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examensrelevantGewusst

Fall des Monats März 2025: Anfechtung der Ausschlagung wegen Irrtums

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.08.2024, Az.: 8 W 102/23 (leicht abgewandelt)

Problem: Anfechtung der Ausschlagung wegen Irrtums

Einordnung: Erbrecht

In Kooperation mit Jura Intensiv präsentieren wir dir den #examensrelevanten Fall des Monats. Dieser bietet einen Sachverhalt mit Fragestellung, sodass der Fall eigenständig gelöst werden kann. Die hier präsentierten Lösungen enthalten in aller Regel auch weiterführende Hinweise für eine optimale Examensvorbereitung.

Einleitung

Die Abgrenzung zwischen dem nach § 119 II BGB beachtlichen Eigenschaftsirrtum und unbeachtlichen Motivirrtümern wirkt sich im Erbrecht besonders bei der Ausschlagung der Erbschaft aus. Deshalb sind solche Fälle sehr klausurrelevant.

Sachverhalt

Die Erblasserin (E) verstarb am 29.04.2021 im Alter von 106 Jahren. Für sie war beim Amtsgericht eine Betreuung errichtet und ein familienfremder Betreuer bestellt worden. Zur Deckung ihres Pflegebedarfs und der Heimkosten bezog sie Leistungen von der Hauptfürsorgestelle des Landschaftsverbands Rheinland (LVR). Diese wurden als Darlehen gewährt, da E als Miteigentümerin eines Hausanwesens zu 1/3 Vermögen besaß. Zur Absicherung des Darlehens waren auf diesem 1/3 Miteigentumsanteil auch zwei Grundschulden für den LVR über insgesamt 71.000,00 € eingetragen. E war mit dem bereits 1941 verstorbenen P.A. verheiratet. Aus der Ehe waren zwei Kinder hervorgegangen, nämlich der E.A. und die E.U., geb. A., die beide bereits vorverstorben sind. Der am 26.12.2004 vorverstorbene E.A. hatte seinerseits zwei Kinder, nämlich den ebenfalls bereits vorverstorbenen (am 31.12.2011) U.A. und B2. Der vorverstorbene U.A. hat seinerseits wiederum zwei Kinder hinterlassen, nämlich B1 und B3 (Zwillingsbrüder). Die am 26.12.2017 vorverstorbene E.U. hat wiederum zwei Kinder hinterlassen, nämlich den R.U. und den F.U. Nach dem Tod der E, die kein Testament hinterlassen hatte, schlug zunächst B2 mit Erklärung vom 28.05.2021 das Erbe aus. Zur Begründung gab sie an, dass der Nachlass nach ihrer Kenntnis überschuldet sei. In der Folgezeit schlugen auch die beiden Töchter der B2 sowie R.U. und F.U. nebst deren jeweiligen Kindern das Erbe aus. Zwischenzeitlich hatte das Nachlassgericht auf Antrag des LVR wegen einer Forderung gegen die Erben in Höhe von 49.999,70 € B4 zur Nachlasspflegerin bestellt. Diese wirkte unter Mitwirkung des Nachlassgerichts mit den weiteren Eigentümern des Hausanwesens F.U. und R.U. an dem Verkauf des Hausanwesens an Dritte zu einem Kaufpreis von 190.000,00 € mit. Mit Erklärung vom 12.10.2022 erklärte B2 die Irrtumsanfechtung in Bezug auf ihre Erklärung zur Erbausschlagung. Zur Begründung gab sie an, dass sie nach der Erbausschlagung durch Gespräche mit der Nachlasspflegerin am 19. und 28.09.2022 erfahren habe, dass sich im Nachlass der Erblasserin ein die Nachlassverbindlichkeiten übersteigender Grundbesitzanteil und ein ihr bislang unbekanntes Bankkonto bei der Kreissparkasse Köln, das einen vierstelligen Geldbetrag aufweise, befinde, sodass eine Überschuldung des Nachlasses doch nicht gegeben sei. B3 und B1 haben die Erbschaft angenommen. B1 ist der Meinung, dass B2 die Erbschaft wirksam ausgeschlagen und diese Ausschlagung nicht wirksam angefochten habe, da allenfalls ein unbeachtlicher Motivirrtum vorgelegen habe. Aus einem Schreiben der B2 vom 15.05.2023 ergibt sich, dass ihr der Grundbesitzanteil der Erblasserin am Grundstück und die Belastung des der Erblasserin daran zustehenden 1/3 Miteigentumsanteil mit einer Grundschuld zugunsten des LVR bekannt war.

Ist B2 Miterbin geworden?

Leitsatz

  1. Ein zur Anfechtung der Erbausschlagung berechtigender Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses liegt nur vor, wenn sich der Anfechtende über die Zusammensetzung des Nachlasses (Zugehörigkeit bestimmter Aktiva oder Passiva zum Nachlass) geirrt hat, nicht hingegen bei bloßen Fehlvorstellungen über den Wert einzelner Nachlassgegenstände oder -verbindlichkeiten.
  2. Auch ein grundsätzlich beachtlicher Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses führt nur dann zu einer wirksamen Anfechtung, wenn er für letztere bei wirtschaftlicher Betrachtung kausal war, d.h. der Erbe die Ausschlagung bei Kenntnis der Sachlage nicht erklärt hätte, woran es fehlt, wenn die Ausschlagung im Hinblick auf eine (mutmaßliche) Überschuldung erklärt wurde und der einzig beachtliche Irrtum sich auf die Existenz eines Guthabens bezog, welches bei Berücksichtigung durch den Erben an dessen (Fehl-)Vorstellung hinsichtlich der Überschuldung des Nachlasses nichts geändert hätte.

Lösung

A. Miterbenstellung der B2 gem. §§ 1922, 1924, 2032 BGB

E hat kein Testament hinterlassen. Ferner existiert kein Erbvertrag. Ihr Ehegatte ist vorverstorben. Folglich richtet sich die Erbfolge nach den Regeln des Verwandtenerbrechts gem. §§ 1924 ff. BGB. B2 wäre gem. §§ 1922, 1924, 2032 BGB Miterbin, wenn sie Abkömmling der E wäre, kein anderer Abkömmling näher mit E verwandt wäre und sie das Erbe nicht wirksam ausgeschlagen hätte.

Wenn ausreichend Zeit und Platz vorhanden ist, schadet ein Hinweis auf den Vorrang der gewillkürten Erbfolge nicht.
I. Abkömmling

Gem. § 1930 BGB gehen Erben erster Ordnung den Erben fernerer Ordnungen vor. Zu den Erben erster Ordnung gehören gem. § 1924 BGB die Abkömmlinge des Erblassers. B2 ist Enkelin der E, also deren Abkömmling.

II. Ausschluss gem. § 1924 II BGB

B2 wäre gem. § 1924 II BGB von der Erbschaft ausgeschlossen, wenn ihr Vater, der Sohn der Erblasserin, E.A., noch leben würde. Dieser ist jedoch bereits am 31.12.2011 verstorben. Gem. § 1924 III BGB hat B2 als Abkömmling des E.A. jedoch das Eintrittsrecht in die gesetzliche Erbfolge des E.A.

III. Keine wirksame Ausschlagung gem. §§ 1942, 1953 BGB

B2 wäre nicht Miterbin, wenn sie das Erbe wirksam ausgeschlagen hätte. B2 hat zunächst am 28.05.2021 eine wirksam erfolgte Erbausschlagungserklärung abgegeben. Danach wäre ihr eine Erbenstellung nach der Erblasserin gem. § 1953 I BGB nicht angefallen. Jedoch hat sie diese Erklärung angefochten. Diese Anfechtungserklärung ist nur wirksam, wenn B2 einen Anfechtungsgrund gehabt hätte. Hier kommt als solcher nur § 119 II BGB in Betracht.

[16] Hinsichtlich der Berechtigung zur Anfechtung der Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft hat sich die Beteiligte zu 2) auf einen Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB berufen. Ein solcher Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses kann dabei zwar dann vorliegen, wenn der Anfechtende von der Überschuldung des Nachlasses ausgeht. (…). Fehlvorstellungen darüber, dass die Verbindlichkeiten den Wert des Nachlasses übersteigen, sind dabei aber nur dann beachtlich, wenn sich der Anfechtende in einem Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses befunden hat. (…). War dagegen dem Anfechtenden die Zusammensetzung des Nachlasses bekannt und er hatte lediglich falsche Vorstellungen von dem Wert der einzelnen Nachlassgegenstände bzw. Aktiva und Passiva des Nachlasses, so stellt sich dies als unbeachtlicher Motivirrtum dar. (…).

JuraIntensiv informiert:

B2 glaubte zunächst an eine Überschuldung des Nachlasses. In solchen Fällen gilt es zu differenzieren:

  • Ein Eigenschaftsirrtum gem. § 119 II 2. Fall BGB liegt vor, wenn Fehlvorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses vorlagen, wenn z.B. Aktiva oder Passiva unbekannt waren.
  • Kein Eigenschaftsirrtum liegt vor, wenn die Nachlassgegenstände bekannt waren, ihr Wert jedoch falsch eingeschätzt wurde.

[17] Soweit sich die Beteiligte zu 2) in ihrer Anfechtungserklärung darauf berufen hat, dass ihr erst im Nachhinein bekannt geworden sei, dass zum Nachlass ein Bankkonto bei der Kreissparkasse Köln mit einem vierstelligen Guthaben gehöre, läge somit ein beachtlicher Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses vor [= Unkenntnis über das Bankguthaben könnte zum Eigenschaftsirrtum führen.]. Denn entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1) war die Beteiligte zu 2) nicht verpflichtet, bei allen möglichen Banken nachzufragen, ob die Erblasserin dort ein Konto geführt hat und ein Guthaben besteht. Die ihr mögliche Nachfrage beim Betreuer der Erblasserin hat sie gehalten, der ihr aber keine Auskunft erteilt hat.

[18] Dagegen liegt ein beachtlicher Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses nicht vor, soweit die Beteiligte zu 2) sich darauf beruft, dass sich ein die Nachlassverbindlichkeiten übersteigender Grundbesitzanteil im Nachlass befunden habe [= Kein Eigenschaftsirrtum, wenn Grundbesitzanteil bekannt, jedoch der Wert falsch eingeschätzt wurde]. Wie sich aus den Ausführungen der Beteiligten zu 2) in ihrem Schreiben vom 15.05.2023 ergibt, war ihr der Grundbesitzanteil der Erblasserin an dem Anwesen im M-H, …, und die Belastung des der Erblasserin daran zustehenden 1/3 Miteigentumsanteil mit einer Grundschuld zugunsten des LVR bekannt. Sie hat lediglich diesen Grundbesitzanteil nicht für (ausreichend) werthaltig gehalten, weil sie den Wert des Grundstücks insgesamt auf lediglich ca. 150.000,00 € bis 160.000,00 € geschätzt hatte und andererseits von seitens des LVR vorausgelegten Heim-/Pflegekosten von monatlich ca. 1.000,00 € ausging, und zwar bei einer Aufenthaltszeit der Erblasserin im Seniorenheim von mehr als 8 Jahren. Ihre Annahme der Überschuldung des Nachlasses beruhte daher insoweit auf einer unzutreffenden Vorstellung über den Wert des Nachlasses (Wert Aktiv-Nachlass: 1/3 x 160.000,00 € = 53.333.33 € – Verbindlichkeiten: 8 x 12 x 1.000,00 € = 96.000,00 €), nicht über dessen Zusammensetzung. Wie oben dargelegt, stellt sich ein solcher Irrtum über den Wert der Nachlassgegenstände als unbeachtlicher Motivirrtum dar.

[19] Der somit allein vorliegende beachtliche Irrtum hinsichtlich des Bankkontos mit einem vierstelligen Guthabensbetrag vermag aber dennoch eine wirksame Anfechtung der Ausschlagung nicht zu begründen. Denn insoweit fehlt es an der Kausalität dieses Irrtums für die erfolgte Ausschlagung der Erbschaft durch die Beteiligte zu 2). (…). Gemäß den dargelegten Ausführungen der Beteiligten zu 2) aus ihrem Schreiben vom 15.05.2023 ging diese bei der Erklärung der Ausschlagung von einem Wert des Aktivnachlasses von ca. 53.333,33 € und Verbindlichkeiten von ca. 96.000,00 € aus, so dass nach ihrer Vorstellung eine Überschuldung des Nachlasses von etwas mehr als 40.000,00 € vorlag. Hätte sie damals aber Kenntnis von dem Bankkonto mit einem Guthaben in vierstelliger Höhe gehabt, hätte nach ihrer Vorstellung immer noch eine Überschuldung von mehr als 30.000,00 € vorgelegen, so dass als sicher angenommen werden kann, dass sie auch ohne diesen Irrtum über das Vorhandensein des Bankkontos die Ausschlagung der Erbschaft erklärt hätte [= Sie hätte auch in Kenntnis des Bankguthabens aufgrund ihrer Fehleinschätzung der Nachlasswerte ausgeschlagen.]. Dem dort vorhandenen Guthaben wäre nach wirtschaftlichen Erwägungen nämlich kein besonderes bzw. ausschlaggebendes Gewicht zugekommen. (…).

Folglich stand B2 kein Anfechtungsgrund zu. Daher hat sie ihre Ausschlagungserklärung nicht wirksam angefochten. Folglich hat sie die Erbschaft wirksam ausgeschlagen.

B. Ergebnis

B2 ist nicht gem. §§ 1922, 1924, 2032 BGB Miterbin nach der Erblasserin geworden.

Fazit

Fehlvorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses können zum Eigenschaftsirrtum gem. § 119 II 2. Fall BGB führen, Fehlvorstellungen über den Wert einzelner Nachlassgegenstände hingegen nicht.

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Beitragsautor:

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