examensrelevant

HLB Schumacher Hallermann präsentiert examensrelevante Fälle: Loser pays it all: Prozesskostenhilfe, Betreuungsrecht und Platzverweis

Die Entscheidung des Quartals von HLB Schumacher Hallermann

In Kooperation mit der Kanzlei HLB Schumacher Hallermann präsentieren wir dir zusätzlich zu den aus unserem Leitfaden Assessor Juris bekannten examensrelevanten Fällen – die Entscheidung des Quartals. Diese wird unter der Supervision von Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann sowie mit Unterstützung seines Teams aus qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Referendar:innen für dich und deine Fallbearbeitung ausformuliert bzw. bearbeitet.

Der Verfasser dieses Beitrags ist Christian Lederer, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann.

Es geht um einen Beschluss des OVG Niedersachsen vom 24.06.2025 (11 PA 105/25) zur Prozesskostenhilfe, § 166 VwGO iVm. 114 ff. ZPO | Vormundschafts- und Betreuungsrecht, §§ 1773-1888 BGB | Prozessfähigkeit betreuter Personen, § 53 ZPO | Verfahrensfähigkeit, § 275 FamFG| Platzverweis / Aufenthaltsverbot, § 34 Abs. 2 PolG NRW | Geschäfts(un)fähigkeit, § 104 Abs. 2 BGB.

Hinweis vom HLB-Team:

Das Vormundschafts- und Betreuungsrecht (§§ 1773-1888 BGB), zum 1. Januar 2023 umfassend reformiert, spielt im Examen regelmäßig nur eine untergeordnete Rolle. Häufig ist für Studierende inmitten der Examensvorbereitung einziger Berührungspunkt mit den Normen des Betreuungsrechts der Weg über den § 1629 Abs. 2 BGB. Dieser kommt im Falle einer Grundstücksschenkung an den minderjährigen Enkel (Immobiliarsachenrecht) zum Tragen: § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB sieht die entsprechende Anwendung des § 1824 BGB vor, welcher zulasten der Kindeseltern gewisse Vertretungsausschlüsse vorsieht.

In der Realität ist das Betreuungsrecht freilich relevanter denn je: Tatsächlich wächst der Bedarf an rechtlicher Betreuung in den vergangenen Jahren stetig. Wurden 1995 noch 625.000 Menschen betreut, sind es heute bereits 1,3 Millionen – mithin fast doppelt so viele. Die Gründe hierfür sind zahlreich: Der demographische Wandel, sich auflösende Familienstrukturen und eine zunehmende Isolation der älteren Generation sowie eine geringere Leistungsfähigkeit sozialer Einrichtungen infolge angespannter Finanz- und Personallage.

Mit diesem Anstieg häufen sich auch Rechtsstreitigkeiten, in denen auf Kläger- oder Beklagtenseite betreute Personen stehen. Das stellt sowohl Exekutive wie Judikative vor ungeklärte Fragen.

Eine solche ungeklärte Rechtsfrage vor dem Hintergrund eines amtlich betreuten Klägers liegt unserer Entscheidung zugrunde, beschlussweise getroffen durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Niedersachsen (Beschl. v. 24.6.2025 – 11 PA 105/25, NJW 2025, 2868). Dieser beanspruchte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Anfechtungsklage gegen ein durch die zuständige Ordnungsbehörde festgesetztes Zwangsgeld infolge eines Verstoßes gegen ein Aufenthaltsverbot (= in NRW: Platzverweis).

In der dogmatischen Vertiefung beschäftigen wir uns eingehender mit der Prozesskostenhilfe. Diese spielt in der gelebten Rechtsrealität eine große Rolle, egal, ob im Öffentlichen Recht oder dem Zivilrecht; im Strafrecht hingegen greift zugunsten Bedürftiger in den Fällen notwendiger Verteidigung das Institut der Pflichtverteidigung, § 140 StPO.

Die Hintergründe der Entscheidung

Der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Niedersachsen im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 1 VwGO ging ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein zu führendes Anfechtungsklageverfahren vor dem Verwaltungsgericht (VG) Oldenburg voraus (OVG Niedersachsen, Beschl. v. 24.6.2025 – 11 PA 105/25, NJW 2025, 2868; vorangegangen: VG Oldenburg, Beschl. v. 24.3.2025 – 7 A 3806/24, BeckRS 2025, 16227). Das VG lehnte in der Vorinstanz den zulässigen Antrag mangels Erfolgsaussichten ab (VG Oldenburg, a.a.O., Tenor und Rn. 1). Der Antragsteller (A) und gleichzeitig Kläger im dem dem PKH-Antrag zugrundeliegenden Anfechtungsverfahren gegen ein festgesetztes Zwangsgeld ist ein taubstummer Analphabet, der unter rechtlicher Betreuung steht. Die Betreuung wurde bestellt für die Aufgabenkreise Entgegennahme und Öffnen von Post, Gesundheitsfürsorge, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern, Vermögens- und Wohnungsangelegenheiten. Ein Einwilligungsvorbehalt (§ 1825 BGB) ist nicht angeordnet (OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 14).

Terminologie & Trivia, PKH

Das Gericht entscheidet über die Bewilligung der PKH ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. In dem Beschluss wird der PKH-Beantragende als „Antragsteller“ bezeichnet. Wird PKH für eine bereits anhängige Klage begehrt, heißt er „Kläger“, ist ein Eilantrag anhängig, „Antragsteller“.

Zuständiger Spruchkörper ist die Kammer. Die Entscheidung über die PKH ist keine Entscheidung über Kosten iSd. § 87a Abs. 1 Nr. 5 VwGO.

Mit – auch seinem Betreuer übermittelten – hinreichend bestimmten Bescheid vom 16. August 2024 hatte die Stadt S dem A ein Aufenthaltsverbot (§ 17 NPOG / § 34 PolG NRW) für bestimmte Bereiche der Innenstadt erteilt. Zur Begründung führte sie ordnungsrechtliche Störungen an. Zugleich wurde neben der Anordnung der sofortigen Vollziehung ein Zwangsgeld i. H. v. 150 Euro für den Fall eines Verstoßes angedroht.

In den darauffolgenden Wochen wurde der A jedoch mehrfach in den verbotenen Bereichen angetroffen. Aufgrund dieser wiederholten Verstöße gegen das in Bestandskraft erwachsene Aufenthaltsverbot setzte die Stadt mit – auch seinem Betreuer übermittelten – Bescheid vom 24. September 2024 das zuvor angedrohte Zwangsgeld fest, erhob Verfahrenskosten i. H. v. 45 Euro und drohte ein weiteres Zwangsgeld i. H. v. 300 Euro an.

Der Kläger erhob hiergegen Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO und beantragte für das Klageverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).

FYI: Dazu vertiefend die Dogmatische Vertiefung.

 

Er macht geltend, er könne aufgrund seiner geistigen Einschränkungen die rechtlichen Zusammenhänge zwischen Aufenthaltsverbot, Zwangsgeld und möglichen Sanktionen nicht begreifen, was in letzter Instanz zu einer unvermeidbaren Zwangshaft führen würde. Die Anwendung von Zwangsmitteln gegen ihn sei unter diesen Gesichtspunkten menschenunwürdig und unverhältnismäßig (§ 42 Abs. 2 VwGO).

FYI: Im weiteren Zeitverlauf wurde das mit diesem Ursprungsbescheid verfügte Aufenthaltsverbot mit Bescheid vom 19. Februar 2025 von der beklagten Stadt verlängert. Gegen diesen Bescheid hat der A am 12. März 2025 eine weitere Anfechtungsklage erhoben (7 A 2013/25), über die das VG noch nicht entschieden hat.

 

Hat der Antrag des A auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) Erfolg?

Aus didaktischen Gründen ist nach den Erfolgsaussichten des ursprünglichen Antrags und nicht der Beschwerde gefragt.
Den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsens vom 24. Juni 2025 (11 PA 105/25) gibt es kostenlos HIER in der Niedersächsischen Entscheidungsdatenbank.

#Aufbauschema: Prozesskostenhilfe, §§ 114, 117 ZPO

Im (Anwalts-)Gutachten bietet es sich an, mit der Prüfung des Hauptsacherechtsbehelfs zu beginnen. Bleibt dieser erfolglos, sollte gleichwohl im Gutachten kurz Erwähnung finden, dass im Hinblick auf die finanziellen Verhältnisse des Mandanten grds. ein PKH-Antrag in Betracht kommt, dieser aber mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs nicht zu stellen ist. Ein entspr. Hinweis auf die Möglichkeit von PKH kann auch in das Mandantenschreiben aufgenommen werden.

Hat der HS-Rechtsbehelf Erfolg, ist auch der PKH-Antrag gutachterlich zu prüfen.

I. Anwendbarkeit der § 114 ff. ZPO

II. Antrag und zuständiges Gericht (= Prozessgericht), 117 Abs. 1 S. 1 ZPO

III. Bedürftigkeit, 114 Abs. 1 ZPO

IV. Hinreichende Erfolgsaussicht, 114 Abs. 1 ZPO

V. Keine Mutwilligkeit, § 114 Abs. 1, 2 ZPO

Die Entscheidung

Das OVG stellte fest, dass der Kläger trotz seiner Einschränkungen prozessfähig sei und die Zwangsgeldfestsetzung rechtmäßig erfolgte. Das Zwangsgeld sei ein geeignetes Mittel, um den Kläger zur Einhaltung des Aufenthaltsverbots zu bewegen, und führe nicht automatisch zu einer Zwangshaft.

Damit bestätigte das OVG die Entscheidung des Verwaltungsgerichts: Die Prozesskostenhilfe wurde zu Recht versagt, da die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Der Beschluss des OVG ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Das Gericht folgte folgenden Erwägungen:

I.-III. Einer Anwendbarkeit der § 166 VwGO iVm. §§ 114 ff. ZPO steht nichts entgegen. Ein formgültiger Antrag des A beim zuständigen Gericht gem. § 166 VwGO iVm. § 117 Abs. 1 ZPO liegt zudem vor. Die Bedürftigkeit des A ist hinreichend glaubhaft gemacht.

IV. Die mit der PKH in der Hauptsache zu führende Anfechtungsklage müsste jedoch auch Aussicht auf Erfolg haben. Dies beurteilt sich anhand einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten vor dem Hintergrund des klägerseitigen Sachvortrags. Die Anfechtungsklage hat Aussicht auf Erfolg, soweit sie (1.) zulässig und (2.) begründet ist.

1. Die Anfechtungsklage müsste zulässig sein.

Problematisch könnte im Falle des geistig eingeschränkten, taubstummen Analphabeten A dessen Prozessfähigkeit sein.

#Definition: Prozessfähigkeit, § 62 VwGO / § 51 ZPO

Prozessfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit, innerhalb eines Gerichtsverfahrens Prozesshandlungen (z. B. Erklärungen abgeben, Anträge stellen, Rechtsmittel einlegen) selbst vornehmen zu können oder durch gesetzliche oder bestellte Vertreter vornehmen zu lassen. § 62 VwGO / § 51 ZPO geben hierfür den Maßstab vor und stellen u. a. (aber nicht nur!) auf die Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff., 2 BGB) ab.

Die Prozessfähigkeit ist abzugrenzen von der bürgerlich-rechtlichen Geschäftsfähigkeit einerseits und von den prozessualen Begriffen Postulationsfähigkeit, Parteifähigkeit, Verfahrensfähigkeit und Verhandlungsfähigkeit andererseits.

Gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO sind fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen die nach bürgerlichem Recht Geschäftsfähigen. Betrifft ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1825 BGB den Gegenstand des Verfahrens, so ist ein geschäftsfähiger Betreuter nur insoweit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig, als er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts ohne Einwilligung des Betreuers handeln kann oder durch Vorschriften des öffentlichen Rechts als handlungsfähig anerkannt ist (§ 62 Abs. 2 VwGO)“ (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 13).

Zwar befindet sich der A in einem Betreuungsverhältnis; ein Einwilligungsvorbehalt ist jedoch gerade nicht angeordnet.

Die Bestellung eines Betreuers nach §§ 1814 ff. BGB berührt die Geschäfts- und damit die Prozessfähigkeit des Betreuten grundsätzlich nicht; anderes gilt nur, wenn in der Person des Betreuten die Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB vorliegen, sich diese mithin in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und dieser Zustand nicht seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Für den Regelfall führt erst die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für die unter den Einwilligungsvorbehalt fallenden Angelegenheiten zu einer eingeschränkten Prozessfähigkeit nach näherer Maßgabe des § 62 Abs. 2 VwGO“ (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 15).

Anhaltspunkte dafür, dass sich der A in einem solchen die freie Willensbildung ausschließenden, nicht nur vorübergehenden Zustand krankhafter Störung befand, bestehen nicht.

a. Die Einschränkungen des A im Hinblick auf Alphabetismus oder das Hören und Sehen reichen insoweit nicht aus (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 16).

b. Zudem hat der Betreuer bisher auch nicht eine Ausschließlichkeitserklärung gem. § 62 Abs. 4 VwGO iVm. § 53 Abs. 2 ZPO abgegeben.

#Definition: Ausschließlichkeitserklärung, § 53 Abs. 2 ZPO

Nach § 53 Abs. 2 S. 1 ZPO kann, wenn ein Betreuter in einem Rechtsstreit durch einen Betreuer vertreten wird, der Betreuer in jeder Lage des Verfahrens gegenüber dem Prozessgericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären, dass der Rechtsstreit fortan ausschließlich durch ihn geführt wird.

Eine solche würde dazu führen, dass der Betreute für den weiteren Rechtsstreit einer nicht prozessfähigen Person gleichsteht (§ 53 Abs. 2 S. 2 ZPO) (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 17).

Der A ist somit prozessfähig.

Die Klage ist auch im Übrigen zulässig.

2. Die Anfechtungsklage müsste begründet sein.

Sie ist begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 VwGO.

a. Taugliche Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Zwangsgeldfestsetzungsbescheids vom 24. September 2024 sind die §§ 64 ff. NdsPOG (in NRW: §§ 64 ff. VwVG).

b. Der Bescheid müsste formell rechtmäßig sein.

Einzig fraglich erscheint, ob der Verwaltungsakt seinem geistig eingeschränkten Adressaten, dem A gegenüber, ordnungsgemäß bekannt gegeben wurde.

#Definition: Bekanntgabe VA, §§ 43, 41 VwVfG

Die Bekanntgabe ist die amtliche Eröffnung des Verwaltungsaktes, d. h. die Tatsache des Ergehens und des Inhalts des Verwaltungsaktes, sowie mit Wissen und Wollen der für den Erlass des Verwaltungsakts zuständigen Behörde.

Für den (physischen) Zugang gilt § 130 Abs. 1 BGB entsprechend. Folglich ist der Verwaltungsakt dann zugegangen, wenn er derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge unter normalen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat.

Eine wirksame Bekanntgabe gegenüber dem A setzt insb. dessen Handlungsfähigkeit iSd. § 12 VwVfG voraus. Demnach sind fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen natürliche Personen, die nach bürgerlichem Recht geschäftsfähig sind (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Es gilt im Ergebnis das zur Prozessfähigkeit Gesagte.

Der ohne Einwilligungsvorbehalt Betreute A war handlungsfähig.

Der Zwangsgeldfestsetzungsbescheid wurde ihm wirksam bekannt gegeben.

An der formellen Rechtmäßigkeit bestehen ansonsten keine Bedenken.

c. Der Bescheid müsste auch materiell rechtmäßig sein.

Gem. § 64 Abs. 1 NdsPOG kann ein Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat“ (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 23).

aa. Zunächst müssten die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen gewahrt worden sein. Es müsste ein vollstreckbarer Verwaltungsakt (Grundverfügung) vorliegen sowie das Zwangsgeld schriftlich angedroht worden sein.

Bei dem mit Bescheid vom 16. August 2024 verfügten Aufenthaltsverbot handelte es sich um eine vollziehbare und damit taugliche Grundverfügung; insb. stand die zeitliche Befristung der Unterlassungspflicht einer Vollstreckbarkeit nicht entgegen. Die Vollziehbarkeit ergibt sich aus der Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. Ziff. 2 des Bescheids (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 25).

bb. Das Zwangsgeld (vgl. für NRW § 60 VwVG NRW) wurde in diesem Bescheid in dessen Ziff. 3 auch ordnungsgemäß in hinreichend bestimmter Höhe i. H. v. 150 Euro angedroht (vgl. für NRW § 63 VwVG NRW) (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 26).

Rechtmäßigkeit des Grund-VA

Die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung ist nach ständiger Rechtsprechung wegen des Effektivitätsgrundsatzes bei der Gefahrenabwehr im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen.

Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen wurden gewahrt.

cc. Es war, bereits da die Androhung in Bestandskraft erwachsen ist, auch das geeignete und erforderliche Zwangsmittel (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 27).

dd. Zuletzt müssten die Voraussetzungen für die Zwangsgeldfestsetzung vorgelegen haben (vgl. in NRW: § 64 VwVG NRW).

(1) „Nach Lage der Akten hat der Kl. während der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbots vom 16.8.2024 wiederholt hiergegen verstoßen. Damit waren die Voraussetzungen für die Zwangsgeldfestsetzung gegeben. Im Zeitpunkt der Zwangsgeldfestsetzung mit Bescheid vom 24.9.2024 waren weitere Verstöße gegen das Aufenthaltsverbot vom 16.8.2024 möglich“ (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 28).

(2) Die Festsetzung müsste auch ermessensfehlerfrei erfolgt sein.

Ist, wie hier, ein Zwangsgeld wirksam angedroht und die aufgegebene Pflicht nicht erfüllt worden, ist im Regelfall das Zwangsgeld festzusetzen (sog. intendiertes Ermessen)“ (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 29).

Mit Blick auf die „geistigen Einschränkungen“ des A könnten jedoch vorliegend sachliche Gründe vorliegen, die es geboten hätten, das Zwangsgeld ausnahmsweise abweichend von der bestandskräftig gewordenen Androhung festzusetzen. Es könnte mithin bereits an der Geeignetheit des Zwangsmittels fehlen.

#Definition: Gebot der Geeignetheit, § 2 PolG NRW

Das Gebot der Geeignetheit verlangt den Einsatz solcher Mittel, mit deren Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Das benutzte Mittel muss nicht das bestmögliche oder geeignetste sein und nicht in jedem Einzelfall Wirkung entfalten, es genügt ein Beitrag zur Zielerreichung.

Der A trägt seinerseits vor, dass ein Zwangsgeld in seinem Einzelfall nicht geeignet sei, dafür Sorge zu tragen, dass A nicht mehr gegen das zu seinen Lasten verfügte Aufenthaltsverbot verstößt, da er infolge seines Analphabetismus und seiner Taubstummheit die Zusammenhänge zwischen einem Aufenthaltsverbot, einer Festsetzung von Zwangsgeldern als Sanktionsmaßnahme und weiteren möglichen Sanktionen nicht begreife.

Dem ist entgegen zu halten, dass der A, der ausweislich eines Polizeiberichts mit 450 EUR in verschiedener Stückelung und unter Umständen angetroffen wurde, die den Verdacht nahelegten, dass er das Geld durch unerlaubten Handel mit Marihuanaprodukten erlangt hatte, das Konzept von „Geld“ ungeachtet seiner Beeinträchtigungen verinnerlicht zu haben scheint. Zumindest zeigte er sich seinerzeit nicht einverstanden mit der vollzogenen Sicherstellung aus präventiven Gründen. Geld scheint dem A somit nicht gleichgültig zu sein, womit Geldsanktionen grds. geeignet erscheinen, ihre Zielrichtung zu erreichen (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 29).

Auch eine Verknüpfung des Zwangsgeldes mit dem Aufenthaltsverbot scheint – entgegen des Vortrags der Prozessbevollmächtigten des A – im Falle des A nicht ausgeschlossen: „Wie sich aus dem Bescheid vom 19.2.2025 betreffend die Verlängerung des Aufenthaltsverbots ergibt, verlässt der Kl. regelmäßig die Verbotszone, sobald er Polizeikräfte wahrnimmt. Dies spricht dafür, dass er ein Empfinden für das Verbot seines Aufenthalts in der Verbotszone entwickelt hat. Da ihm, wie ausgeführt, Geld nicht gleichgültig ist, ist davon auszugehen, dass die Zwangsgeldfestsetzung einen Beitrag zur Durchsetzung des Aufenthaltsverbots leisten kann. Zwar mag es sein, dass der Kl. bei einem Verstoß gegen das ihm erteilte Aufenthaltsverbot dessen Bedeutung noch unmittelbarer begreifen könnte, wenn dieses im Wege unmittelbaren Zwangs durchgesetzt würde. Dies schließt aber die Eignung der Zwangsgeldfestsetzung nicht aus. Wie ausgeführt, muss das benutzte Mittel nicht das bestmögliche oder geeignetste sein und auch nicht in jedem Einzelfall Wirkung entfalten“ (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 29).

(3) Zuletzt bleibt der beschwerdegegenständliche Einwand des A, die ihm auferlegte Zahlungsverpflichtung führe quasi zwangsläufig – automatisch – zu Zwangshaft. Dieser Einwand geht fehl: „Die Anordnung von Ersatzzwangshaft liegt im Ermessen der beantragenden Behörde und des beschließenden AG“ (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 32).

Die Voraussetzungen für die Zwangsgeldfestsetzung lagen somit vor.

Die Zwangsgeldfestsetzung war demnach auch materiell rechtmäßig.

ee. Der Zwangsgeldfestsetzungsbescheids vom 24. September 2024 war auch im Übrigen, insb. im Hinblick auf die Festsetzung von Verfahrenskosten i. H. v. 45 Euro voraussichtlich rechtmäßig; insb. war der A als einschlägiger Verhaltensstörer tauglicher Adressat einer solchen Festsetzung. Dass die Polizeipflichtigkeit insoweit nicht durch ein Betreuungsverhältnis erlischt ergibt sich bereits aus der Systematik des § 6 NdsPOG (vgl. in NRW: § 4 PolG NRW), welcher eine kumulative (keine alternative!) Adressatenfunktion des Betreuers vorsieht (vgl. OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 33 ff.).

Die Anfechtungsklage und damit der Hauptsacherechtsbehelf ist (vrstl.) unbegründet.

Die Voraussetzungen für einen PKH-Antrag gem. § 166 VwGO iVm. § 114 Abs. 1 VwGO liegen somit nicht vor. Eine Bewilligung scheidet aus.

Dogmatische Vertiefung

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Wer sind HLB Schumacher Hallermann?

HLB Schumacher Hallermann ist eine mittelständische Rechtsanwaltskanzlei, die von der steuerzentrierten Rechtsberatung kommt und sich nunmehr intensiv auch auf klassische Rechtsgebiete ausrichtet hat. Besonderes Merkmal: Konsequente Entwicklung spezieller und innovativer Beratungsfelder (Glücksspielbesteuerung, Glücksspielregulierung, eSport). Aus dem Herzen von Münster heraus beraten wir Mandanten persönlich und lösungsorientiert. Dabei ist uns eine offene und ehrliche Kommunikation gegenüber dem Mandanten wichtig.

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Beitragsautor:

Dr. Lennart Brüggemann

Dr. Lennart Brüggemann

HLB Schumacher Hallermann ist eine mittelständische Rechtsanwaltskanzlei, die sich intensiv auch auf klassische Rechtsgebiete ausrichtet hat. Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann, Partner bei HLB, betreut unter anderem das Projekt „Entscheidung des Monats“, bei dem regelmäßig unter seiner Supervision wissenschaftliche Mitarbeiter:innen oder Referendar:innen eine aktuelle Entscheidung analysieren und aufbereiten.

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