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Gewusst

Die Schuldrechtsreform 2022 – das neue (digitale) Kaufrecht – Teil 1

By 8. Februar 2022Oktober 11th, 2023No Comments
Zivilrecht

Welche Änderungen sind seit dem 01.01.2022 im BGB in Kraft?

Experten bezeichnen die Schuldrechtsreform 2022 als die größte seit der Schuldrechtsmodernisierung 2001. Sie dient vor allem der Umsetzung neuer EU-Richtlinien. Damit du in der Klausur im Ersten oder Zweiten Staatsexamen weißt, was sich geändert hat und was du von nun an zu beachten hast, werden im Folgenden die wichtigsten Neuerungen dargestellt:

Die §§ bezeichnen die ab 01.01.2022 geltenden Fassungen, wenn nichts anderes angegeben ist.

Neue Begrifflichkeiten im digitalen Kaufrecht

Neu im Bürgerlichen Gesetzbuch sind vor allem die §§ 327 ff. BGB zu beachten, die „Verträge über digitale Produkte“.

Anstelle des Begriffs bewegliche Sache wird nun der Begriff Ware in §§ 474 Abs. 1, 241a Abs. 1 BGB verwendet.

Digitale Produkte:

Digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen, § 327 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Verträge über digitale Produkte setzen Entgeltlichkeit voraus, § 327 Abs. 1 BGB, wobei das Entgelt auch die Überlassung personenbezogener Daten sein kann.

Digitale Inhalte sind Daten, die in digitaler Form erstellt oder bereitgestellt werden, § 327 Abs. 2 BGB.

Beispiele: Computerprogramme, Apps, Audio- und Videodateien, digitale Spiele, eBooks

Digitale Dienstleistungen sind Dienstleistungen, die dem Verbraucher die Verarbeitung oder Nutzung von Daten in digitaler Form ermöglichen oder die gemeinsame Nutzung und Interaktionen mehrerer Nutzer von in digitaler Form hochgeladener Daten ermöglicht, § 327 Abs. 2 BGB.

Beispiele: Streaming-Dienste, Anbieten von Cloud-Speicherplatz, Messenger-Dienste, Social-Media-Plattform, Verkaufs- Buchungs- oder Bewertungsportale.

Paketvertrag:

Bereitstellung digitaler Produkte plus Bereitstellung anderer Sachen oder anderer Dienstleistungen, § 327a Abs. 1 BGB.

Beispiel: Vertrag sowohl über eine Playstation als auch verschiedene digitale Spiele, Vertrag für einen Streamingdienst mit passendem Tablet

Verträge über Sachen mit digitalen Elementen:

Verträge über sonstige Sachen, die digitale Produkte enthalten oder mit diesen verbunden sind, § 327a Abs. 2 BGB.

Ware mit digitalen Elementen:

Waren, die in einer Weise digitale Produkte enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Produkte nicht erfüllen können, § 327a Abs. 3 S. 1 BGB.

Beispiele: Rasenmäherroboter, Smartphone, Navigationsgerät

JurCase informiert:

Für die Anwendung der neuen Regelungen ist es irrelevant, ob die Verbraucherverträge aus rechtlicher Sicht als Kauf-, Miet- oder sonstige Arten von Verträgen einzuordnen sind.

Der neue Begriff des Sachmangels

In Zukunft sind Sachmängel an verschiedenen Stellen im BGB zu finden, nämlich in §§ 434, 327e, 457b und 457c BGB.

1. Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB.

Subjektive Anforderungen der vereinbarten Beschaffenheit, objektive Anforderungen an die gewöhnliche Verwendung und Montageanforderungen werden in § 434 Abs. 1 BGB nun gleichgestellt und nebeneinander für anwendbar erklärt. § 434 Abs. 2-4 BGB definieren die Sachmängel detailliert.

§ 434 Abs. 2 S. 2 BGB konkretisiert den Begriff der vereinbarten Beschaffenheit durch die Aufzählung von Beispielen. Beachte hier die Unterschiede zur üblichen Beschaffenheit, die in § 434 Abs. 3 S. 2 BGB konkretisiert wird. Der Begriff der Haltbarkeit in § 434 Abs. 3 S. 2 BGB bezeichnet die Fähigkeit der Waren, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung beizubehalten.

Bei der Bewertung der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung und der Eignung der Sache gemäß § 434 Abs. 2 Nr. 2 BGB dazu, genügt es nun, dass diese von den Parteien übereinstimmend unterstellt wird. Einer ausdrücklichen Vereinbarung bedarf es nicht.

§434 Abs. 3 BGB stellt klar, dass ein Sachmangel vorliegt, wenn die Sache einer Probe oder einem Muster nicht entspricht oder ohne notwendiges Zubehör, einschließlich Verpackung und Montage- oder Installationsanleitung geliefert wird.

2. Der Sachmangelbegriff des § 475b BGB

Für Sachmängel an Waren mit digitalen Elementen tritt der § 475b BGB ergänzend hinzu, sodass auch hier § 434 BGB anwendbar ist, soweit § 475b BGB nichts Abweichendes bestimmt.

§ 475b BGB enthält wie auch § 434 BGB die Unterscheidung subjektiver und objektiver Anforderungen und der Montageanforderungen. Dazu kommen auch die Installationsanforderungen.

JurCase informiert:

Der Verbraucher tut in Zukunft gut daran, alle bereitgestellten Aktualisierungen durchzuführen. Gemäß § 475b Abs. 5 BGB entfällt nämlich die Mängelhaftung des Unternehmers, wenn der Mangel auf das Fehlen der Aktualisierung beruht, über die der Unternehmer hinreichend informiert hat. Das Gleiche gilt auch gemäß § 327f Abs. 2 BGB bei digitalen Produkten.

3. Der Sachmangelbegriff des § 475c BGB

Handelt es sich um einen Kaufvertrag über eine Ware mit digitalen Elementen, bei denen eine dauerhafte Bereitstellung der digitalen Elemente vereinbart ist, tritt der Sachmangelbegriff § 475c BGB neben die §§ 434, 475b BGB. Beispiele dafür sind etwa Navigationssysteme mit bereitgestellten Verkehrsdaten oder die Cloud-Anbindung einer Spielekonsole.

Bereitstellen bedeutet dabei das Zugänglichmachen oder die Zurverfügungstellung, also die Eröffnung einer Nutzungs- oder Zugangsmöglichkeit. Es muss außerdem eine dauerhafte Bereitstellung der digitalen Inhalte vereinbart sein, nicht bloß einmalige. Wann eine solche dauerhafte Bereitstellung vorliegt, ist in § 327e Abs. 1 S. 3 BGB legal definiert und bezeichnet die fortlaufende Bereitstellung über einen Zeitraum. Unabhängig davon, ob die Dauer der Bereitstellung vereinbart wurde oder sich aus § 475b Abs. 4 Nr. 2 BGB ergibt, muss der Unternehmer für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren die Ware in vertragsgemäßen Zustand halten.

4. Der Sachmangelbegriff des § 327e BGB

Beim Begriff des Produktmangels in § 327e Abs. 1 BGB stehen erneut subjektive und objektive Anforderungen nebeneinander, die in den Absätzen 2 und 3 konkretisiert werden. Die objektiven Anforderungen müssen dabei kumulativ vorliegen.

Verstöße gegen die DSGVO werden von § 327e Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB erfasst, wodurch Anreize zur Beachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben geschaffen werden.

§ 327e Abs. 4 BGB enthält als Gegenstück zu § 434 Abs. 4 BGB die Anforderungen an die Integration eines digitalen Produktes in die digitale Umgebung des Verbrauchers, wie etwa Hardware oder Software (Beispiel: Integration der Software eines Staubsaugerroboters in die Smarthome-Umgebung durch eine App). Das digitale Produkt ist mangelfrei, wenn die Integration durchgeführt wurde oder der Integrationsfehler nicht auf den Unternehmer zurückzuführen ist.

Der Zeitpunkt der Mangelfreiheit ist nicht der Gefahrübergang, sondern der der Bereitstellung, bei dauerhafter Bereitstellung der gesamte Zeitraum, § 327e Abs. 1 S. 1, S. 2 BGB.

Die Anwendungsbereiche

Wenn dir jetzt etwas der Kopf schwirrt, ist das nicht weiter verwunderlich. Schließlich bist du an die Nutzung eines einzigen Sachmangelbegriffs gewöhnt.

Deshalb folgt hier eine kurze Übersicht, anhand derer du in der Klausur schnell entscheiden kannst, welcher Sachmangelbegriff Anwendung findet.

  1. Liegt ein Verbrauchsgüterkauf vor?

Wenn dies nicht der Fall ist, kommt lediglich § 434 BGB zur Anwendung. §§ 327e ff., 475b und 475c BGB sind auf Verbraucherverträge zugeschnitten.

  1. Handelt es sich um den Kauf einer Ware ohne digitale Inhalte oder Elemente?

Auch dann kommt lediglich § 434 BGB in Frage.

  1. Liegt ein Verbrauchsgüterkauf über Ware mit Zusammenhang zu digitalen Funktionen vor?

Es kommt auf eine Differenzierung der §§ 327e, 475b, 475c BGB an.

a) Digitale Produkte und Datenträger, wenn diese ausschließlich die Funktion haben, digitale Inhalte zu transportieren (z.B. CDs oder Software) gemäß § 327 Abs. 5, 475a Abs. 1 BGB: 327e BGB

b) Ware mit zwingend erforderlichen digitalen Inhalten und diese werden nach dem Kaufvertrag über die Ware mit bereitgestellt: § 434, 475b, (475c) BGB

c) Waren mit nicht zwingend erforderlichen digitalen Produkten, die mit bereitgestellt werden (z.B. Kühlschrank mit digitalen Funktionen): Anwendung des 434 BGB auf die nicht-digitalen Teile der Ware und des § 327e BGB auf die digitalen Teile, § 475a Abs. 2 BGB

d) Waren mit zwingend erforderlichen digitalen Inhalten, deren Bereitstellung nicht vereinbart wurde (z.B. Kauf eines Smartphones ohne Betriebssystem, welches der Verbraucher selbst beschafft): 434 BGB für das Smartphone, § 327e BGB für die Software

JurCase informiert:

§ 327a Abs. 3 S. 2 BGB enthält eine Zweifelsregelung, wonach beim Kauf einer Ware mit digitalen Elementen im Zweifel anzunehmen ist, dass die Verpflichtung des Verkäufers die Bereitstellung der digitalen Inhalte oder Dienstleistungen umfasst. Die letzte Konstellation wird deshalb selten einschlägig sein.

Die Aktualisierungspflicht

§ 475b Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 2 BGB sowie § 327f BGB enthalten die neue, wichtige Verpflichtung des Unternehmers, dem Verbraucher über einen bestimmten Zeitraum hinweg Aktualisierungen oder Updates für die Ware zu liefern. Damit sind besonders funktionserhaltende Updates und Sicherheitsupdates erfasst. Konkrete Kriterien bezüglich der Länge des Zeitraums sind nicht vorgegeben. Unternehmen sind somit zukünftig verpflichtet, den Käufer eine Zeit lang mit Updates zu versorgen.

JurCase informiert:

Inwieweit die Schuldrechtsreform 2022 den Nacherfüllungsanspruch (§ 439 BGB) und den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB) reformiert und inwieweit ein Bezahlen mit Daten und eine Online-Kündigung möglich sind, erfährst du im zweiten Teil zum neuen (digitalen) Kaufrecht. Deshalb nehmen könnt ihr dieses Thema ausführlich in unserem Magazin nachlesen.

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Beitragsautor:

Isabelle Mewes

Isabelle Mewes

Isabelle absolviert ihren juristischen Vorbereitungsdienst am Landgericht Mainz. Für JurCase gibt sie Einblicke in ihr Referendariat. Daneben teilte sie Erfahrungen über ihr Ehrenamt zu Studienzeiten bei ELSA mit. Sie beschäftigt sich außerdem mit Schlüsselqualifikationen.

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