#HierZucktDeinPrüfungsamt im Öffentlichen Recht in Kooperation mit RiVG Dr. David Stadermann
Moin zusammen,
heute empfehle ich euch einen interessanten Beschluss des VG Hamburg vom 17.10.2024 (5 E 4622/24). Es geht um das Verkehrsrecht als besonderes Verwaltungsrecht, konkret um den Widerspruch via E-Mail, mithin um ein besonders examensrelevantes Thema, bei dem dein Prüfungsamt vor Freude zuckt.
JurCase informiert:
Der Beschluss des VG Hamburg vom 17.10.2024 (5 E 4622/24) findest du kostenfrei hier auf der Seite des Landesrechts Hamburg.
Was ist passiert?
Die Antragstellerin, eine Carsharing-Anbieterin in der Rechtsform einer GmbH, wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die ihr als Halterin eines Pkws auferlegte Betriebsuntersagung.
In dem betroffenen Pkw befindet sich eine Anlage zur Außenwerbung. Die Anlage ist im Innenraum installiert und projiziert an die hintere, rechte Seitenscheibe digitale Inhalte (wie etwa Werbung).
Gestützt auf § 5 Abs. 1 FZV forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur Mängelbeseitigung auf, da es sich bei der Anlage um eine nach § 49a StVZO unzulässige Videoprojektion handele. Nach fruchtlosem Fristablauf untersagte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 8. März 2024 den Betrieb des betroffenen Pkw bis zum Nachweis der Mängelbeseitigung. Gleichzeitig ordnete sie die sofortige Vollziehung an. Der mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid wurde der Antragstellerin am 13. März 2024 zugestellt.
Unter dem 15. März 2024 wurde unter dem Briefkopf der Antragstellerin mit der Namenswiedergabe ihres Geschäftsführers ein Text gefertigt, dem „Schreiben vom 08.03.2024“ werde „widersprochen“. Der Text findet sich als Ausdruck in der in Papierform geführten Sachakte der Antragsgegnerin. Weiter findet sich in der Sachakte ein Ausdruck einer E-Mail der Antragstellerin an die im Bescheid-Briefkopf benannte E-Mail-Adresse mit dem vorbenannten Widerspruchstext und eingescannter Unterschrift als Anlage.
Über den Widerspruch hat die Antragsgegnerin noch nicht entschieden.
Die Antragstellerin hat am 8. Oktober 2024 das Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Der Antrag bliebe ohne Erfolg.
Worum geht es?
Besonderes Verwaltungsrecht (hier: Verkehrsrecht), Widerspruch via E-Mail, Wiedereinsetzung, „Herrin des Vorverfahrens“
Warum solltest du diese Entscheidung lesen?
Insgesamt bietet der Beschluss die Möglichkeit, sich rasch einen Überblick über die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO sowie die Nutzung von E-Mails im Vorverfahren zu verschaffen:
- Ein vorläufiger Rechtsschutzantrag ist unzulässig, wenn die angegriffene Verfügung bestandskräftig ist. Für eine Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist kein Raum, wenn der Verwaltungsakt, um dessen Vollziehung es geht, bereits unanfechtbar geworden ist. Dem liegt zugrunde, dass die aufschiebende Wirkung nur für eine Übergangszeit greift, in welcher der Widerspruch zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids führen und der Betroffene seine durch den Bescheid etwa verletzten Rechte noch durchsetzen kann.
- Der Widerspruch ist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, einzulegen. Hierfür sieht das Gesetz verschiedene Wege vor. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin keinen derartigen Weg benutzt:
- Einen zugelassenen elektronischen bzw. schriftformersetzenden Weg (vgl. § 3a Abs. 2 und 3 VwVfG und § 9a Abs. 5 OZG) hat die Antragstellerin nicht gewählt. Bitte lesen Sie diese Vorschriften einmal in Ruhe. Lesen Sie sie erneut …
- Schon jetzt ein (Klausur-)Klassiker: Die Übermittlung des Widerspruchs mittels einfacher E-Mail wahrt – anders als das Telefax – nicht die Schriftform, selbst dann nicht, wenn er (als Anlage) eine eingescannte Unterschrift erkennen lässt oder die E-Mail durch die Behörde ausgedruckt und zur Akte genommen wird. Dies folgt insbesondere aus der Systematik, da § 3a VwVfG insoweit abschließend ist.
- Auch der Versand des bloß digital unterschriebenen Widerspruchs (= des Ausdrucks) wahrt die Schriftform nicht. Dieser Ausdruck hat keine andere Qualität als der behördliche Ausdruck einer E-Mail mit eingescannter Unterschrift. Zu keinem Zeitpunkt hat eine verkörperte Gedankenerklärung mit handschriftlicher Unterzeichnung existiert, die einer analogen Übermittlung zugänglich gewesen wäre.
- Bei Fristproblemen ist immer an die – auch von Amts wegen zu prüfende – Wiedereinsetzung zu denken. Aufgrund von § 70 Abs. 2 VwGO sind § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO auch im Vorverfahren anwendbar. Hier hat die Antragstellerin die Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist allerdings schuldhaft versäumt. Dass die Rechtsbehelfsbelehrung nicht über die erforderliche Form des Widerspruchs belehrt hat, ändert am Verschulden nichts, da dies vom Gesetz (lies § 58 VwGO) nicht verlangt wird. Daher ist es auch unschädlich, dass auf dem Briefkopf der Behörde auch die E-Mail-Adresse mitgeteilt war. Soweit die Antragstellerin darüber im Unklaren gewesen sein sollte, welche Anforderungen das Gesetz in § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO insbesondere an die Tatbestandsvarianten „schriftlich“ oder in „elektronischer Form“ stellt, hätte es ihr oblegen, sich durch Nachfrage bei der Antragstellerin oder anwaltliche Beratung zu informieren.
- Als „Herrin des Vorverfahrens“ kann die Antragsgegnerin auch formwidrigen Widersprüche sachlich bescheiden und so dem Verwaltungsakt seine nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO maßgebliche Gestalt geben. Doch hat die Antragsgegnerin dies bislang nicht getan. In einem Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht prognostisch davon ausgegangen werden, dass die Behörde von dieser Rechtsmacht im Widerspruchsverfahren Gebrauch machen wird.