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Skandal im Sperrbezirk: Die Sperrbezirksverordnung (OVG Lüneburg, 11 KN 284/21)

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#HierZucktDeinPrüfungsamt im Öffentlichen Recht in Kooperation mit RiVG Dr. David Stadermann

 

Moin zusammen,
heute empfehle ich euch ein interessantes Urteil des OVG Lüneburg vom 31. Januar 2024 (11 KN 284/21) zum Thema Normenkontrolle.

JurCase informiert:

Das Urteil des OVG Lüneburg (Niedersachsen) vom 31.01.2024 (11 KN 284/21) findest du hier kostenfrei zugänglich im Niedersächsischen Vorschrifteninformationssystem.

Was ist passiert?

In dieser Entscheidung hat das OVG Lüneburg die sog. Sperrbezirksverordnung in Braun-schweig in Bezug auf die dort verbotene Bordellprostitution für unwirksam erklärt.
Die Sperrbezirksverordnung enthielt u.a. ein grundsätzliches Verbot der Bordellprostitution für das gesamte Stadtgebiet. Erlaubt blieb sie im historischen Rotlichtviertel sowie in im Zeitpunkt des Inkrafttretens legalen Prostitutionsbetrieben. Zudem waren in der Sperrbezirksverordnung fünf Toleranzzonen festgelegt, in denen die Bordellprostitution weiterhin zulässig sein sollte. Diese hatte der die Polizeidirektion Braunschweig als Verordnungsgeber (ausschließlich) für die von der Stadt mitgeteilten Industrie- und Gewerbegebiete anhand einer selbst entwickelten „Checkliste“ ermittelt. Die Checkliste enthielt Merkmale wie „angrenzendes Wohngebiet“, „Schule inkl. 500 m Umkreis“ oder „soziale Einrichtungen“. Industrie- und Gewerbegebiete, in denen nach Einschätzung der Polizeidirektion ein oder mehrere Merkmale der „Checkliste“ erfüllt waren, wurden als potentielle Toleranzzone verworfen.

Gegen das in der Sperrbezirksverordnung enthaltene Verbot der Bordellprostitution – insoweit beschränkt nach entsprechendem Hinweis im Termin – richtete ein (zukünftiger) Bordellbetreiber den Normenkontrollantrag.

Das OVG wies darauf hin, dass nach der Ermächtigungsgrundlage in Art. 297 Abs. 1 Nr. 2 EGStGB ein Verbot der Prostitution nur für Teile des Stadtgebiets zulässig ist. Voraussetzung des Verbots ist, dass diese Teile unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität gekennzeichnet seien. Hierbei könne der Verordnungsgeber zwar typisieren. Der gewählte Ansatz des Verordnungsgebers sei aber nicht nachvollziehbar, da etwa bei Misch- und Kerngebieten eine Schutzbedürftigkeit pauschal unterstellt werde, er sich auf die Zulieferung der Industrie- und Gewerbegebiete verlassen habe und bei der Anwendung der Checkliste stets das gesamte Gebiet unter Schutz gestellt wurde. Auch könne die Checkliste allenfalls ein gewisser Anhaltspunkt dafür sein, dass ein Gebiet schutzwürdig sein könnte.

Worum geht es?

Normenkontrolle, Rechtsverordnung, Verhältnismäßigkeit und die Reichweite der Ermächtigungsgrundlage

Warum solltest du diese Entscheidung bei der Vorbereitung berücksichtigen?

Das Urteil ist zwar recht lang, die Lektüre lohnt sich aber aus (mindestens) drei Gründen:

  1. Die Rechtsverordnung. Was ist sie, und wer kann sie wann erlassen? Konkret geht es um die die Frage ihrer Wirksamkeit, d.h. der Übereinstimmung mit der Ermächtigungsgrundlage, um Auslegung und Subsumtion und – letztlich – um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies kann man an dem Fall gut wiederholen.
  2. Der Rechtsschutz gegen Rechtsverordnungen. In der Praxis erlebte dieser während der Corona-Pandemie eine „Blütezeit“, da die Länder in der Regel durch Verordnungen Maßnahmen gegen zur Pandemiebekämpfung erließen, die dann im Rahmen der Normenkontrolle angegriffen wurden. In Hamburg und Berlin gibt es keine Rechtsvorschrift i.S.v. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO; hier steht die (negative) Feststellungsklage (vor dem Verwaltungsgericht) zur Verfügung.
  3. Am Rande geht es auch um Erledigung (Teil-Rücknahme) und um die Frage, wer in Ländern, die ansonsten das Behördenprinzip kennen, richtiger Antragsgegner der Normenkontrolle ist (Antwort: § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO, die Erlass-Körperschaft, hier also das Land Niedersachsen).

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Beitragsautor:

Dr. David Stadermann

Dr. David Stadermann

Dr. David Stadermann ist Richter am Verwaltungsgericht in Hamburg und Lehrbeauftragter an der HAW. Auf LinkedIn gibt Dr. Stadermann in Bezug auf der Öffentliche Recht Hinweise auf höchst- bzw. obergerichtliche Rechtsprechung, aber auch sonstige Ereignisse, die aufgrund ihrer Aktualität gerne in mündlichen Prüfungen verarbeitet werden können. Die Reihe #HierZucktDeinPrüfungsamt in Kooperation mit Herrn Dr. Stadermann findest du auch bei JurCase!

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