovon bei Anklagen vor dem Strafrichter (§ 25 GVG bei Vergehen, bei denen eine Maximalstrafe von zwei Jahren erwartet wird) abgesehen werden kann. Im Examen ist eine Anfertigung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses meistens erlassen.

  • Unnötige Wiederholungen: In der Praxis wird beim wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Sache regelmäßig eine allgemeine Klausel vorangestellt, wonach „zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Anklagesatz Bezug genommen wird“.
  • Keine Ausführungen zur Person: Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen erstreckt sich auch auf die zur Person des Angeschuldigten vorgefundenen Ermittlungsergebnisse wie beispielsweise dessen Familienstand, Vorstrafen, Beruf und gegebenenfalls eine Betäubungsmittelabhängigkeit.

Anträge 

  • Anträge über die Sicherstellung von Gegenständen vergessen
  • Beiordnung eines Verteidigers: Sofern noch nicht bereits geschehen, muss vor allem in den Fällen notwendiger Verteidigung (Katalog des § 140 StPO) dem Angeschuldigten ein Verteidiger beigeordnet werden. Ein diesbezüglicher Antrag ist hier zu stellen.
  • Falsches Gericht: Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den §§ 6 ff. StPO, die sachliche nach den §§ 24, 74, 74a, 120 GVG. Wichtig ist vor allem, dass der Strafrichter am Amtsgericht nur zuständig ist, wenn eine Strafe von nicht mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe erwartet wird.

Fazit:

Eine ganze Reihe größerer und kleinerer Fehler, die ich (hauptsächlich zu Beginn der Station) in meinen Anklageschriften bei der Staatsanwaltschaft gemacht habe. Aber wie heißt es so schön? Aus Fehlern lernt man. Und wenn ich diese Fehler im Examen nicht wiederhole und ihr auch nicht, haben sie sich ja trotzdem gelohnt.

 

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Beitragsautor:

Flavia Schardt

Flavia Schardt

Flavia berichtete uns über ihre Erlebnisse und Erfahrungen, die sie während ihres juristischen Vorbereitungsdienstes gemacht hat.

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