Dein Spickzettel für die Aktenbearbeitung bei der Staatsanwaltschaft und für die Strafrechtsklausur im Zweiten Staatsexamen
Im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ausbildung des Referendariats lernen Referendar:innen, neben der Anfertigung eines (prozessualen) Gutachtens, auch verschiedene Abschlussverfügungen anzufertigen. Die wohl praktisch am häufigsten vorkommende und damit auch examensrelevanteste Abschlussverfügung ist die Anklageschrift. Deshalb wird bereits im Rahmen der Einzelausbildung auf die saubere Strukturierung der Anklageschrift wertgelegt.
Welche fünf Fehler hier immer wieder gemacht werden – und wie sie vermieden werden können, stelle ich dir im Rahmen dieses Beitrages vor.
Dabei ist es empfehlenswert, den Aufbau in allen Details noch einmal im Lehrbuch oder Skript nachzuschlagen! Achte hierbei auch auf Spezifitäten deines Bundeslandes: dein:e AG-Leiter:in wird dir hierzu weitere Tipps mit auf den Weg geben!
I. Rubrum
- Die anklagende Staatsanwaltschaft und das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft sind oben links anzugeben, Ort und Datum der Anklageerhebung rechts daneben.
Beispiel:
Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Essen Essen, den 18.08.2021
…Js…/…
- Unter das Aktenzeichen gehört der Adressat, also entweder das Amts- oder Landgericht.
1. Achtung, hier lauert bereits die erste Fehlerquelle!
Denn liegt ein Verbrechen vor, kann niemals die bzw. der Strafrichter:in zuständig sein; auch wenn diese:r generell eine Strafgewalt von bis zu zwei Jahren hat, ist diese:r nur für Vergehen zuständig.
Häufig wird auch die Zuständigkeit des Schwurgerichts verkannt, welches für Katalogtaten nach § 74 Abs. 2 GVG in Betracht zu ziehen ist, also sämtliche Verbrechenstatbestände mit Todesfolge.
- Zusammenfassend ergibt sich folgende Zuständigkeitsverteilung:
-
- Amtsgericht
– Strafrichter:in: Vergehen mit Straferwartung bis 2 Jahre; Privatklagedelikte
– Schöffengericht: Vergehen mit Straferwartung über 2 Jahre
-
- Landgericht
– Große Strafkammer: Vergehen und Verbrechen mit Straferwartung über 4 Jahre
– Schwurgericht Katalogtat nach § 74 Abs. 2 GVG
Soll Anklage zu einem der Jugendgerichte erhoben werden, ist wie im Erwachsenenverfahren über die Eröffnung vor der bzw. dem einzelnen Richter:in oder einem Kollegialgericht zu entscheiden (Jugendrichter:in, Vors. des Jugendschöffengericht oder Jugendkammer).
II. Anklagesatz
Die inhaltlichen Anforderungen des Anklagesatzes ergeben sich aus § 200 StPO iVm Nr. 110 Abs. 2 c RiStBV.
- Eingeleitet wird der Anklagesatz mit den Worten … „wird angeklagt, …“.
- Im Weiteren folgen Angabe von Tatzeit und Tatort (am 12. Juni in Essen).
- Anschließend ist die Anzahl der jeweils selbstständigen Handlungen einer oder eines Angeschuldigten oder mehrerer Angeschuldigter zu nennen (der Angeschuldigte J … durch drei selbstständige Handlungen, der Angeschuldigte R … durch zwei selbstständige Handlungen).
2. Fehlerquelle!
Viele Referendar:innen vergessen, dass die oder der im Gutachten zu benennende Beschuldigte nunmehr in der Anklageschrift als Angeschuldigte:r zu bezeichnen ist! Auch wenn die Zeitnot in strafrechtlichen Klausuren sehr groß ist, solltest du mit den Bezeichnungen nicht durcheinander geraten.
- Im anschließenden Abstraktum, also der Benennung der gesetzlichen Merkmale der Tat, sind die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale zu nennen, woran sich auch schon eine weitere Fehlerquelle anschließt:
3. Fehlerquelle!
Gerade bei Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen sind die Schuldformen mitzuteilen! Vor allem die Straßenverkehrsdelikte nach §§ 315 ff. StGB bergen eine besondere Fehlerquelle, denn sie bieten bezüglich Tathandlung und Taterfolg verschiedene Kombinationsmöglichkeiten beider Schuldformen.
Zum Beispiel:
„…. vorsätzlich im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt zu haben, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen und dadurch fahrlässig den Leib eines anderen Menschen…“
- Zu den gesetzlichen Merkmalen gehören nicht nur die Tatbestandsmerkmale, sondern auch die Täterschafts – und Teilnahmeformen und der Versuch („gemeinschaftlich“, „durch eine:n andere:n“, „versucht zu haben“, etc.);Handelt die oder der Täter:in durch Unterlassen, ist dies im Abstraktum ebenfalls mit aufzuführen.
- Verwirklicht ein:e Angeschuldigte:r mehrere Straftatbestände, sind auch diese mit anzuführen. In Tateinheit begangene Delikte können dann wie folgt ausformuliert werden:
… durch dieselbe Handlung
a. mit Gewalt gegen eine Person eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen und
b. vorsätzlich einen anderen Menschen körperlich misshandelt zu haben…
Die Konkretisierung ist mit einer Einleitung zu beginnen (Dem Angeschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt:);
Die Sachverhaltsschilderung erfolgt grundsätzlich im Imperfekt.
4. Fehlerquelle!
Achtung: Knackpunkt der Konkretisierung ist es, die im Abstraktum genannten objektiven und subjektiven Merkmale mit Sachverhalt zu füllen! Auch im Rahmen der Konkretisierung werden gerade die subjektiven Tatbestandsmerkmale vergessen.
- Zur Tatangabe gehören u.a. die Angabe des Wertes der Beute, die Höhe des Schadens und die Folgen für die oder den Verletzte:n der Tat; es ist auch für das Verständnis der Leserin bzw. des Lesers unerlässlich, die Nutzung von etwaigen Tatwaffen und Kausalzusammenhänge zu benennen.
- Auch wenn die Tat in Mittäterschaft verwirklicht wurde, muss dies im Konkretum verdeutlicht werden („…durch bewusstes und gewolltes Zusammenwirken…“).
III. Anzuwendende Strafgesetze
- Die Deliktsnatur ist voranzustellen (Verbrechen oder Vergehen).
- Anschließend sind die Straftatbestände in aufsteigender Reihenfolge zu benennen, also auch der Absatz, Satz, Variante, Nummer und ggf. Buchstabe.
- Danach sind die Vorschriften des Allgemeinen Teils zu nennen, also Täterschafts – und Teilnehmerformen (§§ 25 ff. StGB).
- Die Konkurrenzvorschriften folgen abschließend (§§ 52, 53 StGB).
- Nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils folgen die strafrechtlichen Nebengesetze, welche vor allem im Zusammenhang mit Verkehrsdelikten auftauchen, u.a. §§ 69, 69a StGB.
5. Fehlerquelle!
Naturgemäß ist beim Runterschreiben der Anklageschrift die Schreibzeit bereits so gut wie abgelaufen! Dabei übersehen viele Referendar:innen, dass über die in der Tat verwendeten und/ oder erlangten Gegenstände nach den § 73, 74 ff. StGB zu entscheiden ist, gerade diese „Kleinigkeiten“ entscheiden jedoch über ganze Notensprünge.
- Dabei genügt meist ein Satz, um der bzw. dem Korrektor:in zu verdeutlichen, dass du z.B. das vom Täter verwendete Messer nicht vergessen hast:
- „Das von dem Angeschuldigten … bei der Tat verwendete Messer unterliegt der Einziehung, § 74 Abs. 1 StGB“.
IV. Beweismittel
Die Auflistung der Beweismittel birgt keine großen Schwierigkeiten. Anzuführen sind diese in folgender Reihenfolge:
- Einlassung der bzw. des Angeschuldigten
- Zeug:innen
- Sachverständige
- Urkunden
- Augenschein
JurCase informiert:
Wenn du das Gefühlt hast, dass dir die Zeit davonrennt, dann kürze das Gutachten ggf. ab und widme dich dem praktischen Aufgabenteil, sprich dem prozessualen Gutachten, der Abschlussverfügung, und der Anklageschrift. Dass du ein Gutachten schreiben kannst, wissen die Korrektoren bereits. Im Zweiten Staatsexamen kommt es vielmehr darauf an, praxisorientiert zu arbeiten!
Um bei den teilweise sehr umfangreichen und detailreichen Aktenauszügen nicht den Überblick zu verlieren, ist es empfehlenswert, verschiedene Notizzettel anzulegen, sprich jeweils einen für das prozessuale Gutachten, für die Abschlussverfügung und die Anklageschrift, und dir parallel zur Bearbeitung des Aktenauszuges immer wieder Notizen zu machen.
Dies erfordert zwar Übung, hilft dir aber, den Überblick nicht zu verlieren.
Fazit
Übung macht den Meister! Schreib so viele Klausuren wie es geht. Es mag dir am Anfang zwar mühsam erscheinen, es wird sich allerdings lohnen! In diesem Sinne wünsche ich dir viel Erfolg für das Zweite Staatsexamen.