Eine Übersicht: Diese Fälle solltest du kennen!
In Kooperation mit Jura Intensiv präsentieren wir dir monatlich den #examensrelevanten Fall des Monats. Dieser bietet einen Sachverhalt mit Fragestellung, sodass der Fall eigenständig gelöst werden kann. Die hier präsentierten Lösungen enthalten in aller Regel auch weiterführende Hinweise für eine optimale Examensvorbereitung.
Im Folgenden findest du einen Überblick über die Fälle des Monats im Jahr 2023, die sicherlich auch 2024 weiterhin examensrelevant sein dürften.
Fall des Monats Januar 2023: Ermessensentscheidung nach § 31 I BauGB vermittelt keinen Drittschutz
BVerwG, Urteil vom 29.03.2022, Az.: 4 C 6/20
Einordnung: Baurecht
Die Feuerwehr ist unbestritten eine zentrale Einrichtung des öffentlichen Lebens – nur möchte nicht jeder sie zum Nachbarn haben. Das zeigt das Urteil des BVerwG, das auf die Klage des Nachbarn eines geplanten Feuerwehrgerätehauses erging. In den Entscheidungsgründen hat das Gericht vor allem das ungeschriebene Erfordernis der Gebietsverträglichkeit geprüft und ist der Frage nachgegangen, ob die Ermessensentscheidung gem. § 31 I BauGB drittschützend ist.
Fall des Monats Februar 2023: Gültigkeit einer AGB-Klausel zur Fernabschaltung
BGH, Urteil vom 26.10.2022, Az.: XII ZR 89/21
Einordnung: Schuldrecht, Sachenrecht
Es handelt sich um eine Entscheidung über die Wirksamkeit einer AGB-Klausel, die dem Vermieter einer Autobatterie nach außerordentlicher Kündigung des Mietvertrags die Fernsperrung der Auflademöglichkeit erlaubt. Es geht konkret um die Frage, ob diese wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters als Verbraucher unwirksam sein könnte, wenn der Mieter als Verbraucher die Weiterbenutzung der Batterie und seines – gesondert erworbenen, geleasten oder gemieteten – E-Fahrzeugs im Streitfall nur durch gerichtliche Geltendmachung einer weiteren Gebrauchsüberlassung erreichen kann.
Fall des Monats März 2023: Führen eines E-Scooters i.R.v. § 316 StGB
LG Oldenburg, Beschluss vom 07.11.2022, Az.: 4 Qs 368/22
Einordnung: Strafrecht BT III / Straßenverkehrsdelikte
Der Beschuldigte befand sich als sog. Sozius auf einem Elektrokleinstfahrzeug (E-Scooter), mithin hinter einer anderen Person. Er hielt sich dabei am Lenker des E-Scooters fest. Eine Blutentnahme ergab für den Beschuldigten eine Blutalkoholkonzentration von 1,2 Promille zum Tatzeitpunkt. Zentral sind hierbei die also Fragen, inwieweit E-Scooter überhaupt Kraftfahrzeuge sind und wer Führer eines Fahrzeugs i.S.d. § 316 StGB sein kann, mithin ob für die Führereigenschaft allein das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters während der Fahrt ausreichend ist.
Fall des Monats April 2023: Verbot von Windkraftanlagen in Waldgebieten
BVerfG, Beschluss vom 27.09.2022, Az.: 1 BvR 2661/21
Einordnung: Staatsorganisationsrecht
Um im Freistaat Thüringen in einem Waldgebiet eine Anlage – auch eine Windenergieanlage – errichten zu können, müssen die dafür erforderliche Rodung und die Überführung des Waldbodens in die neue Nutzungsart behördlich genehmigt werden (Umwandlung). Nach § 10 I 2 ThürWaldG ist eine Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von Windenergieanlagen in Thüringen unzulässig. Die Regelung schließt die Umwandlung zur Errichtung von Windenergieanlagen ausnahmslos und ohne Möglichkeit der Genehmigung aus. Fraglich ist jedoch, ob ihm für eine solche Regelung überhaupt die Gesetzgebungskompetenz zusteht.
Fall des Monats Mai 2023: Sittenwidrigkeit einer Schenkung
BGH, Urteil vom 15.11.2022, Az.: X ZR 40/20
Einordnung: BGB AT
Der Schenkende schenkte seinen beiden Enkeln mit Wertpapiere im Wert von jeweils 219.000 €. Des Weiteren übertrug er seinem Sohn, dem Vater seiner beiden Enkeln, das Eigentum an einem Mehrfamilienhaus. Schließlich kam es nie zu einer Übertragung der Wertpapiere, da sich der Schenkende kurz nach der Schenkung davor sträubte, gegenüber der Bank seine Zustimmung zur Übertragung zu geben. Dazu trägt er wahrheitsgemäß vor, er sei von seinem Sohn, dem Vater seiner beiden Enkeln, zwei Jahre lang überwacht und unter Druck gesetzt worden, die Wertpapiere zu übertragen. K begehrt die Feststellung, dass der Schenkungsvertrag gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.
Fall des Monats Juni 2023: Angriff auf die Entschlussfreiheit bei § 316a StGB
BGH, Beschluss vom 07.07.2022, Az.: 4 StR 508/21
Einordnung: Strafrecht BT III / Straßenverkehrsdelikte
Der BGH befasst sich in dieser Entscheidung mit der Frage, ob ein Angriff auf die Entschlussfreiheit des Opfers i.S.v. § 316a I StGB auch durch ein listiges Verhalten (hier: das Auffahren auf das Auto des Opfers, um den Anschein eines zufälligen Unfalls zu erzeugen) bewirkt werden kann. Denn die Angeklagten fuhren in diesem Fall auf den von der Geschädigten gesteuerten Pkw auf, um sie gemäß ihrem gemeinsamen Tatplan zum Anhalten ihres Fahrzeugs zu veranlassen und anschließend zu berauben. Die Geschädigte erkannte die deliktische Absicht nicht.
Fall des Monats Juli 2023: Staatliche Förderung parteinaher Stiftungen (Desiderius-Erasmus-Stiftung)
BVerfG, Urteil vom 22.02.2023, Az.: 2 BvE 3/19
Einordnung: Staatsorganisationsrecht
Es besteht die Möglichkeit, der staatlichen Förderung politischer Stiftungen. Die Antragstellerin ist eine im Deutschen Bundestag, zeitweilig in allen Landtagen sowie im Europäischen Parlament vertretene politische Partei. Sie erkannte die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) im Jahr 2018 als die ihr nahestehende politische Stiftung an. Gleichwohl erhielt die DES im Gegensatz zu den politischen Stiftungen, die den anderen im Bundestag vertretenen Parteien politisch nahestehen, keine staatlichen Zuwendungen. Die Antragstellerin sieht deshalb ihr Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aus Art. 21 I 1 GG verletzt.
Fall des Monats August 2023: Haftung für einen Elektroroller
BGH, Urteil vom 24.01.2023, Az.: VI ZR 1234/20
Einordnung: Deliktsrecht
Diese Entscheidung des BGH baut auf seine grundlegende Entscheidung zur weiten Auslegung des Merkmals „bei Betrieb“ in § 7 I StVG (VI ZR 236/18) auf. Im Urteil vom 20.10.2020, VI ZR 319/18, dem ein ähnlicher Sachverhalt zugrundelag, blieb der VI. Zivilsenat der eingeschlagenen Linie treu. Wo aber liegen die Grenzen einer derart weiten Auslegung? Einen neuen Zaun zieht der VI. Zivilsenat in der hier besprochenen Entscheidung, bei der es um eine explodierte Batterie geht, die ein Gebäude in Brand gesteckt hat.
Fall des Monats September 2023: Die Luftpumpe als Scheinwaffe i.S.v. § 250 I Nr. 1b) StGB?
BGH, Beschluss vom 28.03.2023, Az:. 4 StR 61/23
Einordnung: Strafrecht BT II / Raub und räuberische Erpressung
Die Vorschrift des § 250 I Nr. 1b) StGB erfasst grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, also auch sogenannte Scheinwaffen, d. h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird. In diesem Fall entschied der BGH konkret für die Luftpumpe, ob es sich dabei um ein sonstiges Werkzeug i.S.v. § 250 I Nr. 1b) StGB handelt.
Fall des Monats Oktober 2023: Verfassungsbeschwerde gegen eine aufgehobene Norm (§ 219a StGB)
BVerfG, Beschluss vom 10.05.2023, Az.: 2 BvR 390/21
Einordnung: Grundrechte
Die Beschwerdeführerin, die in ihrer Arztpraxis Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, wurde wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft gem. § 219a I StGB verurteilt. Nachdem weitere Rechtsmittel erfolglos blieben, erhob sie fristgemäß Verfassungsbeschwerde zum BVerfG. Während des laufenden Verfahrens vor dem BVerfG hob der Deutsche Bundestag die Vorschrift des § 219a StGB sowie die hierauf beruhenden strafgerichtlichen Verurteilungen mit Gesetz vom 11.7.2022 rückwirkend auf (Art. 316n EGStGB). B hält gleichwohl an ihrer Verfassungsbeschwerde fest und begründete dies entsprechend. Der Schwerpunkt dieser Entscheidung liegt somit auf der Beschwerdebefugnis.
Fall des Monats November 2023: Verkehrssicherungspflicht bei Müllcontainern
LG Darmstadt, Urteil vom 23.06.2023, Az.: 19a O 23/23
Einordnung: Deliktsrecht
Auch von Müllcontainern können Gefahren ausgehen, wenn sie auf der Straße stehengelassen werden. Fraglich ist, wer hierfür haftet. Denn im vorliegenden Fall wurde der ordnungsgemäß abgestellte PKW des K durch einen Müllcontainer beschädigt, der sich ebenso am Straßenrand zwecks Leerung befand. Nach der Leerung wurde dieser jedoch nicht in die Müllcontainergarage gebracht, sondern an der Straße, nur gesichert durch die Feststellbremse, stehengelassen. Ein starker Wind führte schließlich dazu, dass der Müllcontainer den PKW des K beschädigte.
Fall des Monats Dezember 2023: Beweiskraft öffentlicher Urkunden bei § 271 StGB
BGH, Beschluss vom 07.02.2023, Az.: 3 StR 274/22
Einordnung: Strafrecht BT II / Urkundsdelikte
In dieser Entscheidung geht es nicht nur um die klassische Urkundenfälschung nach § 267 I StGB, sondern insbesondere auch um die mittelbare Falschbeurkundung, § 271 I StGB, und deren Qualifikation gem. § 271 III StGB. Denn der Angeklagte erwarb in diesem Fall eine GmbH, indem er gegenüber dem Notar einen fiktiven Namen genutzt und einen entsprechend gefälschten Personalausweis vorlegt hat. Das Vorgehen diente dazu, nachfolgende Betrugstaten gegenüber den Vertragspartnern der GmbH vorzubereiten.
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