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Rechtsprechung des Monats Mai 2024: Klageerweiterung und Klagebeschränkung durch ausgelegte Erledigungserklärung nach Mahnverfahren

Rechtsprechung des Monats

OLG Hamm, Urteil vom 05.07.2023 – 8 U 158/22, BeckRS 2023, 42800

Schwerpunkte: §§ 263, 264, 269, 308, 696, 697 ZPO

In Kooperation mit Alpmann Schmidt präsentieren wir die Rechtsprechung des Monats. Hierbei handelt es sich um examensrelevante Rechtsprechung, die dir von erfahrenen Praktiker:innen vorgestellt wird. Zusätzlich bieten dir diese Fälle die Möglichkeit, das Schreiben von Assessorklausuren zu üben.

Fall

Der Kläger verlangt als ausscheidender Gesellschafter von der Beklagten die Zahlung einer Abfindung. Er hat gegen die Beklagte zunächst einen Zahlungsanspruch in Höhe von 16.500.000 €, gerichtet auf Zahlung der gesamten Abfindung, geltend gemacht. Der Kläger hat einen Mahnbescheid über diesen Betrag beantragt, der erlassen und der Beklagten am 03.09.2021 zugestellt worden ist. Die Beklagte zahlte an den Kläger anschließend einen Betrag von 2.400.000 €.

Die Beklagte hat Widerspruch gegen den Mahnbescheid eingelegt, der bei dem Gericht am 15.09.2021 eingegangen ist.

In seiner an das Mahngericht gerichteten Anspruchsbegründung vom 14.12. 2021 hat der Kläger den Rechtsstreit wegen des im Mahnverfahren geltend gemachten Betrags für erledigt erklärt. Zugleich begehrt er nunmehr die Zahlung weiterer 2.077.500 €. Er stützt dies nun darauf, dass ihm nach dem Gesellschaftsvertrag ein Anspruch auf eine Abschlagszahlung auf die zu erwartende Abfindung i.H.v. mindestens 4.477.500 € zustehe. Abzüglich des von der Beklagten gezahlten Betrags ergebe sich die Klageforderung (4.477.500 € – 2.400.000 € = 2.077.500 €).

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie widerspricht der Erledigungserklärung des Klägers. Sie hält zudem die Klageänderung für unzulässig, da sie noch vor Abgabe des Verfahrens an das Landgericht erfolgt sei. Das Mahnverfahren sei nicht dazu da, mit einem völlig neuen Streitgegenstand weiterverfolgt zu werden. Der Antragsteller könne sich dadurch ungerechtfertigte Vorteile verschaffen, dass er noch vor Abgabe an das Landgericht den Streitgegenstand austausche.

Entwerfen Sie die Entscheidungsgründe des Landgerichts zur Zulässigkeit der Klage.

Leitsätze

1. Eine teilweise einseitige Erledigungserklärung kann nach dem Interesse der Parteien als privilegierte Klagerücknahme mit Kostenantrag gegen die Beklagte gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ausgelegt werden, wenn der mit einem Mahnantrag geltend gemachte, für erledigt erklärte Teil nicht rechtshängig geworden ist.

2. Die Rechtshängigkeitsfiktion des § 696 Abs. 3 ZPO dient anderen Zwecken als die Regelungen der §§ 263 f. ZPO, sodass eine Klageerweiterung im Rahmen der Anspruchsbegründung gemäß § 697 ZPO unabhängig von der Abgabe „alsbald“ zuzulassen ist.

Vorüberlegung

Die Grundzüge des Mahnverfahrens sind im AS-Skript Die zivilgerichtliche Assessorklausur (2023), Rn. 795 ff. dargestellt.

In der Urteilsklausur ist der eigentliche Ablauf des Mahnverfahrens eher von untergeordneter Bedeutung. Mit dem Mahnverfahren kommen Sie dort nur insoweit in Berührung, als der Aktenauszug statt mit einer Klageschrift mit der automatisierten Zusammenfassung des Mahnverfahrens beginnt. Anstelle einer Klageschrift folgt dann eine Anspruchsbegründung (vgl. § 697 Abs. 1 ZPO), die aber im Übrigen inhaltlich mit einer Klageschrift identisch ist.

Besonderheiten, die sich als Zusatzproblem (gegenüber einer Einleitung des Verfahrens durch Klageschrift) in eine Klausur einbauen lassen, sind Folgende:

1. Beschränkungen und Erweiterungen der Klageforderung gegenüber der in den Mahnbescheid aufgenommenen Forderung sind durchaus häufig der Fall und werden von der vorliegenden Entscheidung des OLG Hamm behandelt.

a) Bei einer Erweiterung der Klageforderung stellt sich die Frage, ab wann die mit dem Mahnverfahren verfolgte Forderung rechtshängig ist und daher eine Erweiterung der Anträge eine Klageänderung gemäß 263 ZPO darstellt (§ 263 ZPO ist nach seinem Wortlaut erst ab Rechtshängigkeit anwendbar). Die Frage ist aber oft (so auch hier) nicht von entscheidender Bedeutung, da, selbst wenn eine Klageänderung angenommen wird, diese sehr oft sachdienlich und damit gemäß §§ 263, 264 ZPO zulässig sein wird.

b) Etwas schwieriger ist die Frage bei einer Beschränkung der mit der Anspruchsbegründung geltend gemachten Forderungen gegenüber dem Mahnverfahren. Der Kläger hat hier mehrere Möglichkeiten: Er kann ausdrücklich erklären, ob der Antrag im Übrigen zurückgenommen oder (wie hier) für erledigt erklärt Häufig ist aber auch der Fall, dass die Differenz hinsichtlich Mahnbescheid und Anspruchsbegründung überhaupt nicht erklärt wird. In diesen Fällen musste früher durch Auslegung ermittelt werden, ob -bzgl. des Differenzbetrages eine Klagerücknahme anzunehmen war. Das hat sich seit dem 01.01.2020 durch Einführung von § 697 Abs. 2 S. 2 ZPO dahin geändert, dass bei entsprechender Belehrung durch das Mahngericht stets von einer Klagerücknahme auszugehen ist.

c) Eine weitere Variante ist ein von vornherein nur beschränkter Antrag des Klägers auf Abgabe der Mahnsache ins streitige Verfahren gemäß 696 Abs. 1 ZPO. In diesen Fällen wird also nicht das durch das Mahngericht vollständig an das Streitgericht abgegebene Verfahren durch die Anspruchsbegründung beschränkt. Vielmehr wird durch das Mahngericht aufgrund eines entsprechenden Antrages des Klägers das Verfahren nur teilweise an das Streitgericht abgegeben. In solchen Fällen kann nicht von einer Teilrücknahme ausgegangen werden. Vielmehr bleibt ein Teil der Forderung im Mahnverfahren anhängig. Im gerichtlichen Verfahren ist dann nur über den Teil der Forderung zu entscheiden, der auch wirklich an das Streitgericht abgegeben wurde. Diese Variante ist aber sehr selten, da in aller Regel bereits mit dem Mahnantrag die Abgabe (des gesamten Verfahrens) an ein bestimmtes Gericht beantragt wird.

Dieses Problem ist bereits mehrfach in der RÜ2 behandelt worden, s. zuletzt (zur Individualisierung des Anspruchs in der Klageschrift): OLG Frankfurt RÜ2 2022, 125.

2. Ein weiterer Problemkreis ist die Frage, ob der Anspruch im Mahnbescheid ausreichend genau beschrieben wurde. Denn nur wenn dies der Fall ist, ist der Mahnbescheid geeignet, die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zu hemmen.

Entscheidungsgründe (zur Zulässigkeit)

Die Klage ist zulässig.

1. Streitgegenständlich ist allein die Forderung auf Restzahlung eines Abschlags in Höhe von 2.077.500 €. Über den von dem Kläger nicht mehr weiterverfolgten Teil des mit dem Mahnbescheid geforderten Betrages war nicht mehr zu entscheiden. Denn insofern liegt entgegen dem Wortlaut der Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers keine einseitige Erledigungserklärung vor (über die gerichtlich entschieden werden muss), sondern eine Klagerücknahme, die zur Folge hat, dass lediglich noch über die Kosten gemäß § 269 Abs. 3 S. 2, 3 ZPO zu entscheiden ist.

„[31] In seiner Anspruchsbegründung vom 14.12.2021 hat der Kläger … Zahlung von 2.077.500 € begehrt und … den Rechtsstreit wegen des da-rüber hinausgehenden, im Mahnantrag geltend gemachten Betrags für erledigt erklärt.

[32] Da sich die Beklagte der Erledigungserklärung nicht angeschlossen hat, ist der Antrag … auszulegen.

Regelmäßig ist eine einseitige Erledigungserklärung des Klägers dahin zu verstehen, dass er den ursprünglichen Antrag ändert und nunmehr die Feststellung begehrt, die Klage sei im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen.

Ein weiteres Argument, die einseitige Erledigungserklärung als Klagerücknahme anzusehen, ist (wie in der Vorbemerkung erläutert) § 697 Abs. 2 S. 2 ZPO: Danach gilt die Klage als zurückgenommen, soweit der Antrag in der Anspruchsbegründung hinter dem Mahnantrag zurückbleibt. Dies erfordert einen entsprechenden Hinweis der Mahngerichts, der allerdings standardmäßig erteilt wird.

Im vorliegenden Fall kommt auch in Betracht, den Antrag als Kostenantrag gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO nach Klagerücknahme vor Rechtshängigkeit anzusehen. Das ist namentlich dann in Betracht zu ziehen, wenn man … annimmt, der mit dem Mahnantrag geltend gemachte (Teil‑) Anspruch sei nicht rechtshängig geworden. Der Kläger könnte sein Interesse schließlich im Wege eines materiell-rechtlichen Ersatzanspruchs verfolgen. Dafür ist aber nichts vorgetragen.

[33] Ungeachtet der abweichenden (anwaltlichen) Formulierung versteht [das Gericht] die ,Erledigungserklärung‘ des Klägers … als Rücknahme und Anregung einer Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Angesichts der prozessual ungewöhnlichen und in der rechtlichen Behandlung umstrittenen Situation kann dem Wortlaut der anwaltlichen Erklärung nicht allein tragende Bedeutung beigemessen werden. Die Anwendung von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO wird den erkennbaren Interessen der Parteien am besten gerecht.“

2. Der Kläger hat seine Klage wirksam erweitert. Das ist …

„[35] … schon deswegen der Fall, weil die Klage im Zeitpunkt der Antragsänderung tatsächlich noch nicht rechtshängig war … Vor Rechtshängigkeit ist aber eine Änderung des Gegenstands nicht nach §§ 263 f. ZPO zu beurteilen.“

Auch wenn man aber annimmt, die Rechtshängigkeitsfiktion des § 696 Abs. 3 ZPO greife ein, weil die Streitsache alsbald nach dem Widerspruch der Beklagten an das Landgericht abgegeben wurde, wäre von einer wirksamen Klageerweiterung auszugehen.

„[36] … Die Rechtshängigkeitsfiktion des § 696 Abs. 3 ZPO dient anderen Zwecken als die Regelungen der §§ 263 f. ZPO. Sie soll zugunsten des Antragstellers/Klägers die Rechtshängigkeitswirkung (insbesondere: für die Zwecke der Verjährung) vorverlegen … Daher ist es teleologisch nicht begründet, die Zulässigkeit einer Änderung des Streitgegenstands von den Voraussetzungen der Rechtshängigkeitsfiktion abhängig zu machen. Es leuchtet nicht ein, eine Änderung des Verfahrensgegenstands abhängig von der „alsbaldigen“ Abgabe nach §§ 263 f. ZPO zu beurteilen oder ins Belieben des Klägers zu stellen. Zudem wäre es sinnwidrig, dem Kläger die Änderung des Gegenstands für den Fall zu erleichtern, dass er die Abgabe verzögert. Das spricht dafür, eine Klageerweiterung im Rahmen der Anspruchsbegründung gemäß § 697 ZPO allgemein zuzulassen, unabhängig davon, ob die Abgabe ,alsbald‘ erfolgt oder nicht.

[37] Im vorliegenden Fall kann die Frage aber letztlich dahinstehen. Denn auch wenn man die Änderung des Streitgegenstands in der Anspruchsbegründung nicht ins Belieben stellt, wäre sie doch nach allgemeiner Ansicht nicht generell auszuschließen. Es könnte daher nur darum gehen, ob sie nach §§ 263 f. ZPO zulässig ist. Vorliegend spricht viel dafür, die Änderung des Verfahrensgegenstands bereits nach § 264 Nr. 3 ZPO als quantitative Erweiterung für zulässig anzusehen. Dass sich der ursprünglich verfolgte Teilanspruch erledigt hat, muss für die Beurteilung dabei nach dem Zweck der Vorschrift außer Betracht bleiben … [Selbst] wenn man von selbstständigen Ansprüchen ausgeht – das ist eine Frage der Begründetheit –, hängen die Ansprüche … doch so eng zusammen, dass die Klageänderung als sachdienlich zu bewerten ist.“

I. Eine Darstellung wie oben in Ziff. 2 mit zweifacher Hilfsbegründung sollten Sie im Examen vermeiden, da dies zwar von vielen OLGs so praktiziert wird, aber kein Urteilsstil ist. Wenn eine Frage dahinstehen kann, sollte man sie auch allenfalls kurz erwähnen. Vorliegend könnte man die Ausführungen unter Ziff. 2 stark verkürzen und etwa formulieren:

„Es kann offen bleiben, ob die Klageerweiterung nach § 263 ZPO zu beurteilen ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, so wäre sie jedenfalls sachdienlich. Denn auch wenn der Anspruch auf Abschlagszahlung einen gegenüber dem Anspruch auf Zahlung der Abfindung selbstständigen Anspruch darstellen sollte, so hängen beide Ansprüche doch so eng zusammen, dass die Klageänderung als sachdienlich zu bewerten ist.“

II. Die Ausführungen des OLG Hamm zur Begründetheit der Klage fangen wie folgt an:

„[38] Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Abschlagszahlung i.H.v. 596.420,79 € zu.

[39] Die Klage ist hinsichtlich des Zahlungsanspruchs begründet, wenn der Kläger die begehrte Zahlung als vom Gericht bestimmte (Teil-)Abschlagszahlung beanspruchen kann. Das ist der Fall, wenn der gesellschaftsvertragliche Anspruch auf Abschlagszahlung auf Leistung nach billigem Ermessen der Beklagten gerichtet ist (a), deren Leistungsbestimmung nicht billigem Ermessen entspricht (b) und die gerichtlich zu treffende Leistungshöhe abzüglich erbrachter Zahlungen (mindestens) den beantragten Zahlbetrag ergibt (verdeckte Gestaltungsklage).“

Vermeiden Sie eine solche Formulierung in einer Klausur unbedingt! Lediglich der Obersatz (Rn. 38) ist hier Urteilsstil. Was dann (unter Rn. 39) folgt, ist reiner Gutachtenstil. Eine solche Formulierung würde in einer Klausur einen Fehler darstellen. Ein solches Abrutschen in den Gutachtenstil findet sich leider in vielen oberlandesgerichtlichen Entscheidungen. Halten Sie sich insofern an den Stil der BGH-Entscheidungen, die in aller Regel den Urteilsstil deutlich konsequenter einhalten.

Richtig wäre hier die Formulierung:

Die Klage ist … begründet, denn der Kläger kann die begehrte Zahlung beanspruchen. Denn …

Diese Rechtsprechung wurde für dich von VRiLG Peter Finke aufbereitet.

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Beitragsautor:

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt ist ein juristischer Fachverlag, der zudem juristische Lehrgänge und Repetitorien anbietet. In Kooperation mit JurCase präsentiert Alpmann Schmidt bei uns monatlich eine Rechtsprechung des Monats. Mehr Informationen zu Alpmann Schmidt gibt es hier.

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