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Gerichtsbescheid, Urteil und die Frage, wer eigentlich entscheiden darf? (OVG Bremen, 2 LA 89/23)

By 26. Februar 2024No Comments
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#HierZucktDeinPrüfungsamt im Öffentlichen Recht in Kooperation mit RiVG Dr. David Stadermann

 

Moin zusammen,
heute empfehle ich euch einen interessanten Beschluss des OVG Bremen vom 22. September 2023 (2 LA 89/23) in dem es im um die – vor allem für mündliche Prüfung – wichtige Frage nach der Besetzung des Gerichts bei Entscheidungen und – damit korrespondierend – den verschiedenen Arten von Entscheidungen, die das Gericht treffen kann, geht.

JurCase informiert:

Der Beschluss des OVG Bremen vom 22.09.2023 (2 LA 89/23) ist bedauerlicherweise nicht frei zugänglich.

Was ist passiert?

Der Kläger wendet sich gegen Nebenbestimmungen in seiner Duldung.

Das VG hat die Klage (zunächst) durch einen in Kammerbesetzung erlassenen Gerichtsbescheid abgewiesen. In dem Schreiben, mit dem die Beteiligten zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheids angehört worden waren, wurde ihnen auch mitgeteilt, dass die Kammer eine Übertragung auf den Einzelrichter erwäge und hierzu Gelegenheit zur Äußerung bestehe. Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger fristgerecht mündliche Verhandlung beantragt. Daraufhin hat die Kammer den Rechtsstreit durch Beschluss auf den Einzelrichter übertragen. Dieser hat die Klage nach mündlicher Verhandlung mit Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat er Folgendes ausgeführt: Die Sache könne vom Einzelrichter entschieden werden. Die Übertragung sei auch noch nach dem Erlass eines Gerichtsbescheides in Kammerbesetzung möglich. Durch den Erlass des Gerichtsbescheides in Kammerbesetzung habe das Gericht nicht zu erkennen gegeben, dass es die Sache für zu schwierig oder zu bedeutsam hält, um sie auf den Einzelrichter zu übertragen. Dagegen spreche bereits, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheids und für eine Übertragung auf den Einzelrichter weitgehend identisch seien. Erneutes rechtliches Gehör zur Einzelrichterübertragung sei ebenfalls nicht geboten gewesen. Denn der Erlass des Gerichtsbescheides stelle keine wesentliche Änderung der Prozesslage dar. Die Klage sei im Übrigen auch unbegründet.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde vom OVG abgelehnt.

Worum geht es?

Im Kern um die – vor allem für mündliche Prüfung – wichtige Frage nach der Besetzung des Gerichts bei Entscheidungen und – damit korrespondierend – den verschiedenen Arten von Entscheidungen, die das Gericht treffen kann.

Warum solltest du diese Entscheidung bei der Vorbereitung berücksichtigen?

  1. Der Beschluss lädt dazu ein, die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten (Urteil, Beschluss und Gerichtsbescheid) im Verwaltungsprozess zu wiederholen und dabei insbesondere deren Voraussetzungen nachzuvollziehen.
  2. In prozessualer Hinsicht stellt sich die Frage, was das OVG insoweit eigentlich prüfen kann. Denn gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 VwGO sind Beschlüsse nach § 6 Abs. 1 bis 3 VwGO und damit auch die Einzelrichterübertragung unanfechtbar. Eine Ausnahme besteht dann, wenn die Verletzung von § 6 Abs. 1 bis 3 VwGO zugleich einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs oder gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter darstellt. Letzteres ist allerdings nur anzunehmen, wenn die Übertragung auf den Einzelrichter bzw. das Unterlassen der Rückübertragung auf die Kammer auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruhen.
  3. Dies konnte der Senat nicht erkennen. Er stellte im Ausgangspunkt fest, dass die Kammer bei der Einzelrichterübertragung über ein weites Ermessen verfügt, das im Sinne der Übertragung auf den Einzelrichter intendiert ist. Hier konnte sich das VG insbesondere auf prozessökonomische Gründe stützen, da der Kläger gegen den Gerichtsbescheid die mündliche Verhandlung beantragt hat. Die Aussicht, den Rechts-streit in einem rein schriftlichen Verfahren zu erledigen, war dadurch nicht mehr gege-ben. Das Anliegen, durch die Übertragung auf den Einzelrichter den Aufwand einer mündlichen Verhandlung vor drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richtern zu vermeiden, ist nach Sinn und Zweck von § 6 VwGO, der eine Entlastung der Gerichte und Beschleunigung der Verfahren bezweckt, keine willkürliche oder manipulative Ermessenserwägung.
  4. Allerdings hätte das VG den Kläger nach Erlass des Gerichtsbescheides vor der Einzelrichterübertragung erneut anhören müssen, da insoweit eine wesentliche Änderung der Prozesslage gegeben sei. Der Gehörsverstoß ist nach dem OVG jedoch dadurch geheilt worden, dass die Klägerseite dem Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung ihre Einwände gegen die Übertragung vortragen konnte, der Einzelrichter diese Ein-wände zur Kenntnis genommen, in ihrem Lichte im angefochtenen Urteil eine Rückübertragung auf die Kammer erwogen und sich schließlich dagegen entschieden hat.

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Beitragsautor:

Dr. David Stadermann

Dr. David Stadermann

Dr. David Stadermann ist Richter am Verwaltungsgericht in Hamburg und Lehrbeauftragter an der HAW. Auf LinkedIn gibt Dr. Stadermann in Bezug auf der Öffentliche Recht Hinweise auf höchst- bzw. obergerichtliche Rechtsprechung, aber auch sonstige Ereignisse, die aufgrund ihrer Aktualität gerne in mündlichen Prüfungen verarbeitet werden können. Die Reihe #HierZucktDeinPrüfungsamt in Kooperation mit Herrn Dr. Stadermann findest du auch bei JurCase!

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