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Fall des Monats August 2025: Wirksamkeit einer Veränderungssperre

VGH München, Urteil vom 13.02.2025, Az.: 9 N 24.940

Problem: Wirksamkeit einer Veränderungssperre

Einordnung: Baurecht

In Kooperation mit Jura Intensiv präsentieren wir dir den #examensrelevanten Fall des Monats. Dieser bietet einen Sachverhalt mit Fragestellung, sodass der Fall eigenständig gelöst werden kann. Die hier präsentierten Lösungen enthalten in aller Regel auch weiterführende Hinweise für eine optimale Examensvorbereitung.

Einleitung

Der VGH München musste sich mit typischen Einwendungen gegen eine Veränderungssperre i.S.v. § 14 BauGB befassen (Festsetzungen des künftigen Bebauungsplans sind nicht einmal ansatzweise erkennbar und zudem nur vorgeschoben, um ein Bauprojekt zu verhindern).

Sachverhalt

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der ein Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) festsetzt. Auf dem Grundstück der Antragstellerin steht ein bauaufsichtlich genehmigtes Geschäftshaus, für das sie eine Nutzungsänderung anstrebt. Das Gebäude soll zukünftig u.a. einen Beherbergungsbetrieb und eine Betriebsleiterwohnung aufnehmen. Die Standortgemeinde fasst daraufhin einen Planaufstellungsbeschluss, um den bestehenden Bebauungsplan dergestalt zu ändern, dass die Nutzungsformen „Beherbergungen“ und „Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen“ nicht zulässig sind. Zur Sicherung der Planung beschließt die Gemeinde zeitgleich eine Veränderungssperre. Zur Begründung führt sie aus, der Ausschluss der genannten Nutzungsformen solle immissionsschutzrechtliche Konflikte verhindern. In dem Gewerbegebiet würden bisher Nutzungen ausgeübt, die dem Dienstleistungssektor sowie dem Groß- und Außenhandel zuzuordnen seien. Beherbergungsgewerbe sei hingegen bisher in dem Gebiet nicht etabliert.

Die Antragstellerin hält die Veränderungssperre für unwirksam, weil es keine zu schützende Planung gebe. Die angeführten Überlegungen der Gemeinde seien nur vorgeschoben, um zu verdecken, dass es in Wahrheit ausschließlich um eine Verhinderung des Bauvorhabens der Antragstellerin gehe.

Ist die Veränderungssperre unwirksam?

Leitsätze (der Redaktion)

  1. Die gesetzliche Voraussetzung, dass die Veränderungssperre zur Sicherung der Planung erlassen wird, ist nur erfüllt, wenn die mit dem Aufstellungsbeschluss eingeleitete Planung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Veränderungssperre ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll und wenn diese Planung nicht an schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Verfahrens erkennbaren, nicht behebbaren Mängeln leidet.
  2. Von einer Verhinderungsplanung ist auszugehen, wenn der zu sichernde Bebauungsplan keine positive Planungskonzeption hat oder eine positive Zielsetzung nur vorgeschoben wird, um eine in Wahrheit auf bloße Verhinderung gerichtete Planung zu verdecken. Ein solcher Fall ist aber nicht schon dann gegeben, wenn der Hauptzweck der Festsetzungen in der Verhinderung bestimmter städtebaulich relevanter Nutzungen besteht.

Lösung

Die Veränderungssperre ist unwirksam, wenn sie an einem formellen oder materiellen Fehler leidet, der gem. §§ 214, 215 BauGB beachtlich ist.

Wegen §§ 214, 215 BauGB führt nicht jeder Rechtsverstoß automatisch zur Unwirksamkeit, deshalb modifizierter Obersatz.

I. Ermächtigungsgrundlage für die Veränderungssperre

Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Veränderungssperre ist § 14 I Nr. 1 BauGB.

II. Formelle Rechtmäßigkeit der Veränderungssperre

Formell Fehler sind nicht ersichtlich, die Veränderungssperre ist daher formell rechtmäßig.

III. Materielle Rechtmäßigkeit der Veränderungssperre

Die Veränderungssperre ist materiell rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des § 14 I Nr. 1 BauGB erfüllt sind.

1. Planaufstellungsbeschluss

Der gem. § 14 I BauGB erforderliche Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans ist gefasst worden.

2. Zur Sicherung der Planung

Gem. § 14 I BauGB kann eine Gemeinde eine Veränderungssperre nur „zur Sicherung der Planung“ beschließen.

Voraussetzungen:
• Mindestmaß an Konkretheit des künftigen B-Plans
• Keine unbehebbaren Mängel des künftigen B-Plans

„[…] Die gesetzliche Voraussetzung, dass die Veränderungssperre zur Sicherung der Planung erlassen wird, ist nur erfüllt, wenn die mit dem Aufstellungsbeschluss eingeleitete Planung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Veränderungssperre ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll und wenn diese Planung nicht an schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Verfahrens erkennbaren, nicht behebbaren Mängeln leidet. Die mit der Veränderungssperre wirksam werdenden Verbote des § 14 Abs. 1 BauGB sind dem Grundstückseigentümer […] nicht zumutbar, wenn die Sperre eine Planung sichern soll, deren Inhalt sich noch in keiner Weise absehen lässt, wenn die Gemeinde lediglich beschließt zu planen oder wenn die Gemeinde nur das städtebaulich Unerwünschte feststellt. Auch aus § 14 Abs. 2 BauGB ergibt sich das Erfordernis eines Mindestmaßes an konkreter planerischer Vorstellung, denn nach dieser Vorschrift kann eine Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen; ob jedoch der in der Praxis wichtigste öffentliche Belang – die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung – beeinträchtigt ist, kann nur dann beurteilt werden, wenn die planerischen Vorstellungen der Gemeinde nicht noch völlig offen sind. Inhaltlich muss sich die Veränderungssperre nicht dem allgemeinen Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB stellen; der in Aussicht genommene Bebauungsplan wird insbesondere nicht nach Art einer vorweggenommenen Normenkontrolle geprüft (= Abwägungsgebot aus § 1 Abs. 7 BauGB ist irrelevant).

[…] Der künftige Planinhalt ist in einem Mindestmaß bestimmt und absehbar. Die Antragsgegnerin hat in der Sitzung des Gemeinderats vom 20. März 2024 ihre Planungsziele festgelegt. Die angestrebte Art der baulichen Nutzung bzw. deren Beschränkung, auf die es zur Beurteilung des Konkretisierungsgrads besonders ankommt, stand fest. Die Antragsgegnerin verfolgt mit der zu sichernden Bauleitplanung einen Ausschluss der Nutzung nach § 1 Abs. 5, Abs. 9 BauNVO für Beherbergungsbetriebe im als eingeschränktes Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) festgesetzten Teilbereich „GE 9“.“

Möglicherweise weist der künftige Bebauungsplan aber einen unbehebbaren Fehler auf. Die Antragstellerin äußert in diesem Zusammenhang die Ansicht, die gemeindlichen Planungsabsichten seien nur vorgeschoben, in Wahrheit gehe es ausschließlich um die Verhinderung ihres Bauvorhabens (sog. Verhinderungsplanung).

Problem: Verhinderungsplanung; Falls (+) -> Verstoß gegen § 1 III 1 BauGB

„Von einer Verhinderungsplanung ist auszugehen, wenn der zu sichernde Bebauungsplan keine positive Planungskonzeption hat oder eine positive Zielsetzung nur vorgeschoben wird, um eine in Wahrheit auf bloße Verhinderung gerichtete Planung zu verdecken. Ein solcher Fall ist aber nicht schon dann gegeben, wenn der Hauptzweck der Festsetzungen in der Verhinderung bestimmter städtebaulich relevanter Nutzungen besteht. Der Gemeinde ist es auch keineswegs verwehrt, auf Bauanträge mit der Aufstellung eines Bebauungsplans zu reagieren, der diesen die materielle Rechtsgrundlage entzieht. […] Denn eine positive Planung hat stets auch die – negative – Wirkung, dass dadurch ein den Festsetzungen widersprechendes Vorhaben verhindert wird. Positive Planungsziele können auch durch negative Festsetzungen erreicht werden (= Anforderungen an Verhinderungsplan).

In der zu sichernden Bauleitplanung mit dem geplanten Ausschluss von Beherbergungsbetrieben im Gewerbegebiet „GE 9“ ist keine unzulässige Verhinderungsplanung zu erkennen. Vielmehr liegt der Planung die (positive) städtebauliche Konzeption zugrunde, mit dem Ausschluss dieser Nutzung den Gewerbestandort zu stärken und immissionsschutzrechtliche Konflikte zu vermeiden. Dass sich in einem Gewerbegebiet Nutzungskonflikte zwischen Beherbergungsbetrieben und dem sonstigen Gewerbe abzeichnen können, zeigt sich bereits daran, dass wohnähnliche Beherbergungsbetriebe im Gewerbegebiet, das weder dem Wohnen noch der Erholung dient, als unzulässig anzusehen sind, eine Zulässigkeit allenfalls bei größeren Hotels mit kurzer Verweildauer der Gäste unter dem Vorbehalt einer Beurteilung nach § 15 Abs. 1 BauNVO angenommen werden kann.“ (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.04.1992, 4 C 43.89, juris Rn 19)

Demnach liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 I Nr. 1 BauGB vor (Verhinderungsplan mithin (-)).

3. Rechtsfolge

Auf der Rechtsfolgenseite sieht § 14 I Nr. 1 BauGB ein (gesetzgeberisches) Ermessen vor, für dessen fehlerhafte Ausübung hier nichts ersichtlich ist. Folglich ist die streitgegenständliche Veränderungssperre formell und materiell rechtmäßig und damit wirksam.

Fazit

Die §§ 14 bis 18 BauGB sollten in den Grundzügen für beide Examina beherrscht werden. Das Urteil des VGH München stellt die Veränderungssperre lehrreich dar und befasst sich mit den typischen Einwänden gegen die Wirksamkeit einer Veränderungssperre.

Guter Aufsatz zu § 14 BauGB: Güster, JA 2017, 928

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Beitragsautor:

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