#HierZucktDeinPrüfungsamt im Zivilrecht in Kooperation mit RiOLG Dr. Janko Büßer
Moin zusammen, heute empfehle ich ein Urteil des V. Zivilsenats vom 15. September 2023 (V ZR 77/22), in dem es um die Aufklärungspflichten des Verkäufers bei der Veräußerung von Gewerbeeinheiten in einem Gebäudekomplex geht. Dabei wird eine Vielzahl examensrelevanter Probleme angesprochen, sodass du die Entscheidung trotz des Umfangs gründlich durcharbeiten solltest.
JurCase informiert:
Das Urteil des V. Zivilsenats vom 15.09.2023 – V ZR 77/22 findest du kostenfrei hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.
Was ist passiert?
Die Klägerin erwarb diese Gewerbeeinheiten von der Beklagten zu 1) mit notariellem Kaufvertrag vom 25. März 2019 zum Preis von 1.525 Mio. Euro. Die Kaufvertragsverhandlungen für die Beklagte zu 1) führte der Beklagte zu 2) als deren Geschäftsführer.
Zum Verkaufszeitpunkt standen auf der Grundlage eines „Umbau- und Revitalisierungs“-Eigentümerbeschlusses vom 17. Mai 2006 bauliche Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum im Umfang von ca. 50 Mio. Euro aus. Hierzu hatte die Eigentümergemeinschaft am 1. November 2016 beschlossen, diese Kosten von der Mehrheitseigentümerin – ggf. gerichtlich – einzufordern. Zugleich war abgelehnt worden, eine Sonderumlage in gleicher Höhe von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten unter Freistellung der Wohnungseigentümer zu erheben. Tatsächlich hatte zum hier maßgeblichen Zeitpunkt jedoch bereits eine andere Eigentümerin Klage gegen die Gemeinschaft auf Erhebung einer solchen Sonderumlage von den Eigentümern erhoben.
Im Rahmen einer sog. Due-diligence-Prüfung hatte die Klägerin Zugriff auf einen von der Beklagten zu 1) eingerichteten virtuellen Datenraum, der verschiedene Unterlagen zu dem Kaufobjekt enthielt. Am Freitag, dem 22. März 2019, stellte die Beklagte zu 1) dort die seit dem 1. Juli 2007 zu führende Beschlusssammlung in den Datenraum. Darin enthalten war auch das Protokoll der Eigentümerversammlung vom 1. November 2016.
In dem Kaufvertrag, in dem die Gewährleistung für Sachmängel ausgeschlossen ist, versicherte die Beklagte zu 1), dass keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich – bis auf eine hier nicht maßgebliche Ausnahme – eine künftig fällige Sonderumlage ergebe. Zudem versicherte sie, dass nach ihrer Kenntnis außergewöhnliche, durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckte Kosten im laufenden Wirtschaftsjahr nicht angefallen seien und ihr auch nicht bekannt sei, dass solche Kosten bevorstünden oder weitere Sonderumlagen beschlossen worden seien. Weiter heißt es in dem Kaufvertrag, der Verkäufer habe dem Käufer die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre übergeben und der Käufer habe Kenntnis von dem Inhalt der Unterlagen.
Im Januar 2020 endete das Verfahren der Eigentümerin auf Erhebung einer Sonderumlage mit einem gerichtlichen Vergleich, demzufolge von allen Eigentümern der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage von zunächst 750.000 Euro – bei Bedarf bis zu 50 Mio. Euro – für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum erhoben werden sollte. Auf dieser Grundlage wurde auch die Klägerin in Anspruch genommen.
Daraufhin erklärte sie mit Schreiben vom 2. März 2020 die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung und vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Mit der Klage begehrt die Klägerin von den Beklagten als Gesamtschuldner aus verschiedenen Rechtsgründen Zahlung und Feststellung. Damit hatte sie bei Land- und Oberlandesgericht keinen Erfolg. Auf ihre Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil hat der BGH die Revision zugelassen. Hier verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Worum geht es?
Die Klägerin meint, die Beklagten hätten sie ausdrücklich auf die konkret drohende Sonderumlage von 50 Mio. Euro hinweisen müssen.
Der BGH prüft vor allem einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1) als Verkäuferin des Eigentumsanteils aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB, und zwar unter drei Gesichtspunkten:
- Hat die Verkäuferin im notariellen Vertrag unzutreffende oder unvollständige Angaben gemacht, indem sie versicherte, dass nach ihrer Kenntnis außergewöhnliche, durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckte Kosten im laufenden Wirtschaftsjahr bisher nicht angefallen seien und auch nicht bevorstünden?Immerhin wusste sie, dass Instandhaltungskosten von bis zu 50 Mio. Euro im Raum standen, die von der Rücklage nicht gedeckt waren und jedenfalls dann auf die Eigentümergemeinschaft zukamen, falls die Mehrheitseigentümerin nicht zahlen würde.
- Hat die Verkäuferin – für das Revisionsverfahren unterstellte – konkrete Nachfragen der Klägerin unrichtig oder unvollständig beantwortet?Auch hier geht es darum, ob die Verkäuferin die Klägerin auf die drohende Inanspruchnahme für die Instandhaltungskosten hinweisen musste.
- Hat die Verkäuferin der Klägerin über einen offenbarungspflichtigen Umstand (Kosten der Sanierung) nicht aufgeklärt?Hier liegt der Schwerpunkt der Entscheidung: Genügte es, dass die Verkäuferin der Klägerin (kurz) vor dem Beurkundungstermin die Beschlusssammlung in den Datenraum eingestellt hat, in der sich auch der Beschluss vom 1. November 2016 befand, aus dem die Klägerin zumindest den Kostenumfang der Sanierung hätte erkennen können? Dabei musste der BGH auch die bislang in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantworte Frage klären, ob eine Due diligence durch den Käufer (im Rahmen eines Unternehmenskaufs, hierzu später) Auswirkungen auf die Aufklärungspflichten des Verkäufers hat, und wenn ja, welche das sind.Außerdem hatte die Verkäuferin behauptet, der Klägerin das Protokoll vom 1. November 2016 schon vor dem Einstellen in den Datenraum gesondert übersandt zu haben.
Schließlich standen noch Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten zu 2) im Raum, der als Geschäftsführer der Verkäuferin die Verkaufsverhandlungen geführt hat.
Warum solltest du die Entscheidung noch lesen?
1. Aufklärungspflichten im Allgemeinen und solche von Verkäufern haben eine große praktische und damit auch Examens-Relevanz. Hier solltest du mehr als die Grundzüge kennen. Die allgemeinen Ausführungen des BGH bieten hierfür einen guten Einstieg.
2. Der BGH weist darauf hin, dass neben der Haftung der Verkäuferin für die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht auch Ansprüche infolge der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB in Betracht kommen (Rn. 47). Das ist nicht unumstritten, entspricht aber ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre. Mit der Abgrenzung zum Gewährleistungsrecht musste sich der BGH dagegen nicht befassen, da die verkauften Eigentumsanteile nicht mangelhaft waren. Hier entspricht es der herrschenden Meinung, dass Ansprüche wegen Aufklärungspflichtverletzungen grundsätzlich verdrängt werden, solange dem Verkäufer kein Vorsatz vorgeworfen werden kann.
3. Der BGH weist darauf hin, dass die Ursächlichkeit einer (noch festzustellenden) Aufklärungspflichtverletzung für den Abschluss des Kaufvertrages durch die Klägerin vermutet würde und deshalb die Beklagte zu 1) darlegen und beweisen müsste, dass der Schaden auch bei zutreffender Aufklärung eingetreten wäre (Rn. 58).
4. Für alle noch nicht vollständig vom Richterberuf Überzeugten, die meinem Rat folgen und sich vor dem Einstieg in die Justiz zunächst in Großkanzleien die Eigentumswohnung finanzieren 😉 : Der BGH geht davon aus, dass auch ein „durchschnittlicher Käufer einer Wohnungs- oder Teileigentumseinheit, der keine besonderen Kenntnisse auf dem Gebiet des Immobilienerwerbs hat“, sich üblicherweise von dem Verkäufer zumindest die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre vorlegen lassen und diese darauf durchsehen wird, ob sich hieraus Anhaltspunkte für anstehende umfangreichere Instandhaltungs- oder Sanierungsmaßnahmen ergeben (Rn. 44).
5. Eine Due-diligence-Prüfung dient einem Erwerber dazu, sich einen umfassenden Überblick über den Kaufgegenstand zu verschaffen, um vor allem den Wert des Objekts und bestehende Risiken einschätzen zu können. Eine besondere Rolle spielt sie beim Unternehmenskauf, der wiederum eine Vielzahl von examensrelevanten Problemen mit sich bringen kann und deshalb besondere Beachtung verdient. Hierzu empfehle ich die Aufsätze von Stefan Korch „Der Unternehmenskauf“ (JuS 2018, 521) und Saskia Lettmaier zur „Verkäuferhaftung beim Unternehmenskauf“ (JA 2021, 265).
Und sonst?
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