examensrelevant

HLB Schumacher Hallermann präsentiert examensrelevante Fälle: Der Gutgläubige Erwerb eines Audi Q5 (Immobiliarsachenrecht)

Aufbereitete Fälle bekannt aus Assessor Juris

In Kooperation mit der Kanzlei HLB Schumacher Hallermann präsentieren wir dir die aus unserem Leitfaden Assessor Juris bekannten examensrelevanten Fällen. Diese werden unter der Supervision von Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann sowie mit Unterstützung seines Teams aus qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Referendar:innen für dich und deine Fallbearbeitung ausformuliert bzw. bearbeitet.

Der Verfasser dieses Beitrags ist Christian Lederer, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann.

Es geht um ein Urteil des OLG Celle vom 12.10.2022 – 7 U 974/21.

Hinweis vom HLB-Team:

Wenn in einem Gerichtsurteil ein Sachenrechtsklassiker auf einen Fall rund um „des Deutschen liebstes Kind“ – das Auto – trifft, dann ist das in etwa so bedeutungsvoll für das (erste) juristische Staatsexamen wie, na ja, das Auto für die deutsche Wirtschaft. In diesem Oktober möchten wir uns daher mit einem brandaktuellen Fall auseinandersetzen, der sich im Kern mit dem gutgläubigen Erwerb eines Audi Q5 vom Nichtberechtigten und einer „unendlichen Probefahrt“  (vgl. hierzu auch den  BGH-Klassiker: BGH, Urt. v. 18.09.2020 – V ZR 8/19, NJW 2020, 3711) befasst. In diesem Sinne also Abfahrt!

Das Oberlandesgericht Celle entschied mit Urteil vom 12.10.2022 (Az. 7 U 974/21) über die Wirksamkeit der Übereignung eines Audi Q5, welcher zuvor dem ursprünglichen Eigentümer, einem Autohaus in Niedersachsen, im Rahmen einer unbegleiteten Probefahrt vom vermeintlichen Interessenten entwendet worden war.

Der gutgläubige Erwerb gem. §§ 932 ff. BGB kann Euch im Examen in verschiedensten Gewändern begegnen, ob – wie hier – gepaart mit deliktischem Verhalten, ob in erbrechtlichem Kontext oder im Zusammenhang mit dem Immobiliarsachenrecht. Wir wollen Euch daher wie gewohnt zum Ende dieser Besprechung die notwendige dogmatische Kompetenz zur Hand reichen, sodass Ihr in allen Situationen und Konstellationen die Ruhe bewahren könnt. Für die Referendare unter Euch unternehmen wir ebenso einen kleinen Exkurs zur Darlegungs- und Beweislast, welche in derlei Konstellationen in der Praxis häufig den meisten Stoff zur Diskussion bieten.

Die Hintergründe zur Entscheidung

Als wäre die aktuelle Lage des Gebrauchtwagenmarktes nicht bereits schlimm genug – sinkender Bestand an Fahrzeugen, Preise, die in den Himmel steigen und Händler, die nur noch mit zunehmender Mühe an Nachschub kommen. Wird der vorhandene Flottenbestand nun auch noch durch Probefahrer gemindert, die eigenmächtig den Privatverkauf des zu testenden Fahrzeugs unternehmen, dann wird es eng für den deutschen Autoverkäufer.

So geschehen zulasten eines Autohauses in Niedersachsen: Nachdem ein vermeintlicher Kaufinteressent dort eines Nachmittags großes Interesse an einem gebrauchten Audi Q5 bekundete, übergab das geschäftige Autohaus den polierten SUV zwecks Probefahrt an den zuvorkommenden Herrn, der im Gegenzug falsche Personalien angegeben hatte. In dem Fahrzeug waren zwei Sim-Karten verbaut, die eine Ortung durch die Polizei mit Unterstützung der Herstellerin grundsätzlich ermöglichen (vgl. OLG Celle, Urt. v 12.10.2022 – 7 U 974/21, Rn. 1).  Insoweit unterschied sich der Fall auch materiell zur bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. insoweit BGH, Urt. v. 18.09.2020 – V ZR 8/19 zum „Abhandenkommen“ des mit der Probefahrt entwendeten Fahrzeugs).  Das Fahrzeug schien dem Interessenten schließlich so sehr zu gefallen, dass er von der einstündigen, unbegleiteten Probefahrt mit dem lokalisierbaren Auto nicht mehr wiederkam.

Der Audi tauchte wenig später auf eBay wieder auf und zwar für einen Kaufpreis von 31.000 €, „Garantie wegen Privatverkaufs ausgeschlossen“* . Dass dieser Coup seine Makel hat, wird auch jenen klar, die nicht Danny Ocean heißen. Nachdem ein eBay-Käufer den Kaufpreis in bar (!) an die Frau des „Betrügers“ übergab – diese hatte ihm zuvor die professionell-gefälschten Fahrzeugpapiere mitsamt Schlüssel übergeben – flog der Schwindel auf. Der Käufer übergab das Fahrzeug zwei Wochen später der Polizei, die es dem Autohaus zurückgab. Letzteres verkaufte es anschließend, knappe zwei Monate nach dem Wiedererhalt, für 35.000 € an einen Dritten. Der getäuschte eBay-Käufer und Kläger verlangte nun diesen Erlös von dem beklagten Autohaus heraus.

Für einen solchen Anspruch auf Herausgabe des Veräußerungserlöses aus § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB hätte eine entgeltliche Verfügung durch einen Nichtberechtigten getroffen werden müssen, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Unser Käufer hätte vorab also wirksam gegenüber dem Autohaus Eigentum am Audi erlangt haben müssen und das Autohaus hätte danach ohne Berechtigung über diesen Audi verfügen müssen.

*Eine von vielen unsinnigen Privatverkaufsklauseln, die auf Gebrauchtwaren-Portalen kursieren. Gängig ist auch etwa die alte Mär vom „neuen EU-Recht“, wonach „keine Rücknahme oder Umtausch gewährt werden kann“. Faktisch müssen sich in der Realität allerdings auch Privatverkäufer an das Gesetz halten und werden bei unklaren oder missverständlichen Floskeln von der vollen Härte der gesetzlichen Haftung getroffen.

Fyi: Mit der Kaufrechtsreform 2022 wurde die (ausschließbare) Sachmangelhaftung sogar leicht verschärft – auch hinsichtlich Privatverkäufer: Die Kaufsache muss sich objektiv für ihre gewöhnliche Verwendung eignen und die übliche Beschaffenheit aufweisen. Den Artikel und die Verwendbarkeit genau zu beschreiben, kann hier helfen, Haftungsfällen vorzubeugen.

Die Entscheidung

In unserer Entscheidung [des OLG Celle , Urt. v. 12.10.2022 – 7 U 974/21] bejahte das Gericht einen Anspruch des Klägers gegen das Autohaus in Höhe des Weiterveräußerungspreises an den Dritten abzüglich der enthaltenen Umsatzsteuer (30.172,41 €). Hinsichtlich letzterer kann sich die Beklagte auf die rechtsvernichtende Einwendung* der Entreicherung (§ 818 III BGB) berufen. Hinzu kommen noch Zinsen gem. §§ 288, 286 I 2 bzw. § 291 BGB. Gehen wir im Folgenden die Prüfungsschritte einmal gemeinsam durch.

*Fyi: = solche Rechte, die einen bereits entstandenen Anspruch wieder zum Erlöschen bringen.

In seiner Berufungsentscheidung geht der 7. Zivilsenat des OLG Celle zunächst auf prozessuale Fragen der richterlichen Beweiswürdigung und parteilichen Darlegungspflichten ein (vgl. OLG Celle, Urt. v. 12.10.2022 – 7 U 974/21, Rn. 14, 17, 18). Es bejaht eine einwandfreie, erstinstanzliche Tatsachenwürdigung durch das Landgericht Hannover (Az: 11 O 13/21) nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung.

Fyi: Vgl. § 286 ZPO und § 261 StPO: In der Beweiswürdigung bildet sich das Gericht die Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer (behaupteten) Tatsache. Hierbei hat es unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine Tatsache bewiesen oder nicht bewiesen ist. Nur soweit gesetzliche Vermutungen und Beweisregeln in der zu entscheidenden Angelegenheit eingreifen, ist das Gericht daran gebunden.

Es betont dabei die Zulässigkeit von Indizienbeweisen zur Entscheidungsbildung (vgl. OLG Celle, Urt. v. 12.10.2022 – 7 U 974/21, Rn. 18, 19). Diese seien dann überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen (vgl. insoweit BGH, Beschl. v. 22.03.2016 – VI ZR 163/14, juris Rn. 15). In den Berufungsgründen ging es insbesondere um die Darlegungen des Klägers in der ersten Instanz hinsichtlich seiner Eigentümerposition: Das OLG Celle bestätigt hier in einem ersten Schritt die wirksame Übergabe und Übereignung des Audi durch den Probefahrer auf den Kläger gem. §§ 932 I, 929 Satz 1 BGB und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Gutgläubigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der ersten Audi-Veräußerung durch den Probefahrer. Über dieses Eigentum des Klägers könnte die Beklagte nun in einem zweiten Schritt als Nichtberechtigte entgeltlich und dem Kläger gegenüber wirksam (vgl. Vs. des § 816 I 1 BGB) verfügt haben, indem sie den Audi nach Wiedererhalt an einen Dritten für 35.000 € weiterverkaufte (= zweite Audi-Veräußerung). Wäre dem so, stünde dem Kläger der in Rede stehende Anspruch auf Herausgabe des Verkaufserlös gem. § 816 I 1 BGB zu.

Widmen wir uns zunächst dem ersten Punkt: Um Klarheit hinsichtlich der Eigentumslage hinsichtlich des Audi zu schaffen, erläutert das Gericht in seiner Entscheidung materiell erst einmal die Besitzverhältnisse. Anhand des Gesetzes gut nachvollziehbar und der dem Sachenrecht inhärenten klaren Struktur folgend, erläuterte es, wann unmittelbarer Besitz an einer Sache erworben wird: Gem. § 854 I BGB nämlich durch die tatsächliche Gewalt über die Sache, bemessen nach der Verkehrsanschauung. Dies ist wichtig zu wissen, denn nur wenn der Probefahrer den Besitz tatsächlich erwarb, jener des Autohauses also freiwillig von diesem gebrochen wurde, ist die Sache nicht abhandengekommen und der Anwendungsbereich der §§ 932-934 BGB eröffnet. Bei einem KFZ sei dabei i.d.R. auf die Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüssel abzustellen. Eine Schlüsselübergabe bewirkt dabei nur dann einen Besitzübergang, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat. Daran mangelt es zwar bei einer „Hier, schauen Sie sich gerne mal den Kofferraum an“-Übergabe. Im Falle unseres unlauteren Probefahrers mit widrigem Geschäftssinn ist die Überlassung des Audi durch den Verkäufer zu einer einstündigen Probefahrt auf öffentlichen Straßen jedoch gerade keine eine solche bloße Besitzlockerung, sondern führt zu einem freiwilligen Besitzverlust (vgl. OLG Celle, Urt. v. 12.10.2022 – 7 U 974/21, Rn. 24-27). Dies lege in den Umständen der Probefahrt begründet: Sie war unbegleitet und auch nicht durch technische Vorrichtungen, die einer Begleitung vergleichbar sind, gesichert. Insbesondere seien die im Audi verbauten SIM-Ortungschips nicht mit einer Begleitung vergleichbar, da eine Ortung aufwendig, zeitlich verzögert und nur in Zusammenarbeit mit Polizei und Fahrzeugherstellerin möglich sei. Das Gericht führt die Regelung des § 859 II BGB (lesen!)* an, die bestätige, dass weder die Betroffenheit auf frischer Tat noch die Verfolgung des Täters den Besitzverlust verhindere. Und die Ortungsmöglichkeit im Audi ginge darüber mitnichten hinaus.

*Fyi: n.b. die Legaldefinition des § 858 I BGB; grds. immer die zwei Normen drüber und drunter lesen. Jeder Besitz, der durch die „verbotene Eigenmacht“ zustande gekommen ist, wird als „fehlerhafter Besitz“ bezeichnet, § 858 II 1 BGB.

An der Gutgläubigkeit des Klägers (§ 932 II BGB) bestünden ferner keine Zweifel. Zwar begründe der Besitz des Fahrzeugs allein noch nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein (vgl. OLG Celle, Urt. v. 12.10.2022 – 7 U 974/21, Rn. 34 f.). Vielmehr gehöre es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief (§ 25 Abs. 4 Satz 2 StVZO aF) bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 12 Abs. 6 FZV) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen (vgl. insoweit BGH, Urt. v. 18.09.2020 – V ZR 8/19, Rn. 29 juris). Nachforschungspflichten, die darüber hinausgehen, bestünden regelmäßig jedoch nicht, außer sie drängen sich dem Betrachter förmlich auf (vgl. insoweit BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12, juris Rn. 14; Urt. v. 18.09.2020 – V ZR 8/19, Rn. 29 juris). Die Rechtsprechung stellt hier hohe Anforderungen an eine Fahrlässigkeit: selbst eine Reihe von Unstimmigkeiten (Abweichen der Anschrift der Verkäuferin in dem Personalausweis von den Anschriften in Kaufvertrag und Fahrzeugpapieren sowie in dem Inserat; Stempel von zwei Gemeinden in der Zulassungsbescheinigung Teil I; Fehlen des zweiten Fahrzeugschlüssels; Barkauf in einer Straße, die weder der in dem Inserat noch der in dem Personalausweis genannten Straße entsprach) – soweit sie denn halbwegs plausibel erklärt wurden und dies vom Kläger dargelegt werden kann – reichten nicht aus um grobe Fahrlässigkeit des Klägers anzunehmen und folglich einen guten Glauben auszuschließen.* Das Verlangen nach Barzahlung sei im Gebrauchtwagenhandel indes nicht unüblich (vgl. OLG Celle, Urt. v. 12.10.2022 – 7 U 974/21, Rn. 46.).

*Lesenswert: Ausführungen OLG Celle, Urt. v. 12.10.2022 – 7 U 974/21, Rn. 38 ff.

Bei der konkreten Prüfung des § 816 I 1 BGB ist es wichtig, sich immer wieder klarzumachen, hinsichtlich welcher Veräußerung, welche Voraussetzungen vorliegen müssen. Prüft das Gericht die Gutgläubigkeit des Klägers, stellt es auf die chronologisch erste (unberechtigte) Veräußerung des Audi ab.

Der § 816 I 1 BGB verlangt nun, dass im Moment der zweiten Veräußerung des Audi (nach Rückgabe durch die Polizei) durch das Autohaus an den (seinerseits gutgläubig erwerbenden) Dritten das Autohaus selbst Nichtberechtigte war. Dies zu bestätigen stellte schließlich den zweiten inhaltlichen Punkt der gerichtlichen Prüfung dar (vgl. OLG Celle, Urt. v. 12.10.2022 – 7 U 974/21, Rn. 49). Inhaber der Verfügungsbefugnis ist i.d.R. der Inhaber des entsprechenden Vollrechts,* vorliegend also der Kläger in der Eigenschaft als wahrer Eigentümer, da dieser zuvor wirksam das Eigentum an dem Audi vom Probefahrer erworben hatte. Wirksam wurde diese Verfügung durch das nichtberechtigte Autohaus gegenüber dem berechtigtet Kläger, da der Dritte seinerseits gem. § 932 I 1 BGB gutgläubig erwarb (Schulfall des gutgläubigen Erwerbs).

* Fyi: Abweichungen können sich jedoch z.B. durch eine Übertragung der Verfügungsbefugnis kraft Ermächtigung (sog. Einwilligung, § 185 I BGB) oder kraft Gesetz (z.B. §§ 80 I 1, 81 I 1 InsO, §§ 1984 I, 2211 BGB) ergeben.

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Beitragsautor:

Dr. Lennart Brüggemann

Dr. Lennart Brüggemann

HLB Schumacher Hallermann ist eine mittelständische Rechtsanwaltskanzlei, die sich intensiv auch auf klassische Rechtsgebiete ausrichtet hat. Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann, Partner bei HLB, betreut unter anderem das Projekt „Entscheidung des Monats“, bei dem regelmäßig unter seiner Supervision wissenschaftliche Mitarbeiter:innen oder Referendar:innen eine aktuelle Entscheidung analysieren und aufbereiten.

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