Skip to main content
examensrelevantGewusst

Rechtsprechung des Monats Juli 2025: Beweiskraft des elektronischen Empfangsbekenntnisses

NdsOVG, Beschl. v. 28.04.2025 – 4 LA 12/23 (BeckRS 2025, 8236)

Schwerpunkte: § 56 VwGO; §§ 173, 165 ZPO

In Kooperation mit Alpmann Schmidt präsentieren wir die Rechtsprechung des Monats. Hierbei handelt es sich um Rechtsprechung, die dir von erfahrenen Praktiker:innen vorgestellt wird. Zusätzlich bieten dir diese Fälle die Möglichkeit, das Schreiben von Assessorklausuren zu üben. Hast du es #GEWUSST?

Fall

Das VG übermittelte dem RA des Kl. das klageabweisende Urteil vom 14.05. 2025 mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung. Das elektronische Empfangsbekenntnis des RA ging am Dienstag, den 20.05.2025, bei Gericht ein, wies als Zustelldatum aber Freitag, den 16.05.2025, aus. Am 20.06.2025 ging der Antrag auf Zulassung der Berufung beim Verwaltungsgericht ein.

Der RA erklärte, das frühere Datum (16.05.2025) beruhe auf einem Bedienfehlers seines beA. Er selbst habe das Urteil erst Dienstag erhalten. Seine Kanzleisoftware versehe elektronische Dokument mit dem Empfangsdatum als „Wasserzeichen“. Den Ausdruck mit dem „Wasserzeichen“ 20.05.2025 legte der RA vor.

Die IT-Firma des beA teilt mit: Für die Rücksendung des eEB ist es erforderlich, dass der empfangende RA die Nachricht aktiv öffnet, aktiv das Dokument „Empfangsbekenntnis“ erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments aktiv eingibt und anschließend die Schaltfläche „Senden“ betätigt, um das Empfangsbekenntnis abzuschicken.

Wie entscheidet das OVG/der VGH?

Leitsätze

  1. Das von einem RA elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis gegenüber dem Gericht erbringt den vollen Beweis für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme.
  2. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der Angaben in einem elektronisch abgegebenen Empfangsbekenntnis setzt voraus, dass die Richtigkeit der Angaben vollständig entkräftet wird und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben richtig sein können.
  3. Der Gegenbeweis ist nicht schon geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht.

Beschluss

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14.05.2025 wird als unzulässig verworfen.

§ 154 Abs. 2 VwGO

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist wegen Versäumnis der Antragsfrist als unzulässig zu verwerfen.

1. Der Kl. hat die Frist des § 124a Abs. 4 S. 1 VwGO versäumt, wonach die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen ist, soweit – wie hier – die Berufung darin nicht zugelassen wurde. Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 58 Abs. 1 VwGO) versehene Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Kl. am 16.05.2025 zugestellt. Die Antragsfrist endete demnach mit Ablauf des 16.06.2025, einem Werktag (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Den Zulassungsantrag hat der Kl. aber erst am 20.06.2025 und damit nicht fristgerecht gestellt.

2. Die Antragsfrist begann am 16.05.2025 zu laufen. Denn das vom Prozessbevollmächtigten des Kl. gefertigte elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) beweist, dass ihm das Urteil an diesem Tag zugestellt worden ist. Das eEB hat dieselbe Beweiswirkung wie ein herkömmliches EB auf Papier.

„[10] In Bezug auf das herkömmliche papiergebundene anwaltliche Empfangsbekenntnis geht die Rspr. … übereinstimmend davon aus, dass das datierte und unterschriebene Empfangsbekenntnis den (vollen) Beweis erbringt für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt sowie für den Zeitpunkt der Entgegennahme.“

Diese Beweiswirkung folgt aus § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 175 Abs. 3, Abs. 1 und 173 Abs. 2 ZPO.

„[10] … Diese gesetzliche Beweisregel (§ 286 Abs. 2 ZPO) ist Ausdruck des besonderen Vertrauens, das der Gesetzgeber u.a. der Berufsgruppe der Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege entgegenbringt, und verleiht dem unterschriebenen, datierten und an das Gericht zurückgesandten Empfangsbekenntnis eine Beweiswirkung, die der einer Zustellungsurkunde nach § 418 ZPO entspricht.“

Für das eEB gilt nichts anderes.

Beachte: Bei der Zustellungsurkunde beurkundet der Zusteller (= beliehener Privater), dass und wann er das Schriftstück dem Adressaten zugestellt hat. Der RA hat das Privileg, selbst zu entscheiden, ob und wann er das Dokument als zugestellt anerkennt.

„[10] … Der Gesetzgeber hat auch für den Fall der elektronischen Übermittlung eines Dokuments an einen Rechtsanwalt daran festgehalten, den Nachweis der Zustellung an ein voluntatives Element zu knüpfen und hierfür nicht allein die automatisierte Eingangsbestätigung (ggf. in Verbindung mit einem bestimmten Zeitablauf) ausreichen zu lassen.“

Das eEB des RA weist den 16.05.2025 als Tag der Zustellung aus. Damit ist dieses Datum zugrunde zu legen.

3. Der Kl. hat den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des eEB nicht geführt.

„[11] … [Der] Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in einem eEB enthaltenen Angaben [ist] zwar zulässig, setzt aber voraus, dass die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis nicht nur erschüttert, sondern vollständig entkräftet wird und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben richtig sein können. Der Gegenbeweis ist nicht schon geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht.“

a) Der Ausdruck mit dem „Wasserzeichen“ 20.05.2025 genügt nicht.

„[15] … [Allein] auf die Datumsangabe in den ‚Wasserzeichen‘ [kann es] nicht ankommen, weil dies zur Folge hätte, der Datumsangabe in den ‚Wasserzeichen‘ einen höheren Beweiswert als dem in dem eEB angegebenen Datum zukommen zu lassen.“

b) Den „Bedienfehler“ hat der RA nicht näher substanziiert.

Das elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) verlangt drei aktive Handlungen des RA:

  1. Öffnung des Dokuments
  2. Eintragung des vom RA akzeptierten Zustelldatums
  3. Rücksendung des eEB

c) Es ist nach den Angaben der IT-Firma des beA ohne Weiteres möglich, dass der RA das Urteil bereits am 16.05.2025 erhalten hat. Er kann das Urteil an diesem Tag erhalten und das Tagesdatum elektronisch als Zustelltag eingetragen, das eEB aber nicht sofort, sondern erst am 20.05.2025 abgesandt haben. Eine technisch fehlerhafte automatisierte Erstellung des eEB ist also nicht die einzige denkbare Ursache für den Inhalt des eEB.

„[18] … Das eEB wird also unter Einfügung des gewillkürten Empfangszeitpunkts durch die Softwareanwendung des Zustellungsempfängers, also beispielsweise durch seine beA-Webanwendung oder seine Kanzleisoftware, erstellt. Die Rücksendung des eEB ist ebenfalls von einem Willensakt abhängig . Sowohl die Erstellung des eEB als auch die Abgabe gegenüber dem Gericht erfordern mithin eine tatsächliche (willensgesteuerte) Handlung.“

Demzufolge ist es lediglich möglich, nicht bewiesen, dass die Zustellung erst am 20.05.2025 erfolgte. Damit ist der Gegenbeweis nicht geführt.

Beachte: Bei Fristversäumnis immer Wiedereinsetzung prüfen, die auch von Amts wegen gewährt werden kann.

4. Dem Kl. ist auch nicht von Amts wegen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren. Der Kl. hat keine Tatsachen glaubhaft gemacht, nach denen er ohne Verschulden verhindert gewesen ist, die gesetzliche Frist zur Beantragung der Zulassung der Berufung und zur Begründung des Antrags einzuhalten.

Diese Rechtsprechung wurde für dich von VRVG Dr. Martin Stuttmann aufbereitet.

RÜ + RÜ2
RechtsprechungsÜbersicht

  • Aktuelle Rechtsprechung von ausbildungserfahrenen Praktikern
  • Aufbereitet wie der praktische Aufgabenteil in der Examensklausur
  • Speziell in der RÜ2: Aufgabenstellungen aus gerichtlicher, staatsanwaltlicher, behördlicher und anwaltlicher Sicht musterhaft gelöst

JurCase Mietangebot für dein
Zweites Staatsexamen

Für alle Bundesländer bietet JurCase die zugelassenen Hilfsmittel auf Basis der Prüfungsordnung der jeweiligen Bundesländer zur Miete an.

Du kannst je nach Bedarf nur die Examenskommentare, nur die Gesetzestexte oder das Kombi-Paket mit allen Kommentaren und Gesetzestexten bei JurCase mieten.

Hat dir der Beitrag gefallen?

Beitragsautor:

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt ist ein juristischer Fachverlag, der zudem juristische Lehrgänge und Repetitorien anbietet. In Kooperation mit JurCase präsentiert Alpmann Schmidt bei uns monatlich eine Rechtsprechung des Monats. Mehr Informationen zu Alpmann Schmidt gibt es hier.

Alle Beiträge von Alpmann Schmidt ansehen