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Rechtsprechung des Monats Oktober 2024: Keine allgemein gehaltene Untersagung von „Auto-Posen“

By 7. Oktober 2024No Comments
Rechtsprechung des Monats

OVG NRW, Beschl. v. 11.07.2024 – 8 A 2057/22, BeckRS 2024, 18004

Schwerpunkte: § 37 VwVfG; § 30 StVO; LPolG

In Kooperation mit Alpmann Schmidt präsentieren wir die Rechtsprechung des Monats. Hierbei handelt es sich um examensrelevante Rechtsprechung, die dir von erfahrenen Praktiker:innen vorgestellt wird. Zusätzlich bieten dir diese Fälle die Möglichkeit, das Schreiben von Assessorklausuren zu üben.

Fall

Stadt Goldstadt
Ordnungsamt

An Kevin DeLonghi

V e r f ü g u n g
vom 19.09.2024

  1. Ihnen wird aufgegeben, beim Benutzen öffentlicher Straßen im Stadtgebiet von Goldstadt als Führer von PKW das Verursachen unnötigen Lärms zu unterlassen, verursacht z.B. durch unsachgemäße Benutzung des Fahrzeugs, Nichtbeachtung technischer Ausführungsvorschriften, Hochjagen des Motors im Leerlauf und beim Fahren in niedrigen Gängen (insb. Gasstoß), unnötig schnelles Beschleunigen des Fahrzeugs.
  2. Für jede Zuwiderhandlung wird ein Zwangsgeld i.H.v. 5.000 € angedroht.

Begründung
Am 29.06.2024 haben Sie den Motor Ihres Serien-Sportwagens beim Ampelwechsel auf Grün einmal laut aufheulen („röhren“) lassen. Das verstieß gegen § 30 StVO. Sie verfolgten bei Ihrer Fahrt verkehrsfremde Zwecke, es ging Ihnen nur darum, Aufmerksamkeit zu erregen. Auf der Grundlage von § 14 LPolG untersage ich Ihnen ein solches Verhalten für die Zukunft.

Entwerfen Sie die Klageschrift von RAin Reiter (ohne Sachverhalt).

Alpmann Schmidt informiert:

14 LPolG – Voraussetzungen des Eingreifens

(1) Die Gefahrenabwehrbehörden können die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren.

[…]

Leitsätze

  1. Der einmalige Verstoß eines Fahrzeugführers gegen § 30 StVO ist keine ausreichende Grundlage für die Annahme, der Fahrer werde auch künftig gegen diese Vorschrift verstoßen.
  2. Die Wiedergabe des abstrakten Verbotstatbestands des § 30 StVO im Tenor eines Untersagungsbescheids genügt dem Bestimmtheitserfordernis auch dann nicht, wenn beispielhaft Verhaltensweise aufgezählt werden, die ihrerseits nicht hinreichend bestimmt sind.
  3. Ob „Auto-Posen“ im öffentlichen Straßenverkehr aufgrund der gefahrenabwehrrechtlichen Generalermächtigung untersagt werden kann, bleibt offen.

Klage

Zu den Anforderungen an eine Klageschrift: AS-Skript Die verwaltungsgerichtliche Assessorklausur (2023), Rn. 404 ff.

RAin Reiter

K L A G E

des Herrn Kevin DeLonghi, wohnhaft …

– Kläger –

gegen

die Stadt Goldstadt, vertreten durch …

– Beklagte –

Namens und in Vollmacht des Klägers werde ich beantragen,

den Bescheid der Bekl. vom 19.09.2024 aufzuheben.


Begründung

Der Bescheid der Bekl. vom 19.09.2024 ist rechtswidrig und verletzt den Kl. in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Näher: VG Düsseldorf RÜ 2022, 734; vom OVG NRW offen gelassen.

1. Es spricht alles dafür, dass der den Kl. belastenden Verfügung bereits die erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage fehlt. Die gefahrenabwehrrechtliche Generalermächtigung des § 14 Abs. 1 LPolG i.V.m. § 30 StVO dürfte gesperrt sein. § 4 StVG regelt die Abwehr von Gefahren, die von Fahrerlaubnisinhabern bei der Verkehrsteilnahme ausgehen, grds. abschließend.

2. Unabhängig davon fehlt es an der Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die § 14 Abs. 1 LPolG voraussetzt.

a) Zwar mag ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit betroffen sein, zu der u.a. die Unverletzlichkeit der geschriebenen Rechtsordnung und damit auch § 30 StVO gehört.

„[8] … Eine solche (konkrete) Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall bei ungehindertem Geschehensablauf in überschaubarer Zukunft mit einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. In tatsächlicher Hinsicht bedarf es in Abgrenzung zu einem bloßen Gefahrenverdacht einer genügend abgesicherten Prognose des drohenden Eintritts von Schäden.“

b) Die Bekl. hat die erforderliche Gefahrenprognose aber gar nicht angestellt.

„[9] … Dem Bescheid lässt sich schon nicht entnehmen, ob ihr die Erforderlichkeit einer Gefahrenprognose überhaupt bewusst war. Die Formulierung, dass es dem Kl. … nicht um eine Verkehrsteilnahme, sondern um sonstige verkehrsfremde Zwecke gehe, lässt nicht erkennen, ob sie sich auf den festgestellten Verstoß in der Vergangenheit bezieht oder es sich um eine zukunftsorientierte Einschätzung handelt.“

Hinweis: Der Kl. hatte den Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen § 30 StVO rechtskräftig werden lassen und beglichen.

c) Außerdem fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Kl. künftig erneut gegen § 30 StVO verstoßen wird.

„[10] … Von einem einmaligen Verkehrsverstoß betreffend unnötigen Lärm und vermeidbare Abgasbelästigungen in der Vergangenheit kann nicht ohne Weiteres auf eine künftige Schutzgutgefährdung geschlossen werden. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein von der Polizei ertappter ‚Verkehrssünder‘ sich generell unbelehrbar zeigt und von den ihm angedrohten Bußgeldern, Fahrverboten und Punkten unbeeindruckt bleibt. Vielmehr dürfte im Regelfall davon auszugehen sein, dass die im Straßenverkehrsrecht vorgesehenen Sanktionen den normalen Verkehrsteilnehmer so nachhaltig beeindrucken, dass er von der umgehenden Begehung erneuter Verkehrsverstöße absieht.“

Näher zur Bestimmtheit bzgl. des Regelungsgehalts: Kopp/Ramsauer, VwVfG (2024), § 37 Rn. 12

3. Schließlich ist die Verfügung rechtswidrig, weil sie zu unbestimmt ist und damit gegen § 37 Abs. 1 VwVfG verstößt. Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG muss ein VA inhaltlich hinreichend bestimmt sein.

„[13] Der Adressat einer Ordnungsverfügung muss zum einen in die Lage versetzt werden, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der VA geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können.“

BVerwGE 148, 146

Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des materiellen Rechts. Der Regelungsgehalt eines VA ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln.

Dem wird die Verfügung der Bekl. nicht gerecht. Aus dem Empfängerhorizont des Kl. lässt sich nicht hinreichend sicher entnehmen, welche Verhaltensweisen die Bekl. im Einzelnen untersagt. Soweit die Verfügung lediglich den Tatbestand des § 30 StVO wiederholt, fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung. Soweit die Verfügung beispielhaft bestimmte untersagte Verhaltensweisen aufzählt, bleiben diese ebenfalls abstrakt und auslegungsbedürftig.

„[14] … So lässt sich ihr schon nicht entnehmen, ob ein Verstoß gegen das Verbot auch im Falle einer fahrlässigen Begehung oder nur im Zusammenhang mit zielgerichtetem ‚Posing‘-Verhalten vorliegt.“

Beachte: Der Vortrag zu den (mit-)angefochtenen Nebenentscheidungen darf nicht übersehen werden.

4. Wegen der Rechtswidrigkeit des GrundVA ist auch die Androhung des Zwangsmittels (vgl. § 13 BVwVG) rechtswidrig.

Diese Rechtsprechung wurde für dich von VRVG Dr. Martin Stuttmann aufbereitet.

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Beitragsautor:

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt ist ein juristischer Fachverlag, der zudem juristische Lehrgänge und Repetitorien anbietet. In Kooperation mit JurCase präsentiert Alpmann Schmidt bei uns monatlich eine Rechtsprechung des Monats. Mehr Informationen zu Alpmann Schmidt gibt es hier.

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