Skip to main content
examensrelevant

HLB Schumacher Hallermann präsentiert examensrelevante Fälle: Neues zur Wesentlichkeit von Grundstückbestandteilen (Sachenrecht)

Aufbereitete Fälle bekannt aus Assessor Juris

In Kooperation mit der Kanzlei HLB Schumacher Hallermann präsentieren wir dir die aus unserem Leitfaden Assessor Juris bekannten examensrelevanten Fällen. Diese werden unter der Supervision von Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann sowie mit Unterstützung seines Teams aus qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Referendar:innen für dich und deine Fallbearbeitung ausformuliert bzw. bearbeitet.

Der Verfasser dieses Beitrags ist Christian Lederer, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann.

Es geht um vier Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22.10.2021 – V ZR 225/19, V ZR 8/20, V ZR 44/20 und V ZR 69/20.

Hinweis vom HLB-Team:

Neue Technologien stellen nicht nur die Gesellschaft und den Gesetzgeber, sondern gar die Rechtswissenschaft als solche vor immer neue Herausforderungen. Ganz zu schweigen von den Studierenden. So kann selbst ein scheinbar dogmatisch abgestecktes Rechtsgebiet wie das Sachenrecht mit spannenden Rechtsfragen aufwarten und den Rechtsanwender an seine Grenzen bringen.

Interessant und relevant ist folgende Entscheidungsbesprechung für all jene, denen die Finessen des Zivilrechts Freude bereiten und die selbst im Angesicht des Unbekannten Ruhe und Systemverständnis bewahren wollen. Letzteres prüft schließlich auch das juristische Staatsexamen. Der Gang einer Extra-Meile lohnt sich daher für alle, deren Klausuren oder mündliche Prüfung bald bevorstehen.

Insbesondere geht es in dieser Fallvorstellung um die §§ 93 ff. BGB, die Frage nach der „Wesentlichkeit“ von Grundstücksbestandteilen und übergeordnet um den Eigentumserwerb an (un)beweglichen Sachen. Konkret betroffen ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen Solarmodule, die in eine Freiland-Photovoltaikanlage eingebaut sind, Gegenstand besonderer Rechte sein können. Hierzu hat sich […] der unter anderem für das Sachenrecht zuständige V. Zivilsenat des BGH in vier Parallelverfahren geäußert (V ZR 225/19, V ZR 8/20, V ZR 44/20 und V ZR 69/20). Sachenrecht vom Feinsten!

Die Hintergründe zur Entscheidung

In gleich mehreren Revisionsverfahren musste sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit einem Streit über die Eigentumsverhältnisse an einer gewerblichen Freiland-Photovoltaikanlage beschäftigen (BGH, Urt. V. 22.10.2021 – V ZR 225/19, V ZR 8/20, V ZR 44/20 und V ZR 69/20).

Kläger war in allen vier Verfahren der Insolvenzverwalter einer Gesellschaft, die 2010 eine Freiland-Photovoltaikanlage erworben hatte. Diese bestand aus insgesamt 5.000 Solarmodulen und neun Wechselrichtern. Sie war im Jahr zuvor auf dem Grundstück eines Dritten errichtet worden. Die Gesellschaft und spätere Insolvenzschuldnerin sicherte sich an diesem Grundstück ein Nutzungsrecht.

Ende 2010 verkaufte die Gesellschaft die Module dieser Anlage wiederum an insgesamt 65 separate Käufer. Bei derartigen Großanlagen wird üblicherweise zwischen den Modulen selbst (die auffällige Glasscheibe mit den Solarzellen) und den Vorrichtungen, die alle Module gleichermaßen benutzen (Anlagengerüst, Wechselrichter, Transformator etc.) differenziert. Die Käufer sollten jeweils das Eigentum an einer bestimmten Anzahl von Modulen nebst einem Miteigentumsanteil an der Unterkonstruktion der Photovoltaikanlage erwerben. Zugleich vermieteten die Käufer die von ihnen erworbenen Module an ein Tochterunternehmen der veräußernden Gesellschaft zurück (eine Skizze schafft Klarheit). Im März 2016 wurde schließlich das Insolvenzverfahren über das Vermögen der veräußernden Gesellschaft eröffnet, für die der klagende Insolvenzverwalter nun bis vor den BGH zog.

Der Insolvenzverwalter begehrte in den Verfahren jeweils im Kern die Feststellung, dass die einzelnen Käufer kein Eigentum an den Modulen und der Unterkonstruktion erworben hätten. Dies hätte für die Investoren einen sicheren Verlust jeglicher Rendite zur Folge sowie zudem eine Pflicht zur Rückzahlung der vereinnahmten Mieten. Teilweise haben die Käufer daher Widerklage mit dem Antrag eingelegt, die Module an sie sowie der Unterkonstruktion an alle Investoren herauszugeben (§ 985 BGB).

Der Sachenrechtssenat des BGH (V. Zivilsenat) hatte folglich jeweils über die Frage zu entscheiden, ob die Käufer das (Allein-)Eigentum an den Modulen und das Miteigentum an der Unterkonstruktion erworben haben.

Die Entscheidung

Der BGH hat vier OLG-Urteile aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Im Kern hat der V. Senat zu den Eigentumsverhältnissen wie folgt ausgeführt:

Der Eigentumserwerb setzt u.a. voraus, dass die Module zum Zeitpunkt der Übereignung sonderrechtsfähig, d.h. weder wesentliche Bestandteile des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 BGB) noch der Photovoltaikanlage (§ 93 BGB oder § 94 Abs. 2 BGB) waren.

HLB informiert:

§ 93 BGB – Wesentliche Bestandteile einer Sache

Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (wesentliche Bestandteile), können nicht Gegenstand besonderer Rechte sein.

§ 94 BGB – Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks oder Gebäudes

  1. Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks gehören die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude, sowie die Erzeugnisse des Grundstücks, solange sie mit dem Boden zusammenhängen. 2. Samen wird mit dem Aussäen, eine Pflanze wird mit dem Einpflanzen wesentlicher Bestandteil des Grundstücks.
  2. Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes gehören die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen.

§ 95 BGB – Nur vorübergehender Zweck

  1. Zu den Bestandteilen eines Grundstücks gehören solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind. 2. Das Gleiche gilt von einem Gebäude oder anderen Werk, das in Ausübung eines Rechts an einem fremden Grundstück von dem Berechtigten mit dem Grundstück verbunden worden ist.
  2. Sachen, die nur zu einem vorübergehenden Zweck in ein Gebäude eingefügt sind, gehören nicht zu den Bestandteilen des Gebäudes.

Die Berufungsgerichte sind nach Auffassung des BGH rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Photovoltaikanlage selbst – und damit die Module als Teile dieser – nicht nach § 94 Abs. 1 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks ist. Die Anlage war mit diesem nicht fest verbunden oder sei jedenfalls als Scheinbestandteil i. S. v. § 95 BGB anzusehen, da sie aufgrund eines Nutzungsvertrages errichtet wurde, der ihren Abbau zum Ende der Vertragslaufzeit vorsieht (BGH, Urt. v. 22.10.2021 – V ZR 225/19, Rn. 8 ff., BeckRS 2021, 33343).

Die Module sind auch nicht deshalb wesentliche Bestandteile der gesamten Anlage, weil diese selbst als Gebäude i. S. v. § 94 Abs. 2 BGB anzusehen wäre, in welches wiederum die Module zur Herstellung eingefügt wurden. Gebäude im Sinne dieser Vorschrift sind zwar auch andere größere Bauwerke, deren Beseitigung eine dem (Teil-)Abriss eines Gebäudes im engeren Sinne vergleichbare Zerschlagung wirtschaftlicher Werte bedeutete. Ein Bauwerk setzt in diesem Zusammenhang aber regelmäßig etwas mit klassischen Baustoffen „Gebautes“ von solcher Größe und Komplexität voraus, dass die Beseitigung die Zerstörung oder wesentliche Beschädigung und den Verlust der Funktionalität der Sache zur Folge hätte. Eine Freiland-Photovoltaikanlage stellt jedenfalls dann, wenn sie – wie hier – aus einer gerüstähnlichen Aufständerung aus Stangen oder Schienen sowie darin eingesetzten Photovoltaikmodulen besteht, kein Gebäude i. S. v. § 94 BGB dar (BGH, Urt. v. 22.10.2021 – V ZR 225/19, Rn. 23, BeckRS 2021, 3334).

Die Module könnten nach der Auffassung des Senats gem. § 93 BGB wesentliche Bestandteile der Gesamtanlage sein. Bei der Beurteilung, ob ein Bestandteil im Sinne dieser Vorschrift wesentlich ist, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Verbindung maßgeblich, also jenem Zeitpunkt, an dem am Bestandteil bestehende Rechte Dritter infolge der Verbindung untergehen können.

Ist dagegen – wie hier – zu beurteilen, ob Rechte Dritter an einem Bestandteil begründet werden können, der bereits in eine zusammengesetzte Sache eingefügt ist, kommt es auf die Verhältnisse bei Entstehung des Rechts und darauf an, welche Folgen der gedachte Ausbau in diesem Zeitpunkt gehabt hätte (Zum Ganzen BGH, Urt. v. 22.10.2021 – V ZR 225/19, Rn. 17 f., BeckRS 2021, 33343).

Hätten die Module bei der Übereignung im Falle der Trennung noch durch zumindest vergleichbare, auf dem Markt verfügbare Modelle ersetzt und ihrerseits in anderen Anlagen verwendet werden können, wären sie sonderrechtsfähig gewesen. Hiervon kann angesichts der kurzen Zeitspanne zwischen der Errichtung der Anlage und Übereignung der Module an die Anleger ausgegangen werden, wenn der Kläger nicht etwas Anderes darlegt und ggf. beweist (BGH, Urt. v. 22.10.2021 – V ZR 225/19, Rn. 21, BeckRS 2021, 33343).

Unerheblich ist – entgegen der Auffassung des Klägers –, ob die gesamte Anlage durch den Ausbau eines oder mehrerer Module die bisherige Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG) verloren und nur noch die geringere Einspeisevergütung aus dem Jahr der Übereignung an den Beklagten erhalten hätte, weil für sie dann ein neues Fertigstellungsdatum i.S.d. EEG gegolten hätte. Eine solche Veränderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führte nicht dazu, dass die Module zu wesentlichen Bestandteilen der Anlage geworden wären (BGH, Urt. v. 22.10.2021 – V ZR 225/19, Rn. 22, BeckRS 2021, 33343).

Sollten die Module nach den genannten Maßstäben als wesentliche Bestandteile der Anlage anzusehen sein, ergäbe sich ihre Sonderrechtsfähigkeit nicht daraus, dass sie Scheinbestandteile i. S. v. § 95 Abs. 1 BGB darstellten. Denn diese Vorschrift, nach der zu den Bestandteilen eines Grundstücks solche Sachen nicht gehören, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind, ist auf Bestandteile einer beweglichen Sache i. S. v. § 93 BGB nicht entsprechend anwendbar. Die Photovoltaikanlage ist eine bewegliche Sache im Rechtssinne, weil sie weder ein Gebäude noch wesentlicher Bestandteil des Grundstücks ist (BGH, Urt. v. 22.10.2021 – V ZR 225/19, Rn. 11, BeckRS 2021, 33343).

Sollten die Module nicht als wesentliche Bestandteile der Gesamtanlage anzusehen sein, werden die Berufungsgerichte teilweise noch ergänzende Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die jeweiligen Module in den der Übereignung zu Grunde liegenden Lageplänen hinreichend deutlich gekennzeichnet waren, da die dingliche Einigung nur dann dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügte. Zudem sind ggf. ergänzende Feststellungen zu der Übergabe der Module und der Unterkonstruktion an die jeweiligen Beklagten bzw. zu einer nach §§ 929 ff. BGB zulässigen Surrogation zu treffen (BGH, Urt. v. 22.10.2021 – V ZR 225/19, Rn. 33, BeckRS 2021, 33343).

Knapp 10% beträgt der Anteil der Photovoltaik an der Bruttostromerzeugung in Deutschland, über ein Fünftel der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien liefern uns Solarpanele. Damit ist Deutschland neben China, den USA und Japan führend auf diesem Gebiet nachhaltiger Energiewirtschaft. Nicht verwunderlich also, dass es auf diesem Gebiet zu Streit kommen kann.

Dogmatische Vertiefung

JurCase informiert:

Du interessierst dich für eine gelungene Examensvorbereitung auch für die dogmatische Vertiefung zu dieser Entscheidung? Kein Problem! Die komplette Besprechung des Falls nebst dogmatischer Vertiefung gibt es hier für dich zum kostenlosen Download:

HIER DOWNLOADEN

Assessor Juris jetzt kostenlos downloaden!

In unserem E-Book Assessor Juris findest du jedoch nicht nur die Kategorie #Examensrelevant mit examensrelevanten Fällen, sondern es bietet darüber hinaus noch so viel mehr:

  • Erhalte in unserer Rubrik #Referendariat wertvolle Einblicke rund um den juristischen Vorbereitungsdienst, in dieser Ausgabe sind das erneut besondere Einblicke in die jeweiligen Stationen.
  • In der Rubrik #Gewusst erhältst du indes nützliche Insights u.a. zur aktuellen Rechtsprechung aus dem Zivil-, dem Straf- und dem Öffentlichen Recht.
  • Mit dem Erwerb des Titels „Assessor Juris“ und dem damit zusammenhängenden Abschluss der juristischen Ausbildung geht es in den #Karrierestart. In dieser Rubrik findest du deshalb hilfreiche Tipps und Tricks von Praktiker:innen zum Karriereeinstieg.

Wer sind HLB Schumacher Hallermann?

HLB Schumacher Hallermann ist eine mittelständische Rechtsanwaltskanzlei, die von der steuerzentrierten Rechtsberatung kommt und sich nunmehr intensiv auch auf klassische Rechtsgebiete ausrichtet hat. Besonderes Merkmal: Konsequente Entwicklung spezieller und innovativer Beratungsfelder (Glücksspielbesteuerung, Glücksspielregulierung, eSport). Aus dem Herzen von Münster heraus beraten wir Mandanten persönlich und lösungsorientiert. Dabei ist uns eine offene und ehrliche Kommunikation gegenüber dem Mandanten wichtig.

Hat dir der Beitrag gefallen?

Beitragsautor:

Dr. Lennart Brüggemann

Dr. Lennart Brüggemann

HLB Schumacher Hallermann ist eine mittelständische Rechtsanwaltskanzlei, die sich intensiv auch auf klassische Rechtsgebiete ausrichtet hat. Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann, Partner bei HLB, betreut unter anderem das Projekt „Entscheidung des Monats“, bei dem regelmäßig unter seiner Supervision wissenschaftliche Mitarbeiter:innen oder Referendar:innen eine aktuelle Entscheidung analysieren und aufbereiten.

Alle Beiträge von Dr. Lennart Brüggemann ansehen