
OVG Münster, Beschluss vom 30.04.2025, Az.: 20 A 1519/24
Problem: Widerruf einer Waffenbesitzkarte wegen Mitgliedschaft in der AfD
Einordnung: Waffenrecht
In Kooperation mit Jura Intensiv präsentieren wir dir den #examensrelevanten Fall des Monats. Dieser bietet einen Sachverhalt mit Fragestellung, sodass der Fall eigenständig gelöst werden kann. Die hier präsentierten Lösungen enthalten in aller Regel auch weiterführende Hinweise für eine optimale Examensvorbereitung.
Einleitung
Eine derzeit aufgeregte Debatte: Kann eine waffenrechtliche Erlaubnis allein deshalb aufgehoben werden, weil deren Inhaber Mitglied der AfD ist? Der Beschluss des OVG Münster bringt etwas juristisches Licht in die Diskussion.
Sachverhalt
Der Kläger ist seit dem Jahr 2022 Inhaber einer Waffenbesitzkarte. Seit dem Jahr 2013 ist er Mitglied der AfD in NRW sowie der Bundespartei und für die AfD in verschiedenen Funktionen auf kommunaler Ebene tätig. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte die AfD-Bundespartei am 25.02.2021 als sog. Verdachtsfall ein und begründete dies damit, es lägen hinreichend verdichtete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Partei gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge. Daraufhin widerrief der Beklagte nach vorheriger Anhörung des Klägers dessen waffenrechtliche Erlaubnis. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des § 5 II Nr. 3 Buchstabe b) und c) WaffG vorliege, was aus der Mitgliedschaft des Klägers in der AfD folge. Der Kläger hält dem entgegen, er habe sich immer zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, extremistisches Gedankengut lehne er ab. Die bloße Mitgliedschaft in der AfD reiche deshalb für die Annahme seiner mangelnden Zuverlässigkeit nicht aus.
Ist der Widerruf der Waffenbesitzkarte rechtmäßig?
Leitsätze
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Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b) oder c) WaffG kann der Besitzer von Waffen oder Munition nur dann als unzuverlässig angesehen werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er in den letzten fünf Jahren Mitglied vor dem maßgeblichen Erlaubniswiderruf in einer Vereinigung gewesen ist oder eine solche unterstützt hat, die ihrerseits in dieser Zeit nachweislich eine der in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a) WaffG genannten Bestrebungen verfolgt hat.
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Das Verfolgen von Bestrebungen im Sinne der Vorschrift muss für die zuständige Behörde und im Streitfall für das Gericht feststehen; es genügt nicht, dass lediglich Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Vereinigung solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat.
Lösung
Der Widerruf der Waffenbesitzkarte ist rechtmäßig, wenn er auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht, die formell und materiell rechtmäßig angewendet wurde.
I. Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf
Als Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf kommt allein § 45 II 1 WaffG in Betracht.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Der Widerruf ist formell rechtmäßig.
III. Materielle Rechtmäßigkeit
Der Widerruf ist materiell rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des § 45 II 1 WaffG erfüllt sind.
1. Erlaubnis i.S.d. WaffG
§ 45 II 1 WaffG ermöglicht nur den Widerruf einer Erlaubnis „nach diesem Gesetz“. Die Waffenbesitzkarte ist gem. § 10 I 1 WaffG eine solche Erlaubnis.
2. Nachträglicher Versagungsgrund
Weiterhin müssen nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Erlaubnisversagung hätten führen müssen. Die Gründe für die Versagung einer waffenrechtlichen Erlaubnis ergeben sich aus § 4 I WaffG (= Versagungsgrund). Von den in dieser Norm genannten Gründen kommt bei dem Kläger nur die fehlende Zuverlässigkeit gem. § 5 WaffG in Betracht. Konkret könnte ihm eine Regelunzuverlässigkeit gem. § 5 II Nr. 3 Buchst. b) und c) WaffG vorzuwerfen sein. Da die AfD-Bundespartei vom Bundesamt für Verfassungsschutz „nur“ als Verdachtsfall eingestuft wird, ist fraglich, ob dadurch die Voraussetzungen des § 5 II Nr. 3 Buchst. b) und c) WaffG erfüllt werden. D.h. es ist zu klären, ob sich die einleitende Formulierung „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“ in § 5 II Nr. 3 WaffG auch auf das Verfolgen der im Gesetzestext genannten Bestrebungen bezieht (= Kernproblem) oder nur auf die Mitgliedschaft (§ 5 II Nr. 3 Buchst. b) WaffG) bzw. die Unterstützungshandlung (§ 5 II Nr. 3 Buchst. c) WaffG). Das verlangt eine Auslegung der Norm unter Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden.
„[…] Zwar ist […] der genannte Einleitungshalbsatz der Regelung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift unter den Unterpunkten Buchstabe a bis c von § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG insgesamt vorangestellt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Einleitungshalbsatz sich auf sämtliche tatbestandlichen Merkmale bezieht, die in diesen Unterpunkten geregelt sind. Den unmittelbaren Bezugspunkt des Einleitungshalbsatzes bildet in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b WaffG dem Wortlaut nach allein das Merkmal der Mitgliedschaft in einer Vereinigung. Dieses ist als Voraussetzung des Regeltatbestandes waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit mit den Worten „Mitglied in einer Vereinigung waren“ geregelt, die direkt an den Einleitungshalbsatz anschließen. Dagegen knüpft der darauffolgende attributive Relativsatz („…die solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat…“) weder an das Merkmal der Mitgliedschaft noch an den Einleitungshalbsatz an, sondern bezieht sich allein auf das vorangestellte Substantiv „Vereinigung“.
Entsprechendes gilt für § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe c WaffG. Unmittelbarer Bezugspunkt des Einleitungshalbsatzes ist dem Wortlaut der Vorschrift nach allein die Unterstützungshandlung, die direkt im Anschluss an den Einleitungshalbsatz als Voraussetzung des Regeltatbestandes waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit mit den Worten „die eine solche Vereinigung unterstützt haben“ geregelt ist. Das Objekt dieser Unterstützungshandlung ergibt sich erst aus dem – durch das Demonstrativpronomen „solche“ gebildeten – Verweis auf Vereinigungen im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b WaffG. Das ist indes nur eine Vereinigung, die bestimmte Bestrebungen – welche wiederum durch den Verweis auf § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a WaffG näher konkretisiert werden – verfolgt oder verfolgt hat.“
(= Wortauslegung)
Unter systematischen Gesichtspunkten ist Folgendes zu berücksichtigen:
„Der alleinige Bezug der Nachweiserleichterung auf die Mitgliedschaft im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b WaffG bzw. auf die Unterstützungshandlung im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe c WaffG führt zu keinem Wertungswiderspruch innerhalb von § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG. Insbesondere legt das aufgezeigte Normverständnis hinsichtlich der Verfolgung der in der Vorschrift aufgeführten Bestrebungen keine unterschiedlichen Maßstäbe an, je nachdem ob diese einzeln oder innerhalb einer Vereinigung verfolgt werden. Vielmehr wird sichergestellt, dass das eigene Verhalten des Betroffenen (Verfolgung eigener Bestrebungen, Mitgliedschaft oder Unterstützungshandlung) diesem nicht im Sinne eines Vollbeweises nachgewiesen werden muss, eine Zurechnung verfassungsfeindlichen Verhaltens Dritter jedoch nur erfolgt, wenn dieses feststeht.
(= Systematische Auslegung; wichtige Überlegung)
[…] der Zweck des Waffengesetzes […] ist, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Risiko zu minimieren und nur bei Personen hinzunehmen, die das Vertrauen verdienen, in jeder Hinsicht ordnungsgemäß und verantwortungsbewusst mit der Waffe umzugehen. Auch dem wird das aufgezeigte Verständnis von § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG […] ohne weiteres gerecht. […] Hinzu tritt, dass die am Sinn und Zweck einer Vorschrift orientierte Auslegung durch deren Wortlaut und Systematik begrenzt wird, die – wie ausgeführt – zu dem Ergebnis geführt hat, dass die Verfassungsfeindlichkeit der Vereinigung erwiesenermaßen vorliegen muss.“
(= Teleologische Auslegung und Begrenzung der teleologischen Auslegung durch Wortlaut und Systematik)
Demnach muss die Verfassungsfeindlichkeit der Vereinigung i.S.v. § 5 II Nr. 3 Buchst. b) und c) WaffG erwiesen sein, ein tatsachenbegründeter Verdacht genügt nicht. Fraglich ist, ob diese Überzeugungsgewissheit mit der Einstufung der AfD-Bundespartei als Verdachtsfall gegeben ist.
„Bei einer solchen Einstufung handelt es sich um die vom Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt gegebene Einordnung, mit der das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c, Satz 5 BVerfSchG beschrieben wird (= Anknüpfungspunkt im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG).) Bestrebungen im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG erfordern als „politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen“ ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives oder illegales Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Die Aktivitäten müssen über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen, auf die Durchsetzung eines politischen Ziels ausgerichtet sein und dabei auf die Beeinträchtigung eines der Elemente der freiheitlich demokratischen Grundordnung abzielen.
Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG ist die zentrale befugnisrechtliche Kategorie des Bundesverfassungsschutzgesetzes, die das Bundesamt für Verfassungsschutz zur nachrichtendienstlichen Sammlung und Auswertung von Informationen nach Maßgabe der §§ 8 ff. BVerfSchG berechtigt. Dazu gehört insbesondere die aus § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG abgeleitete Befugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz, den Betroffenen wegen des Verdachts gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen zu beobachten.
Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG setzt indes nicht voraus, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen tatsächlich bestehen, und verlangt auch keine Gefahrenlage im Sinne des Polizeirechts. Allerdings sind bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, unzureichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis geeignet sein, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts.
Dagegen erfordert die Einstufung eines Personenzusammenschlusses als gesichert rechtsextrem und damit verfassungsfeindlich auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 5, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG, dass sich die Verdachtsmomente zur Gewissheit verdichtet haben. […]
(= Unterschied zwischen Einstufung als „Verdachtsfall“ und als „gesichert rechtsextrem“)Lässt die vom Bundesamt für Verfassungsschutz am 25. Februar 2021 vorgenommene Einstufung der AfD-Bundespartei als Verdachtsfall mithin allenfalls auf tatsächliche Anhaltspunkte schließen, dass diese Partei Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verfolgt, gilt Entsprechendes im Hinblick darauf, ob diese Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a WaffG verfolgt. Die verfassungsschutzrechtliche Einstufung der AfD-Bundespartei als Verdachtsfall lässt daher ebenso wenig mit der für eine Verwirklichung des Regeltatbestands waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b oder c WaffG erforderlichen Überzeugungsgewissheit darauf schließen, dass diese Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a WaffG tatsächlich verfolgt oder verfolgt hat.“
(= Konsequenz: „Verdachtsfall“ genügt nicht für § 5 II Nr. 3 Buchst. b) und c) WaffG)
Folglich ist der Kläger nicht unzuverlässig gem. § 5 II Nr. 3 Buchst. b) und c) WaffG, sodass die Voraussetzungen des § 45 II 1 WaffG nicht erfüllt sind und der Widerruf der Waffenbesitzkarte rechtswidrig ist.
Fazit
Der Beschluss ist schon deshalb lehrreich, weil er mustergültig zeigt, wie Gesetze auszulegen sind. Er beinhaltet auch eine umfassende historische Interpretation, die in einer Klausur mangels Kenntnis der Gesetzgebungsgeschichte jedoch nicht verlangt werden kann (vgl. Rn. 48-79 des Beschlusses).
Nicht beantwortet ist mit der Entscheidung die Frage, ob sich waffenrechtlich etwas ändern würde, wenn die AfD – wie jetzt geschehen – vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird (Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 02.05.2025) und dies einer gerichtlichen Überprüfung standhält. Da in diesem Fall die Verfassungsfeindlichkeit mit Gewissheit feststeht, dürfte die Annahme einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit zumindest vertretbar sein.
Weil der Kläger im Zeitpunkt der Erteilung der Waffenbesitzkarte schon AfD-Mitglied war, wäre im Übrigen eine Anwendung des § 45 I WaffG näherliegend als die Heranziehung des § 45 II 1 WaffG. Das OVG hat dies und eine daran anknüpfende Umdeutung gem. § 47 VwVfG NRW nur kurz abgehandelt, da die Unzuverlässigkeitsvoraussetzung bei beiden Normen identisch ist (vgl. Rn. 108 des Beschlusses).
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