
Heute mit den Entscheidungen des BGH vom 01.07.2025 (Az.: VI ZB 59/24) und vom 12.08.2025 (Az.: 5 StR 688/24) sowie des BVerfG vom 09.07.2025 (Az.: 1 BvR 975/25).
Aktuelle Rechtsprechung begleitet dich durch Studium, Referendariat und juristische Praxis – sie ist der Schlüssel zum juristischen Durchblick. Wer weiß, wie Gerichte entscheiden, kann Gesetzesnormen sicher anwenden, rechtliche Zusammenhänge besser einordnen und überzeugend argumentieren. Mit JurCase bleibst du monatlich auf dem Laufenden über relevante Rechtsprechung aus Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht. Schon #GEWUSST?
Die Reihe Aktuelle Rechtsprechung KOMPAKT wird von unserem Redaktionsleiter, Rechtsassessor Sebastian M. Klingenberg, für dich zusammengestellt.
In der heutigen Ausgabe geht es konkret um
- einen Beschluss des BGH vom 01.07.2025 (Az.: VI ZB 59/24) zur Frage, ob eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen ist, wenn das Fristversäumnis auf einen mangelhaften Verlängerungsantrag zurückgeht.
- einen Beschluss des BGH vom 12.08.2025 (Az.: 5 StR 688/24) zur Frage, ob der tödliche Unfall einer fliehenden Person eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf darstellt und daher als Mord zu werten ist.
- einen Beschluss des BVerfG vom 09.07.2025 (Az.: 1 BvR 975/25) zur Frage, ob die Polizei das Handy einer Autofahrerin beschlagnahmen darf, wenn diese eine Kontrolle parallel zur Bodycam-Aufzeichnung aufzeichnet.
BGH mit Beschluss vom 01.07.2025 (Az.: VI ZB 59/24) zur Wiedereinsetzung bei Fristversäumung
Worum geht es?
Der BGH (Beschl. v. 01.07.2025 – VI ZB 59/24) hat entschieden, dass eine Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO abzulehnen ist, wenn das Fristversäumnis darauf zurückgeht, dass der Prozessbevollmächtigte irrtümlich auf die Gewährung einer weiteren Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vertraute. Im konkreten Fall hatte das OLG zunächst eine Fristverlängerung gewährt (u. a. wegen Anwaltsurlaub und noch anhängiger Tatbestands-/Protokollberichtigungsanträge), einen späteren Folgeantrag, der allein mit der Anhängigkeit dieser Berichtigungsanträge begründet wurde, allerdings abgelehnt. Die verspätete Berufungsbegründung kam zu spät; der BGH bestätigte, dass bloß anhängige Berichtigungsanträge keinen „erheblichen Grund“ i.S. von § 520 Abs. 2 ZPO liefern und das anwaltliche Verschulden der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?
a) Ausnahmecharakter der Fristverlängerung (§ 520 Abs. 2 ZPO)
Die Entscheidung betont, dass eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ohne Einwilligung der Gegenseite nur in Ausnahmefällen aus „erheblichen Gründen“ gewährt wird. Rein prozessual hängige Berichtigungsanträge sind regelmäßig kein solcher Ausnahmegrund.
b) Keine Vertrauensgrundlage in bloß anhängige Berichtigungsanträge
Aus der bloßen Tatsache, dass Tatbestands- oder Protokollberichtigungsanträge anhängig sind, lässt sich kein verlässliches Vertrauen auf eine weitere Fristverlängerung ableiten. Das Gericht kann diese Gründe als untauglich einstufen.
c) Zurechnung anwaltlichen Fehlverhaltens (§ 85 Abs. 2 ZPO)
Versäumt der Prozessbevollmächtigte die Frist schuldhaft, ist dieses Verhalten der Partei zuzurechnen. Wer sich auf das Verhalten oder Entscheiden des Gerichts verlässt, trägt das Risiko, wenn diese Erwartung nicht sachlich gedeckt war.
d) Praktische Folgen für Fristmanagement
Die Entscheidung verlangt strikte Fristdisziplin: Anträge zur Fristverlängerung müssen substanziiert begründet werden; Verlass auf eine erneute Gewährung ist riskant. Prozessbevollmächtigte müssen alternative Maßnahmen (z.B. frühere Antragstellung, Vertretungsregelungen, persönliche Rückkehrplanung) bedenken.
e) Prüfungs- und Klausurrelevanz
Der Fall eignet sich exemplarisch zur Verknüpfung der Vorschriften § 520 Abs. 2, § 233 ZPO und § 85 Abs. 2 ZPO: Thema ist die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung, die Bedeutung „erheblicher Gründe“ und die Folgen anwaltlicher Sorgfaltspflicht bzw. Vertretungszurechnung.
JurCase informiert:
Den Beschluss des BGH vom 01.07.2025 (Az.: VI ZB 59/24) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.
BGH mit Beschluss vom 12.08.2025 (Az.: 5 StR 688/24) zur Wertung eines tödlichen Unfalls als Mord
Worum geht es?
Der BGH (Beschl. v. 12.08.2025 – 5 StR 688/24) hat den Schuldspruch des LG Flensburg geändert und aus einem versuchten Mord mit Körperverletzung mit Todesfolge einen vollendeten Mord gemacht. Der Angeklagte hatte seine Ehefrau mit mindestens 40 Messerstichen attackiert, woraufhin sie in Panik auf die Autobahn floh und dort von einem LKW erfasst wurde. Nach Ansicht des BGH stellt dieser Unfall keine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf dar, da die tödliche Gefahr durch die Messerangriffe bereits unmittelbar angelegt war.
Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?
a) Abgrenzung: Versuchter vs. vollendeter Mord
Die Entscheidung verdeutlicht, dass auch dann ein vollendeter Mord vorliegen kann, wenn das Opfer nicht unmittelbar durch die Angriffe, sondern durch eine in Panik erfolgte Fluchtbewegung ums Leben kommt.
b) Maßstab der „wesentlichen Abweichung“ vom Kausalverlauf
Der BGH stellt klar: Eine Fluchtreaktion des Opfers, die durch die lebensgefährliche Tat des Täters provoziert wird, ist regelmäßig keine „wesentliche Abweichung“. Der Täter trägt die Verantwortung auch für solche Geschehensabläufe.
c) Dogmatische Bedeutung für die Kausalitätslehre
Die Entscheidung knüpft an die Grundsätze der objektiven Zurechnung an: Wer eine lebensgefährliche Lage schafft, haftet auch für naheliegende, in Panik entstehende Todesfolgen.
d) Strafzumessung: Lebenslange Freiheitsstrafe
Die Klarstellung als vollendeter Mord zeigt die immense Bedeutung für das Strafmaß: Statt eines „versuchten Mordes mit Körperverletzung mit Todesfolge“ liegt nun ein Mord mit zwingender lebenslanger Freiheitsstrafe vor.
e) Prüfungs- und Praxisrelevanz
Der Fall ist ein Paradebeispiel für die Abgrenzung von Kausalitätsabweichungen und wird sowohl in Ausbildung als auch Praxis zur Verdeutlichung der Zurechnungsdogmatik relevant bleiben.
JurCase informiert:
Den Beschluss des BGH vom 12.08.2025 (Az.: 5 StR 688/24) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.
BVerfG mit Beschluss vom 09.07.2025 (Az.: 1 BvR 975/25) zur Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Handy-Beschlagnahme
Worum geht es?
Das BVerfG (Beschl. v. 09.07.2025 – 1 BvR 975/25) hatte sich mit der Beschlagnahme eines Smartphones zu befassen, das eine Autofahrerin bei einer Verkehrskontrolle eingesetzt hatte, um die Situation zu filmen. Während die Fachgerichte von einem Anfangsverdacht nach § 201 Abs. 1 StGB („Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“) ausgingen und die Beschlagnahme für zulässig erklärten, äußerte Karlsruhe erhebliche Zweifel.
Das Besondere: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen, weil die Autofahrerin keine Gehörsrüge erhoben und den Rechtsweg somit nicht erschöpft hatte. Interessant: Trotz der Unzulässigkeit äußerte das BVerfG erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme, insbesondere in Bezug auf Verhältnismäßigkeit, Schutz der informationellen Selbstbestimmung und Eigentum.
Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?
a) Grundrechtliche Relevanz
Die Entscheidung unterstreicht die besondere Bedeutung von Smartphones im Alltag sowie die Risiken einer Auswertung für Persönlichkeitsrechte – ein klassisches Spannungsfeld zwischen staatlichen Ermittlungsinteressen und Grundrechtsschutz (Art. 2 Abs. 1, Art. 14 GG).
b) Filmen von Polizeieinsätzen
Das BVerfG deutet an, dass das bloße Aufzeichnen von Polizeimaßnahmen nicht ohne Weiteres strafbar ist. Damit wird eine kontroverse Debatte in Literatur und Praxis neu befeuert.
c) Verhältnismäßigkeit von Beschlagnahmen
Besonders bei lang andauernden Beschlagnahmen digitaler Geräte müssen Gerichte prüfen, ob die Beweisbedeutung des Geräts das Grundrechtsschutzgewicht überwiegt. Das BVerfG betont dabei die besondere Bedeutung von Smartphones für das Alltagsleben und das hohe Risiko für Persönlichkeitsrechte bei Beschlagnahmung und Auswertung.
d) Rechtswegerschöpfung und Gehörsrüge
Die Entscheidung macht deutlich, dass im Verfassungsprozess die Gehörsrüge zentral ist: Ohne sie ist die Beschwerde unzulässig. Das ist ein prüfungsrelevanter Aspekt, weil das BVerfG sonst nicht in der Sache entscheiden würde.
e) Inhaltliche Hinweise trotz Unzulässigkeit
Auch wenn die Beschwerde unzulässig war, nutzte das BVerfG den Fall, um inhaltliche Hinweise zu geben. Das zeigt, dass selbst unzulässige Beschwerden für die Rechtsprechung und Praxis informative Signale liefern können.
JurCase informiert:
Den Beschluss des BVerfG vom 09.07.2025 (Az.: 1 BvR 975/25) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesverfassungsgerichts.