#HierZucktDeinPrüfungsamt im Zivilrecht in Kooperation mit RiOLG Dr. Janko Büßer
Moin zusammen,
heute empfehle ich ein Urteil des II. Zivilsenats vom 9. Januar 2024. Wenn man den Sachverhalt um ein paar gesellschaftsrechtliche Fragestellungen bereinigt, kommt ein examensträchtiger Fall zum Vorschein, in dem es vor allem um die Publizitätswirkung des § 15 Abs. 1 HGB und den Missbrauch der Vertretungsmacht geht.
JurCase informiert:
Das Urteil des II. Zivilsenats vom 9. Januar 2024 (II ZR 220/22) findest du kostenfrei hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.
Was ist passiert?
Vereinfacht:
Die Klägerin ist eine Grundbesitz-GmbH, zu deren Geschäftsgegenstand u.a. der Verkauf von Grundstücken gehört. Sie begehrt von der Beklagten die Zustimmung zur Löschung einer Auflassungsvormerkung an einem Grundstück der Klägerin. Dieses Grundstück hat D als Geschäftsführer der Klägerin an die Beklagte verkauft und aufgelassen und dabei die Eintragung der Vormerkung bewilligt. Allerdings war er zwei Tage zuvor in der Gesellschafterversammlung (mit den Stimmen der Mehrheitsgesellschafterin) abberufen worden, was sich (natürlich) noch nicht aus dem Handelsregister ergab.
Die Beklagte kannte den Abberufungsbeschluss, wusste aber auch, dass es über dessen Wirksamkeit unterschiedliche Auffassungen zwischen den Gesellschaftern gab. Ebenso wusste sie, dass es sich bei dem Grundstück um den einzigen Vermögensgegenstand der Klägerin handelte und es keinen Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung zur Veräußerung gab. Sie behauptet allerdings, der Notar habe im Beurkundungstermin erklärt, dass es keiner Zustimmung bedürfe.
Worum geht es?
Der geltend gemachte Grundbuchberichtigungsanspruch aus § 894 BGB setzt voraus, dass die Vormerkung zu Unrecht im Grundbuch eingetragen ist, weil der zu sichernde Anspruch aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB nicht besteht.
Diese Unwirksamkeit des notariellen Kaufvertrages könnte sich aus dem Vertreterhandeln des D für die Klägerin ergeben. D war zum Zeitpunkt der Veräußerung bereits als Geschäftsführer abberufen worden (§ 38 GmbHG) und hatte damit seine Vertretungsmacht aus § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG verloren. Damit war er Vertreter ohne Vertretungsmacht, sodass die Wirksamkeit der Veräußerung von der Genehmigung der Klägerin abhing (§ 177 Abs. 1 BGB), die diese aber gerade nicht erteilt hat.
Als erstes stellt sich die Frage, ob etwas anderes gelten muss, weil die Abberufung des D noch nicht im Handelsregister eingetragen war (vgl. § 39 Abs. 1 GmbHG).
- Das hat grundsätzlich gemäß § 15 Abs. 1 HGB zur Folge, dass die Klägerin der Beklagten die fehlende Vertretungsmacht des D nur dann entgegenhalten kann, wenn die Beklagte die Abberufung kannte. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis würde dagegen nicht genügen.
- Der BGH hatte hier zu entscheiden, ob bereits die Kenntnis der Beklagten vom Abberufungsbeschluss ausreichte oder ob dies nicht der Fall ist, weil die Beklagte wusste, dass es zwischen den Gesellschaftern Streit über die Wirksamkeit der Abberufung gab. Es geht auch darum, ob die Beklagte angesichts des kurzen Zeitraums von nur zwei Tagen zwischen dem Abberufungsbeschluss und der notariellen Veräußerung ausnahmsweise Erkundigungsobliegenheiten hatte.
Anschließend setzt sich der BGH mit dem Missbrauch der Vertretungsmacht durch D auseinander. Diese Grundsätze gelten auch für § 15 Abs. 1 HGB, weil der Dritte aus dem Rechtsschein keine weitergehenden Rechte herleiten kann, als sie bestünden, wenn der Rechtsschein zuträfe.
- Dass D seine Vertretungsmacht im Innenverhältnis zur Klägerin missbraucht hat, steht fest: Die Veräußerung des einzigen Vermögensgegenstandes einer GmbH erfordert die Zustimmung der Gesellschafterversammlung. Das gilt auch dann, wenn der Geschäftszweck der Gesellschaft die Veräußerung von Grundstücken umfasst.
- Im Außenverhältnis wirkt die Vertretungsmacht eines GmbH-Geschäftsführers jedoch grundsätzlich unbeschränkt (§ 37 Abs. 2 S. 1 BGB), es sei denn – wie sonst auch -, der Missbrauch der Vertretungsmacht ist für den Vertragspartner evident oder Geschäftsführer und Vertragspartner wirken sogar kollusiv zulasten der Gesellschaft zusammen. Da die Klägerin für eine Kollusion keine hinreichenden Indizien vorgetragen hat (Rn. 51), geht es in der Entscheidung um die Anforderungen an die Erkennbarkeit des Missbrauchs. Wie gesehen, wusste die Beklagte sowohl, dass es sich bei dem Grundstück um den gesamten Immobilienbestand der Klägerin und damit deren wesentliches Vermögen handelte, als auch, dass es keinen Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter gab. Durfte sie sich trotzdem auf die (allerdings streitige) Aussage des Notars verlassen, dass ein Gesellschafterbeschluss nicht erforderlich sei?
Abschließend beschäftigt sich der BGH noch kurz mit der Frage, ob der Kaufvertrag deshalb formnichtig ist, weil eine Provisionsabrede der Beklagten mit D nicht ebenfalls beurkundet wurde (Rn. 50).
Warum solltest du die Entscheidung noch lesen?
- Die Publizitätswirkung des § 15 HGB gehört zum Grundwissen im Handelsrecht, das du deshalb nicht den Spezialisten in den Wahlfächern überlassen kannst. Hierzu gibt es ganz aktuelle „Grundfälle zum Rechtsschein des Handelsregisters“ von Deckenbrock/Sossna in JuS 2024, 115, 211. (Allgemeiner zum „Rechtsschein im Zivilrecht„: Ott, JuS 2019, 745.)
- Zum Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Recht der Stellvertretung gibt es einen grundlegenden Beitrag von Lieder (JuS 2014, 393), der sich in der Fortsetzung (JuS 2014, 681) auch ausführlich mit dem Missbrauch der Vertretungsmacht und Kollusion beschäftigt.
- Um die Eigentumsübertragung an einem Grundstück ging es hier (am Ende).
- Die gesellschaftsrechtlich Interessierten könnten sich mit der Unterscheidung zwischen der originären Nichtigkeit und der bloßen Anfechtbarkeit eines Gesellschafterbeschlusses beschäftigen (hierzu neuerdings auch § 110 HGB). Außerdem geht es in der Entscheidung auch darum, wann statt des Geschäftsführers auch ein GmbH-Gesellschafter die Gesellschafterversammlung einberufen darf (§§ 49, 50 GmbHG).
Und sonst?
Weil es so gut passt, kommt hier noch mal die Übersicht der für dich wichtigsten Vertretungsverhältnisse im Gesellschaftsrecht:
- Die BGB-Gesellschaft wird von ihren Gesellschaftern als Geschäftsführer vertreten (§§ 720 Abs. 1 BGB).
- Auch die oHG wird von ihren Gesellschaftern (Komplementären) als Geschäftsführer vertreten (§§ 124 Abs. 1 HGB).
- Die KG wird ebenfalls von den Komplementären vertreten (§ 160 Abs. 2 HGB), während die Kommanditisten von der Geschäftsführung grundsätzlich ausgeschlossen sind (§ 170 Abs. 1 HGB).
- Die GmbH wird von ihrem Geschäftsführer vertreten (§ 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG), der nicht Gesellschafter sein muss.
- Die GmbH & Co. KG ist eine KG, wird also von ihrer Komplementär-GmbH vertreten und diese wiederum von ihrem Geschäftsführer.
Die AG wird vom Vorstand vertreten (§ 78 Abs. 1 S. 1 AktG).
Und nicht vergessen: Schreib regelmäßig Übungsklausuren!
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