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Rechtsprechung des Monats Juli 2024: Normenkontrolle nach Außerkrafttreten der RechtsVO

Rechtsprechung des Monats

BVerwG, Beschluss vom 19.01.2024 – 3 BN 4.23, BeckRS 202, 3360

Schwerpunkt: § 47 VwGO

In Kooperation mit Alpmann Schmidt präsentieren wir die Rechtsprechung des Monats. Hierbei handelt es sich um examensrelevante Rechtsprechung, die dir von erfahrenen Praktiker:innen vorgestellt wird. Zusätzlich bieten dir diese Fälle die Möglichkeit, das Schreiben von Assessorklausuren zu üben.

Fall

Die Mdt. muss seit Jahren wegen eines Bandscheibenvorfalls in einem Sportstudio – zur Fehlerkorrektur zwingend unter dortiger Aufsicht – bestimmte Übungen absolvieren. Die vom 05.02.2022 bis 03.03.2022 geltende CoronaVO von Neuland (NL) setzte in ihrem § 20 aber für den Besuch eines Sportstudios eine vollständige Impfung und einen negativen Coronatest voraus. Über beides verfügte die Mdt. nicht. Sie hat am 07.02.2022 einen Normenkontrollantrag gegen § 20 der CoronaVO NL erhoben, der noch nicht begründet war.

Der Senatsvorsitzende fragt bei RA Reibel an, ob der Antrag heute nach Aufhebung aller Corona-Beschränkungen für erledigt erklärt werden kann. Die Mdt. verlangt aber weiter „ihr gutes Recht“. Schon die einmonatige Sportunterbrechung habe ihren Genesungsprozess um ein Jahr zurückgeworfen.

Entwerfen Sie den Schriftsatz des RA an das OVG (nur Zulässigkeit).

Hinweis: Neuland hat von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht.

Leitsätze

  1. Die Umstellung eines durch Aufhebung der Norm erledigten Normenkontrollantrags auf Feststellung, dass die Norm unwirksam gewesen ist, stellt keine Antragsänderung dar.
  2. Auch nach der Aufhebung der Norm bleibt der Antrag zulässig, wenn er während ihrer Geltungsdauer gestellt worden ist, der ASt. eine erfolgte Rechtsverletzung geltend machen kann und sein Feststellungsinteresse besonders schutzwürdig ist.
  3. Hierfür genügt ein gewichtiger Grundrechtseingriff. Erfolgte dieser nur kurzfristig, ändert das an dem berechtigten Interesse nichts.

Schriftsatzentwurf

Rechtsanwalt Reibel

An das OVG

Die ASt. beantragt nunmehr,

festzustellen, dass § 20 CoronaVO NL i.d.F. vom 05.02. bis 03.03.2022 unwirksam gewesen ist.

 

Begründung

Der Normenkontrollantrag ist zulässig.

Klausurhinweis: § 40 VwGO eröffnet den Rechtsweg nur „indirekt“.

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 47 Abs. 1 Einls. VwGO eröffnet, weil die Streitigkeit öffentlich-rechtlich ist und damit im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegt. Denn gegen einen VA zum Vollzug von § 20 CoronaVO NL wäre der Rechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet.

In BY, BW und He heißt das „OVG“ aus hist. Gründen „VGH“, vgl. § 184 VwGO.

Nicht statthaft in Bln und Hmb.

II. Das OVG ist erstinstanzlich nach § 47 VwGO zuständig.

III. Der Antrag, die Unwirksamkeit von § 20 CoronaVO NL festzustellen, ist nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. LandesR statthaft. Die Umstellung ist keine Antragsänderung i.S.v. § 91 VwGO, sondern eine Antragseinschränkung nach § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO.

IV. Die ASt. ist gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO antragsbefugt, obwohl sie – entgegen der genannten Vorschrift – derzeit von § 20 CoronaVO NL nicht mehr in ihren Rechten verletzt sein kann, weil die Norm aufgehoben ist.

1. Ein Normenkontrollantrag ist nach § 47 Abs. 2 S. 1, Abs. 5. S. 2 VwGO regelmäßig nur gegen eine noch gültige Rechtsvorschrift zulässig.

2. Das gilt allerdings nicht ausnahmslos.

„[12] … Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt er aber zulässig, wenn … die ASt. weiterhin geltend machen kann, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in … ihren Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus muss … sie ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift rechtswidrig war.“

a) Die ASt. hat den Normenkontrollantrag während der Geltungsdauer von § 20 CoronaVO NL gestellt.

b) An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei der Klagebefugnis i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO. Ausreichend, aber auch erforderlich ist es, dass die ASt. hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in ihren subjektiven Rechten verletzt wird. Die Antragsbefugnis fehlt, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise subj. Rechte der ASt. verletzt sein können.

„[14] Nach dem Außerkrafttreten der Bestimmungen … kann sie weiterhin geltend machen, durch die angegriffenen Vorschriften in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Nach ihrem Vortrag erscheint es möglich, dass sie durch die Regelung in § 20 … , die ihr den Zugang zu gedeckten Sportstätten nur bei Vorlage eines Impf- bzw. Genesenennachweises zuzüglich eines Testnachweises (2G-Plus-Nachweis) gestattete, in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) verletzt worden ist.“

c) Die ASt. verfügt auch heute noch über ein berechtigtes Interesse an der Klärung, ob § 7 CoronaVO NL unwirksam gewesen ist.

„[16] Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG garantiert effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt … Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung … fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht trotz Erledigung unter anderem dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann.“

Diese Voraussetzungen erfüllt die ASt.

aa)

„[17] … Die Vorschriften hatten damit eine Geltungsdauer, innerhalb derer gerichtlicher Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden konnte. Es war typisch für die ‚Corona-VO‘ … , dass sie auf eine kurze Geltung angelegt waren. Das hatte zur Folge, dass sie ohne die Annahme eines berechtigten Feststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung in einem gerichtl. Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten.“

bb) Die ASt. macht gewichtige Grundrechtsverletzungen Sie konnte die erforderlichen Übungen nur unter Aufsicht in einem Sportstudio absolvieren. Sie macht mit der Verzögerung ihrer Genesung um ein Jahr eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geltend.

cc) Die Gewichtigkeit des Grundrechtseingriffs fällt nicht weg, weil das Verbot nur kurzfristig für etwa einen Monat galt.

„[19] … Eine Behandlungsunterbrechung für einen derartigen Zeitraum ist angesichts der … geltend gemachten Konsequenzen fehlender Behandlung für ihre Gesundheit eine erhebliche Beeinträchtigung.“

V. Antragsgegner ist nach § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO das Land Neuland.

Diese Rechtsprechung wurde für dich von VRVG Dr. Martin Stuttmann aufbereitet.

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Beitragsautor:

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt ist ein juristischer Fachverlag, der zudem juristische Lehrgänge und Repetitorien anbietet. In Kooperation mit JurCase präsentiert Alpmann Schmidt bei uns monatlich eine Rechtsprechung des Monats. Mehr Informationen zu Alpmann Schmidt gibt es hier.

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