Der staatsanwaltschaftliche Sitzungsdienst im Referendariat
Leitfaden und Tipps für den ersten staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienst im Referendariat
Wer sich auf die Staatsanwaltsstation vorbereitet, hört von allen Seiten Gerüchte über den abzuleistenden Sitzungsdienst. Der folgende Erfahrungsbericht soll einen kurzen Einblick über die Anforderungen des Sitzungsdienstes sowie Tipps und Tricks zur erfolgreichen Ableistung geben.
In Schleswig-Holstein ist die Staatsanwaltsstation die erste Station im Referendariat. Ich hatte mich zwar vor dem Referendariat bereits anhand von Büchern und Erfahrungsberichten von Freunden vorzubereiten versucht, trotzdem war ich von den veränderten Anforderungen zunächst überwältigt. Nach zwei Wochen Einführung wurde der Welpenschutz dann auch bereits endgültig beendet und wir wurden umschichtig für Sitzungsdienste an den umliegenden Amtsgerichten eingeteilt. Gefühlt waren wir somit also zum Abschuss freigegeben…
Vorbereitung in der Arbeitsgemeinschaft: Lasse dich von Horrorstories nicht abschrecken!
In der Pflichtarbeitsgemeinschaft wird eine Einheit der Vorbereitung auf den Sitzungsdienst gewidmet. In meiner AG wurde hierbei der generelle Ablauf einer Sitzung von A-Z durchgegangen. In der Restzeit erzählte der AG-Leiter aus seinem eigenen Erfahrungsschatz darüber, was in einer Sitzung so alles schiefgehen kann. Dies sollte uns wohl beruhigen, sorgte aber eher dafür, dass wir einander nach diesen ganzen Horrorstories mit merklich grünen Gesichtern beklommen anstarrten. Kurzum: Keiner hat wohl wirklich fröhlich und zuversichtlich auf den ersten Sitzungsdienst geblickt. Und egal, wen man fragte, es wurden zunächst Horrorszenarien episch ausgebreitet, um dann mit den Worten „…aber das wird dir alles nicht passieren, keine Sorge, du wirst bald gar nicht mehr genug vom Sitzungsdienst bekommen!“ zu enden.
Und je öfter ich das hörte, desto weniger glaubte ich das…
Bereite die Sitzungen anhand der Handakten sorgfältig vor
Auch wenn jede Sitzung anders ablaufen kann, sollte die Vorbereitung möglichst routiniert und gleich ablaufen. Bei mir ist der jeweilige Sitzungsplan immer Freitagsmittags für die übernächste Woche abrufbar. In diesem Plan ist genau ersichtlich wer wann welche konkreten Fälle vor welchem Amtsgericht inkl. Richter zu verhandeln hat. Am Mittwoch darauf sind die dazugehörigen Handakten sowie die nötige Robe abholbar. Der Zustand der Leihroben ist – gelinde gesagt – gewöhnungsbedürftig. Außer diversen Rissen und Löchern, und dem obligatorischen Müffeln sind natürlich auch zu wenige in den verbreitetsten Größen vorhanden. Daher werden regelmäßig die Roben untereinander „weitergedealt“, wenn die begehrte Größe 36 ausnahmsweise erhascht werden konnte.
Doch zurück zur Vorbereitung: Die Handakten selbst sollte man für sich sorgfältig lesen und bearbeiten. In Bezug auf die richtige Technik der Sitzungsvorbereitung ist der Theiß – Vorbereitung auf den staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienst sehr zu empfehlen. Insbesondere die Sitzungsrenner am Ende haben mir für die erste Sitzung sehr weitergeholfen.
Mit der sorgfältig vorbereiteten Akte sollte dann das Gespräch mit dem Einzelausbilder gesucht werden. In diesem sind vor allem mögliche Probleme zu besprechen, die sich aus der Akte ergeben. Basiert die Anklage zum Beispiel lediglich auf Zeugenbeweisen, sollte geklärt werden, wie das Vorgehen bei Ausbleiben des Zeugen ist (denn das kommt öfter vor, als man denkt).
Generell sollte immer besprochen werden, wie bei Ausbleiben des Angeklagten, der Zeugen oder Einstellungsverlangen von Seiten des Richters oder Verteidigers vorgegangen werden soll. Hierdurch vermeidet man es, in der Sitzung überrascht zu werden und dann hektisch mit der Staatsanwaltschaft telefonieren zu müssen. Denn in den meisten Fällen ist genau dann niemand greifbar und die Verhandlung verzögert sich unnötig (und der erkennende Richter wird pro Minute ungnädiger).
Zuletzt sollte auch die im Plädoyer zu beantragende Strafe sowie etwaige Nebenanträge vorbesprochen werden. Vor der ersten Sitzung durfte ich meiner Ausbilderin mein Musterplädoyer für den Fall vortragen, das sie dann nochmal aus praktischer Sicht korrigiert hat.
Der Ablauf der ersten Sitzung oder auch „Egal, was passiert, ich stelle anheim!“
Am Tag der Sitzung solltest du ca. eine Viertelstunde vorher bei Gericht eintreffen. Schau dir vorher nötigenfalls die Strecke und evtl. Verkehrsverzögerungen an und plane die nötige Reisezeit sorgfältig ein. Nichts ist peinlicher, als ein zu später Staatsanwalt – naja, außer vielleicht noch, die Robe oder Krawatte zu vergessen, also packe auch die vorher ein. Sobald die Protokollkraft den Saal betritt, darfst auch du eintreten. Ich war mir bei der ersten Sitzung bzgl. der Sitzordnung noch etwas unsicher, mir hat die Protokollkraft aber sehr freundlich weitergeholfen. Überhaupt kann ich in meinen Sitzungen bislang auf freundliche Richter, Verteidiger und Protokollkräfte zurückblicken. Sobald der Richter eintritt, solltest du diesen begrüßen und ihm mitteilen, dass es deine erste Sitzung ist. Sobald du dies anmerkst, werden alle im Gerichtssaal auch gleich merklich rücksichtsvoller.
Sobald der Richter mit dem Abgleich der Personalien fertig ist, kommt dein erster großer Auftritt: Die Verlesung der Anklageschrift. Ich habe bei der ersten Verlesung noch (stark) gezittert. Als Trick habe ich aber die Hände auf dem Tisch liegenlassen, sodass dieser mir Halt geben konnte. Darauf zu achten, statt „Angeschuldigter“ „Angeklagter“ vorzulesen, ist beim ersten Mal noch schwer. Als Hilfestellung kann man sich dies z,B, mit Bleistift in die Anklageschrift schreiben. Sich hierbei zu verlesen ist aber kein Beinbruch.
Bei den jeweiligen Vernehmungen ist aufmerksames Zuhören und Notieren angesagt, damit man für das Plädoyer relevante Tatsachen nicht vergisst. In der ersten Sitzung wird man meist keine großen zusätzlichen Fragen haben, auch das kommt aber mit der Zeit. Sollte man bei Beweis- oder allen anderen Anträgen nicht weiterwissen, gibt es immer noch die magischen Worte „Ich stelle anheim“.
Sobald der Richter die Beweisaufnahme schließt und man erwartungsvoll angeschaut wird, beginnt das große Finale: Das Plädoyer. Entweder hat sich die Anklageschrift vollumfänglich als erwiesen herausgestellt und man kann das vorgeschriebene Plädoyer verwenden – Jackpot! Ansonsten sollte man um eine kurze Unterbrechung bitten, um die Änderungen im Beratungszimmer in Ruhe einzupflegen und ggf. den Strafrahmen anzupassen. Für das Plädoyer muss man wiederum aufstehen, bei Nervosität kann man wieder die Hände auf dem Tisch platzieren. Wenn man dies geschickt anstellt, kann man hierbei auch seine Notizen einsehen, ohne, dass man abliest. Sobald der Angeklagte das letzte Wort erhalten hat, zieht sich der Richter zur Beratung zurück. Für die Verlesung des Urteilstenors durch den Richter ist wiederum aufzustehen, der Tenor sollte auch simultan mitnotiert werden. In der ersten Verhandlung hatte ich aufgrund der Schnelligkeit nicht alles mitnotieren können, hatte dann aber die Protokollkraft nach der Sitzung noch einmal um Einblick in das Protokoll gebeten.
Jetzt gilt es einmal Durchzuatmen: Die erste Sitzung ist überstanden!
Die Nachbereitung der Sitzung
Zur Nachbereitung der Sitzung trägst du zunächst auf den hinteren Aktendeckel die von dir gestellten Anträge sowie die Bescheidung durch den Richter ein. Denke bei Gesamtstrafen auch daran, die jeweiligen Einzelstrafen mit aufzunehmen und vergiss auch die Nebenanträge, z.B. Fahrerlaubnisentzug, nicht. Nach der Sitzung besprichst du diese mit deinem Ausbilder noch kurz nach. Dieser zeichnet auch die Handakte für dich ab und bringt sie in den Umlauf. Vergiss zuletzt nicht, deine Robe, deinen Stundenzettel und ggf. Reisekostenabrechnungen in der Verwaltung abzugeben.
Meine eigene kleine Horrorstory
Zuletzt möchte ich dir meine eigene kleine Horrorstory über den ersten Sitzungsdienst natürlich nicht vorenthalten:
Da ich eine auswärtige Sitzung hatte, wollte ich besonders penibel sein, und verbrachte meine Robe direkt nach Abholung bereits in mein Auto, um sie ja nicht zu vergessen. Was ich leider nicht bedacht hatte, war mein neu eingesetzter Auto-Lufterfrischer mit der Duftrichtung „Tropical Fruits“. Als ich in meiner ersten Sitzung also mit Schnappatmung und unter Schweißausbrüchen die Anklageschrift verlesen und mich wieder gesetzt hatte (und die erste Anspannung abfiel), wunderte ich mich geschlagene fünf Minuten darüber, dass es im Gerichtssaal irgendwie komisch roch. Ich hatte an diesem Sitzungstag fünf direkt aufeinanderfolgende Sitzungen vor derselben Richterin in demselben Saal und verbreitete die komplette Zeit lang einen dezent penetranten Schwall „Tropical Fruits“ im Gerichtssaal.
Fazit
Auch, wenn ich jetzt in den Chor einfalle: Du musst wirklich keine Angst vor dem Sitzungsdienst haben. Bereite dich sorgfältig auf die jeweilige Sitzung vor, spiele die möglichen Szenarien mit deiner Ausbilderin kurz durch und bleib vor allem ruhig. Dann überstehst du deine erste Sitzung mit Bravour. Und auch wenn du danach eine eigene Horrorstory zu erzählen hast, kannst du in der Rückschau ganz schnell darüber lachen.
Aber keine Sorge, du wirst bestimmt keinen Horrorszenarien begegnen und du wirst bald gar nicht mehr genug vom Sitzungsdienst bekommen! 😉
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