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Fall des Monats Dezember 2023: Beweiskraft öffentlicher Urkunden bei § 271 StGB

By 19. Dezember 2023No Comments
Fall des Monats

BGH, Beschluss vom 07.02.2023, Az.: 3 StR 274/22

Problem: Beweiskraft öffentlicher Urkunden bei § 271 StGB

Einordnung: Strafrecht BT II / Urkundsdelikte

Einleitung

In der vorliegenden Entscheidung geht es nicht nur um die klassische Urkundenfälschung, § 267 I StGB, sondern insb. auch um die mittelbare Falschbeurkundung, § 271 I StGB, und deren Qualifikation gem. § 271 III StGB.

Sachverhalt

Der Angeklagte I erwarb eine GmbH, nutzte dabei gegenüber dem Notar N einen fiktiven Namen und legte einen entsprechend gefälschten kroatischen Personalausweis vor. Das Vorgehen diente dazu, nachfolgende Betrugstaten gegenüber den Vertragspartnern der GmbH vorzubereiten.

Hat I sich durch das Verhalten bei N strafbar gemacht?

Anmerkung: § 263 StGB ist nicht zu prüfen.

Leitsätze der Redaktion

  1. Der notarielle Vertrag über den Kauf einer GmbH stellt eine öffentliche Urkunde i.S.v. § 271 I StGB dar.
  2. Auf die in dieser Urkunde genannten Namen der Vertragsparteien bezieht sich der öffentliche Glaube der Urkunde, also die volle Beweiskraft für und gegen jedermann gem. § 415 I ZPO.
  3. Die Bereicherungsabsicht i.S.v. § 271 III StGB setzt nicht voraus, dass der Täter sich oder einen Dritten unmittelbar durch die mittelbare Falschbeurkundung bereichern will; vielmehr genügt, dass es zu der bei Tatbegehung bezweckten Vermögensmehrung mittels der falschen Urkunde durch folgende Taten kommen soll.

Prüfungsschema: Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 I StGB

A. Tatbestand

I. Tatobjekt: Öffentliche Urkunde, Buch, Datei oder Register
II. Inhaltliche Unrichtigkeit des Tatobjektes
III. Bewirken
IV. Vorsatz bzgl. I. bis III.

B. Rechtswidrigkeit und Schuld

Lösung

A. Strafbarkeit gem. § 267 I 3. Fall StGB

Durch das Vorlegen des gefälschten Personalausweises könnte I sich wegen Urkundenfälschung gem. § 267 I 3. Fall StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Unechte oder verfälschte Urkunde
Bei dem gefälschten Personalausweis müsste es sich um eine unechte oder verfälschte Urkunde handeln.
Ein Personalausweis stellt eine Urkunde dar. Da der von I vorgelegte Personalausweis gefälscht war, also nicht von demjenigen herrührte, der aus der Urkunde als Aussteller hervorging (nämlich der entsprechenden kroatischen Behörde), war diese Urkunde auch unecht. Ein taugliches Tatobjekt ist somit gegeben.

Definitionen:
Urkunde ist jede verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und die einen Aussteller erkennen lässt.
Unecht ist eine Urkunde, wenn sie nicht von demjenigen herrührt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht.


2. Gebrauchen
Dadurch, dass I die Urkunde dem N vorlegte und diesem somit die Möglichkeit zur Kenntnisnahme gab, hat I die Urkunde gebraucht.

Definition:
Gebrauchen bedeutet, dass die Urkunde dem zu Täuschenden so zugänglich gemacht wird, dass dieser die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat.


3. Vorsatz bzgl. 1. und 2.
I handelte mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände.


4. Täuschungsabsicht
I hatte die Absicht, N über seine Identität zu täuschen und diesen zu einem rechtserheblichen Verhalten zu veranlassen, nämlich zur notariellen Beurkundung des GmbH-Kaufvertrags. I wies also die erforderliche Täuschungsabsicht auf.

Definition:
Zur Täuschung im Rechtsverkehr
handelt, wer mittels der Urkunde im Rechtsverkehr einen Irrtum erregen und dadurch ein rechtserhebliches Verhalten erreichen will.


II. Rechtswidrigkeit und Schuld
I handelte rechtswidrig und schuldhaft.


III. Ergebnis
I ist strafbar gem. § 267 I 3. Fall StGB. So sieht es auch der BGH:

[6] Danach liegt eine Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB vor, weil der Angeklagte zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte oder verfälschte Urkunde, nämlich den gefälschten Ausweis, gebrauchte.“

B. Strafbarkeit gem. § 281 I 1 1. Fall StGB

Durch das Vorlegen des gefälschten Ausweises könnte I sich auch wegen Missbrauchs von Ausweispapieren gem. § 281 I 1 1. Fall StGB strafbar gemacht haben.

Allerdings erfasst § 281 I 1 1. Fall StGB nur das Gebrauchen echter Ausweispapiere.

Der von I gebrauchte Personalausweis war jedoch unecht (s.o.), sodass § 281 I 1 1. Fall StGB ausscheidet.

(OLG Bremen, Urteil vom 04.06.2002, Ss 12/02, StV 2002, 552; Schönke/Schröder, StGB, § 281 Rn 1)

C. Strafbarkeit gem. § 271 I, III StGB

Durch das Vorlegen des gefälschten Personalausweises bei N könnte I sich auch wegen qualifizierter mittelbarer Falschbeurkundung gem. § 271 I, III StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Grunddelikt: § 271 I StGB

a) Tatobjekt: Öffentliche Urkunde

„[7] Der notarielle Vertrag stellt eine öffentliche Urkunde dar.“

Hinweis: Auch im Strafrecht gilt bzgl. des Begriffs der öffentlichen Urkunde die Definition aus § 415 I ZPO: „Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden),
begründen, wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorganges.“

b) Inhaltliche Unrichtigkeit der Urkunde
Diese öffentliche Urkunde müsste auch inhaltlich unrichtig sein. § 271 I StGB erweitert den strafrechtlichen Schutz bei öffentlichen Urkunden auch auf die inhaltliche Richtigkeit, während bei Privaturkunden nur über § 267 StGB die Echtheit und Unverfälschtheit geschützt wird, da öffentliche Urkunden gem. § 415 I ZPO eine gegenüber Privaturkunden erhöhte Beweiskraft haben. Deshalb muss aber bei § 271 I StGB auch derjenige Teil der öffentlichen Urkunde unrichtig sein, auf den sich diese erhöhte Beweiskraft erstreckt.

„[7] […] Der [in dieser öffentlichen Urkunde] genannte Name des Angeklagten war unrichtig. Auf ihn bezog sich auch der öffentliche Glaube der Urkunde, also die volle Beweiskraft für und gegen jedermann.“
(BGH, Beschluss vom 06.08.2004, 2 StR 241/04, DNotZ 2005, 213)

Die Urkunde war also inhaltlich unrichtig i.S.v. § 271 I StGB.

c) Bewirken
I hat den gefälschten Personalausweis dem N vorgelegt und dadurch das Entstehen einer inhaltlich unrichtigen öffentlichen Urkunde, des GmbH-Kaufvertrages, bewirkt.

Definition:
Bewirken i.S.v. § 271 I StGB ist jede Verursachung der unwahren Beurkundung.

Zwar ist i.R.v. § 271 I StGB streitig, ob dieser Tatbestand nur dann einschlägig ist, wenn die Urkundsperson bzgl. der Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen gutgläubig ist, also § 271 I StGB einen Fall der mittelbaren Täterschaft darstellt. Während eine Mindermeinung (M.M.: Maurach/Schröder/Maiwald, Strafrecht BT II, § 66 Rn 21) eine objektive Gutgläubigkeit der Urkundsperson fordert (auf die sich dann auch der Vorsatz beziehen muss), ist es nach herrschender Meinung (h.M.:  Fischer, StGB, § 271 Rn 15; Schönke/Schröder, StGB, § 271 Rn 25) für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 271 I StGB nicht relevant, ob die Urkundsperson gutgläubig ist oder der Täter dies glaubt. Da N im vorliegenden Fall aber tatsächlich gutgläubig war, ist nach beidem Auffassungen ein Bewirken i.S.v. § 271 I StGB gegeben.

d) Vorsatz
I handelte mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände.

2. Qualifikation: § 271 III StGB
I könnte auch den Qualifikationstatbestand des § 271 III StGB verwirklicht haben.

„[8] Das Qualifikationsmerkmal der Bereicherungsabsicht (§ 271 Abs. 3 StGB) ist gegeben. Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Täter sich oder einen Dritten unmittelbar durch die mittelbare Falschbeurkundung bereichern will. Vielmehr genügt, dass es zu der bei Tatbegehung bezweckten Vermögensmehrung mittels der falschen Urkunde durch folgende Taten kommen soll. Dies ergibt sich aus Folgendem:
(BGH, Urteil vom 17.10.2019, 3 StR 521/18, NJW 2020, 1080)

[9] Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es darauf an, dass der Täter in der Absicht handelt, sich oder einen Dritten zu bereichern. Eine Beschränkung auf eine unmittelbar durch das Urkundsdelikt herbeigeführte Bereicherung ergibt sich daraus nicht. Vielmehr kommen auch mittelbare Vorteile in Betracht. Somit reicht es aus, dass die Tat als Mittel zur Erlangung des Vermögensvorteils dienen soll. Dies ist der Fall, wenn sie im Bewusstsein des Täters mit einem erstrebten Vermögensvorteil im Zusammenhang steht. Motiv für die an § 203 Abs. 6 StGB angelehnte Qualifikation ist die höhere Verwerflichkeit der mittelbaren Falschbeurkundung zu wirtschaftlichen Zwecken. Für diese ist nicht entscheidend, ob dazu nach Vorstellung des Täters noch weitere Zwischenschritte – wie etwa der Einsatz der Urkunde bei einer anderen Straftat – erforderlich sind. Es stellt sogar gewissermaßen den Regelfall des Qualifikationsmerkmals dar, dass die Vermögenslage gerade mit Hilfe und unter Benutzung der falschen Beurkundung günstiger gestaltet werden soll.
(BGH, Beschluss vom 07.07.1993, 5 StR 303/93, NStZ 1993, 538)
(BGH, Urteil vom 26.02.1987, 1 StR 698/86, NJW 1987, 2243)

I hat also mit Bereicherungsabsicht gehandelt und somit den Qualifikationstatbestand des § 271 III StGB erfüllt.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld
I handelte rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis
I ist strafbar gem. §§ 271 I, III StGB.

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Beitragsautor:

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