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Der zivilrechtliche Aktenvortrag im Assessorexamen (Teil I)

By 7. Juni 2022Oktober 11th, 2023No Comments
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Der Aktenvortrag – die letzte große Hürde

Eine der letzten großen Herausforderungen in der juristischen Ausbildung stellt der Aktenvortrag zu Beginn der mündlichen Examensprüfung dar. Dieser kann je nach Bundesland einen erheblichen Anteil deiner Examensgesamtnote ausmachen. Mit einem hervorragenden Aktenvortrag kannst du also nicht nur deine Examensnote enorm auswerten, sondern auch gleich zu Beginn der mündlichen Prüfung einen guten Eindruck bei den Prüferinnen und Prüfern hinterlassen, sodass der weitere Prüfungsverlauf hiervon profitiert. Im Folgenden möchte ich dir die wichtigsten Grundlagen rund um den zivilrechtlichen Aktenvortrag näherbringen und dir Tipps geben, wie du mit dem Aktenvortag richtig punkten kannst. Ich hoffe, ich kann dir dadurch die Angst vor dem Aktenvortag nehmen und dich ermutigen, diesen als großartige Chance wahrzunehmen.

Die kontinuierliche Vorbereitung ist das A und O

Häufig kommen die Referendarinnen und Referendare erstmals nach den schriftlichen Examensprüfungen während der Wahlstation mit dem Aktenvortrag in Berührung, da sie sich verständlicherweise zunächst auf die Klausuren fokussieren. Ratsam ist dies allerdings nicht, denn auf den Aktenvortrag kannst du dich vor allem langfristig sehr gut vorbereiten. Ich empfehle dir daher, dich möglichst früh mit der Struktur des Vortrags vertraut zu machen und kontinuierlich Übungsvorträge zu bearbeiten. Dann wirst du höchstwahrscheinlich sämtliche relevante Aufgabenstellungen kennenlernen und in der Prüfung nicht mit völlig unbekannten Aufgaben konfrontiert.

In manchen Bundesländern gehört das Halten von Aktenvorträgen über alle Stationen hinweg zu den Pflichtleistungen. Falls dies in deinem Bundesland nicht der Fall ist, solltest du jede Möglichkeit nutzen, um Aktenvorträge zu üben. Frage deine AG-Leiter:innen, ob es möglich ist, einen Aktenvortrag vorzubereiten und den AG-Teilnehmenden vorzustellen oder wende dich alternativ an deine Einzelausbilder:innen. Außerdem kannst du mithilfe zahlreicher kostenlos zugänglicher Aktenvorträge im Internet oder in Ausbildungszeitschriften problemlos Aktenvorträge allein oder mit deiner Lerngruppe üben. Letzteres bietet den Vorteil, dass du zugleich ein konstruktives Feedback zu deiner Vortragsweise erhältst.

Wichtig ist zudem, dass du Aktenvorträge möglichst unter Examensbedingungen übst. Halte die vorgeschriebene Vorbereitungs- und Vortragszeit möglichst ein und verwende nur die zugelassenen Hilfsmittel. Dies wird dir womöglich am Anfang schwer fallen. Lass dich hiervon aber nicht demotivieren. Du wirst merken, es wird mit der Zeit immer besser.

JurCase informiert:

Erkundige dich frühzeitig, welche Regelungen für den Aktenvortrag in deinem Bundesland gelten. Insbesondere die Vorbereitungszeit (zwischen 60 und 90 Minuten) und die Vortragszeit (10 bis 12 Minuten) variieren stark von Bundesland zu Bundesland.  Zudem ist nicht einheitlich geregelt, aus welchem Rechtsgebiet der Aktenvortrag entstammt. Teilweise richtet sich dies nach dem gewählten Schwerpunktbereich, teilweise kann die bzw. der Kandidat:in frei entscheiden. In anderen Bundesländern wird wiederum das Rechtsgebiet vom Justizprüfungsamt ausgewählt und dem Prüfling in der Ladung mitgeteilt. In vielen Bundesländern ist es zudem üblich, dass dem Vortrag ein ca. 5- minütiges Gespräch folgt, in dem die Prüfer:innen Nachfragen zum Vortrag stellen können.

Mögliche Aufgabenstellungen im Aktenvortrag

Zivilrechtliche Aktenauszüge können aus zwei verschiedenen Perspektiven zu beurteilen sein, entweder aus richterlicher oder anwaltlicher Sicht. Die konkrete Aufgabenstellung kannst du dem Bearbeitervermerk entnehmen.

Folgende Entscheidungen aus richterlicher Sicht können Gegenstand sein:

  • Urteilsvorschlag (wird am häufigsten verlangt)
  • Beschlussvorschlag nach § 91 a ZPO
  • Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz (z.B. Erlass einer einstweiligen Verfügung)
  • Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
  • Entscheidungsentwürfe im Zwangsvollstreckungsrecht (sehr beliebt, da hier eine große Bandbreite an Rechtsbehelfen existiert)
  • Beweisbeschluss (eher untypisch, aber nicht ausgeschlossen)

Aktenvorträge aus anwaltlicher Sicht können folgende Beratungsperspektiven oder Prozesssituationen beinhalten:

  • Beratung der/des Anspruchstellerin/Anspruchstellers bzw. der/des (potenziellen) Klägerin/Klägers
  • Beratung des Anspruchsgegners bzw. der/des Beklagten
  • Einlegung eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs (Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung, sofortige Beschwerde oder Berufung, vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe)
  • Prüfung der Erfolgsaussichten eines bereits von der Mandantin bzw. vom Mandanten eingelegten Rechtsbehelfs/ Rechtsmittels gegen eine gerichtliche Entscheidung
  • Vorgehen nach einer Erledigungserklärung der/des Klägerin/Klägers

Allgemeine Vortragsstruktur

Der Aktenvortrag folgt – unabhängig vom Rechtsgebiet – immer der gleichen Struktur, von der die/der Referendar:in nie abweichen sollte.

1. Einleitung

Die Einleitung muss kurz und knapp (maximal eine Minute) die wichtigsten Informationen liefern, sodass die/der Zuhörer:in sofort die beteiligten Personen, den Streitgegenstand, den Entscheidungszeitpunkt und die prozessuale Situation bzw. das Verfahrensstadium erfassen kann.

Beispiel für richterliche Vorträge:

„Ich berichte über einen Rechtsstreit, der im Jahr 2022 am Amtsgericht/Landgericht Erfurt anhängig war. Der Kläger ist Herr K aus Gera. Die Beklagte ist die B- GmbH mit Sitz in Erfurt, vertreten durch die Geschäftsführerin G. Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Werkvertrag.“

Beispiel für anwaltliche Vorträge:

„Ich berichte über eine anwaltliche Beratung der Rechtsanwältin A aus dem Jahr 2022. Die Mandantin ist Frau B aus Erfurt. Sie ist Beklagte in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Erfurt. Der Kläger ist Herr K aus Gera, der von der Mandantin Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall verlangt. Die Mandantin begehrt die Überprüfung der Erfolgsaussichten einer Verteidigung gegen die Klage.“

2. Sachbericht

Im Sachbericht soll der Sachverhalt vereinfacht, knapp und logisch angeordnet dargestellt werden. Er sollte nicht mehr als 1/3 der Vortragszeit beanspruchen. Das Wichtigste ist hierbei, dass der Streitgegenstand den Zuhörenden verständlich dargelegt wird, weshalb ich dir davon abrate, zu viele Informationen und sämtliche Details zu berichten. Der Großteil der Zuhörenden wird beim einmaligen Anhören nicht in der Lage sein, unzählige Einzelheiten, Zahlen und Namen zu behalten. Daher sollte auf die Nennung genauer Datumsangaben verzichtet werden, es sei denn, dies ist zur Berechnung etwaiger Fristen erforderlich. Zur zeitlichen Einordnung von Ereignissen ist es ratsamer, pauschale Formulierungen zu verwenden, wie beispielsweise „eine Woche nach Zustellung der Klageschrift…“, „zwei Wochen später …“ oder „daraufhin…“. Weiterhin sollten Personen, die nicht Partei des Rechtsstreits sind, in ihrer Funktion/ ihrem Verhältnis zur Partei bezeichnet werden (z.B. „der Eigentümer“, „der Ehemann der Klägerin“), anstatt bei ihrem Namen.

Um von der Einleitung in den Sachbericht überzuleiten, empfehle ich dir immer den Standardsatz:
„Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde.“

Der Sachbericht bei einer richterlichen Entscheidung folgt dem Aufbau eines Urteilstatbestandes. Zunächst wird der unstreitige Sachverhalt chronologisch wiedergegeben. Im Anschluss folgt der streitige Tatsachenvortrag der Klägerin bzw. des Klägers. Um dies unmissverständlich deutlich zu machen, solltest du auch im Vortrag auf die korrekte Wortwahl und die Verwendung des Konjunktivs I achten (Bsp.: „Der Kläger behauptet, er habe…“). Rechtsansichten sollten nur wiedergegeben werden, wenn ausschließlich über Rechtsfragen gestritten wird. Im Anschluss werden die zuletzt gestellten Anträge der Klägerin bzw. des Klägers und der/des Beklagten wörtlich wiedergegeben. Danach folgt der streitige Tatsachenvortrag der/des Beklagten. Falls eine Beweisaufnahme stattgefunden hat, solltest du den folgenden Standardsatz am Ende des Sachberichts einfügen:

„Das Gericht hat Beweis durch die Vernehmung des Zeugen X erhoben. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme komme ich in der rechtlichen Würdigung zurück.“

Der Sachbericht bei einem Vortrag aus anwaltlicher Perspektive beginnt mit der kurzen Zusammenfassung des Mandantenbegehrens, falls dies nicht bereits in der Einleitung erfolgt ist. Bei Aktenvorträgen aus Sicht des Klägervertreters solltest du den Sachverhalt in chronologischer Abfolge vortragen. Soweit aus der Erzählung der Mandantin bzw. des Mandanten nicht hervorgeht, dass gewisse Tatsachen vom Gegner bestritten werden, solltest du diese als unstreitigen Sachverhalt betrachten, was in der Regel auch im Bearbeitervermerk steht. Falls der Gegner bereits gegenteilige Behauptungen vorgebracht hat, kannst du dies direkt an der Stelle erwähnen, an der du die Sichtweise der Mandantin bzw. des Mandanten schilderst.

Bei Aktenvorträgen aus Sicht des Beklagtenvertreters bietet sich die Sachverhaltsdarstellung wie bei einer gerichtlichen Entscheidung an, da durch den Mandantenvortrag feststeht, welche Tatsachen bestritten werden bzw. inwieweit die Tatsachenschilderungen der Klägerin bzw. des Klägers zutreffen. Beachte, dass lediglich der Antrag der Klägerin bzw. des Klägers wiedergegeben wird, da der Antrag der/des Beklagten erst am Ende des Aktenvortrags ausformuliert wird.

JurCase informiert:

Hier geht es zu Teil II, in diesem geht es um: Tipps und Tricks zum Kurzvorschlag, zur rechtlichen Würdigung, zum ausformulierten Entscheidungsvorschlag und um typische Fehler zu vermeiden.

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Beitragsautor:

Kassandra Forst

Kassandra Forst

Kassandra ist Diplom-Juristin und seit kurzem Rechtsassessorin. Ihr Referendariat absolvierte sie in Thüringen und wird hierüber in Erfahrungsberichten erzählen. Außerdem wird sie die #Gewusst-Reihe mit Beiträgen zu examensrelevanter, aktueller Rechtsprechung sowie zum materiellen und formellen Recht in Assessorklausuren unterstützen.

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