Hilfe, mein erstes Plädoyer – ein Spickzettel!
In Baden-Württemberg folgt auf die Zivilstation direkt die Strafstation (Anfang März). Nach einem kurzen Einführungslehrgang und einem dreitägigen Plädierkurs wird man wahlweise der Staatsanwaltschaft oder einer bzw. einem Strafrichter:in zugeteilt. Unabhängig davon müssen alle Referendar:innen mehrmals den sogenannten Sitzungsdienst für die Staatsanwaltschaft ableisten. Dabei tritt man im Rahmen des Sitzungsdienstes völlig eigenständig als Sitzungsvertreter:in für die Staatsanwaltschaft vor Gericht auf. Wie oft ein:e Referendar:in eingesetzt wird, hängt stark vom jeweiligen Einsatzort ab. Mehr darüber könnt ihr meinem letzten Artikel entnehmen!
Vorliegend soll es darum gehen, euch einen Spickzettel für den Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft – auch Plädoyer genannt – an die Hand zu geben, mit dem ihr den gefürchteten Endgegner der Strafstation garantiert erfolgreich meistert. Der Schlussvortag wird untergliedert in:
- Anrede des Gerichts
- Sachverhaltsdarstellung
- Beweiswürdigung
- Rechtliche Würdigung
- Strafzumessung und Antrag auf Verurteilung bzw. Freispruch
- Nebenstrafen / Maßregeln
- Kosten
1. Die Anrede des Gerichts
Der Schlussvortrag beginnt stets mit der Anrede des Gerichts. Diese lautet immer: „Hohes Gericht!“ Ist außerdem ein:e Verteidiger:in anwesend kann die Anrede auch „Hohes Gericht, Herr/ Frau Verteidiger:in“ lauten. Die Ansprache der Verteidigerin bzw. des Verteidigers ist aber nicht zwingend.
2. Die Sachverhaltsdarstellung
Sodann ist der Sachverhalt aus der Anklage darzustellen. Hier ist natürlich zu unterscheiden, ob sich der Sachverhalt aus der Anklage in der Hauptverhandlung bestätigt hat oder ob neue Erkenntnisse gewonnen und der Sachverhalt eventuell sogar widerlegt wurde. Je nachdem kann man folgenden Einleitungssatz verwenden: „ Die Staatsanwaltschaft hält aufgrund der in der heutigen Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme den in der Anklageschrift niedergelegten Sachverhalt für erwiesen/nicht erwiesen“ oder „Die heutige Hauptverhandlung hat gezeigt, dass sich der Sachverhalt wie bereits in der Anklage verlesen im Wesentlichen bestätigt hat.“
Danach folgt die Sachverhaltsangabe, wie sie nach Überzeugung der Staatsanwältin bzw. des Staatsanwalts abgelaufen ist. Dabei muss man die Anklage nicht nochmals wörtlich wiederholen, sondern sollte diese stark verkürzt darstellen. Haben sich neue Erkenntnisse ergeben, sind diese hervorzuheben. Beispiel: „Entgegen der Anklageschrift hat sich in der Hauptverhandlung herausgestellt, dass der Angeklagte bei der Tat kein Messer bei sich geführt hat.“
3. Die Beweiswürdigung
Räumt die bzw. der Angeklagte die Tat auch in der Hauptverhandlung nicht ein, stellt die Beweisaufnahme das Herzstück der Verhandlung und des Plädoyers dar. Die bzw. er Staatsanwält:in muss dann die Zeugenaussagen (bzw. die anderen Beweismittel) würdigen und darlegen, wieso sie oder er die Zeugin bzw. den Zeugen für glaubwürdig und ihre bzw. seine Aussage für glaubhaft hält.
Ein möglicher Einleitungssatz könnte lauten: „ Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung der Staatsanwaltschaft fest aufgrund der Einlassung der Angeklagten / des Angeklagten“ und/ oder „der Aussage der Zeugin bzw. des Zeugen“ und/oder „ der Augenscheinnahme etc.“
Sodann müssen selbstverständlich nähere Ausführungen folgen. Da dieser Teil des Plädoyers daheim nicht vollständig vorbereitet werden kann, sollte man sich unbedingt bereits während der Beweisaufnahme Notizen machen, die dann im Plädoyer verwendet werden. Beispiel: „Der Zeuge … schilderte glaubhaft, dass er den Angeklagten am Tattag um …. Uhr in der … Straße dabei beobachtet hat, wie dieser….“
4. Rechtliche Würdigung
Innerhalb der rechtlichen Würdigung muss dann nur noch genannt werden, nach welcher Strafvorschrift sich die bzw. der Angeklagte schuldig gemacht hat: „Aufgrund dieses festgestellten Sachverhalts hat sich die / der Angeklagte wegen… gemäß § … StGB strafbar gemacht.“
5. Strafzumessung und Antrag
Eine elegante Überleitung von der rechtlichen Würdigung zur Strafzumessung lautet: „Es stellt sich also die Frage, wie die / der Angeklagte zu bestrafen ist?“ Anschließend gibt es die Möglichkeit, den Strafrahmen zu nennen. Dies ist jedoch nicht zwingend: „Das Gesetz sieht für den Tatbestand des …. einen Strafrahmen von …. Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor.“
Sodann ist zu berücksichtigen, dass Strafmilderungen und Strafschärfungen zu einer Strafrahmenverschiebung führen können, § 49 StGB. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne wägt man jetzt die Umstände, die für und gegen die bzw. den Täter:in sprechen, miteinander ab. Am besten fertigt man sich dazu eine Tabelle mit Pro und Contra Argumenten. Beispiel: „Zu Gunsten des Angeklagten spricht, dass er heute in der Hauptverhandlung die Tat gestanden hat. Für ihn spricht außerdem, dass er die Diebesbeute dem Geschädigten vollständig zurückgegeben hat.“ und/oder „Zu Ungunsten des Angeklagten sind seine zahlreichen Vorstrafen zu werten. Er wurde erst im letzten Jahr vom AG … zu einer Freiheitsstrafe von … auf Bewährung verurteilt. Die heutige Tat wurde innerhalb des zweijährigen Bewährungszeitraums begangen.“
Anschließend ist anzugeben, welche Strafe das Gericht für angemessen hält, dies geschieht am einfachsten mit folgendem Überleitungssatz: „Unter Berücksichtigung aller für und gegen die Angeklagte oder den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkten hält die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe/ Freiheitsstrafe von… für angemessen.“
Nach § 38 StGB wird bei der Freiheitsstrafe zwischen lebenslanger und zeitiger Freiheitsstrafe unterschieden. Nach § 39 StGB wird die Freiheitsstrafe unter einem Jahr in Monaten und Wochen bemessen und über einem Jahr in Jahren und Monaten. Gem. § 56 StGB kann eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn eine positive Sozialprognose vorliegt. Bei einer Freiheitsstrafe, die ein Jahr, aber nicht zwei Jahre übersteigt, kann eine Aussetzung zur Bewährung nur erfolgen, wenn besondere Umstände vorliegen.
Eine Geldstrafe ist gemäß § 40 StGB in Tagessätzen zu verhängen. Die Anzahl der Tagessätze (mindestens 5, höchstens 360) wird von seiner Schuld bestimmt. Die Höhe eines Tagessatzes (mindestens 1€, höchstens 30.000 €) bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung des Nettoeinkommens der Täterin bzw. des Täters (Formel: Monatsgehalt/30). Bei einem Nettoeinkommen von 1500€ ist daher eine Tagessatzhöhe von 50 € angezeigt. Je nach Bundesland und Richter:in werden vom Nettoeinkommen zuvor aber noch Ausgaben für Miete, Schulden und Unterhaltsverpflichtungen abgezogen.
An dieser Stelle ist es auch wichtig, sich nochmals die Gesamtstrafenbildung nach §§ 53, 54 StGB zu vergegenwärtigen, damit man in der Verhandlung davon nicht überrascht wird. Grundsätzlich nimmt man dafür die höchste Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) und erhöht diese um die Hälfte der Summe der weiteren Einzelstrafen. Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen.
6. Nebenstrafen / Maßregeln
Das Fahrverbot gemäß § 44 StGB stellt eine häufige Nebenstrafe dar. Nach § 69 I StGB kann außerdem die Fahrerlaubnis entzogen, nach § 69 III StGB der Führerschein eingezogen und nach § 69a StGB eine Sperrfrist beantragt werden. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist als Maßregel anzusehen. Beides kommt häufig bei Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) oder dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) in Betracht:
Formulierungsbeispiel: „Die Staatsanwaltschaft beantragt, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen und seinen Führerschein einzuziehen. Weiterhin beantrage ich, anzuordnen, dass die Verwaltungsbehörde ihm vor Ablauf von… Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf.“
7. Kosten
Gemäß § 464 StPO muss von Amts wegen darüber entschieden werden, wer die Kosten des Verfahrens trägt. § 465 StPO bestimmt, dass die oder der Angeklagte im Falle seiner Verurteilung die Kosten tragen muss. Der Kostenantrag ist nicht zwingend. Er stellt aber einen schönen und deutlichen Abschluss des Plädoyers dar: „ Abschließend beantrage ich, der bzw. dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.“
Ich hoffe, euch hilft dieser Spickzettel weiter und wünsche euch viel Spaß bei eurem ersten Sitzungsdienst!
– Jannina
(Referendarin in BW, Autorin auf justillon.de
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