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Aktuelle Rechtsprechung KOMPAKT – Ausgabe 03: Anscheinsvollmacht aufgrund eMail-Passwort, unverzüglicher Befangenheitsantrag, Soldatenpflicht und Ehebruch

Heute mit den Entscheidungen des OLG Zweibrücken vom 15.01.2025 (Az.: 1 U 20/24), des BGH vom 09.04.2025 (Az.: 1 StR 371/24) sowie des BVerwG vom 22.01.2025 (Az.: 2 WD 14.24)

Aktuelle Rechtsprechung begleitet dich durch Studium, Referendariat und juristische Praxis – sie ist der Schlüssel zum juristischen Durchblick. Wer weiß, wie Gerichte entscheiden, kann Gesetzesnormen sicher anwenden, rechtliche Zusammenhänge besser einordnen und überzeugend argumentieren. Mit JurCase bleibst du monatlich auf dem Laufenden über relevante Rechtsprechung aus Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht. Schon #GEWUSST?

Die Reihe Aktuelle Rechtsprechung KOMPAKT wird von unserem Redaktionsleiter, Rechtsassessor Sebastian M. Klingenberg, für dich zusammengestellt.

In der heutigen Ausgabe geht es konkret um

  • ein Urteil des Pfälzischen OLG in Zweibrücken vom 15.01.2025 (Az.: 1 U 20/24) zur Frage, ob in der Weitergabe eines eMail-Passworts eine Anscheinsvollmacht zu sehen ist;
  • ein Urteil des BGH vom 09.04.2025 (Az.: Az.: 1 StR 371/24) zur Frage, ob ein Befangenheitsantrag noch unverzüglich gestellt wurde, wenn bereits anderthalb Tage seit der Hauptverhandlung gestellt vergangen sind;
  • ein Urteil des BVerwG vom 22.01.2025 (Az.: 2 WD 14.24) zur Frage, ob die Beteiligung eines Soldaten am Ehebruch zulasten eines anderen Soldaten aufgrund eines Verstoßes gegen die Soldatenpflicht disziplinarrechtliche Konsequenzen haben kann.

OLG Zweibrücken mit Urteil vom 15.01.2025 (Az.: 1 U 20/24) zur Anscheinsvollmacht aufgrund Weitergabe des eMail-Passworts

Worum geht es?

Ein Abfindungsvergleich mit einer Gebäudeversicherung wurde per eMail abgeschlossen – allerdings nicht von der Versicherungsnehmerin selbst, sondern von ihrem Ehemann. Jahre später, als neue Folgeschäden auftauchten, wollte die Frau sich auf die Unwirksamkeit dieses Vertrags berufen: Sie habe den Vergleich gar nicht selbst geschlossen. Doch das OLG Zweibrücken entschied mit Urteil vom 15.01.2025 (Az.: 1 U 20/24) anders: Weil die Frau ihrem Mann das Passwort zu ihrem eMail-Konto überlassen hatte, konnte dieser mit Anscheinsvollmacht Verträge in ihrem Namen abschließen. Die Weitergabe des Passworts begründet laut Gericht ein zurechenbares Vertrauen in eine Bevollmächtigung – mit weitreichenden Konsequenzen: Die Frau muss sich den Abfindungsvergleich zurechnen lassen. Eine Revision ließ das OLG nicht zu.

Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?

a) Vertrauenshaftung durch Passwortweitergabe

Die Entscheidung zeigt, dass die Weitergabe eines eMail-Passworts rechtlich als ein Verhalten gewertet werden kann, das einen Rechtsschein begründet. Wer Zugang zu seinem digitalen Postfach gewährt, schafft damit die Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen Dritter auf eine bestehende Bevollmächtigung – mit potenziell weitreichenden Folgen.

b) Anwendungsfall der Anscheinsvollmacht in der digitalen Kommunikation

Das Urteil bietet ein modernes und examensrelevantes Beispiel für die klassische Figur der Anscheinsvollmacht. Es belegt, wie traditionelle Institute des Stellvertretungsrechts auf digitale Kommunikationsformen angewendet werden können – ein Themenfeld, das auch in Prüfungen zunehmend an Bedeutung gewinnt.

c) Kernanwendung von § 164 BGB

Im Mittelpunkt steht also die Frage, ob eine Willenserklärung im Namen einer anderen Person wirksam abgegeben wurde. Das OLG nimmt dies bejahend an – gestützt auf § 164 Abs. 1 BGB und die Grundsätze zur Anscheinsvollmacht. Der Fall verdeutlicht, wie entscheidend das äußere Erscheinungsbild für die Zurechnung fremden Handelns im Stellvertretungsrecht ist.

d) Abgrenzung zur Genehmigung nach § 177 BGB

Besonders lehrreich ist die Differenzierung zwischen einer nachträglichen Genehmigung und einer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden Anscheinsvollmacht. Das OLG entscheidet bewusst nicht über § 177 BGB, sondern stellt klar, dass bereits bei Vertragsschluss ein wirksames Vertreterhandeln vorlag – ein dogmatisch sauberer Zugang mit hoher Argumentationstiefe.

e) Relevanz für den Verbraucherverkehr

Der Fall zeigt praxisnah, wie sich alltägliches Verhalten – etwa innerhalb familiärer Strukturen – rechtlich niederschlagen kann. Er verdeutlicht die Anforderungen an die Abgrenzung zwischen internem Vertrauen und rechtlich relevanter Außenwirkung und unterstreicht zugleich den Schutz des Rechtsverkehrs vor unklaren Vertretungslagen.

JurCase informiert:

Das Urteil des OLG Zweibrücken vom 15.01.2025 (Az.: 1 U 20/24) findest du kostenlos hier auf der Seite Landesrecht Rheinland-Pfalz.

BGH mit Urteil vom 09.04.2025 (Az.: 1 StR 371/24) zum unverzüglichen Befangenheitsantrag

Worum geht es?

In einem Strafverfahren vor dem Landgericht München I stellte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erst rund eineinhalb Tage nach der Hauptverhandlung einen Antrag auf Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Hintergrund war ein zuvor angekündigter Verständigungsvorschlag der Kammer trotz unveränderter Beweislage. Das LG sah den Antrag als verspätet an und verwarf ihn wegen fehlender „Unverzüglichkeit“ nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO.

Der BGH hob diese Entscheidung nun mit Urteil vom 09.04.2025 (Az.: 1 StR 371/24) auf. Das Gericht stellte klar: Auch für Staatsanwälte gilt der Grundsatz, dass „unverzüglich“ nicht mit „sofort“ gleichzusetzen ist, sondern lediglich „ohne schuldhaftes Zögern“ bedeutet. Arbeitsbelastung, interne Abstimmungen und behördeninterne Richtlinien sind bei der Bewertung des Zeitablaufs angemessen zu berücksichtigen. Die Entscheidung hat grundlegende Bedeutung für das Verständnis von Befangenheitsanträgen und das prozessuale Gleichgewicht zwischen Verfahrensbeteiligten.

Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?

a) „Unverzüglich“ heißt nicht „sofort“ – auch im Strafprozess

Der BGH stellt klar, dass die „Unverzüglichkeit“ im Sinne des § 25 Abs. 2 StPO entsprechend dem zivilrechtlichen Verständnis aus § 121 Abs. 1 BGB zu beurteilen ist. Diese Klarstellung ist zentral für die korrekte Handhabung von Befangenheitsanträgen im Strafprozess und bewahrt vor vorschnellen Unzulässigkeitsurteilen.

b) Abgrenzung: Sachlich gerechtfertigte Verzögerung vs. schuldhaftes Zögern

Die Entscheidung liefert eine differenzierte Bewertung, wann ein später Antrag noch „unverzüglich“ ist. Der BGH erkennt interne Richtlinien und Arbeitsbelastung als relevante Umstände an – ein wichtiges Signal für die Praxis, insbesondere bei komplexen Verfahren und Mehrfachbelastungen von Sitzungsvertreter:innen.

c) Stärkung der staatsanwaltschaftlichen Verfahrensrechte

Die Entscheidung schützt das Recht der Staatsanwaltschaft auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Ein Befangenheitsantrag darf nicht allein deshalb verworfen werden, weil organisatorische Abläufe in der Behörde Zeit beanspruchen. Die Entscheidung betont die Gleichbehandlung aller Verfahrensbeteiligten in der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte.

d) Prüfungsrelevanz: § 338 Nr. 3 StPO als absoluter Revisionsgrund

Die fehlerhafte Behandlung des Ablehnungsgesuchs begründete einen absoluten Revisionsgrund. Für die prozessuale Fallbearbeitung bedeutet das: Eine unberechtigte Verwerfung von Befangenheitsanträgen ist keine bloße Formalie, sondern berührt unmittelbar das Recht auf ein faires Verfahren.

JurCase informiert:

Das Urteil des BGH vom 09.04.2025 (Az.: 1 StR 371/24) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.

BVerwG mit Urteil vom 22.01.2025 (Az.: 2 WD 14.24) zum Verstoß gegen die Soldatenpflicht durch Ehebruch

Worum geht es?

Ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr hatte eine Beziehung mit der Noch-Ehefrau eines Mannschaftssoldaten begonnen – beide dienten im selben Bataillon. Das BVerwG stellte nun mit Urteil vom 22.01.2025 (Az.: 2 WD 14.24) klar: Die Beteiligung eines Soldaten an einem Ehebruch kann einen Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht nach § 12 Soldatengesetz (SG) darstellen und disziplinarrechtlich geahndet werden.

Zwar wurde die ursprünglich vom Truppendienstgericht Süd ausgesprochene Sanktion aus Beförderungsverbot und Bezügekürzung abgemildert, eine mehrmonatige Kürzung der Dienstbezüge hielt der Wehrdienstsenat des BVerwG jedoch aufrecht. Der Fall verdeutlicht, dass das soldatenrechtliche Kameradschaftsgebot über private Bindungen hinaus auch das Verhalten im außerdienstlichen Bereich umfasst – insbesondere, wenn dieses die Funktionsfähigkeit der militärischen Gemeinschaft gefährdet.

Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?

a) Pflicht zur Kameradschaft nach § 12 SG konkretisiert

Das BVerwG stellt klar, dass die Kameradschaftspflicht eine justiziable Norm darstellt, deren Verletzung disziplinarisch sanktioniert werden kann – auch bei außerdienstlichem Verhalten. Besonders relevante Konstellation: zwischenmenschliche Beziehungen innerhalb einer militärischen Einheit. Während das Zivilrecht Eheverfehlungen nur selten sanktioniert, kann aus soldatenrechtlicher Perspektive eine eheliche Beziehung mit der Noch-Ehefrau eines Kameraden disziplinarrechtlich relevant sein. Das verdeutlicht die eigenständige disziplinarrechtliche Bewertung von Verhalten außerhalb des Dienstes.

b) Funktionsschutz der Truppe durch disziplinarrechtliche Sanktionen

Das Urteil hebt hervor, dass der Zusammenhalt in der militärischen Gemeinschaft nicht nur moralische, sondern rechtlich verbindliche Grundlage der Einsatzbereitschaft ist. Vertrauen, gegenseitige Rücksicht und Verlässlichkeit sind keine bloßen Leitbilder, sondern integraler Bestandteil soldatischer Pflichten.

c) Verbotsirrtum und Verhältnismäßigkeit bei der Sanktionierung

Zugunsten des betroffenen Hauptfeldwebels wertete das Gericht einen (vermeidbaren) Verbotsirrtum: Er ging fälschlich davon aus, die Ehe sei bereits endgültig gescheitert. Dennoch hielt das BVerwG eine Disziplinarmaßnahme für erforderlich – ein differenzierter Umgang mit Irrtum und disziplinarischer Reaktion.

JurCase informiert:

Das Urteil des BVerwG vom 22.01.2025 (Az.: 2 WD 14.24) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesverwaltungsgerichts.

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Beitragsautor:

Sebastian M. Klingenberg

Sebastian M. Klingenberg

Redaktionsleiter bei JurCase
Rechtsassessor, Promotionsstudent, Freiberufler

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