
Die Entscheidung des Quartals von HLB Schumacher Hallermann
In Kooperation mit der Kanzlei HLB Schumacher Hallermann präsentieren wir dir zusätzlich zu den aus unserem Leitfaden Assessor Juris bekannten examensrelevanten Fällen – die Entscheidung des Quartals. Diese wird unter der Supervision von Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann sowie mit Unterstützung seines Teams aus qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Referendar:innen für dich und deine Fallbearbeitung ausformuliert bzw. bearbeitet.
Der Verfasser dieses Beitrags ist Christian Lederer, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann.
Es geht um einen Beschluss des OVG Münster vom 08.07.2025 (5 B 579/25) zu den Themen Polizei- und Ordnungsrecht | Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW | Waffenrecht | Messerführungsverbot | Polizeiliche Untersagungsverfügung | Gefahrenabwehr | Parlaments- und Wesentlichkeitsvorbehalt | Dauer-VA | vorläufiger, einstweiliger Rechtsschutz, §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO.
Hinweis vom HLB-Team:
Ein Blick auf aktuelle Statistiken (Quelle: Statista) offenbart: Im Jahr 2024 wurde in Deutschland bei rund 29.000 Straftaten ein (über das bloße Mitführen hinausgehender) Messerangriff polizeilich erfasst. Für den Bereich der gefährlichen und schweren Körperverletzung liegen Vorjahreswerte aus 2023 vor, welche einen Anstieg ihrer absoluten Zahl um circa 10,8 Prozent erkennen lassen; bei Raubdelikten hingegen sank die Messernutzung (Androhen oder Ausführen eines Messerangriffs) um etwa 2,6 Prozent. Aus Sicht der Gefahrenabwehr ist unter dem Eindruck dieser Werte durchaus nachvollziehbar, dass man nach geeigneten Maßnahmen zur Eindämmung der insgesamt steigenden Gewalttaten sinnt, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung weiterhin effektiv gewährleisten zu können.
In dem unserer Entscheidung des Monats Juli (OVG Münster, Beschl. v. 8.7.2025 – 5 B 579/25, BeckRS 2025, 16203) zugrundeliegenden Sachverhalt untersagte das Polizeipräsidium Wuppertal einem 18-jährigen das Mitführen aller Arten von Messern und anderer gefährlicher Gegenstände in der Öffentlichkeit für die Dauer von drei Jahren. Dem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht („OVG“) ging dabei ein Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des 18-jährigen vor dem Verwaltungsgericht („VG“) voraus, § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO.
Letztgenannter Antrag stellt in Studium, Referendariat und Praxis eines der wohl wichtigsten Instrumentarien des öffentlichen Rechts dar, weshalb sich die dogmatische Vertiefung dem Eilrechtsschutz – namentlich dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO – widmen wird. Studierenden und Referendarinnen soll ein übersichtliches Nachschlagewerk über die wichtigsten Eckpfeiler geboten werden, sodass sich abseits des formalen Kleides in der Klausur ganz auf die inhaltliche Argumentation und Auseinandersetzung fokussiert werden kann. Wer weitere inhaltliche Vertiefung zum Eilrechtsschutz wünscht, der sei zudem auf unsere Entscheidungen des Monats vom Mai 2022 (§ 80 Abs. 5 VwGO) sowie Februar 2025 (§ 80a VwGO) verwiesen (kostenfrei abrufbar unter: https://www.hlb-schumacher-hallermann.de/aktuelles/entscheidungen-des-monats/).
Die Hintergründe der Entscheidung
Der 18-jährige A aus Wuppertal, der bereits wiederholt infolge diverser Vergehen strafrechtlich aufgefallen war und seine Freizeit gerne in Gruppen von ebenfalls gewaltbejahenden und polizeibekannten jungen Männern verbringt, ist ein Waffenenthusiast. Egal ob Armbrüste, moderne Pfeffersprays oder Messer; der A kann jedem Gegenstand etwas abgewinnen, von dessen Architektur eine inhärente Gefährlichkeit ausgeht. A entstammt dabei einem Kulturkreis, welcher Wert auf ein stark ausgeprägtes Männlichkeitsbild legt. Da speziell im Falle des A die Erfolge in Schule, Ausbildung und Beruf bisher ausblieben, definiert er sich sehr über die Wahrnehmung Dritter und seine Reputation in „seinem Barrio“. Außer an die Grenzen Wuppertals selbst, reicht dieses „sein Viertel“ bis in die benachbarten Dörfer Y und Z. Diese Orte frequentieren A und seine Freunde regelmäßig mit geleasten Luxuswagen bei lauter Musik, die aus den Burmester-Boxen dröhnt.
Am 3. März 2025 entdeckt A im Briefkasten seines Elternhauses ein an ihn adressiertes Schreiben des Polizeipräsidiums Wuppertal. Darin befindet sich eine formell rechtmäßige polizeiliche Verfügung, welche es dem A in Ziffer 1 für die Dauer von drei Jahren verbietet, alle Arten von Messern und anderen gefährlichen Gegenständen in der Öffentlichkeit mitzuführen. Örtlich beschränkt sich die Verfügung auf die Städte W, Y und Z. Ausnahmen vom Verbot i. S. d. Ziffer 1 werden für sportliche und berufliche Zwecke ausdrücklich vorgesehen. Neben dieser Regelung in Ziffer 1, findet sich in Ziffer 2 eine Anordnung der sofortigen Vollziehung. Das Polizeipräsidium erläutert schriftlich ausführlich, warum es die auf die Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW gestützte Maßnahme für geboten erachtet. Dabei nimmt die Polizeibehörde in Hinblick auf Ziffer 2 insbesondere Bezug auf die bisherigen polizeilichen Erkenntnisse über den gewaltbejahenden Waffenenthusiasten A sowie die aus ihrer Sicht drohenden Gefahren für Leib, Leben und Freiheit der Bürgerinnen und Bürger der Städte W, Y und Z.
A sieht diese Einschränkung seiner persönlichen Freiheit nicht ein: Zwei Wochen nach Zugang des Behördenschreibens reicht A eine allen Formerfordernissen entsprechende Anfechtungsklage fristgemäß beim zuständigen Verwaltungsgericht Düsseldorf ein. Zusätzlich reicht A einen Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ein, da A im nächsten Monat an einer Messerschau in Solingen teilnehmen möchte.
Tatsächlich hatte der Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf Erfolg. Nach summarischer Prüfung kam das Gericht zu der Erkenntnis, dass – ungeachtet einer potentiellen kompetenzrechtlichen Sperrwirkung durch das bundesrechtliche Waffengesetz – jedenfalls die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 PolG NRW nicht vorlägen: „Nach gegenwärtiger Aktenlage und auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisse wertet die Kammer die vom Antragsgegner vorliegend getroffene Gefahrenprognose insoweit als nicht tragfähig. Eine entsprechende, vom Antragsteller ausgehende konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Zusammenhang mit dem Umgang mit Messern aller Art, gefährlichen Werkzeugen, gefährlichen Sportgeräten, Tierabwehrsprays und Reizstoffsprühgeräten aller Art, deren Umgang ihm mit dem angegriffenen Bescheid vom 3. März 2025 untersagt wird“ (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 30.5.2025 – 18 L 1480/25, BeckRS 2025, 12522) bestehe nicht.
Hiergegen legte die Polizeibehörde form- und fristgemäß Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht NRW (vgl. vertiefend: OVG Münster, Beschl. v. 8.7.2025 – 5 B 579/25, BeckRS 2025, 16203) in Münster ein und trug ausführlich vor, warum einerseits die polizeiliche Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage für die Untersagungsverfügung ausreiche und andererseits die Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage betreffend den Sachverhalt des A sehr wohl vorlägen.
Hat der zulässige Beschwerdeantrag der Polizeibehörde vor dem Oberverwaltungsgericht Erfolg?
Die Entscheidung
Die Beschwerde der Polizeibehörde gegen den Beschluss des VG Düsseldorf nach § 146 VwGO hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
A. Die Zulässigkeit nach § 146 VwGO ist zu unterstellen.
B. Die Beschwerde muss begründet sein.
Beschwerde vor dem OVG, § 146 VwGO
Eine verfahrensrechtliche Besonderheit der vorliegenden Entscheidung besteht darin, dass die Hauptsache selbst – namentlich die Anfechtung der Verbotsverfügung – (noch) nicht entschieden wurde. In der Vorinstanz hat das VG bisher nur qua Beschluss im Eilverfahren nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zugunsten des durch die Maßnahme belasteten Antragstellers dahingehend entschieden, dass die von der Polizeibehörde mittels der in Ziffer 2 der Verbotsverfügung formulierten Anordnung auf sofortige Vollziehung („AoSofVz“) aufgehobene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wiederherzustellen sei (vgl. Grundsatz: § 80 Abs. 1; Ausnahmen: § 80 Abs. 2 S. 1; Abhilfe gegen die Ausnahme: Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1). Hiergegen wandte sich die Behörde mittels dem einschlägigen Rechtsmittel der Beschwerde vor dem OVG nach § 146 VwGO. Wichtig: Hierbei prüft das OVG einzig dasjenige, was vom Antragsgegner ausdrücklich vorgetragen wurde (§ 146 Abs. 4 S. 3 VwGO).
Das ist der Fall, wenn die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe zu einer Änderung des angefochtenen Beschlusses führen (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO). Insb. müsste das öffentliche Vollziehungs- gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse überwiegen.
Formulierungshilfe: Begründetheit eines Eilantrags, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO
Ihr werdet in eurer juristischen Ausbildung überwiegend mit der Konstellation eines Eilantrags vor dem VG, etwa i. S. v. § 80 Abs. 5 (S. 1 Alt. 2) VwGO, konfrontiert sein und nicht mit einer Beschwerde vor dem OVG. Für ein besseres Systemverständnis lohnt sich der Blick über den Tellerrand jedoch allemal.
Wenn es allerdings um die Erfolgsaussichten eines Eilantrags vor dem VG, genauer dessen Begründetheit geht, empfiehlt sich folgender Obersatz: „Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 (S. 1 Alt. 2) VwGO ist begründet, soweit die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig ist („B.-I.“) oder nach einer vom Gericht selbstständig durchzuführenden Interessenabwägung feststeht, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners und der Allgemeinheit überwiegt („B.-II.“).“
I. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 2 der Verbotsverfügung müsste zunächst formell rechtmäßig sein. Neben der Zuständigkeit der anordnenden Behörde und der Schriftlichkeit der Anordnung bedarf es insbesondere einer besonderen Begründung i. S. d. § 80 Abs. 3 VwGO. Die Begründung muss schlüssig, konkret und substantiiert sein und darf nicht lediglich floskelhaft erfolgen. Die Anforderungen sind dabei im Lichte des Regelungsgehalts des Grundverwaltungsakts zu betrachten.
Berücksichtigt man vorliegend die „Qualität der Maßnahme als Gefahrenabwehrmaßnahme“ so ist „durch die Nennung der in Rede stehenden Rechtsgüter, die Bezugnahme auf die von der Untersagung erfassten gefährlichen Gegenstände sowie den Vergleich mit dem Zustand, der ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung einträte“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 4) durch die zuständige Behörde eine ausreichende, schriftliche Begründung beigefügt worden.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begegnet somit keinen formellen Bedenken.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO
Das erstinstanzliche Gericht (und deshalb auch konsequent das Beschwerdegericht) prüft im zugrundeliegenden Eilverfahren zunächst die formelle Richtigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung: § 80 Abs. 3 VwGO gibt hier einen Leitfaden für die Prüfung an die Hand, indem eine „schriftliche Begründung“ gefordert wird. Diese „besondere Begründung“ muss schlüssig, konkret, substantiiert und nicht lediglich floskelhaft oder den Gesetzeswortlaut wiederholend sein. Sie muss jedoch ausdrücklich nicht „inhaltlich tragen“, also in Hinblick auf das argumentative Vorbringen der Behörde überzeugen; das ist vielmehr Teil der richterlichen Interessenabwägung unter „B.-II.“. Es bedarf vielmehr „der Darlegung besonderer Gründe, die über die Gesichtspunkte hinausgehen, die den Verwaltungsakt selbst rechtfertigen. Geringere Begründungsanforderungen gelten ausnahmsweise in Fällen besonderer Dringlichkeit, etwa bei Verfügungen, die sich durch Zeitablauf alsbald erledigen, oder dann, wenn aus Sicht der Behörde nur die Anordnung der sofortigen Vollziehung erheblichen Gefahren oder der Begehung von Straftaten vorbeugen kann“ (Rn. 3).
Übrigens: Ist eine formelle Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung festzustellen, so ist nach hM (damit auch im Examen) weiter zu prüfen. Dies dient der Prozessökonomie. Ansonsten könnte in der Praxis die Behörde schlicht eine Verfügung inklusive diesmal tauglicher Begründung „nachschieben“ und so die Sache materiell doch wieder ans Gericht bringen.
II. Die Beschwerde ist erfolgreich, wenn das öffentliche Vollziehungsinteresse gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers, vorerst von der Untersagungsverfügung verschont zu werden, überwiegt. Dies wiederum ist der Fall, wenn der Verwaltungsakt rechtmäßig ist und ein besonderes Vollziehungsinteresse der Allgemeinheit (3.) zu bejahen ist.
Formulierungshilfe: Interessenabwägung, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO
Wir erinnern uns: Die weiter oben umschriebene Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollziehungsinteresse und dem privaten Suspensiv- / bzw. Aussetzungsinteresse richtet sich in erster Linie nach den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache und somit nach der Begründetheit der Anfechtungsklage. Hier segeln wir in bekannten Gewässern: Die Anfechtungsklage ist ihrerseits begründet, wenn der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nur summarisch zu prüfende Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 VwGO). Dann überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers unbedingt: Denn am Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann schlechterdings kein Interesse bestehen.
Das individuelle Verbot des Führens der im Bescheid genannten gefährlichen Gegenstände dürfte nicht offensichtlich rechtswidrig sein (1.). Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage dürfte auch nicht auf Grund einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten geboten sein (2.).
1. Nicht offensichtlich rechtswidrig
Definition: Offensichtliche Rechtswidrigkeit, vgl. § 44 Abs. 1 VwVfG NRW
Ein Verwaltungsakt ist offensichtlich rechtswidrig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Dies ist etwa zu bejahen, wenn der Verwaltungsakt auf den ersten Blick erkennbar auf keiner tauglichen Ermächtigungsgrundlage fußt oder in aufdrängendem Ausmaße ersichtlich gegen formelle oder materielle Rechtmäßigkeitserfordernisse verstößt, insbesondere untragbar unverhältnismäßig ist.
a. Taugliche Ermächtigungsgrundlage
Vorbehalt u. Vorrang des Gesetzes, Art. 20 Abs. 3 GG
Wenn es um die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts geht, wird – beinahe gebetsartig – im juristischen Trikolon geprüft: „I. Ermächtigungsgrundlage – II. Formelle Rechtmäßigkeit – III. Materielle Rechtmäßigkeit“. Warum eigentlich? Die Antwort liegt nahe: Das sind die spürbaren Konsequenzen des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG. Nach dem, dem Rechtsstaat immanenten Vorbehalt des Gesetzes darf die Verwaltung nur auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung handeln, der Ermächtigungsgrundlage. Insbesondere bei Eingriffen in Grundrechte, mithin alle belastenden Maßnahmen der Verwaltung, muss eine solche Grundlage vorhanden sein. Dies stellt sicher, dass staatliches Handeln legitimiert ist und nicht willkürlich erfolgt. So viel zu „I.“ des Schemas.
„II.“ und „III.“ des Dreiklangs lassen sich sodann mit Blick auf den Vorrang des Gesetzes erklären: Die Verwaltung ist bei all ihren Handlungen an die geltenden Gesetze gebunden und darf nicht gegen diese verstoßen. Das bedeutet, dass die Verwaltung nur innerhalb der ihr durch Gesetze eingeräumten Befugnisse handeln und keine Maßnahmen ergreifen darf, die gegen bestehendes Recht (= die EGL) verstoßen.
aa. Vorliegend kommt als taugliche Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Untersagungsverfügung betreffend das Mitführen von gefährlichen Gegenständen aller Art § 8 Abs. 1 PolG NRW in Betracht (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 6). Nach § 8 Abs. 1 PolG NRW kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.
bb. Es stellt sich jedoch die Frage, wie der Umstand zu bewerten ist, dass es gem. Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 1. Var. GG grundsätzlich dem Bundesgesetzgeber vorbehalten ist, die nähere Ausgestaltung dieses Kompetenztitels im Waffengesetz vorzunehmen (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 8). Die bundesrechtliche Regelung des Waffengesetzes für jegliche Messer könnte eine auf landespolizeirechtlicher Grundlage erfolgende Anordnung individueller Führungs- und Trageverbote als lex specialis insgesamt sperren und ausschließen.
In der Tat hat der Bundesgesetzgeber im Zuge der letzten Novellierung des Waffenrechts zum Ausdruck gebracht, seine Gesetzgebungszuständigkeit umfassend auf sämtliche (Alltags-)Messer zu erstrecken (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 9).
Gegen eine solche Sperrung landespolizeirechtlicher Maßnahmen, die auf Grundlage der polizeilichen Generalklausel getroffen werden, spricht jedoch, dass die vorliegend vom Antragsteller monierte Gefahrenabwehranordnung „nicht auf die Abwehr einer Gefahr, die abstrakt-generell aus dem betreffenden Gegenstand als solchem resultiert, sondern auf die Abwehr einer individuell-konkreten Gefahr, die sich aufgrund von Umständen in der Person oder dem Verhalten des jeweiligen Adressaten ergibt [, zielt] und die sich bei dessen Verfügungsgewalt über ein Messer oder sonstigen gefährlichen Gegenstand in der Öffentlichkeit jederzeit mit schwerwiegenden Folgen für Leib und Leben Dritter realisieren kann. Es geht damit um die individualbezogene Gefahrenabwehr, um demjenigen, der aus polizeilicher ex ante-Perspektive mit hinreichender Wahrscheinlichkeit künftig eine Straftat gegen Leib und Leben Dritter begehen wird, möglichst frühzeitig die Einsatzmöglichkeit eines Tatwerkzeugs zu nehmen oder jedenfalls zu erschweren.“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 10).
Zudem ergibt sich mit Blick auf den Rechtsgedanken des neu gefassten § 42b Abs. 2 S. 4 WaffG, „wonach die sonstige Befugnis der Bundespolizeibehörden, das Mitführen von Waffen und gefährlichen Gegenständen durch Allgemeinverfügung zu regeln, durch die neue Verordnungsermächtigung des § 42b Abs. 2 WaffG unberührt bleiben sollte“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 10), dass der Bundesgesetzgeber die Novellierung nicht mit einer Einschränkung bestehen-der polizeilicher Befugnisse verbunden wissen wollte. In der Gesetzesbegründung der Novellierung des WaffG heißt es zudem ausdrücklich, dass die Länder über die Maßnahmen nach § 42b WaffG hinaus „nach § 42 Abs. 5 und 6 Waffen- und Messerverbotszonen einrichten“ können (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung d. inneren Sicherheit u. d. Asylsystems, BT-Drs. 20/12805, S. 37).
Statt eines exklusiv bundesrechtlich geprägten Waffenverbotsregimes strebt der Bundesgesetzgeber also vielmehr ein komplementäres, sich mit den landesrechtlichen Instrumentarien ergänzendes Regime an. Sinn und Zweck der Novellierung des Waffenrechts war eine „Verbesserung der inneren Sicherheit“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 12) und nicht etwa die „Einschränkung gefahrenabwehrrechtlicher Befugnisse“ und damit der Handlungsflexibilität der Polizeibehörden. Dieses Ergebnis wird dabei auch der notwendigen Effektivität der Gefahrenabwehr ausreichend gerecht.
Das oben Gesagte, namentlich dass § 8 Abs. 1 PolG NRW die einschlägige Rechtsgrundlage für konkret-individuelle Untersagungsverfügungen ist, gilt dabei nicht nur exklusiv für Messer, sondern auch hinsichtlich der übrigen gefährlichen Gegenstände: Bundesrechtliches Waffengesetz und landesrechtliches Polizei- und Ordnungsrecht bilden ein sich ergänzendes Regelungsgefüge zur Verbesserung der inneren Sicherheit.
Wesentlichkeitstheorie, BVerfG (st. Rspr.)
Nach der vom BVerfG entwickelten W. muss der Gesetzgeber staatliches Handeln in grundlegenden Kernbereichen durch ein förmliches Gesetz legitimieren und alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. Daraus folgt ein Verbot der Delegation wesentlicher Entscheidungen an die Exekutive und eine Pflicht des parlamentarischen Gesetzgebers zur Selbstvornahme. Die W. leitet sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes (s. o.) ab, wonach die Verwaltung nur tätig werden darf, wenn sie dazu durch ein formelles Gesetz ermächtigt wurde. Anhand des Kriteriums der Wesentlichkeit versucht das BVerfG zum einen die Erforderlichkeit eines Gesetzes und zum anderen dessen erforderliche Regelungsdichte zu bestimmen.
Vgl. nur: BVerfGE 40, 237 (249); 49, 89 (126); 83, 130 (142, 151 f.); 95, 267 (307); BT-WD 3 – 3000 – 152/19.
cc. Jedoch könnte im Lichte der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitstheorie die Polizeibehörde aufgrund des Vorbehalts eines Parlamentsgesetzes gehindert sein, das individuelle Führungs- und Trageverbot auf die polizeiliche Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW zu stützen.
Hiergegen spricht jedoch erneut der Effektivitätsgrundsatz: „Die Regelungsmaterie „Gefahrenabwehr“ erfordert einen weiten Gestaltungsspielraum der Verwaltung und eine flexible Handhabung des ordnungsbehördlichen Instrumentariums. Gerade das Recht der Gefahrenabwehr mit seinen von Rechtsprechung und Schrifttum konkretisierten Leitlinien des Opportunitäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips kann deshalb mit sprachlich offen gefassten Ermächtigungen auskommen, die gegebenenfalls verfassungskonform auszulegen und anzuwenden sind“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 14).
Zudem ist es gerade Sinn und Zweck einer polizeilichen Generalklausel, polizeiliches Eingriffshandeln in Gestalt „neuer“ Maßnahmen zu ermöglichen, die bis dato noch nicht in einer spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage typisiert oder standardisiert worden sind. Dabei beschränkt sich die Anwendung der Generalklausel allerdings ausdrücklich nicht auf „untypisches in der polizeilichen Praxis noch nicht erprobtes Eingriffshandeln“, sondern „dient auch und nicht zuletzt der Bewältigung immer wieder vorkommender Gefahrensituationen“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 15). Dies gilt umso mehr, als da vorliegend in dem zeitlich auf drei Jahre befristeten, auf spezielle Städte beschränkte und mit zahlreichen Ausnahmetatbeständen betreffen sportliche und berufliche Betätigung versehenen Verbot, nur ein geringfügiger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG liegt. Die „Untersagungsverfügung betrifft im Wesentlichen Gegenstände [z. B. Armbrüste, Pfefferspray etc.], deren Mitführen in der Öffentlichkeit von alltäglicher Gebräuchlichkeit weit entfernt ist“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 16). „Das Gewicht des mit der Untersagungsverfügung verbundenen Grundrechtseingriffs ist jedenfalls deutlich geringer als etwa eine polizeiliche Meldeauflage, für die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung mit Blick auf die fehlende Eingriffsintensität ebenfalls keine Spezialermächtigung verlangt wird“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 16).
§ 8 Abs. 1 PolG NRW ist somit taugliche Ermächtigungsgrundlage für die Untersagungsverfügung.
b. Die Untersagungsverfügung ist auch formell rechtmäßig. Insbesondere wurde der Antragsteller angehört (§ 28 VwVfG NRW). Die Ausführungen im Bescheid genügen auch den Bestimmtheitsanforderungen (vgl. dazu OVG Münster, aaO, Rn. 17, 18).
c. Die Untersagungsverfügung müsste auch materiell rechtmäßig sein. Hierfür müssten die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage wie auch des § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WaffG vorliegen und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit – nach summarischer Prüfung (!) – zu bejahen sein.
aa. Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
Definition: Öffentliche Sicherheit u. Ordnung, § 8 Abs. 1 PolG NRW
Das hier in Rede stehende Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates. Je gewichtiger das bedrohte Schutzgut und je größer das Ausmaß des möglichen Schadens ist, umso geringere Anforderungen werden an die Schadensnähe gestellt. Für polizeiliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit genügt bereits die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts, nicht jedoch die nur rein theoretische, praktisch aber auszuschließende Möglichkeit.
Das Tragen von Messern und/oder anderen gefährlichen Gegenständen in der Öffentlichkeit stellt bereits als solches ein unkalkulierbares Risiko in Hinblick auf das Eskalationspotential spontaner Konflikte dar. Dies gilt umso mehr, wenn besagte Gegenstände in den Händen von gewaltbereiten und zur Aggression neigenden Menschen mitgeführt werden.
Jenseits dieser (abstrakten) Gefahren für Leib, Leben und Freiheit der Mitbürger kann das ubiquitäre Vorhandensein von gefährlichen Gegenständen allgemeine Verunsicherung der Bevölkerung bedingen. Die öffentliche Sicherheit ist demnach beeinträchtigt.
bb. Konkrete Gefahr
Von dem Antragsteller müsste zudem eine konkrete Gefahr ausgehen.
Definition: Konkrete Gefahr, § 8 Abs. 1 PolG NRW
Eine konkrete Gefahr ist eine Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensfortlauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit in einen Schaden für ein polizeiliches Schutzgut münden wird oder noch andauert (= Störung).
Hinsichtlich des Prüfungs- und Prognosemaßstabs gilt im Allgemeinen das Folgende:
Für „eine entsprechende tragfähige Gefahrenprognose [ist] im Regelfall und vorbehaltlich von mit erheblichem Gefährdungspotenzial auftretenden „Ersttätern“ erforderlich […], dass die betreffende Person den Einsatz von Waffen und gefährlichen Gegenständen wiederholt gegenüber Polizeibeamten, Dritten oder sich selbst eingesetzt, angedroht oder Waffen und gefährliche Gegenstände bei der Begehung von Straftaten oder bei zu erwartenden polizeilichen Maßnahmen wiederholt mitgeführt hat. Wie oft der Störer bereits in der Vergangenheit aufgefallen sein muss, um von einer konkreten (Wiederholungs-)Gefahr in dem vorstehenden Sinn ausgehen zu können, ist eine Frage des Einzelfalls und bemisst sich insbesondere nach der hierbei zu Tage getretenen Aggressivität bzw. dem Ausmaß der eingetretenen Gefährdung oder Schädigung der polizeilich geschützten Rechtsgüter. Zugleich ist die Aussagekraft des vergangenen Verhaltens für das zu prognostizierende zukünftige Handeln abhängig davon, wie aktuell dieses noch ist bzw. ob bereits ein nicht nur unerheblicher Zeitraum ohne weitere polizeiliche Auffälligkeiten verstrichen ist. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass allein die Einstellung von gegen den Betroffenen geführten Ermittlungs- und Strafverfahren deren Berücksichtigung für die Gefahrenprognose nicht entgegensteht, wenn ein Restverdacht gegen den ehemals Beschuldigten verblieben ist.“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 21).
„Die im Bescheid vom 3. März 2025 aufgeführten und im Beschwerdeverfahren näher erläuterten Vorfälle tragen den hinreichend sicheren Schluss, dass der 2006 geborene Antragsteller aufgrund seiner in den Vorwürfen dokumentierten abgesenkten Hemmschwelle einen neuerlichen Schadenseintritt befürchten lässt, ohne dass sich dies in den Bereich bloßer Theorie oder praktischer Unmöglichkeit verweisen ließe. Dabei durfte der Antragsgegner berücksichtigen, dass der Antragsteller zwar nur bei einem der Vorfälle –namentlich dem Konflikt am 2. Mai 2023 – selbst ein Messer mit sich geführt und mit diesem gedroht haben soll, er aber wiederholt und nach einem gefestigten sozialen Verhaltensmuster innerhalb von Gruppen ebenfalls gewaltbejahender – im Übrigen polizeibekannter – junger Männer auffällig geworden ist, und zwar unter mutmaßlicher Nutzung gefährlicher Gegenstände.“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 22).
Entgegen der Vorinstanz ist in Anbetracht der konkreten Umstände um die Person des A das Vorliegen einer hinreichenden konkreten Gefahr zu bejahen.
cc. Verhältnismäßigkeit
Das Verbot müsste auch verhältnismäßig sein, mithin einem legitimen Ziel dienen, dieses in geeigneter Weise wenigstens fördern, erforderlich und angemessen sein.
Definition: Verhältnismäßigkeit, § 2 Abs. 1, 2 PolG NRW
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat die Polizei von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt und nicht zu einem Nachteil führen darf, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (Rn. 23). Die Maßnahme muss also aus der anzustellenden ex ante-Betrachtung lediglich ein Schritt in die richtige Richtung sein; nicht notwendig ist die sichere Wahrscheinlichkeit, dass der Zweck durch den Vollzug der Maßnahme gänzlich verwirklicht wird (Rn. 24).
Das Führ- und Trageverbot ist bei summarischer Prüfung geeignet, den legitimen Zweck der Gefahrenabwehr zu fördern. Es ist ebenso geeignet, „die Verhütung von Straftaten gegen Leib und Leben und von Übergriffen mit gegenstandsbedingt schwerwiegenden Tatfolgen zumindest zu fördern“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 24). „Diese Eignung kann vor dem Hintergrund der […] Einpassung der konkreten Maßnahme in ein Gesamtkonzept des Polizeipräsidiums Y. zur präventiven Bekämpfung der Straßen- und Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum – insbesondere mit Messern – nicht ernsthaft zweifelhaft sein. Die Steigerung der polizeilichen Präsenz und (spezifischen wie niedrigschwelligen) Kontrolltätigkeit in bekannten Schwerpunktgebieten ist geeignet, zusammen mit dem durch die persönliche Übergabe der Verbotsverfügungen ausgeübten positiven sozialen Druck und den weiteren […] Kontrollmaßnahmen dazu beizutragen, präventiv auf die weitere persönliche Gewaltaffinität des Antragstellers einzuwirken und diesen von der Beteiligung an Gewalttaten genauso wie der eigenhändigen Begehung abzuhalten (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 25).
Die Geltungsdauer des Verbots von knapp drei Jahren könnte jedoch nicht erforderlich sein. Denkbar ist etwa eine geringere Intensität bei gleicher Geeignetheit des Verbots, wenn man eine kürzere Geltungsdauer festlegen würde.
Jedoch zeigt ein systematische Vergleich mit §§ 5, 6 WaffG, dass der Gesetzgeber in Hinblick auf die Waffen-bezogene Zuverlässigkeit grundsätzlich mit deutlich längeren Zeiträumen hantiert (fünf bis zehn, statt drei Jahren; vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 26).
Zudem handelt es sich bei der Verbotsverfügung um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. „Von daher steht der Antragsgegner auch während des gesamten Wirkungszeitraums in der Verantwortlichkeit dafür, die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung vor dem Hintergrund der jeweils aktuellen tatsächlichen Umstände „unter Kontrolle zu halten“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 26). „Der Antragsteller ist damit keineswegs schutzlos, vielmehr wird der Antragsgegner mit fortschreitender Zeitdauer und (weiterhin bestehender) polizeilicher Unauffälligkeit des Antragstellers die Maßnahme und deren Angemessenheit aktualisierend im Blick zu behalten haben“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 27).
Der Verwaltungsakt wird demnach auch den Erfordernissen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht und ist demnach insgesamt nicht offensichtlich rechtswidrig.
2. Gebotenheit infolge Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten (§ 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WaffG)
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich Ziffer 1 der Verfügung dürfte sodann auch nicht auf Grund einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten geboten sein.
Die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung für den Antragsteller verbundene Beschränkung, die von der Verfügung erfassten gefährlichen Gegenstände im räumlichen und zeitlichen begrenzten Geltungsbereich der Verfügung bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht mit sich führen zu dürfen, hat für sich bereits kein besonderes Gewicht. „Diesem geringfügigen Nachteil stehen allerdings die Gefahren gegenüber, die für die Allgemeinheit bestehen, wenn sich im gerichtlichen Hauptsacheverfahren die in der Untersagungsverfügung getroffene Einschätzung endgültig als zutreffend erweist, dass vom Antragsteller eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit, namentlich Übergriffe mit gegenstandsbedingt schwerwiegenden Tatfolgen, ausgeht. Diese Gefahren sind höher zu gewichten als die für den Antragsteller mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung einhergehenden geringfügigen Belastungen“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 28).
Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist auch nicht infolge einer Abwägung im Einzelfall geboten.
Zwischenergebnis:
Der Verwaltungsakt ist somit materiell und demnach insgesamt rechtmäßig.
3. Ungeachtet dessen müsste ein besonderes Vollzugsinteresse bestehen.
#Streit: Notwendigkeit eines „besonderen Vollziehungsinteresses“
Streitig ist, ob schon aufgrund der offensichtlichen Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts (und damit einhergehend mangelnden Erfolgsaussichten des Klägers in der Hauptsache) das öffentliche Vollziehungsinteresse gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse überwiegt, oder ob vielmehr – Spoileralarm: so die hM – zusätzlich ein besonderes Vollziehungsinteresse von der Behörde geltend gemacht werden muss.
- Nach einer Ansicht müssen Verwaltungsakte, die rechtmäßig sind, vollzogen werden. Schließlich entfalten sie mit ihrer zu erwartenden Bestandskraft Bindungswirkung. Ein Antrag nach 80 Abs. 5 sei schon deshalb „in aller Regel“ unbegründet.
- Nach der hM reicht die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts nicht aus, um denselben sofort zu vollziehen. Begründet wird dies mit der Gesetzessystematik: Es liege gerade kein gesetzlich geregelter Fall eines per se-Entfalls der aufschiebenden WirkungS. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1-3 VwGO vor; in diesen Fällen Nr. 1-3 hat der Gesetzgeber ausdrücklich normiert, dass eine aufschiebende Wirkung zugunsten des Bürgers nicht vorgesehen ist. Hingegen hat der Gesetzgeber in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO vorgesehen, dass der Bürger zunächst einmal – ungeachtet der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und damit der Begründetheit einer Anfechtungsklage – nach dem Grundsatz in § 80 Abs. 1 in den Genuss einer aufschiebenden Wirkung kommt.
Achtung: Bei Gefahr für die Allgemeinheit – wie auch vorliegend der Fall –, ist das besondere Vollziehungsinteresse i. d. R. gegeben, sodass ein Streitentscheid entbehrlich ist.
Angesichts der von dem Antragsteller und den in Rede stehenden Gegenständen, wenn diese im öffentlichen Raum greifbar mitgeführt werden ausgehenden Gefahren für die Allgemeinheit (siehe insoweit oben), ist ein besonderes Vollzugsinteresse jedoch bereits in der effektiven Gefahrenabwehr und -prävention zu sehen. „[Diese Gefahren] rechtfertigen […] die Annahme der besonderen Dringlichkeit der Vollziehung der Verfügung“ (vgl. OVG Münster, aaO, Rn. 29).
Die Beschwerde ist hinsichtlich des Vorbringens der Behörde begründet und hat Erfolg.
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