Problem: Nutzung einer öffentlichen Grünanlage für Kinder- und Volksfest
Einordnung: Zugang zu öffentlicher Einrichtung
VG Berlin, Beschluss vom 18.04.2019
24 L 176.19
EINLEITUNG
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte in einem Eilverfahren zu entscheiden, ob die SPD Pankow auch am 1. Mai 2019 wieder ihr traditionelles Kinder- und Volksfest im Bürgerpark Pankow abhalten darf. Ein entsprechendes Fest findet dort seit 1990 regelmäßig am 1. Mai statt. Nachdem der Bezirk die Erteilung der nach dem Grünanlagengesetz erforderlichen Genehmigung versagt hatte, verpflichtete ihn das Gericht unter Hinweis auf den durch die jahrzehntelange Verwaltungspraxis geschaffenen Vertrauenstatbestand sowie einen Verstoß gegen Art. 3 I GG, die entsprechende Genehmigung zu erteilen.
LEITSÄTZE (DER REDAKTION)
1. Eine jahrzehntelang geübte Verwaltungspraxis kann einen Vertrauenstatbestand schaffen, der es als ermessensfehlerhaft erscheinen lassen kann, eine erforderlich Ausnahmegenehmigung ohne Vorankündigung kurzfristig zu versagen.
2. Eine von der Behörde ausgesprochene Absichtserklärung kann der Änderung einer Verwaltungs-praxis nur dann entgegengehalten werden, wenn sie die förmlichen Voraussetzungen einer Zusicherung erfüllt.
GRÜNDE
I.
Zustände und Beschreibungen, die die Gegenwart betreffen, werden im Indikativ Präsens wiedergegeben.
Übrige Geschichtserzählung: Indikativ Imperfekt
Hiermit stellt das Gericht klar, welchen Sachverhalt es zu Grunde legt. Zugleich dürfte der Hinweis auf den unvollständigen Verwaltungsvorgang aber auch als Rüge des Gerichts an den Antragsgegner zu verstehen sein.
Da der Widerspruch hier unzweifelhaft innerhalb der Monatsfrist erhoben wurde (s.u.), ist das Zustelldatum eigentlich nicht von Bedeutung und braucht ist daher nicht zu nennen.
Begründung des Bescheids: Konjunktiv Präsens
In Berlin ist grundsätzlich ein Widerspruchsverfahren durchzuführen; Ausnahmen sind u.a. in § 26 Allgemeines Zuständigkeitsgesetz Berlin (AZG) geregelt.
Dass der Widerspruch von einem Anwalt erhoben wurde, ist grundsätzlich nicht von Bedeutung und daher nicht zu erwähnen. Etwas anderes kann bei Zustellungsproblematiken und hieraus resultierenden Fristproblemen gelten.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, das Fest im Bürgerpark werde von ihrer Partei als eines von drei Maifesten im Bezirk Pankow seit 1990 jedes Jahr durchgeführt. Bei der wie in den Vorjahren durchgeführten Begehung und Übergabe des Platzes nach Durchführung des Festes im Jahre 2018 habe eine Mitarbeiterin des Amtes signalisiert, dass sie sich eine Durchführung des Maifestes an althergebrachter Stelle im Jahre 2019 sehr gut vorstellen könne.
Die Erhebung des Antrags ist als Prozessgeschichte I grundsätzlich im Indikativ Perfekt wiederzugeben: „Die Antragstellerin hat am … einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, mit dem sie ihr Begehren weiterverfolgt.“
Begründung: Konjunktiv Präsens
Richtig muss es heißen: „Ihr Anspruch ergebe sich … . Auf ihre entsprechenden Anträge … .“ Ein – auch in der Praxis – häufiger, aber leicht zu vermeidender Fehler.
ihr im Wege vorläufigen Rechtsschutzes eine Ausnahmegenehmigung zur Nutzung von Grünflächen für die Durchführung eines Kinder und Volksfestes am 1. Mai 2019 im Bürgerpark Pankow zu erteilen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Anträge: Indikativ Präsens
Ist der Antrag nur ungenau und nicht grob fehlerhaft, kann er durch den Einschub „sinngemäß“ stillschweigend korrigiert werden. Eine Auslegung zu Beginn der Entscheidungsgründe bedarf es dann nicht.
Die Terminierung auf den 1. Mai als einem Feiertag mit politischer Bedeutung sowie die zeitliche Nähe zur Europawahl könnten nicht dazu führen, das Fest als rein politische Veranstaltung zu sehen. […] Es ergebe sich auch kein Anspruch aus Art. 3 des Grundgesetzes, da hieraus keine Selbstbindung der Verwaltung und damit eine Ermessensreduktion auf Null hergeleitet werden könne. Erforderlich für die Erteilung der begehrten Genehmigung sei eine Einzelfallprüfung, in die alle Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung einzubeziehen seien; […] Nunmehr hätten sich die tatsächlichen Gegebenheiten geändert. Das allgemeine Bewusstsein, dass öffentliche Grünanlagen eine besondere Bedeutung für die Umwelt hätten und daher besonders zu schützen seien, sei in den letzten Jahren erkennbar gestiegen. […]
Der Anspruch könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass eine andere Veranstaltung im Bürgerpark Pankow für dieses Jahr bereits genehmigt worden sei, da die Veranstaltungen von ihrem Charakter her nicht vergleichbar seien. Bei der Veranstaltung „Jazz im Park“ handele es sich um eine überregional bekannte und bedeutende Musikveranstaltung, die für den Bezirk Pankow einen hohen Stellen- und Werbewert habe, […] Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei auch zu berücksichtigen, ob andere Standorte für das Fest der Antragstellerin eine geringere Beeinträchtigung der Grünanlage zur Folge hätten; solche Standorte seien in an den Park angrenzenden Straßenzügen vorhanden, bei denen es sich um Nebenstraßen ohne besondere verkehrliche Bedeutung und Erschließungsfunktion handele.
Ein Anspruch ergebe sich schließlich nicht aus einer etwaigen Aussage einer Mitarbeiterin des Antragsgegners. Abgesehen von der Frage, ob eine solche Aussage tatsächlich getätigt worden sei, bedürfe es nach § 38 Abs. 1 S. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes zur Wirksamkeit einer Zusicherung der schriftlichen Form. Es bestehe zudem kein Anordnungsgrund. Denn es entstünden der Antragsstellerinnen keine wesentlichen Nachteile dadurch, dass ihr die begehrte Genehmigung nicht erteilt werde. Das Fest könne in unmittelbarer Nähe des Parks durchgeführt werden. […]
II.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Geht es wie hier um die Vorwegnahme der Hauptsache, kommt eine einstweilige Anordnung nur ausnahmsweise aus Gründen des Gebots effektiven Rechtsschutzes in Betracht. Das setzt unter dem Gesichtspunkt der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs voraus, dass das Begehren in der Hauptsache schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben wird, wobei an die Prüfung der Erfolgsaussichten ein strenger Maßstab anzulegen ist.
Urteilsstil: Ergebnissatz voranstellen.
In der verwaltungsgerichtlichen Praxis wird regelmäßig zwischen Sicherungs- und Regelungsanordnung differenziert, was daher auch in der Klausur erfolgen sollte.
Hier: Regelungsanordnung mit der Besonderheit einer Vorwegnahme der Hauptsache, die nur in Ausnahmefällen zulässig ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn 14 ff.)
Prüfungsmaßstab darlegen
Prüfung des Anordnungsanspruchs
Die Anspruchsgrundlage findet sich hier im eher unbekannten Grünanlagengesetz.
In tatbestandlicher Hinsicht setzt § 6 Abs. 5 S. 1 GrünanlG zunächst ein öffentliches Interesse an der beabsichtigten Nutzung voraus, welches das Interesse an der Beschränkung der Nutzung von öffentlichen Grünanlagen, wie sie durch § 6 Abs. 1 bis 4 GrünanlG vorgesehen ist, überwiegt.
Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen:
1. Einschlägigkeit des GrünanlG
2. Genehmigungsbedürftigkeit
3. Genehmigungsfähigkeit:
a) öffentliches Interesse an Nutzung
b) öffentliches Interesse überwiegt Interesse an Nutzungsbeschränkung der Grünanlage
Öffentliches Interesse ist in der Stellung der Antragstellerin als politische Partei begründet.
Bekannt ist das Parteienprivileg (vgl. § 5 I PartG i.V.m. Art. 21 I 1 GG) im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Zugang zu öffentlichen Einrichtungen: Für nicht ortsansässige Parteien folgt hieraus ein Gleichbehandlungsgebot.
Da es sich um ein Kinder- und Volksfest handelt, bedurfte die politische Zielsetzung der Veranstaltung einer besonderen Begründung.
Öffentliches Interesse überwiegt hier (abstrakt) das Interesse an einer Nutzungsbeschränkung der Grünanlage.
Es wäre konsequenter, zunächst die Prüfung der Tatbestandsvorausset-zungen abzuschließen (Sicherung der Folgenbeseitigung s.u.), bevor auf die Rechtsfolge (Ermessen) eingegangen wird.
c) Sicherung der Folgenbeseitigung
Rechtsfolge: Ermessen
Zutreffend hat er auch eine Bindung aus § 5 des Parteiengesetzes (PartG) verneint, da die Erteilung der Ausnahmegenehmigung für eine andere politische Partei im Jahre 2017 in einen Zeitraum fiel, in dem die Antragstellerin selbst (noch) Genehmigungen für die Durchführung ihres Kinder- und Volksfestes erhielt, was nämlich zuletzt im Jahr 2018 geschah. Es bleibt dem Antragsgegner unbenommen und wird dem Charakter der Einzelfallentscheidung des § 6 Abs. 5 S. 2 GrünanlG gerecht, dass er seine Entscheidungspraxis den tatsächlichen Gegebenheiten, die sich beim witterungs- und klimaabhängigen Zustand von Grünanlagen jährlich ändern können, jeweils im Einzelfall anpassen kann.
Eine Änderung der Verwaltungspraxis ist grundsätzlich zulässig.
Schaffung eines Vertrauenstatbestandes durch jahrzehntelange Verwaltungspraxis führt – jedenfalls in Kombination mit der kurzfristigen Versagung der Genehmigung – hier im konkreten Fall zur Ermessensfehlerhaftigkeit.
Außerdem: Verstoß gegen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 I GG)
Hierfür ist zunächst die Vergleichsgruppe festzustellen und die Vergleichbarkeit herauszuarbeiten.
Soweit der Antragsgegner darauf abstellt, dass den Veranstaltern von „Jazz im Park“ strenge Auflagen gemacht worden seien und insbesondere auch eine Sicherheitsleistung für die Folgenbeseitigung hinterlegt worden sei, ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass nicht der Antragstellerin ebensolche Auflagen für die Durchführung ihrer Veranstaltung gemacht werden könnten und damit die Grünanlage auch bei der Veranstaltung der Antragstellerin in gleicher Weise wie bei „Jazz im Park“ geschützt wäre.
Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, da
a) Belastung, die von Vergleichsveranstaltung ausgeht, deutlich höher ist
Genehmigung unter Auflagen in als milderes Mittel
b) Vergleichsveranstaltung verfolgt (auch) kommerzielle Zwecke; das Parteienprivileg gilt für sie nicht. Allerdings hätte man hier noch auf die Kunstfreiheit (Art. 5 III GG, Schutz des Wirkbereichs) eingehen können.
Der Hinweis auf eine Absprache oder Absichtserklärung wird von Betroffenen einer Änderung der Verwaltungspraxis regelmäßig entgegengehalten. Er bleibt nutzlos, wenn keine Zusicherung (§ 38 I VwVfG) vorliegt.
Soweit sich der Antragsgegner hinsichtlich des Veranstalters des Festes „Jazz im Park“ darauf beruft, diese könne an keinem anderen Standort im Bezirk Pankow durchgeführt werden, bleibt er eine nähere Substantiierung dieser Behauptung schuldig.
Liegt (ausnahmsweise) eine Zusicherung vor, ist zudem an eine Aufhebung nach §§ 48, 49 VwVfG zu denken.
Hier ist nicht nur zu berücksichtigen, dass die Zielgruppe der Antragstellerin gerade auch Familien mit kleinen Kindern sind, die in verkehrlicher Hinsicht besonders zu schützen sind. Es kann daher auch nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass der Antragstellerin eine etwa beantragte straßenrechtliche Sondernutzungsgenehmigung ohne Weiteres und insbesondere in der noch zur Verfügung stehenden Zeit bis zum geplanten traditionellen Termin erteilt werden würde. Der Antragstellerin ist diese zeitliche Verzögerung nicht anzulasten. Sie hat bereits mit Antrag vom 14. bzw. 31. März 2017 eine Genehmigung auch für das Jahr 2019 beantragt und mit E-Mail vom 5. Dezember 2018 (die sich im Verwaltungsvorgang des Antragsgegners allerdings nicht wiederfindet, deren Existenz durch Vorlage durch die Antragstellerin aber keinen Zweifeln unterliegt) den Antragsgegner an die ausstehende Entscheidung über die Genehmigung für das Fest im Jahre 2019 erinnert.
Die tatsächliche Entscheidung des Antragsgegners erfolgte jedoch erst am 7. März 2019, der Antragstellerin zugegangen am 12. März 2019 und damit weniger als zwei Monate vor dem beabsichtigten Termin für das Fest. Auch hat die Antragstellerin bereits mit ihrem Widerspruchsschreiben hinreichend deutlich gemacht, dass eine Widerspruchsbegründung der Begründung der beigefügten, vorsorglich vorbereiteten einstweiligen Anordnung entsprechen würde, sodass dem Antragsgegner hier bereits mit Eingang des Widerspruchs eine Reaktion möglich gewesen wäre.
Nutzung der Straße für die Veranstaltung ist keine Alternative.
Anordnungsgrund; besondere Anforderungen wegen Vorwegnahme der Hauptsache
Der Tenor lautete daher wegen der zulässigen Vorwegnahme der Hauptsache wie bei einer Verpflichtungsklage: „Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin eine Genehmigung zur Durchführung eines Kinder- und Volksfestes innerhalb der Grünanlage Bürgerpark Pankow am 1. Mai 2019 entsprechend dem Antrag der Antragstellerin vom 14. März 2017 zu erteilen.“
FAZIT
Dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin liegt mit dem Anspruch auf Nutzung einer öffentlichen Einrichtung ein klassisches Klausurthema des zweiten Staatsexamens zu Grunde. Allerdings erfolgt der Einstieg über das (eher) unbekannte Grünanlagengesetz und erfordert daher, durch eine saubere und genaue Gesetzessubsumtion bekannten Problematiken (Änderung der Verwaltungspraxis, Voraussetzungen einer Zusicherung, Gleichbehandlungsgebot) unter Berücksichtigung der umfangreichen und typischen Einwände der Beteiligten zu lösen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin ist insoweit besonders lehrreich, da sie das Vorbringen der Beteiligten umfassend und anschaulich würdigt. In prozessualer Hinsicht bietet die Entscheidung Anlass, den Aufbau und die Prüfung eines Beschlusses nach § 123 VwGO zu wiederholen.
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