Beschluss des BayOLG – 207 StRR 2737/19 – Beschluss vom 10.01.2020
Hiermit möchte ich dir den als interessantesten bewerteten Beschluss (Stand: September 2021) aus dem vorangegangenen Beitrag über die TOP 10 Beschlüsse im Strafrecht aus den Jahren 2020 und 2021 näher vorstellen.
JurCase informiert:
Hier findest du den Beitrag „Die TOP 10 Beschlüsse für dein Examen im Strafrecht“. Du kannst gerne weiterhin abstimmen – sollte ein anderer Beschluss an der Spitze der Abstimmung stehen, werden wir auch diese Entscheidung entsprechend vorstellen.
Die vorliegende Entscheidung behandelt die Urkundenqualität von TÜV-Plaketten und deren Verwendung im Zusammenhang mit der Versuchsstrafbarkeit und möglichen Irrtümern.
Zunächst zum Sachverhalt:
Der Angeklagte ist Eigentümer eines Personenkraftfahrzeuges (Kfz) mit ausländischem Kennzeichen, auf welchem allerdings deutsche, gefälschte Prüfplaketten angebracht sind. In Kenntnis dieses Umstands befuhr der Angeklagte eine inländische Landstraße. Mit Weiterverwendung dieser gefälschten Prüfplaketten auf dem Kennzeichen will er vorspielen, dass das Fahrzeug zumindest zum Zeitpunkt der Hauptuntersuchung vorschriftsmäßig war und eine Hauptuntersuchung in Deutschland auch dementsprechend stattgefunden hat. Er ging dabei davon aus, dass diese Plaketten den TÜV als Aussteller erkennen ließen und damit der Anschein erweckt ist, es wurde eine ordnungsgemäße Fahrzeugprüfung durch die entsprechenden Mitarbeiter durchgeführt. Eine entsprechende Eintragung in die Zulassungsbescheinigung Teil I ist allerdings nicht erfolgt.
JurCase informiert:
Die Vorinstanz (LG Kempten, Urteil vom 08.08.2019 – 4 Ns 430 Js 12630/17) hatte eine Strafbarkeit wegen versuchter Urkundenfälschung §§ 267 Abs. 1, 22, 23 StGB nach Berufung durch die Staatsanwaltschaft angenommen.
Vollendung der Urkundenfälschung
Zunächst bestätigte das Gericht die Auffassung der Vorinstanz, es läge keine vollendete Urkundenfälschung vor.
Entscheidend sind hier die klassischen Bestandteile der Definition einer Urkunde im Sinne von § 267 StGB, wonach die Urkunde eine manifestierte Gedankenerklärung ist, welche ihren Aussteller erkennen lässt und zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist. Unecht ist die Urkunde hierbei, wenn derjenige, der als ihr Aussteller erscheint, die Erklärung tatsächlich nicht abgegeben hat. Thematisiert wurde hier insbesondere, ob eine solche Urkunde ihren Aussteller erkennen lassen kann.
Das Gericht stellt hierzu Folgendes fest:
„Eine Prüfplakette stellt nur in Verbindung mit der korrespondierenden Eintragung in der Zulassungsbescheinigung Teil I eine Urkunde dar, die den Aussteller erkennen lässt. Die Prüfplakette („TÜV-Plakette“) bescheinigt, dass das betreffende Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner letzten Hauptuntersuchung bis auf etwaige geringe Mängel für vorschriftsmäßig befunden worden ist (§ 29 Abs. 3 StVZO). Sie allein ist deshalb aber noch keine Urkunde; Urkundeneigenschaft gewinnt sie erst zusammen mit der korrespondierenden Eintragung in der Zulassungsbescheinigung Teil I, da erst durch diese Eintragung derjenige, der sie erteilt hat, ersichtlich ist (§ 29 Abs. 6 Nr. 1 Buchst. a StVZO).“
JurCase informiert:
Vgl. hierzu auch OLG Celle, Beschluss vom 6. Mai 1991 – 3 Ss 34/91, hier wurde damals schon festgelegt, dass die Plakette nur mit entsprechender Eintragung dem Tatbestand der Urkundenfälschung gerecht werden kann.
Die Rechtsprechung bestätigt hier ein weiteres Mal, dass eine gefälschte TÜV-Plakette nur in Verbindung mit der entsprechenden Eintragung dem Tatbestandsmerkmal der Garantiefunktion gerecht werden kann. Da hier also keine gefälschte Eintragung in die Zulassungsbescheinigung erfolgt ist, ist die Urkundenfälschung erstmal nicht vollendet.
Abgrenzung untauglicher Versuch und Wahndelikt
Vertiefte Ausführungen erfolgen allerdings zur Versuchsstrafbarkeit dieses Verhaltens. Entgegen der Vorinstanz hält das BayOLG das Verhalten des Angeklagten nicht für einen untauglichen Versuch, sondern für ein im Übrigen strafloses Wahndelikt.
Interessant sind hier die Ausführungen zur Abgrenzung dieser beiden Rechtsfiguren, die das Gericht folgendermaßen statuiert:
„Die Untauglichkeit des Versuchs ergibt sich aus einem Mangel im Vorstellungsbild des Täters, der einer Umkehrung des Tatbestandsirrtums entspricht. Bei einem (straflosen) Wahndelikt irrt der Täter hingegen über das Bestehen oder die Reichweite der strafrechtlichen Norm. Er will aufgrund eines Subsumtionsirrtums eine Rechtsverletzung begehen, die es so, wie von ihm vorgestellt, nicht gibt.“
Der Irrtum beim Angeklagten erstreckt sich hier nicht über tatsächliche Umstände. Er hat nicht angenommen, dass die Zulassungsbescheinigung im für § 267 StGB erforderlichen Rahmen gefälscht ist. Vielmehr bezog sich seine Fehlvorstellung darauf, durch die Nutzung seines Fahrzeuges auf der Landstraße unter Verwendung der gefälschten Plaketten auf dem Kennzeichen, eine Urkundenfälschung zu verwirklichen, ohne dabei überhaupt eine gefälschte Urkunde zu verwenden. Entscheidend hierfür ist wieder, dass die (gefälschte) TÜV-Plakette allein eben keinen Aussteller erkennen lässt und keine entsprechende Eintragung in die Zulassungsbescheinigung existiert. Letztlich kann sich der Vorsatz des Angeklagten hier wohl nur auf das subjektive Merkmal der Täuschung im Rechtsverkehr beziehen, und nicht etwa auf die fälschliche Vorstellung des Vorhandenseins eines Ausstellers. Es handelt sich hier also um eine rechtliche Fehlbewertung und damit ein strafloses Wahndelikt.
Da Straftatbestände oder Bußgeldbestände nach StVG oder StVZO allesamt nicht einschlägig sind, ist der Angeklagte hier freizusprechen.
Fazit
Wie aufgezeigt enthält die Entscheidung Feststellungen zur Urkundeneigenschaft als solche und zur Abgrenzung des untauglichen Versuches mit einem Wahndelikt. Da die zweite Thematik aus dem allgemeinen Teil des StGB stammt, ist hier von einer erhöhten Klausur- und Prüfungsrelevanz auszugehen. Auch zeigt dieser Fall erneut auf, dass sich sämtliche Irrtumsfragen immer in einer grundlegenden Abgrenzung zwischen § 16 und § 17 StGB beantworten lassen. So lässt sich hier der untaugliche Versuch als umgekehrter Irrtum über tatsächliche Umstände (§ 16) verstehen, das Wahndelikt als umgekehrter Irrtum über die rechtliche Bewertung (§ 17). Das etwas missverständlich anmutende Wort „umgekehrt“ könnte ebenso als „zu Ungunsten des Täters“ bezeichnet werden. So stellt sich der Täter im Rahmen des umgekehrten § 16 Umstände vor, die tatsächlich nicht vorliegen, jedoch bei Vorliegen ein Tatbestandsmerkmal erfüllen würden und begründet damit eine mögliche Strafbarkeit wegen untauglichen Versuches. Im Falle des umgekehrten § 17 unterliegt der Täter keinem tatsächlichen, sondern einem rechtlichen Subsumtionsfehler. Das Fehlen einer rechtlichen Voraussetzung schließt eine Strafbarkeit aus, so wie es auch in dieser Entscheidung geschehen ist.