
#HierZucktDeinPrüfungsamt im Öffentlichen Recht in Kooperation mit RiVG Dr. David Stadermann
Moin zusammen,
heute empfehle ich euch einen interessanten Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt in Magdeburg vom 22.04.2024 (2 M 22/24). Es geht um die Variationsbreite der baurechtlichen Nutzung, ein besonders examensrelevantes Thema, bei dem dein Prüfungsamt vor Freude zuckt.
JurCase informiert:
Der Beschluss des OVG Magdeburg vom 22.04.2024 (2 M 22/24) findest du kostenfrei hier auf der Seite des Landesrechts Sachsen-Anhalt.
Was ist passiert?
Der Ast. betreibt auf einem Grundstück, in dessen Nähe sich Wohnungen befinden, im Wesentlichen einen Ziegelsteinhandel. Früher befand sich auf dem Grundstück ein Betonmischwerk.
Anwohner beschwerten sich bei der Ag. über den von dem Grundstück ausgehenden Lärm.
Mit Bescheid vom 29.4.2022 gab die Ag. dem Ast. auf, bis zum 30.6.2022 einen vollständigen und bearbeitungsfähigen Bauantrag für die Nutzung des Grundstücks und die dort durchgeführten Neu-/Umbaumaßnahmen einzureichen. Zur Begründung führte sie aus, durch Anwohnerbeschwerden sei sie dahingehend informiert worden, dass auf dem Grundstück ein Steinhandel/Baustoffhandel betrieben werde und dies zu Lärmbelästigungen führe. Eine entsprechende Baugenehmigung liege nach einer Recherche nicht vor.
Mit Bescheid vom 2.11.2023 untersagte die Ag. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die gewerblichen Nutzungen auf dem Grundstück, die spätestens zum 20.11.2023 einzustellen sind. Der vom Ast. gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines fristgemäß erhobenen Widerspruchs blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.
Worum geht es?
Baurecht, Nutzungsänderung und eine (ggf.) ungenehmigte Nutzung – und das alles im Eilverfahren. Was will man mehr?
Warum solltest du diese Entscheidung lesen?
Insgesamt bietet der Beschluss die Möglichkeit, zahleiche (bau)ordnungsrechtliche und daher klausurrelevante Fragen zu wiederholen:
- Wann liegt eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung vor? Wenn „die neue Nutzung baurechtlich anders beurteilt werden könnte, wenn also die jeder Art von Nutzung eigene Variationsbreite verlassen wird und bauplanungs- oder bauordnungsrechtliche Belange möglicherweise neu und andersartig berührt werden, so dass sich die Genehmigungsfrage neu stellt; ob tatsächlich eine andere baurechtliche Beurteilung zu erfolgen hat, beeinflusst das Vorliegen einer Nutzungsänderung nicht, dies ist erst das Ergebnis der vorgängigen baurechtlichen Prüfung“. Hier muss der Begriff der „Variationsbreite“ fallen!
- Und was heißt das konkret? „Die Variationsbreite der bisherigen Nutzung wird [etwa] dann überschritten, wenn das bisher charakteristische Nutzungsspektrum durch die Änderung erweitert wird […] oder wenn durch die Änderung andere Emissionsverhältnisse oder sonstige veränderte Auswirkungen begründet werden, an die das Städtebaurecht zugleich andere Folgen knüpft, etwa hinsichtlich der Zumutbarkeit für Nachbarn“.
- Und wie war das hier? „Es genügt insoweit nicht, dass sowohl der Betrieb des [Ast.] als auch das stillgelegte Betonwerk unter dieselbe Nutzungsart nach der BauNVO fallen mögen […].“ Entscheidend ist, wie sich konkret die Genehmigungslage in Bezug auf die vom Betonwerk ausgehenden Emissionen darstellte. Da sich der Ast. auf den Bestandsschutz beruft, muss er dies darlegen und ggf. beweisen, was ihm hier nicht gelungen ist.
- Die Nutzung kann (nach den entsprechenden Rechtsgrundlagen in den Landesbauordnungen) untersagt werden, wenn eine bauliche Anlage formell illegal – also ohne die erforderliche Genehmigung – genutzt wird; nur wenn sich die Genehmigungsfähigkeit „geradezu aufdrängt“, kann sich die Behörde nicht auf die bloß formelle Illegalität berufen.
- Und wie ist das mit dem Gleichheitsgrundsatz, der das Ermessen begrenzt? „Dem bauordnungsrechtlichen Einschreiten der Behörde können Fälle, in denen noch nicht eingeschritten worden ist, ausnahmsweise nur dann entgegengehalten werden, wenn es an der Art des Einschreitens an jedem System fehlt, für diese Art des (auch zeitlichen) Vorgehens keine einleuchtenden Gründe sprechen und die Handhabung deshalb als willkürlich angesehen werden muss.“ Hier war es nicht willkürlich, dass sich die Ag. den Ast. „herausgepickt“ hat, und nicht etwa die Baurechtmäßigkeit einzelner Wohnhäuser geprüft hat.