
Aufbereitete Fälle bekannt aus Assessor Juris
In Kooperation mit der Kanzlei HLB Schumacher Hallermann präsentieren wir dir die aus unserem Leitfaden Assessor Juris bekannten examensrelevanten Fällen. Diese werden unter der Supervision von Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann sowie mit Unterstützung seines Teams aus qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Referendar:innen für dich und deine Fallbearbeitung ausformuliert bzw. bearbeitet.
Der Verfasser dieses Beitrags ist Christian Lederer, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann.
Es geht um ein Urteil des OLG Frankfurt vom 30.12.2021 – 2 U 28/21.
Hinweis vom HLB-Team:
Sie liest mich. Sie liest mich nicht. Sie liest mich. Sie liest mich nicht…
So oder so ähnlich dürfte die innere Gedankenwelt einer AGB-Klausel aussehen (Allgemeinen Geschäftsbedingungen). Der Standardisierung von Verträgen insbesondere im Massengeschäft gewidmet haben sich die Klauseln in einer globalisierten und konsumgeprägten Welt fraglos beweisen können. Mit Blick auf das Studium ist die Prüfung von AGB in den Zivilrechtsklausuren ein Handgriff, den es von jedem Studierenden zu beherrschen gilt und der immer wieder abgefragt wird. Probleme tauchen bei der Verortung der konkreten Prüfung, ihrem Aufbau sowie ihrer inhaltlichen Ausgestaltung auf. Dabei kann eine AGB-Kontrolle in verschiedenen Themengebieten vorkommen, etwa im Kaufrecht (nach der Gesetzesreform besonders relevant!), als Kauf- oder Verkaufsbedingungen zwischen zwei Parteien, sowie im Miet-, Werk- oder Darlehensrecht.
Auch unsere „Entscheidung des Monats“ (OLG Frankfurt, Urt. v. 30.12.2021 – 2 U 28/21) muss sich inhaltlich im Kern mit der Wirksamkeit von einer haftungsausschließenden AGB auseinandersetzen. Hintergrund ist ein folgenschwerer Verkehrsunfall, welchem die Fahrerin aufgrund eines mangelhaften Mietwagens hilflos ausgesetzt war. Das OLG Frankfurt sprach ihr nun u.a. 90.000,- € Schmerzensgeld zu; die Rechtslage selbst ist jedoch gar nicht so eindeutig: Kann die verschuldensunabhängige Garantiehaftung des Vermieters für anfängliche Mängel der Mietsache selbst hinsichtlich der Kardinalpflichten beim Mietwagenvertrag durch AGB ausgeschlossen werden? Der Beitrag soll Studierende und Referendare auf dem Laufenden halten und ihnen anhand des vorgeschlagenen Prüfungsschemas helfen, die AGB-Kontrolle themenübergreifend zu bewältigen. Es gilt wie eh und je: Prüfungsschritte sind nur bei Relevanz im Sachverhalt zu prüfen. Es ist Aufgabe des Prüflings zu entscheiden, ob und worin Anhaltspunkte für die Prüfung bestimmter Merkmale vorliegen. Spezielle Probleme des AGB-Rechts werden ebenso beleuchtet.
Die Hintergründe zur Entscheidung
Die deutsche Wirtschaft pocht seit geraumer Zeit auf eine Reform des deutschen AGB-Rechts. Es gilt im internationalen und europäischen Vergleich als zu praxisfern und verbraucherfreundlich (vgl. Sommerfeld, AGB-Reform und Rechtsflucht. Bedeutung der Rechtsflucht für die AGB-Reformdebatte im unternehmerischen Rechtsverkehr, 2021, S. 2 ff.). Für Unternehmen bedeutet die restriktive Anwendung des deutschen AGB-Rechts größere Rechtsunsicherheit und Haftungsrisiken, sind sie doch auf rechtssichere und effiziente vertragliche Regelungen angewiesen. Die Unzufriedenheit macht sich nicht zuletzt in dem exportorientierten Mittelstand breit, der sich hoch-spezialisierte Rechtsabteilungen regelmäßig nicht leisten kann. Auch hinsichtlich neuer Geschäftsmodelle, beispielsweise für Startup-Firmen, kann das Recht bremsend wirken. Eine Reform (Business to Business, B2B) befinden manche daher als dringend geboten.
„Von Montagsautos und Limonen“*: In diesen Kontext reiht sich eine der aktuelleren gerichtlichen Entscheidungen im Recht der AGB trefflich ein: Als gewerbliche Stammkundin mietete die verunfallte Autofahrerin bei der beklagten Autovermietung im Herbst 2010 für die Dauer einer Woche ein Fahrzeug für die Fahrten von Frankfurt nach Berlin und zurück.
Nach den Feststellungen eines Sachverständigen war ein Lager im Kardangelenk der unteren Lenksäule bereits bei Fertigung des vermieteten Fahrzeugs nicht richtig verbaut worden. Gemäß den Ausführungen des Sachverständigen sei damit das Fahrzeug von Anfang an „prinzipiell nicht verkehrssicher“ gewesen. Zu dem Unfall kam es schließlich, da sich das Kreuzgelenk während der gesamten Laufleistung aus der Lageraufnahme herausgearbeitet habe und dann plötzlich während der Fahrt der Automieterin herausgesprungen sei – die Fahrt zurück nach Frankfurt war der sprichwörtliche Tropfen auf dem Fass.
Gemäß Ziff. 8 der Mietvertragsbedingungen haftete die Autovermietung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit der Mieter „nur bei grobem Verschulden oder fahrlässigen Pflichtverletzungen“.
Die verunfallte Fahrerin erhob in der Folge Klage beim Landgericht Frankfurt a.M. und begehrte von dem Mietwagenunternehmen (Beklagte) Schmerzensgeld i.H.v. 120.000 €, eine Schmerzensgeldrente und die Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Schäden wegen des Verkehrsunfalls. Sie stützte ihren Anspruch insbesondere auf § 536 a Abs. 1 BGB und § 253 Abs. 2 BGB.
Die Entscheidung
Die Berufung hatte Erfolg. Ein Anspruch aus § 536 a Abs. 1 BGB wurde entgegen des LG Frankfurt vom Berufungsgericht bejaht. Das OLG Frankfurt (OLG Frankfurt, Urt. v. 30.12.2021 – 2 U 28/21) hat die Klausel in den AGB der Autovermieterin als unangemessene Benachteiligung (§ 307 BGB) und daher als unwirksam eingestuft. Es stellte fest, die Mieterin könne infolge der (anfänglichen) Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs Schadensersatz verlangen. Dass die Beklagte den Mangel des Fahrzeugs nicht verschuldete, stehe dem nicht entgegen.
Die Beklagte könne sich im konkreten Sachverhalt nicht auf den vereinbarten Haftungsausschluss für unverschuldete Schäden berufen. Der Vermieter hafte auch für unverschuldete Mängel der Mietsache kraft Gesetzes (§ 536 a Abs. 1 BGB), soweit sie bereits bei Vertragsschluss bestanden: Das infrage stehende Fahrzeug war laut Sachverständigem von Anfang an „prinzipiell nicht verkehrssicher“ gewesen; der Sprung des Kreuzgelenks war demnach nur eine Frage der (Lauf-)Zeit und letztlich kausal für den Unfall.
Haftungsprivilegierung dank AGB?
Diese verschuldensunabhängige gesetzliche Haftung könne zwar grundsätzlich durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgeschlossen werden. Dies gelte aber nicht, wenn sich der Haftungsausschluss auf Schäden im Zusammenhang mit der Verletzung einer sog. Kardinalpflicht, also einer wesentlichen Pflicht, des Vermieters beziehe. Hier – verortet in der Prüfung der Sekundäransprüche der Mieterin gegen die Vermieterin – betrieb das OLG Frankfurt nun klassische AGB-Kontrolle. Zu diesen Kardinalpflichten gehöre es, ein verkehrssicheres Fahrzeug zu vermieten, bei dem insbesondere Lenkung und Bremsen funktionsfähig seien. Der Mieter würde unangemessen entgegen Treu und Glauben benachteiligt, wenn die Klausel auch Schäden aus der Verletzung derartiger im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptleistungspflichten des Vermieters umfassen würde. Den typischen Vertragszweck prägende Pflichten dürften nicht durch einen Haftungsausschluss ausgehöhlt werden. Das Fahren im Straßenverkehr mit hoher Geschwindigkeit begründe stets eine latente erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Insassen. Ein Mieter müsse sich darauf verlassen können, dass das ihm anvertraute Fahrzeug verkehrstüchtig und frei von solchen Mängeln, die eine erhebliche Gefahr für ihn begründen könnten.
Der Klägerin stehe unter Berücksichtigung der hier vorliegenden prägenden Einzelfallumstände ein Schmerzensgeld von 90.000 € sowie eine monatliche Schmerzensgeldrente von 160,00 € zu.
Dogmatische Vertiefung
JurCase informiert:
Du interessierst dich für eine gelungene Examensvorbereitung auch für die dogmatische Vertiefung zu dieser Entscheidung? Kein Problem! Die komplette Besprechung des Falls nebst dogmatischer Vertiefung gibt es hier für dich zum kostenlosen Download:
HIER DOWNLOADENAssessor Juris jetzt kostenlos downloaden!
In unserem E-Book Assessor Juris findest du jedoch nicht nur die Kategorie #Examensrelevant mit examensrelevanten Fällen, sondern es bietet darüber hinaus noch so viel mehr:
- Erhalte in unserer Rubrik #Referendariat wertvolle Einblicke rund um den juristischen Vorbereitungsdienst, in dieser Ausgabe sind das erneut besondere Einblicke in die jeweiligen Stationen.
- In der Rubrik #Gewusst erhältst du indes nützliche Insights u.a. zur aktuellen Rechtsprechung aus dem Zivil-, dem Straf- und dem Öffentlichen Recht.
- Mit dem Erwerb des Titels „Assessor Juris“ und dem damit zusammenhängenden Abschluss der juristischen Ausbildung geht es in den #Karrierestart. In dieser Rubrik findest du deshalb hilfreiche Tipps und Tricks von Praktiker:innen zum Karriereeinstieg.
Wer sind HLB Schumacher Hallermann?
HLB Schumacher Hallermann ist eine mittelständische Rechtsanwaltskanzlei, die von der steuerzentrierten Rechtsberatung kommt und sich nunmehr intensiv auch auf klassische Rechtsgebiete ausrichtet hat. Besonderes Merkmal: Konsequente Entwicklung spezieller und innovativer Beratungsfelder (Glücksspielbesteuerung, Glücksspielregulierung, eSport). Aus dem Herzen von Münster heraus beraten wir Mandanten persönlich und lösungsorientiert. Dabei ist uns eine offene und ehrliche Kommunikation gegenüber dem Mandanten wichtig.
Erfahre hier mehr:
Oder bewirb dich direkt hier: