Herr Anwalt informiert! – Referendariat: Die Zivilstation
Lieber Rechtsfreund,
willkommen zum zweiten Teil dieser Reihe zum Referendariat.
Vor gut zwei Monaten hatte ich dir versprochen, dir bei der Orientierung in puncto Referendariat zu helfen. Und da ich nicht nur Anwalt, sondern auch ein Ehrenmann bin, halte ich natürlich mein Wort.
Heute will ich dich einmal darüber aufklären, was dich eigentlich in der Zivilstation des Referendariats erwartet.
Wir klären heute also die Fragen:
I. Wie bereite ich mich auf die Zivilstation vor?
II. Wie läuft der erste Tag ab?
III. Was erwartet mich alles in der Zivilstation?
I. Die Vorbereitung
Die wohl häufigste Frage, die mir nach der Erstellung des letzten Beitrags in den Social Media Kanälen gestellt wurde, war die, wie man sich denn am besten auf die erste Station vorbereitet.
Ich würde da gerne zwei wesentliche Aspekte ansprechen.
Den Standort und die Literatur.
1. Der Standortaspekt
Es ist gut möglich, dass die Ausbildung in einiger Entfernung zu deinem bisherigen Wohnort liegt. Wenn du also nicht am Ausbildungsort wohnst, dann wirst du dir zwangsläufig die Frage stellen, ob du vielleicht umziehen solltest.
Vorab: Ich kann dazu sagen, dass ich 30 Meter neben dem Landgericht Quartier bezogen habe und bin damit also alles andere als unbefangen.
Ich bin der Meinung, dass, wenn man denn die nötige Flexibilität mitbringt, man unbedingt möglichst nah an den Ausbildungsort ziehen sollte.
Die Gründe dafür sind recht simpel. Man hat einfach mehr Zeit zur Verfügung! Zeit zum Lernen, Zeit um auszuruhen, Zeit um verschiedenste Aufgaben zu erledigen. Außerdem kann man auch mal spontan zum Gericht rüber schlendern, Arbeiten abgeben, dort günstig zu Mittag essen und auch auf die umfangreichen Bibliotheksmaterialien zugreifen.
Natürlich weiß ich auch, dass das aus den unterschiedlichsten Gründen – beispielsweise aus familiären oder finanziellen Verpflichtungen – nicht immer möglich ist. Und um dir die Unsicherheit zu nehmen: Es ist wahrlich auch kein KO-Kriterium. Deswegen wirst du jetzt vermutlich nicht durchfallen im Zweiten Staatsexamen.
Wenn du dich aber – aus welchem Grund auch immer – entschieden haben solltest, aus dem Königreich „Weit Weit Weg“ anzureisen, dann würde ich aber zumindest darauf achten, dass du die Zeit der Anreise sinnvoll nutzen kannst. Solltest du beispielsweise mit der Bahn anreisen, dann schnapp dir deine Lernunterlagen oder hör beim Autofahren vielleicht einen Podcast oder ein Online-Repetitorium, denn Zeit ist ein knappes Gut im Referendariat.
Bei der Frage des Wohnortes sollte man aber auch im Hinterkopf behalten, wo man ggf. die anderen Stationen wahrnehmen möchte. Sicher ist jedoch, dass man zumindest 8 Monate am Ausbildungsstandort verbringt und dort i. d. R. auch später die AGs stattfinden.
2. Wie kann ich mich inhaltlich vorbereiten? Welche Literatur gibt es?
Noch drängender als die Frage des Wohnorts scheint die Frage nach der richtigen Literatur zu sein. Im letzten Beitrag hatte ich schon erklärt, dass man sich – wie vor dem ersten Semester – wie der Ochs vorm Berg fühlt. Und das betrifft vor allem auch die Wahl der richtigen Literatur. In dieser Frage kann ich natürlich nur meine ganz persönliche Erfahrung wiedergeben, da die Frage nach der „richtigen“ Literatur nur subjektiv zu beantworten ist. Bitte verschaff’ dir also selbst noch mal einen Überblick. Uns wurde zu Beginn das absolute Standardwerk in NRW „Anders/Gehle“ empfohlen, aber ich muss dazu sagen, dass ich damit überhaupt nicht gut zu Recht kam.
Ich bin daher relativ schnell umgestiegen und zwar auf ein eher in Hessen verbreitetes Buch namens „Zivilprozessrecht für Referendare“ von Dr. Rainer Oberheim. Dr. Oberheim war zumindest zu der Zeit auch Kursleiter eines Online-Reps für das Zivilrecht. In jedem Fall war sein Werk für mich deutlich klarer und verständlicher.
Und dann gibt es natürlich noch die sehr bekannten und beliebten Kaiserskripte. Ich persönlich würde diese aber eher empfehlen, wenn man schon ein solides Basiswissen hat, weil sie doch sehr problem- und weniger grundlagenorientiert sind.
Sehr gut – so meine Kollegen – soll auch „der Knörringer“ sein, wobei ich selbst nicht damit gearbeitet habe. Als Tipp würde ich euch mal raten, in eine x-beliebige Uni mit Jurafakultät zu gehen und dort die hier genannten Bücher einfach einmal querzulesen.
Wer mag kann natürlich auch von Anfang an ein Rep besuchen, aber das ist ein Thema, welches ich gerne zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ansprechen möchte. Nur soviel vorab: Mir persönlich hat das für das Zweite Examen nicht allzu viel gebracht.
II. Der erste Tag
Irgendwann steht dann der große Tag vor der Tür und der Einführungslehrgang soll beginnen.
Und da stellt sich natürlich die wichtigste aller Fragen:
Wie ziehe ich mich an?!
Und die Antwort ist natürlich total simpel. Tatsächlich so, wie du dich am wohlsten fühlst. Ich hatte mich damals für Hemd mit Jacket und dunkler Jeans entschieden, also in etwa so, wie ich auch heute noch an einem Tag mit wenig Mandantenkontakt in der Kanzlei herumlaufe. Lediglich ein bis zwei Kollegen hatten einen Anzug an. Andere erschienen im T-Shirt oder Sommerkleid. Mit anderen Worten: Es interessiert eigentlich niemanden.
An anderen Standorten mag das anders sein, aber zumindest in NRW wird da wohl kein riesen Bohei drum gemacht. Wenn ihr unbedingt eine Empfehlung haben wollt: Mit Casual Chic macht ihr bestimmt nix falsch.
Insgesamt sitzen dort mit euch je nach Standort 5-20 Gestalten. Wobei ich hier sagen würde: Je kleiner die Gruppe, desto besser die individuelle Betreuung. Es hat schon ein bisschen was von Klassenatmosphäre.
Ansonsten wird am ersten Tag sehr viel Bürokratie erledigt.
Man unterschreibt beispielsweise eine Verschwiegenheitserklärung und erhält diverse Antragsformulare, die man dann für die weiteren Stationen benötigt.
Ihr lernt hier in der Regel auch den Referendarleiter, eine Verwaltungsperson, euren AG-Leiter und manchmal auch den Gerichtspräsidenten kennen.
Darüber hinaus gibt es natürlich auch einen Fahr- und Zeitplan wie das Referendariat abläuft, was ihr aber kaum benötigt, wenn ihr bis dahin immer schön meine Beiträge konsumiert habt 😉
III. Der Alltag
1.
Ist der erste Tag erst einmal überstanden, beginnt dann auch schon unmittelbar der Einführungslehrgang. Der Einführungslehrgang ist im Grunde nichts anderes als die spätere AG, wobei hier im Gegensatz zur AG noch eine viel häufigere Anwesenheitspflicht besteht. In der Regel findet hier 3-4 Mal in der Woche die Anfänger-AG statt, in der die absoluten Grundlagen erklärt werden.
Wie ist ein Urteil aufgebaut? Warum sieht das Aktenzeichen so aus? Welche Instanzen gibt es? Welche Amtsgerichte liegen im Landgerichtsbezirk? Woraus besteht eine Klage? Was ist eine Replik? Was ist eine Duplik? Wo finde ich entsprechende Passagen in der ZPO?
Dies dient dem Zweck, dass man ab dem zweiten Monat nicht vollkommen unvorbereitet vor dem Einzelausbilder steht.
Dieser erste Monat ist in der Regel übrigens auch schon als offizieller Teil der Zivilstation integriert. Nach diesem Monat auf der Theorieschiene geht es fortan zweigleisig weiter: Zum einen wird der Einführungslehrgang als Arbeitsgemeinschaft weitergeführt. Zum anderen beginnt ab dem zweiten Monat die Ausbildung beim Einzelrichter.
2.
Die AG findet wie gewohnt im bisherigen Klassenraum mit dem AG-Leiter statt, jedoch in einem viel kleineren Umfang von 1-2 Wochentagen à 4-5 Stunden. Dort geht es dann schon eher in die Feinheiten der ZPO. Ihr werdet etwa Themen wie das Versäumnisurteil, Klageänderungen, Erledigungen besprechen und einstudieren. Da das Ganze aber nicht ein reiner Zeitvertreib sein soll, werden in der AG üblicherweise auch Hausaufgaben verteilt und zwei bis vier 5-stündige Klausuren geschrieben, sowie mindestens ein Aktenvortrag gehalten, der ebenso als Aktenvortrag in der Mündlichen Prüfung stattfinden kann.
Die Klausuren bestehen dann meist aus 8-15 Seiten (eher 15 als 8) und die Aktenvorträge aus 5-10 Seiten Aktenauszug, wo unter dem entsprechenden Zeitdruck eine praxisgerechte Lösung gefunden werden soll.
Aus den Klausuren, dem Aktenauszug und der sonstigen Mitarbeit setzt sich dann am Ende auch die AG-Note zusammen, also seid immer schön fleißig.
3.
Kommen wir zum zweiten Gleis der Station: Die praktische Seite beim Einzelausbilder. Und die ist wirklich höchst individuell.
Es hängt sehr vom Ausbilder ab, wie stark ihr eingebunden seid. Einige Richter sind da sehr engagiert, bei anderen scheint es eine Art „Nichtangriffspakt“ zu geben. Ganz nach dem Motto, störe du nicht meine, dann störe ich nicht deine Kreise.
Einige haben auch nur eine halbe Stelle und sind dementsprechend weniger am Gericht unterwegs.
Das hat natürlich alles so seine Vor- und Nachteile. Wer sich beispielsweise später als Richter bewerben will, der möchte natürlich zeigen, dass er engagiert mitarbeitet. Wer hingegen lieber im stillen Kämmerlein paukt, dem kann ein engagierter Einzelausbilder einen Strich durch die Rechnung machen.
Ich selbst war am Landgericht und glaube eine ganz gute Harmonie mit meinem Richter gehabt zu haben. Das ging eher so in Richtung des oben erwähnten Archimedes-Prinzips. Allgemein würde ich jedoch denjenigen, die wirklich viel erleben wollen, eher das Amtsgericht als das Landgericht ans Herz legen. Beim Landgericht hat man das Problem, dass man eigentlich überhaupt keinen Fall von Anfang bis zum Ende erleben kann. Das ist beim Amtsgericht zwar in der Regel auch nicht so, aber es geht zumindest ein bisschen flotter und dadurch ist ein wenig mehr Dynamik drin.
Aufgabentechnisch läuft es meist so ab, dass der Einzelausbilder dem Referendar eine Akte als Hausaufgabe mit nach Hause gibt und ihm aufgibt, ein Votum oder Urteil zu schreiben. Ein Votum ist im Grunde nichts anderes, als eine kurze rechtliche Bestandsaufnahme, die der Referendar beispielsweise zur Vorbereitung eines mündlichen Termins schreibt. Dadurch soll etwa ein bisher mit dem Fall unbefasster Kollege in die Lage versetzt werden, auch ohne genaues Aktenstudium gut vorbereitet in eine Verhandlung gehen zu können.
Die einzelnen Hausaufgaben werden dann in der Regel mit dem Einzelausbilder besprochen, von diesem bewertet und fließen wesentlich in die Stationsnote ein. Wer also mal Richter werden möchte, der sollte hier großes Augenmerk darauf legen. Nicht selten schreibt ein Richter dann auch im Zeugnis einen entsprechenden Empfehlungsvermerk.
Ansonsten nimmt man gemeinsam mit dem Ausbilder an Verhandlungen teil und sitzt dann zumeist neben ihm während der Verhandlung. Manchmal hat man dort auch die Möglichkeit einmal eine Verhandlungsleitung zu übernehmen. Wer wirklich Lust hat, sollte den Richter einmal fragen, ob er dies übernehmen kann. Ich selbst hab es nicht gemacht, kann aber durchaus ganz interessant sein.
IV. Fazit und Ausblick.
Lieber Rechtsfreund. Das war der Beitrag zum Thema „Zivilstation im Referendariat“.
Ich hoffe, ich konnte dir schon mal ein paar wertvolle Informationen mit auf dem Weg geben, damit du gut vorbereitet ins Ref startest.
Wenn du kurz davor stehst, wünsche ich dir auf jeden Fall viel Erfolg und hoffe, dass du einen guten AG-Leiter und sympathische Mitstreiter erhältst.
In einigen Wochen folgt der Beitrag zur Strafstation, also der Station bei der Staatsanwaltschaft oder dem Strafrichter.
Wenn du Lust hast, dann schau doch einfach wieder vorbei und wenn du Fragen zur Station oder zum aktuellen Beitrag hast, dann schreib mir einfach. So schwer bin ich nicht zu finden.
Lieben Gruß,
Tim
Der Autor
Tim Hendrik Walter ist praktizierender Anwalt und veröffentlicht auf seinem YouTube-Kanal als „Herr Anwalt“ regelmäßig Videos zu Rechtsfragen, dem Anwaltsdasein und der juristischen Ausbildung.
Erfahrungsberichte aus der Zivilstation:
Sebastian: Meine Einführungswoche in der Zivilrechtstation
Jannina: Mein größter Feind in der Zivilstation – das Diktiergerät!
Flavia: Meine erste Verhandlungsleitung
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