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Fall des Monats September 2024: Raub in mittelbarer Täterschaft

By 17. September 2024No Comments
Fall des Monats

Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 14.02.2024, Az.: 4 StR 487/22

Problem: Raub in mittelbarer Täterschaft

Einordnung: Strafrecht AT II / Täterschaft und Teilnahme

In Kooperation mit Jura Intensiv präsentieren wir dir den #examensrelevanten Fall des Monats. Dieser bietet einen Sachverhalt mit Fragestellung, sodass der Fall eigenständig gelöst werden kann. Die hier präsentierten Lösungen enthalten in aller Regel auch weiterführende Hinweise für eine optimale Examensvorbereitung.

Einleitung

Der BGH prüft im vorliegenden Sachverhalt die Zurechnung der Gewaltanwendung im Rahmen eines Raubes, § 249 I StGB, sowohl über § 25 II StGB als auch über § 25 I 2. Fall StGB.

Sachverhalt

Der Angeklagte A hatte beschlossen, dem Geschädigten G Drogen, Geld und Wertsachen – notfalls unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen – aus dessen Wohnung zu entwenden. Nachdem A von G, dem er zuvor vorgespiegelt hatte, Drogen kaufen zu wollen, in dessen Wohnung eingelassen worden waren, benachrichtigte A den Zeugen C, der – wie A wusste – auf G eifersüchtig war und ihm deshalb gedroht hatte. Nachdem C vor Ort erschienen war, verließ A die Wohnung des G, öffnete die Haustür und ließ C in den Hausflur ein.

A hoffte dabei darauf, dass C den G außer Gefecht setzen würde und er in der Folge ungestört dessen Wohnung nach Drogen, Geld und Wertgegenständen durchsuchen könnte. Eine solche Absicht des A hielt C jedenfalls für möglich. Nachdem G seine Wohnungstür geöffnet hatte, um A wieder einzulassen, versetzte ihm C unvermittelt einen Kopfstoß und schlug mit der Faust auf ihn ein. A durchsuchte unterdessen das Schlafzimmer des G und entwendete 50 € Bargeld. C nahm dies wahr; ihm war bewusst, dass seine Gewalthandlungen gegen G der Ermöglichung einer Wegnahme dienten und billigte dies.

Hat A sich wegen der Begehung von Verbrechen strafbar gemacht?

[Anm.: §§ 239a, 239b StGB sind nicht zu prüfen.]

Leitsatz der JI-Redaktion:

Ein (mit-)täterschaftlicher Raub setzt stets eine eigene Selbst- oder Drittzueignungsabsicht voraus; ein bedingter Vorsatz genügt insoweit nicht.

Lösung

JuraIntensiv informiert:

PRÜFUNGSSCHEMA: RAUB, § 249 I StGB

A. Tatbestand

I. Qualifiziertes Nötigungsmittel
1. Gewalt gegen einer Person
2. Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben

II. Fremde bewegliche Sache

III. Wegnahme

IV. Vorsatz bzgl. I. – III.

V. Finalzusammenhang

VI. Absicht rechtswidriger Zueignung

B. Rechtswidrigkeit und Schuld

Die §§ 239a I 1. Fall, 239b I 1. Fall StGB sind unvollkommen zweiaktige Delikte und deshalb insb. in Zweipersonenverhältnisses (wie im vorliegenden Sachverhalt) nur dann anwendbar, wenn zwischen der Schaffung der Zwangslage für das Opfer (durch den ersten Akt, das Entführen oder Sichbemächtigen) und deren Ausnutzung (durch den geplanten zweiten Akt) eine Stabilisierung der Zwangslage ein- treten soll (vgl. hierzu Schumacher/ Schweinberger, JURA INTENSIV, Strafrecht BT I, Rn 530 ff.). Dies wäre im vorliegenden Sachverhalt allerdings nicht der Fall.

A. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 25 II StGB

Durch das Hineinlassen des C in das Haus des O und das Mitnehmen des Bargelds könnte A sich wegen mittäterschaftlichen Raubes gem. §§ 249 I, 25 II StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand

Zunächst müsste ein qualifiziertes Nötigungsmittel angewendet worden sein, also Gewalt gegen eine Person oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben.

A selbst hat kein qualifiziertes Nötigungsmittel angewendet. Allerdings hat C durch den Kopfstoß und die Schläge Gewalt gegen O angewendet. Diese Handlung des C wäre dem A gem. § 25 II StGB zuzurechnen, wenn C Mittäter des A wäre. Um Mittäter zu sein, müsste C allerdings die subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 249 I StGB, insbesondere die Zueignungsabsicht, selbst verwirklicht haben, da subjektive Strafbarkeitsvoraussetzungen auch unter Mittätern nicht zugerechnet werden können.

„[6] [Es] liegt keine (sukzessive) Mittäterschaft des Zeugen C vor, denn ein (mit-)täterschaftlicher Raub setzt stets eigene Selbst- oder Drittzueignungsabsicht voraus. Ein bedingter Vorsatz – wie hier festgestellt – genügt insoweit nicht.“ (vgl. insoweit auch BGH, Beschluss vom 26.04.2019, 1 StR 37/19, NStZ-RR 2019, 248)

C hatte es zwar billigend in Kauf genommen, dass A sich Wertsachen des O zueignen würde, hat dies aber nicht beabsichtigt. Mangels eigener Zueignungsabsicht ist C somit nicht (Mit-)Täter eines Raubes, sodass seine Handlung A nicht gem. § 25 II StGB zuzurechnen ist.

II. Ergebnis

A ist nicht strafbar gem. §§ 249 I, 25 II StGB.

Der BGH spricht in der vorliegenden Entscheidung weder von einer mittelbaren Täterschaft noch nennt er § 25 I 2. Fall StGB explizit als Zurechnungsnorm. Jedoch muss der vorliegende Sachverhalt nach seiner Auffassung eine mittelbare Täterschaft darstellen, da § 25 II StGB und § 25 I 2. Fall StGB die einzigen Normen sind, über die im Strafrecht fremde Handlungen zugerechnet werden können und der BGH § 25 II StGB bereits verneint hat.

Die für die mittelbare Täterschaft erforderliche Werkzeugeigenschaft des C ergibt sich hier aus der bei C fehlenden Zueignungsabsicht, weswegen C selbst nicht als Täter eines Raubes strafbar ist. Die eben- falls erforderliche Überlegenheit des Hintermannes A dürfte hier in einer sog. „Wollensherrschaft“ bestehen. A hat nicht nur Kenntnis von dem Strafbarkeitsmangel des C, sondern aufgrund seiner eigenen Zueignungsabsicht ein deutlich höheres Interesse an der Begehung des Raubes. Auch hat A durch das Hineinlassen des C und seine Anwesenheit am Tatort die Kontrolle über das Tatgeschehen. In einer Klausur müssten diese Voraussetzungen deutlich detaillierter geprüft werden als der BGH dies tut.

B. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 25 I 2. Fall StGB

Durch sein Verhalten im Haus des O könnte A sich aber wegen Raubes in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 249 I, 25 I 2. Fall StGB strafbar gemacht haben.

I. Tatbestand
1. Qualifiziertes Nötigungsmittel

A hat selbst kein qualifiziertes Nötigungsmittel angewendet (s.o.). Jedoch hat C Gewalt gegen eine Person angewendet. Dies könnte A gem. § 25 I 2. Fall StGB zuzurechnen sein.

„[6] Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich eines Raubes gemäß § 249 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, wird von den Feststellungen getragen. […] Die Gewalthandlungen des Zeugen C sind dem Angeklagten […] zuzurechnen, denn er hat den Zeugen zielgerichtet zur Wohnung des Geschädigten bestellt und ihm dort Zutritt verschafft, damit er Gewalt gegen den Geschädigten ausüben kann. Der Angeklagte war während der Gewaltausübung durchgängig in unmittelbarer Nähe zur Tatausführung anwesend und wollte diese als eigene Handlung, da sie ihm – wie vom Zeugen erkannt und gebilligt – die Wegnahme von Wertgegenständen ermöglichen sollte. Mit der Zurechnung der Gewaltausübung des Zeugen C und der eigenhändigen Wegnahme des Bargeldes in Zueignungsabsicht erfüllte der Angeklagte damit […] den Tatbestand des Raubes.“

2. Fremde bewegliche Sache

Die im Eigentum des O stehenden Geldscheine sind für A fremde bewegliche Sachen.

JuraIntensiv informiert:

Sache ist jeder körperliche Gegenstand.

Beweglich ist eine Sache, die fortgeschafft werden kann.

Fremd ist eine Sache, die zumindest auch im Eigentum einer anderen Person steht.

3. Wegnahme

A hat die Geldscheine ohne jegliche Mitwirkung des O mitgenommen. Dies stellt sowohl nach der inneren Willensrichtung des Opfers, die nach der Exklusivitätstheorie (vgl. ausführlich Joecks/Jäger, StGB, § 249 Rn 9, § 255 Rn 5) maßgeblich ist, als auch nach dem äußeren Erscheinungsbild, auf das die Spezialitätstheorie (vgl. ausführlich BGH, Urteil vom 20.04.1995, 4 StR 27/95, NJW 1995, 2799) abstellt, eine Wegnahme dar.

4. Vorsatz

A handelte mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände.

5. Finalzusammenhang

A hat C auch gezielt Gewalt gegen O einsetzen lassen, um die Wegnahme des Bargelds zu ermöglichen. Der für den Raub erforderliche Finalzusammenhang ist somit gegeben.

6. Absicht rechtswidriger Zueignung

A hatte die Absicht, das Bargeld selbst auszugeben, es also seinem Vermögen einzuverleiben (Aneignungsabsicht), unter dauerhaftem Ausschluss des Berechtigten O (Enteignungswille), hat also mit Zueignungsabsicht gehandelt. A hatte keinen Anspruch auf das Geld, sodass die beabsichtigte Zueignung auch rechtswidrig war. A handelte auch mit Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung und somit in der Absicht rechtswidriger Zueignung.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

A ist strafbar gem. §§ 249 I, 25 I 2. Fall StGB.

C. Strafbarkeit gem. §§ 253 I, 255, 25 I 2. Fall StGB

A könnte sich durch sein Verhalten im Haus des O auch wegen räuberischer Erpressung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 253 I. 255, 25 I 2. Fall StGB strafbar gemacht haben.

Nach der Exklusivitätstheorie schließen sich die Tatbestände von Raub, § 249 I StGB und räuberischer Erpressung, §§ 253 I, 255 StGB aus, was natürlich auch für deren Verwirklichung in mittelbarer Täterschaft gilt. Da A den Tatbestand des Raubes verwirklicht hat (s.o.), kann somit nach dieser Meinung eine tatbestandliche räuberische Erpressung nicht mehr verwirklicht sein. Nach der Spezialitätstheorie enthält jeder Raub (in mittelbarer Täterschaft) immer auch eine räuberische Erpressung (in mittelbarer Täterschaft). Da A hier einen Raub begangen hat (s.o.), liegt nach dieser Meinung auch eine räuberische Erpressung vor, die jedoch auf Konkurrenzebene hinter dem spezielleren Raub zurücktritt.

Nach beiden Meinungen ist somit eine Strafbarkeit des A wegen räuberischer Erpressung in mittelbarer Täterschaft neben derjenigen wegen Raubes in mittelbarer Täterschaft nicht mehr gegeben.

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Beitragsautor:

Jura Intensiv

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