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HLB Schumacher Hallermann präsentiert examensrelevante Fälle: Requiem Roxin – Sein wissenschaftliches Erbe in aktuellem Kontext

Die Entscheidung des Quartals von HLB Schumacher Hallermann

In Kooperation mit der Kanzlei HLB Schumacher Hallermann präsentieren wir dir zusätzlich zu den aus unserem E-Book Assessor Juris bekannten examensrelevanten Fällen – die Entscheidung des Quartals. Diese wird unter der Supervision von Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann sowie mit Unterstützung seines Teams aus qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Referendar:innen für dich und deine Fallbearbeitung ausformuliert bzw. bearbeitet.

Der Verfasser dieses Beitrags ist Christian Lederer, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann.

Es geht um Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Claus Roxin (1931-2025) und seinem wissenschaftlichen Erbe im aktuellen Kontext | einem Beschluss des BGH vom 02.11. 2007 (2 StR 384/07) | Tatherrschaftslehre | Tatherrschaft kraft Organisationsherrschaft | Wirtschaftskriminalität (white collar) | Lehre der Pflichtdelikte | uvm.

Hinweis vom HLB-Team:

Nicht zuletzt 28 Ehrendoktorwürden (Dr. honoris causa) zeigen eindrücklich die Beispiellosigkeit des juristisch-wissenschaftlichen Lebenswerks Claus Roxins (15.5.1931-28.2.2025). Sein wissenschaftlicher Nachlass*, der bis heute Praxis und Ausbildung prägt, hat das Team von HLB Schumacher Hallermann veranlasst, in diesem April eine Entscheidung des Monats zu gestalten, die an eben dieses juristische Lebenswerk erinnert: Rechtsrequiem – Edition Roxin!

In den Köpfen der Studierendenschaft eng mit dem Namen Roxins verknüpft ist seine Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft des „Schreibtischtäters“ durch Benutzung eines organisatorischen Machtapparates. Der Öffentlichkeit vorgestellt hatte Roxin diese wohl polarisierendste seiner Theorien im Jahr 1963** in seinem – damals als Politikum empfundenen – Aufsatz „Straftaten im Rahmen organisatorischer Machtapparate“. In den 90er Jahren wurde die Rechtsfigur jedoch vom Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 26.7.1994 – 5 StR 98/94) bei der Aufarbeitung der Untaten des SED-Regimes (BGHSt 40, 218)*** erstmalig aufgegriffen und von da an vom BGH selbst erheblich ausgebaut und von den Ansätzen Roxins zu einem regelrechten Auffangtatbestand wegentwickelt. Somit fällt der Rspr. die Übertragung der einst von Roxin entwickelten Rechtsfigur auf Unternehmenskriminalität leicht.

In der Tat ist die Fülle der von Roxin in die Strafrechtsdogmatik eingeführten und heute allgemein diskutierten Lehren, Theorien und Figuren kaum zu übersehen: Auf der Ebene des Unrechts (Tatbestand & Rechtswidrigkeit) prägte er die Lehre von der objektiven Zurechnung (unerlaubte Gefahrschaffung und Risikoerhöhung), im Bereich der Beteiligungsdogmatik die Tatherrschaftslehre sowie die mittelbare Täterschaft durch organisatorische Machtapparate und (i. V. m. § 13 Abs. 1 StGB) die Kategorie der Pflichtdelikte, auf der Ebene der Schuld vollzog er eine umfassende Revision der Schuldausschließungsgründe (fehlgeschlagener Versuch und Verbrechervernunft).

* FYI: Persönliches Lebenswerk: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/claus-roxin-tot-nachruf-strafrecht-wissenschaft.

** FYI: Das Jahr 1963 markiert zudem den Auftakt des ersten der drei Frankfurter Auschwitzprozesse (1963-1968).

*** FYI: BGHSt 40, 218 ist übrigens nicht zu verwechseln mit den sog. Mauerschützenprozessen (BGHSt 39, 1 / 39, 168 / 41, 101), etwa jener um Walter Kittel. Letztere stehen vielmehr mit Gustav Radbruch, der Radbruchschen Formel und der Frage nach der Anwendung des DDR-Strafgesetzbuches durch bundesdeutsche Gerichte in Verbindung.

Die Hintergründe der Entscheidung

Den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. November 2007 (2 StR 384/07) – BeckRS BeckRS 2007, 18793 – gibt es kostenlos hier auf der Seite des BGH.
Maßgeblich zwei Tatbestände im deutschen Kernstrafrecht (StGB) prägen das sog. white collar crime, zu Deutsch die Unternehmenskriminalität: §§ 263 (Betrug), 266 StGB (Untreue). Hinzu kommen Normen aus dem Nebenstrafrecht, etwa aus der InsO (§ 15a) oder der AO (§ 370) u.w.

Aufhänger für diese Sonderausgabe unserer Entscheidung des Monats ist zunächst eine kurze Revisionsentscheidung des BGH aus dem Jahr 2007, welche sich mit der Abgrenzung von mittelbarer (Betrugs-)Täterschaft durch Organisationsherrschaft und schlichter Mittäterschaft auseinandersetzt (Zum ausführlichen Sachverhalt: BGH Beschl. v. 2.11.2007 – 2 StR 384/07, BeckRS 2007, 18793, Rn. 2.). Sie ist für das strafrechtliche Systemverständnis sowie für das Verständnis der Entwicklung der Rechtsprechung seit dem bedeutungsschweren obiter dictum dem SED-Urteil (BGH, Urt. v. 26.7.1994 – 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218, Rn. 85: „Auch das Problem der Verantwortlichkeit beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen läßt sich so lösen“.) von wesentlicher Bedeutung. Hintergrund der Entscheidung war folgender Sachverhalt:

Der Angeklagte (A) stand an der Spitze eines komplexen Firmengeflechts – als Geschäftsführer mehrerer Unternehmen. Diese waren allesamt von seinem (nicht in Revision gezogenen) Mitangeklagten und Vorgesetzten (B) gegründet worden. Der Geschäftsbetrieb der Firmen wurde einzig durch stetig neu aufgenommene Kredite aufrecht erhalten. Ab dem Sommer des Jahres 1999 blieben weitere Kreditvergaben durch die Banken jedoch aus, sodass der Geldfluss allmählich versiegte.

A und B ersannen nunmehr ein neues Konzept der Geldbeschaffung. Sie wandten sich gezielt an Immobilieneigentümer, oft in wirtschaftlich angespannter Lage, und überzeugten sie, im Gegenzug für ein Entgelt Darlehen zugunsten der Firmengruppe aufzunehmen, wobei die Firmen die Zinskosten tilgen sollten. Diese Darlehen wurden durch Grundpfandrechte auf den Grundstücken der Eigentümer abgesichert. Das geliehene Geld floss sodann direkt in die klammen Kassen einer der Firmen der Unternehmensfamilie, die G-GmbH. Die Vertragsverhandlungen führten dabei mehrheitlich entweder der A (Fälle 3, 4, 7) oder der B (Fälle 1, 5) alleinverantwortlich; vereinzelt fuhren auch beide Unternehmer zum Ort der Vertragszeichnung (Fall 6), wobei die Vorbereitung gemeinschaftlich erfolgte.

Im Laufe der Zeit wurden die neuen Zinsschulden von der Firmengruppe nur unregelmäßig und oft nur teilweise getilgt. Eine Rückführung der Darlehen blieb schließlich gänzlich aus. Anfang 2004 kollabierte die Firmengruppe unter der Last der Verbindlichkeiten.

Für die geschädigten Immobilieneigentümer und Investoren bedeutete dies den Supergau: Ohne die versprochenen Rückflüsse aus den Darlehen standen sie allein in der Pflicht. Viele verfügten nicht über die liquiden Mittel, um die fälligen Zins- und Tilgungsleistungen der Banken aus eigener Tasche zu bedienen. Konsequenz war die Liquidierung der belasteten Grundstücke oder die Zwangsvollstreckung der Banken in dieselben.

A wurde vom Landgericht (LG) wegen Betrugs in sechs (!) tateinheitlich begangenen Fällen verurteilt. Es hat die durch B verübten Täuschungshandlungen dem A aufgrund gemeinsamen Tatplans und arbeitsteiligen Vorgehens zugerechnet (§ 25 Abs. 2 StGB). „Da A jedoch nicht persönlich täuschend auf die Geschädigten eingewirkt habe, „sondern im Vorfeld der mit diesen abgeschlossenen Verträge ausschließlich im Hintergrund gewirkt“ habe, stelle sich die Tat als ein „Organisationsdelikt des Betrugs“ dar, das die Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit erfülle. Es erfasse deshalb nicht nur die angeklagten vier Fälle, sondern auch die in der Anklageschrift ausschließlich dem Mitangeklagten B. angelasteten Fälle 1 und 5“ (vgl.   BGH Beschl. v. 2.11.2007 – 2 StR 384/07, BeckRS 2007, 18793, Rn. 4). Hiergegen wandte sich A revisionsweise (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 1).

Die Entscheidung

„Requiem Roxin – Sein wissenschaftliches Erbe in aktuellem Kontext“

Im Mittelpunkt der rechtlichen Nachprüfung innerhalb des Revisionsverfahrens vor dem BGH steht die Würdigung des festgestellten Sachverhalts als „Organisationsdelikt“. Entgegen der Vorinstanz lehnte der BGH ein solches ab. Sehen wir uns das genauer an:

§§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB

A könnte sich wegen (besonders schweren) Betruges in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er durch den B die Geschädigten in den Fällen 1 und 5 dazu brachte, den Darlehensvertrag zugunsten der G zu unterzeichnen.

I.
Gem. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist mittelbarer Täter, wer die Straftat „durch einen anderen“ begeht. A müsste sich also des B als menschliches Werkzeug bedient haben, indem er kraft überlegenen Wissens oder Wollens die Tatherrschaft ausübte.

1. Zweifelhaft erscheint indes bereits das für die Werkzeugqualität charakteristische Verantwortungsdefizit bei B. Als dieser in den Fällen 1 und 5 die geschädigten Investoren zur Unterschrift der Vertragsunterlagen bewegte, hatte B Kenntnis von der mangelnden Zahlungsfähigkeit des gemeinsam mit A bewirtschafteten Firmenkomplexes. Er hatte zudem Kenntnis über das seit Jahren laufende „Geschäftsmodell“ der G und handelte somit vielmehr voll verantwortlich in Kenntnis der zu erwartenden Vermögensschädigung der Investoren; diese nahm er jedoch im Bestreben eigener stoffgleicher Bereicherung billigend in Kauf, § 15 StGB.

2. Gleichwohl könnte vorliegend eine derart starke Irrtums- bzw. Nötigungsherrschaft des A bestanden haben, dass – trotz der vollen strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Vordermannes B – der A als „Täter hinter dem Täter“ ausnahmsweise gem. §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar ist.

Entsprechende Fallkonstellationen haben sich in Rechtsprechung und Literatur herausgebildet (vgl. auch Rengier: Strafrecht AT, 16. Aufl. 2024, § 43 Rn, 42 ff.): A könnte vorliegend kraft Organisationsherrschaft den B zu dessen Unrecht bewegt haben. Dabei ist die Anwendung dieser Rechtsfigur auf Wirtschaftsunternehmen höchst umstritten.

Eine Ansicht lehnt die Anwendung auf Organisationen, die sich innerhalb der Rechtsordnung bewegen, namentlich private Wirtschaftsunternehmen, ab:

Organisationsherrschaftslehre à la Roxin

Demnach sind die Voraussetzungen für eine Organisationsherrschaft nach ihrem Begründer Roxin die Folgenden:

  1. Anordnungs-/Befehlsgewalt des Befehlsgebers in einem hierarchisch strukturierten Machtapparat.
  2. Rechtsgelöstheit des Machtapparats (a. A. BGH)
    Roxin: „Denn solange Leitung und Ausführungsorgane sich prinzipiell an eine von ihnen unabhängige Rechtsordnung gebunden halten, kann die Anordnung strafbarer Handlungen nicht herrschaftsbegründend wirken, weil die Gesetze den höheren Rangwert haben und im Normalfall die Durchführung rechtswidriger Befehle und damit die Willensmacht des Hintermannes ausschließen. […; : Dies sei lt. Roxin auch durch entsprechende sorgfältige Verheimlichung derlei Privatunternehmungen vor den übrigen Aufgabenträgern der Organisation gekennzeichnet, etwa anderen Vorstandsmitgliedern des innerhalb der Rechtsordnung befindlichen Wirtschaftsunternehmens] In solchen Fällen wird also nicht mit dem Apparat, sondern gegen ihn gehandelt, so daß sie aus dem Bereiche möglicher Organisationsherrschaft von vornherein ausscheiden.“
  3. Fungibilität der Ausführenden
    = Beliebige Austauschbarkeit des agierenden Vordermannes durch zur Verfügung stehende andere Exekutoren gemeint. Bei (hochqualifiziertem) Führungspersonal bereits fragwürdig.
  4. Später von Roxin präzisiert: Wesentlich erhöhte Tatbereitschaft des Ausführenden = besondere organisationsspezifische Tatbereitschaft kraft Organisationszugehörigkeit.

Die andere Ansicht verzichtet auf das Kriterium der Rechtslosgelöstheit und befürwortet eine Ausdehnung der Organisationsherrschaftslehre auf all jene hierarchischen Machtapparate, die durch regelhafte Abläufe und Befehlsketten gekennzeichnet sind:

Organisationsherrschaftslehre à la BGH

Die (hoch-umstrittene) Rechtsprechung zur Organisationsherrschaft in Unternehmen und somit die Ausdehnung der Rechtsfigur Roxins auf solche Machtapparate, die gerade nicht „rechtsgelöst“ sind, trägt ihren Ursprung in BGH, Urt. v. 26.7.1994 – 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218 (Rn. 85). Der fünfte Senat des BGH berief sich in dieser Entscheidung nicht auf die vier o. g. Voraussetzungen, sondern beschränkte sich auf die Feststellung des Ausnutzens regelhafter Abläufe in einer hierarchisch gegliederten Organisation mit dem Ziel, auf diese Weise die erstrebte Tatbestandsverwirklichung zu erreichen.

Gegen diese Ausdehnung wird angeführt, dass bloße Anordnungen (z. B. „Fälsche diese Bilanz“) und die Duldung strafbarer Handlungen als solche keine ausreichende Tatherrschaft begründen können, wenn die Organisation selbst auf der Basis des Rechts arbeitet. Ist die Organisation nämlich in die Rechtsordnung eingegliedert, so kann von ihren Mitarbeitern erwartet werden, rechtswidrige Anweisungen (ohne weitere Konsequenzen) zu befolgen. Zudem sei der einzelne Mitarbeiter auch keineswegs beliebig austauschbar, sondern in die Arbeitsrechtsordnung eingebunden. Zudem verschwimmen vor dem Hintergrund des eines vollverantwortlichen Vordermannes die Grenzen zu § 26 StGB einerseits und § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB andererseits.

3. a. Ein Streitentscheid könnte jedoch entbehrlich sein, wenn bereits kein „Organisationsdelikt“ i. S. d. Organisationsherrschaft vorliegt. „In diesen Fällen nutzt ein Hintermann staatliche, unternehmerische oder geschäftsähnliche Organisationsstrukturen aus, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst. Handelt der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will er den Erfolg als Ergebnis seines Handelns, hat er die Tatherrschaft und ist mittelbarer Täter. Eine so verstandene mittelbare Täterschaft kommt in Fällen in Betracht, in denen der räumliche, zeitliche und hierarchische Abstand zwischen der die Befehle verantwortenden Organisationsspitze und den unmittelbar Handelnden gegen arbeitsteilige Mittäterschaft spricht. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.“ (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 5).

3. b. A könnte die in Rede stehenden Betrügereien vielmehr mittäterschaftlich i. S. d. § 25 Abs. 2 StGB mit dem B verübt hat (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 6). Mittäterschaft setzt arbeitsteiliges Vorgehen der Beteiligten basierend auf einem gemeinsamen Tatplan voraus. Regelmäßig ist dabei zwischen Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft zu unterscheiden.

HLB informiert:

#Aufbauschema Mittäterschaft, § 25 Abs. 2 StGB (nach Rengier)

25 Abs. 2 StGB stellt eine Zurechnungsnorm dar. Zugerechnet werden nur objektive Tatbeiträge. Erfüllt der (Mit-)Täter alle objektiven Tatbestandsmerkmale in seiner Person, so bedarf es eines Rückgriffs auf § 25 Abs. 2 nicht. Eine Zurechnung besonderer subjektiver Merkmale ist keinesfalls möglich.

 

Mittäterschaft wird üblicherweise als gemeinschaftliche Tatbegehung durch bewusstes und gewolltes (I.) Zusammenwirken (II.) definiert.

I. Das objektive Element der Mittäterschaft: „bewusst und gewollt
= Gemeinsamer Tatentschluss / Tatplan

II. Das subjektive Element der Mittäterschaft: „Zusammenwirken
= Gemeinsame (arbeitsteilige) Tatausführung

 

Hinsichtlich der gutachterlichen Prüfung empfiehlt sich eine Integration der Prüfung des § 25 Abs. 2 in die Erörterung des jeweilig einschlägigen Tatbestandes.

A. Strafbarkeit des tatnächsten Beteiligten A (wie Alleintäter)

B. Strafbarkeit des anderen Beteiligten B

I. Tatbestand

  1. Feststellung, dass der andere Beteiligte B die objektiven Tatbestandsmerkmale nicht täterschaftlich (vollständig) verwirklich hat. Deshalb
  2. Prüfung, ob dem B die Tathandlungen des tatnächsten Beteiligten A nach § 25 Abs. 2 zugerechnet werden können.
    • Gemeinsamer Tatentschluss/Tatplan: Hier müssen die Verabredung u. der Vorsatz (§ 15) zu einer bestimmten Tat geprüft werden (ebenso Exzessfragen).
    • Gemeinsame Tatausführung: Es muss ein – vom Vorsatz umfasster – objektiver Tatbeitrag vorliegen. Hier sind ggf. Abgrenzungsfragen zur Teilnahme rund um die objektive und subjektive Teilnahmelehre zu erörtern.
  3. Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale (z. B. Mordmerkmale 1./3. Gruppe, Zueignungsabsicht, Bereicherungsabsicht) müssen in der Person des Mittäters vorliegen.

II./III. RWK/Schuld

HLB informiert:

#Definition Funktionelle Tatherrschaftslehre (nach Roxin)

(Mit-)Täter ist, wer die Tatherrschaft innehat. Tatherrschaft meint dabei das „In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs“. Indizien hierfür sind die Entscheidungsherrschaft („Ob“ der Tat) und die Gestaltungsherrschaft („Wie“). Nach dem „Leitprinzip“ der Tatherrschaft ist damit derjenige Täter, der als „Zentralgestalt“ oder „Schlüsselfigur“ das Geschehen durch seine Entscheidung lenkt und nach seinem Willen mitgestaltet, namentlich die Tatausführung hemmen oder ablaufen lassen kann (Roxin, ebd. 29 f., 119 ff.).

Ein Minus (an Entscheidungsherrschaft) im Ausführungsstadium kann dabei durch ein Plus (an Gestaltungsherrschaft) im Vorbereitungsstadium ausgeglichen werden; zu fordern sei nach überwiegender Ansicht einzig, dass die Tat von einem arbeitsteiligen Ineinandergreifen der einzelnen Beiträge geprägt ist (funktionelles Element zur Lösung der sog. Bandenchef-Problematik).

Exkurs: Versuchsbeginn bei Mittäterschaft

Nach der (hins. § 25 Abs. 2) ganz überwiegend vertretenen Gesamtlösung beginnt der Versuch für jeden Mittäter, sobald nur einer von ihnen gem. § 22 zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt. Dies ist angesichts des Zurechnungsprinzips in § 25 Abs. 2 aller Tatbeiträge nur konsequent.

Achtung: Hinsichtlich des Versuchsbeginns in Fällen der mittelbaren Täterschaft divergiert das Meinungsbild! Hier wird die Gesamtlösung überwiegend abgelehnt. Herrschend ist vielmehr die modifizierte Einzellösung (hM), nach dessen von der Lit. (u.a. Roxin & Rengier) befürworteten „weiten“ Ansatz der Versuch des mittelbaren Täters beginnt, wenn er den Geschehensverlauf aus der Hand gibt, also idR. mit dem Zeitpunkt des Losschickens; die Rspr. lässt „regelmäßig“ den Abschluss der Einwirkung auf den Tatmittler genügen. Die Argumentation dreht sich im Wesentlichen um einen systematischen Vergleich zur (versuchten) Anstiftung (§§ 26, 30 Abs. 1): Vertreter der Gesamtlösung fordern insb., dass der mittelbare Täter für einen Versuch nicht strenger als ein Anstifter haften dürfe. Dagegen wird argumentiert, dass infolge der Tatherrschaft des mittelbaren Täters eine Vorverlagerung der Strafbarkeit sachgerecht ist. Denn der maßgebliche Tatvorwurf liege in der Einwirkung auf den Tatmittler.

aa. Der für mittäterschaftliches Handeln erforderliche gemeinsame Tatentschluss setzt die (ernsthafte) Verabredung von mindestens zwei Personen voraus, im gegenseitigen Einvernehmen gemeinsam bestimmte objektive Tatbeiträge zu verwirklichen und eine bestimmte vorsätzliche „Straftat“ (§ 25 Abs. 2 StGB) zu begehen (vgl. Rengier: Strafrecht AT, 16. Aufl. 2024, § 44 Rn, 14.).

A und B arbeiteten hier im Vorfeld der jeweiligen Vertragsverhandlungen die entsprechenden Entwürfe aus und bereiteten insoweit den tatbestandlichen Erfolgseintritt – namentlich die Vermögensgefährdung der Investoren – ausdrücklich und in Kenntnis aller Risikofaktoren sowie vergangener Krediterfahrungen vor.

bb. Sie sind dabei zudem „gemeinschaftlich arbeitsteilig vorgegangen“. A „hat nicht kraft Organisationsherrschaft Anstoß zu den Betrügereien gegeben, sondern die Taten gemeinsam mit B verübt; dieser war der Chef und der Angeklagte dessen rechte Hand. [A] hat in jedem Einzelfall [‑ so auch in den Fällen 1 und 5 ‑] eigene Tatbeiträge geleistet […]. Für die (tatmehrheitliche) Mitwirkung an den einzelnen Betrügereien kommt es […] nicht allein auf die Täuschungshandlung an […]. Es reicht jede Handlung, durch die der [A] im Rahmen des gemeinsamen Tatplans zur Tatbestandsverwirklichung beigetragen hat. [A] hat hier drei Darlehensverträge mit Geschädigten unterschrieben, durch den diese sich zur Darlehensgewährung an die zahlungsunfähigen Firmen des [B] verpflichtet und damit über ihr Vermögen verfügt und es gefährdet haben. Im Fall 6 der Anklage hat er diesen Vertrag vorbereitet und B zu der Unterzeichnung begleitet. Damit hat [A] in allen vier Fällen durch eigene Handlungen am Betrug mitgewirkt.“ (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 6).

3. c. Dem A sind demnach die durch B verübten Täuschungen als Mittäter zuzurechnen.

3. d. Hinsichtlich der Fälle 1 und 5, welche ausweislich der Anklage ausschließlich dem B angelastet wurden, fehlt es gleichwohl an der Verfahrensvoraussetzung einer Anklage. Eine Einstellung gem. § 206a StPO ist somit dahingehend geboten.

4. Ein „Organisationsdelikt“ i. S. d. mittelbaren Täterschaftskonstellation eines Täters hinter dem Täter ist jedenfalls nicht gegeben, da A die Betrugstaten mittäterschaftlich verübte.

II.
A hat sich (materiell) wegen (u. U. besonders schweren) mittäterschaftlichen Betrugs in sechs (tatmehrheitlichen) Fällen gegenüber und zulasten der Immobilieninvestoren gem. §§ 263 Abs. 1, Abs. 3, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht, indem er drei Darlehensverträge eigenhändig unterschrieb und drei weitere Verträge vorbereitete.

Dogmatische Vertiefung

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Wer sind HLB Schumacher Hallermann?

HLB Schumacher Hallermann ist eine mittelständische Rechtsanwaltskanzlei, die von der steuerzentrierten Rechtsberatung kommt und sich nunmehr intensiv auch auf klassische Rechtsgebiete ausrichtet hat. Besonderes Merkmal: Konsequente Entwicklung spezieller und innovativer Beratungsfelder (Glücksspielbesteuerung, Glücksspielregulierung, eSport). Aus dem Herzen von Münster heraus beraten wir Mandanten persönlich und lösungsorientiert. Dabei ist uns eine offene und ehrliche Kommunikation gegenüber dem Mandanten wichtig.

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Beitragsautor:

Dr. Lennart Brüggemann

Dr. Lennart Brüggemann

HLB Schumacher Hallermann ist eine mittelständische Rechtsanwaltskanzlei, die sich intensiv auch auf klassische Rechtsgebiete ausrichtet hat. Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann, Partner bei HLB, betreut unter anderem das Projekt „Entscheidung des Monats“, bei dem regelmäßig unter seiner Supervision wissenschaftliche Mitarbeiter:innen oder Referendar:innen eine aktuelle Entscheidung analysieren und aufbereiten.

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