
Heute mit den Entscheidungen des BAG vom 30.01.2025 (Az.: 2 AZR 68/24) und des BGH vom 18.12.2024 (Az.: 2 StR 297/24) sowie des VGH Baden-Württemberg vom 30.04.2025 (Az.: 6 S 1341/24)
Aktuelle Rechtsprechung begleitet dich durch Studium, Referendariat und juristische Praxis – sie ist der Schlüssel zum juristischen Durchblick. Wer weiß, wie Gerichte entscheiden, kann Gesetzesnormen sicher anwenden, rechtliche Zusammenhänge besser einordnen und überzeugend argumentieren. Mit JurCase bleibst du monatlich auf dem Laufenden über relevante Rechtsprechung aus Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht. Schon #GEWUSST?
Die Reihe Aktuelle Rechtsprechung KOMPAKT wird von unserem Redaktionsleiter, Rechtsassessor Sebastian M. Klingenberg, für dich zusammengestellt.
In der heutigen Ausgabe geht es konkret um
- ein Urteil des BAG vom 30.01.2025 (Az.: 2 AZR 68/24) zum Zugang per Einwurf-Einschreiben und der Frage nach dem Anscheinsbeweis;
- ein Urteil des BGH vom 18.12.2024 (Az.: 2 StR 297/24) zu Schlägen mit Quarzsandhandschuhen und Tötungsvorsatz;
- einen Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 30.04.2025 (Az.: 6 S 1341/24) zum Haltungsverbot künftiger Tiere.
BAG mit Urteil vom 30.01.2025 (Az.: 2 AZR 68/24) zur Zugang per Einwurf-Einschreiben und der Frage nach dem Anscheinsbeweis
Worum geht es?
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 30.01.2025 – 2 AZR 68/24) hatte zu entscheiden, ob der Arbeitgeber den Zugang einer per Einwurf-Einschreiben zugestellten Kündigung wirksam nachweisen kann, wenn die Arbeitnehmerin behauptet, das Schreiben nie erhalten zu haben. Die Arzthelferin, deren erstes Kündigungsschreiben aufgrund von Mutterschutz unwirksam war, erhielt eine zweite fristlose (hilfsweise ordentliche) Kündigung als Einwurf-Einschreiben. Der Arbeitgeber legte Einlieferungsbeleg und Online-Sendungsstatus vor, die Arbeitnehmerin bestritt den Zugang. Das BAG stellte klar, dass weder der Einlieferungsbeleg noch der Online-Status einen Anscheinsbeweis für den Zugang begründen. Für einen solchen Beweis wäre zusätzlich die Reproduktion des Auslieferungsbelegs erforderlich – diese fehlte im Verfahren. Ohne diesen Nachweis gilt die Kündigung als nicht zugegangen und damit unwirksam.
Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?
a) Klare Beweislastverteilung beim Zugang
Die Entscheidung stellt nochmals unmissverständlich klar: Wer eine Kündigung verschickt, trägt auch die volle Verantwortung dafür, dass sie nachweislich zugeht. Das Gericht bekräftigt, dass der Zugang im Sinne von § 130 BGB objektiv nachgewiesen werden muss – Zweifel gehen zulasten des Absenders.
b) Grenzen technischer Nachweismittel
Zwar mag ein Einwurf-Einschreiben auf den ersten Blick rechtssicher wirken, doch das Urteil zeigt: Das reicht nicht immer. Ein Online-Tracking ohne belastbare Reproduktion des konkreten Einwurfs genügt gerade dann nicht, wenn der Empfänger den Zugang bestreitet. Die Rechtsprechung legt hier die Latte höher als mancher denkt.
c) Verknüpfung von Zugang und Wirksamkeit
Die Wirksamkeit einer Kündigung hängt unmittelbar vom Zugang ab. Wer das eine nicht sicherstellt, riskiert, dass das andere nicht eintritt – selbst wenn die Kündigungserklärung materiell einwandfrei ist. Das Urteil zeigt, wie eng Form, Zeitpunkt und Beweisbarkeit miteinander verzahnt sind.
d) Fall mit hohem Wiedererkennungswert
Gerade weil Einwurf-Einschreiben im Alltag häufig genutzt werden, schafft das Urteil ein wichtiges Problembewusstsein. Es sensibilisiert für die Anforderungen, die Gerichte an den Nachweis stellen – und verhindert die trügerische Sicherheit einer vermeintlich bewährten Zustellart. Die Entscheidung verdeutlicht zudem, dass es sinnvoll sein kann, auf alternative Zustellwege (persönliche Übergabe, Bote, Gerichtsvollzieher) zurückzugreifen, wenn ein späterer Streit über den Zugang vermieden werden soll.
JurCase informiert:
Das Urteil des BAG vom 30.01.2025 (Az.: 2 AZR 68/24) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesarbeitsgerichts.
BGH, Urteil vom 18.12.2024 (Az.: 2 StR 297/24) zu Schlägen mit Quarzsandhandschuhen und Tötungsvorsatz
Worum geht es?
Drei Männer schlagen einen Behördenmitarbeiter mit Fäusten und Quarzsandhandschuhen brutal zusammen – zwanzig Schläge in nur 30 Sekunden, mit schwersten Gesichtsverletzungen als Folge. Das Opfer, ein stellvertretender Ordnungsamtsleiter, hatte zuvor ein Bußgeldverfahren gegen das Wettbüro des Sohnes eines der Täter angestoßen. Der Angriff sollte ein „Denkzettel“ sein – doch der Bundesgerichtshof (BGH) sieht darin mehr: nämlich eine lebensgefährliche Tat, die zumindest einen bedingten Tötungsvorsatz nahelegt. Das Landgericht Marburg hatte diesen verneint und lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der BGH hebt das Urteil wegen fehlerhafter Beweiswürdigung auf.
Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?
a) Lehrstück für die Prüfung von Tötungsvorsatz
Der BGH zeigt detailliert auf, wie Tötungsvorsatz – insbesondere der bedingte Vorsatz – anhand objektiver und subjektiver Umstände zu prüfen ist. Dabei wird deutlich: Es geht nicht nur um das, was gesagt wird, sondern auch um das, was sich aus Tatbild und Tathandlung ergibt. Die Entscheidung eignet sich hervorragend, um methodisches Denken bei der Vorsatzprüfung zu schärfen.
b) Deutliche Korrektur einer verharmlosenden Bewertung
Das Urteil betont, dass brutale Gewalthandlungen nicht durch eine angeblich „nicht-tödliche“ Motivation verharmlost werden dürfen. Der Hinweis auf einen „Denkzettel“ genügt nicht, um den Tötungsvorsatz auszuschließen – gerade wenn die Mittel (Quarzsandhandschuhe) und die Intensität der Gewalt objektiv hochgefährlich sind.
c) Bedeutung von Tatmitteln und -intensität
Quarzsandhandschuhe gelten in der Rechtsprechung als waffenähnliche Gegenstände. Die Anzahl der Schläge, deren Häufigkeit und die Körperregion (Kopf, Gesicht) sind zentrale Faktoren bei der Bewertung der Gefährlichkeit. Die Entscheidung zeigt, wie intensiv Gerichte sich mit diesen Aspekten befassen müssen.
d) Starke Verbindung zwischen Tatmotivation und Vorsatzform
Der BGH argumentiert, dass die vom Täter gewünschte „Abschreckung“ gegenüber Behörden sogar durch den Tod des Opfers hätte gesteigert werden können – und dass sich daraus eine Gleichgültigkeit gegenüber einem tödlichen Ausgang ergibt. Diese Verknüpfung von Tatmotiv und innerer Einstellung hebt die Entscheidung deutlich hervor.
e) Revision als Korrektur falscher Beweiswürdigung
Ein zentraler Punkt der Entscheidung ist die richterliche Kontrolle der Beweiswürdigung: Der BGH greift aktiv ein, wenn diese unvollständig oder widersprüchlich ist. Wer sich mit der Funktionsweise der Revision und dem Prüfmaßstab des § 261 StPO beschäftigt, findet hier ein instruktives Beispiel.
JurCase informiert:
Das Urteil des BGH vom 18.12.2024 (Az.: 2 StR 297/24) findest du kostenlos hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.04.2025 (Az.: 6 S 1341/24) zum Haltungsverbot künftiger Tiere
Worum geht es?
Einer Frau wurde aus tierschutzrechtlichen Gründen der Hund weggenommen. Zugleich sprach die Behörde ein generelles Haltungs- und Betreuungsverbot für Tiere aus und kündigte an, künftige Verstöße sofort durch Wegnahme neu angeschaffter Tiere zu sanktionieren. Dagegen wehrte sich die Frau mit Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim stellte klar: Eine Wegnahme zukünftiger Tiere kann nicht vorsorglich angekündigt und vollstreckt werden, weil es an einer konkret vollstreckbaren Herausgabepflicht fehlt. Erst wenn ein neues Tier tatsächlich angeschafft wird, kann die Behörde darauf mit einem gesonderten Verwaltungsakt reagieren.
Warum sollte ich von dieser Rechtsprechung #GEWUSST haben?
a) Klare Grenzen der Verwaltungsvollstreckung
Die Entscheidung zeigt exemplarisch, dass Vollstreckungsmaßnahmen an einen konkretisierten Verwaltungsakt geknüpft sein müssen. Eine hypothetische künftige Handlung – wie die Anschaffung eines weiteren Tieres – reicht nicht aus, um Zwangsmittel wie die Wegnahme anzudrohen. Damit unterstreicht der VGH die rechtsstaatliche Funktion des Verwaltungsvollstreckungsrechts.
b) Typisches Zusammenspiel von Verwaltungs- und Vollstreckungsrecht
Die Entscheidung eignet sich hervorragend, um das Zusammenwirken von Grundverfügung und Zwangsmittel nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz zu verdeutlichen. Sie zeigt: Auch wenn eine Maßnahme materiell gerechtfertigt erscheint, muss ihre Vollstreckung formal korrekt vorbereitet sein.
c) Praxisrelevanz für Tier- und Ordnungsrecht
In Zeiten wachsender Sensibilität für den Tierschutz illustriert die Entscheidung auch, dass Behörden trotz guter Absichten an formale Grenzen gebunden sind. Sie dürfen Tierhaltungsverbote nicht mit blanketthaften Androhungen flankieren, sondern müssen im Einzelfall rechtmäßig und konkret reagieren.
JurCase informiert:
Den Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 30.04.2025 (Az.: 6 S 1341/24) findest du kostenlos hier auf der Seite des Landes Baden-Württemberg.