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„E-Scooter“ in der Examensklausur

By 12. Mai 2022Oktober 23rd, 2023No Comments
Aktuelle Rechtsprechung

Diese Rechtsprechung solltest du kennen

Wer kennt sie nicht – die E-Scooter. Die elektrisch betriebenen Roller sind kaum noch von den Gehwegen und Straßen der deutschen Großstädte wegzudenken. Auch in gerichtlichen Entscheidungen spielen sie eine immer größere Rolle – und das in jedem Rechtsgebiet: Im Ordnungswidrigkeitenrecht, im Strafrecht, im Zivilrecht und auch im Öffentlichen Recht müssen sich die Richterinnen und Richter zunehmend mit den E-Scootern beschäftigen. Kann bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter ein Fahrverbot verhängt werden? Gilt die Halterhaftung analog bei E-Scootern? Und muss eine Beseitigungsverfügung erlassen werden, wenn ein E-Scooter den Gehweg versperrt? Dieser Beitrag soll diese Rechtsprobleme rund um die neuen E-Scooter anhand von drei aktuellen Gerichtsentscheidungen beleuchten.

„E-Scooter“ im Ordnungswidrigkeitenrecht

OLG Zweibrücken, 29.06.2021 – 1 OWi 2 SsBs 40/21

Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hatte über ein verhängtes Fahrverbot bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter zu entscheiden. Der Betroffene geriet bei einer Fahrt mit einem E-Scooter in eine Polizeikontrolle. Im Blut des Betroffenen wurden verschiedene Konzentrationen von Betäubungsmitteln, unter anderem eine relevante Kokain-Konzentration, festgestellt. Diese führte zu einer konkreten Beeinflussung des Betroffenen. Das Amtsgericht (AG) Kaiserslautern verurteilte den Betroffenen zur Zahlung eines Bußgelds und zu einem Fahrverbot von einem Monat wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit. Der Betroffene wandte sich mit der Rechtsbeschwerde gegen das Fahrverbot und beanstandete, dass das Regelfahrverbot bei einer Fahrt mit dem E-Scooter nicht zwingend sei.

JurCase informiert:

Die einschlägigen Vorschriften:

  • § 25 Abs. 1 S. 2 StVG normiert ein gesetzliches Regelfahrverbot:

„Wird gegen die betroffene Person wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a eine Geldbuße festgesetzt, so ist in der Regel auch ein Fahrverbot anzuordnen.“

  • § 24a Abs. 2 S. 1 u. 2 StVG schreibt die Ordnungswidrigkeit für diesen Fall fest: „Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird.“
  • Nach § 24a Abs. 3 StVG handelt auch ordnungswidrig, wer die Tat fahrlässig begeht.

Das OLG Zweibrücken musste über die Rechtsbeschwerde entscheiden. Es wies diese als unbegründet ab. Die Begründung:

Allein die Art des geführten Fahrzeuges – also die Tatsache, dass es sich um einen E-Scooter handele – könne das Regelfahrverbot nicht entfallen lassen. Zwar weise der E-Scooter eine geringe Masse und Geschwindigkeit auf. Die abstrakte Gefährlichkeit der Sicherheit des Straßenverkehrs sei jedoch vielmehr anhand der Wahrscheinlichkeit zu beurteilen, andere Verkehrsteilnehmer mit einer unsicheren oder nicht berechenbaren Fahrweise zu beeinflussen.

Das OLG Zweibrücken führte daher aus:

„Weiterhin wird in der Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass auch einem E-Scooter durch die Fahrzeugmasse und die erreichbare Höchstgeschwindigkeit ein erhebliches Gefährdungs- und Verletzungspotential für Dritte zukomme, das noch dadurch verstärkt werde, dass der E-Scooter eine ohne eigene Anstrengung abrufbare Kraft des Elektromotors freisetze; insbesondere falle eine Geschwindigkeitsbeschleunigung erheblich leichter als mit einem konventionellen Fahrrad. Diese Kraft müsse von dem Fahrzeugführer auch beherrscht werden können. Die von E-Scootern ausgehende abstrakte Gefahr sei daher nicht deutlich geringer zu beurteilen als im Fall von Motorrollern oder Mofas […]. Zur Begründung der besonderen Gefährlichkeit der Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter wird überdies ins Feld geführt, dass Gleichgewichtsbeeinträchtigungen und plötzliche Lenkbewegungen angesichts der regelmäßig stehenden Fahrposition und kleineren Radumfangs deutlich größere Auswirkungen auf die Fahrweise und dadurch hervorgerufene kritische Verkehrssituationen für andere Verkehrsteilnehmer zeitigen können […]. Der Senat schließt sich dieser Ansicht an.“

Im Ergebnis blieb das Fahrverbot damit bestehen.

„E-Scooter“ im Zivilrecht

AG Frankfurt a. M. (44. Einzelrichter), Urteil vom 22.04.2021 – 29 C 2811/20 (44)

Vor dem AG Frankfurt klagte ein Eigentümer eines Kraftfahrzeuges auf Schadensersatz. Der Kläger behauptete, dass ein E-Scooter mit einem bestimmten Kennzeichen entweder unsachgemäß neben dem Fahrzeug abgestellt worden und später auf das Klägerfahrzeug umgefallen sei oder mutwillig gegen das Klägerfahrzeug gestoßen worden sei. Einen Schädiger konnte die Polizei jedoch nicht ermitteln, weshalb der Kläger gegen die Haftpflichtversicherung des E-Scooters vorging. Er war der Auffassung hier müsse § 7 StVG analog eingreifen. Die Gefährdungshaftung sei auch nicht gemäß § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen, denn diese Regelung sei nicht mit den heutigen Gegebenheiten vereinbar. Insbesondere komme E-Scootern ein erhebliches Gefährdungspotential im Straßenverkehr zu, so dass es nicht zumutbar sei, Schadensersatzansprüchen nur gegen den Fahrer durchsetzen zu können. Im Ergebnis sei auf die Gefährlichkeit des Verkehrsmittels abzustellen und nicht auf die starre Geschwindigkeitsgrenze des § 8 Nr. 1 StVG.

JurCase informiert:

Die einschlägigen Vorschriften:

  • § 7 Abs. 1 StVG – die verschuldensunabhängige Halterhaftung:

„Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“

  • § 8 Nr. 1 StVG – Ausschluss der Halterhaftung:

„Die Vorschriften des § 7 [gilt] nicht, wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, das auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 Kilometer in der Stunde fahren kann, es sei denn, es handelt sich um ein Kraftfahrzeug mit autonomer Fahrfunktion im Sinne des § 1d Absatz 1 und 2, das sich im autonomen Betrieb befindet […].“

Das AG Frankfurt entschied, dass dem Kläger kein Anspruch auf Schadensersatz – insbesondere nicht aus § 7 Abs.1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 VVG zustehe. Die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG sei nach § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen. Die Begründung des AG Frankfurt:

„Hier ist […] unstreitig, dass der bei der Beklagten haftpflichtversicherte E-Scooter nicht mehr als 20 km/h fahren kann. Der E-Scooter verfügte über eine Zulassung nach der Elektrokleinstfahrzeug-Verordnung (eKFV), die zum Zeitpunkt des Unfallereignisses auch bereits in Kraft und somit anwendbar war. Gemäß § 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne der Verordnung, Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h […]. Der eindeutige Wortlaut des § 8 Nr. 1 StVG steht einer verschuldensunabhängigen Haftung entgegen […]. Die Vorschrift des § 8 StVG war dem Gesetzgeber bei Verabschiedung der eKFV bereits bekannt und hätte bei Bedarf bereits zu diesem Zeitpunkt eine Änderung vornehmen können. Insbesondere ist die Regelung, obwohl von derartigen Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr heute eher größere als geringere Gefahren ausgehen […], durch das 2. SchadÄndG nicht aufgehoben oder geändert worden. Der Kläger hat aus demselben Grund auch keinen Anspruch aus § 18 I StVG. Auch insoweit steht § 8 Nr. 1 StVG einer Haftung entgegen […]. Zumal in der vorliegenden Konstellation niemand den E-Scooter zum Zeitpunkt des Unfalls gefahren hat.“

„E-Scooter“ im Öffentlichen Recht

VG Münster, Beschluss vom 09.02.2022 – 8 L 785/21

Vor dem Verwaltungsgericht (VG) Münster bergehrte der Antragssteller – ein Blin­den- und Seh­be­hin­derten­ver­ein – im Wege des einstweiligen Rechtsschutztes:

„Die Untersagung des Geschäftsbetriebes mit E-Tretrollern im free-floating-System, den Erlass entsprechender Beseitigungsverfügungen sowie die eigene Beseitigung durch die Antragsgegnerin und die sofortige Exekution der notwendigen sofortigen Beseitigungsverfügungen, sollten diese fruchtlos bleiben.“

Der Grund dafür: Durch die auf den Gehwegen abgestellten E-Scooter kam es vermehrt zu Beeinträchtigungen insbesondere für Sehbehinderte und Blinde.

JurCase informiert:

Die einschlägige Vorschrift hier war § 22 Abs. 1 StrWG NRW:

„Werden Fahrzeuge verbotswidrig abgestellt oder wird sonst eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt oder kommt der Erlaubnisnehmer seinen Verpflichtungen nicht nach, so kann die für die Erteilung der Erlaubnis zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung oder zur Erfüllung der Auflagen anordnen. Sind solche Anordnungen nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder nicht Erfolg versprechend, so kann sie den rechtswidrigen Zustand auf Kosten des Pflichtigen beseitigen oder beseitigen lassen.“

Das VG Münster gab den Anträgen teilweise statt:

Ein Anspruch auf Erlass von Beseitigungsverfügungen stehe dem Antragsteller nicht zu. Das VG Münster verwies darauf, dass der Erlass von Beseitigungsverfügungen nach § 22 Satz 1 StrWG NRW im Ermessen der zuständigen Behörde stehe und auch keine Ermessensreduktion auf Null erkennbar sei:

Hier ist weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich, dass keine anderen ermessensfehlerfreien Alternativen bestehen. Es sind verschiedene Handlungsmöglichkeiten denkbar, die den Betreibern ein ‚free-floating-Modell’ ermöglichen, jedoch Vorkehrungen treffen, um Beeinträchtigungen insbesondere für Sehbehinderte und Blinde zu minimieren.“

Weiterhin sei für die begehrte „Untersagung des Geschäftsbetriebes mit E-Tretrollern im free-floating-System“ schon keine Anspruchsgrundlage erkennbar.

Dagegen sei der im Hauptantrag als Minus enthaltene Antrag auf (Neu-)Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes begründet.

Das VG Münster gab der Stadt Münster daher auf, über den Antrag auf Erlass von Beseitigungsverfügungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Grund: Die Stadt Münster habe ihr Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 22 Abs. 1 StrWG NRW für eine Beseitigungsverfügung lägen vor. Insbesondere fehle es an der erforderlichen Sondernutzungserlaubnis. Ein pauschaler Verweis der Stadt Münster auf die vorliegenden Selbstverpflichtungserklärungen der E-Scooterbetriebe sei nicht ausreichend. Es fänden sich in der Ermessensentscheidung der Stadt Münster keinerlei Erwägungen zur Belastbarkeit bzw. Tragfähigkeit der Selbstverpflichtungserklärungen. Die Erklärung eines der Betriebe in Münster sehe nicht einmal konkrete eindeutige Regelungen oder Absprachen im Falle von behindernd abgestellten E-Scootern vor, so das VG Münster. Außerdem fehle in der Ermessensausübung jegliche Berücksichtigung der bisher erfolgten Unfälle im Zusammenhang mit den aufgestellten E-Scootern.

Auch den im einstweiligen Rechtsschutz erforderlichen Anordnungsgrund stellte das VG Münster fest:

„Es besteht ein berechtigtes Interesse daran, dass die Antragsgegnerin möglichst frühzeitig eine (erneute) Ermessensentscheidung über den Erlass von Beseitigungsverfügungen trifft. Ein Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache ist dem Antragsteller mit Blick auf das in Rede stehende hochrangige Rechtsgut des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zumutbar. Auch könnte der Anspruch des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen durch die Antragsgegnerin zeitlich untergehen.“

Fazit

Drei verschiedene Wege Streitigkeiten mit E-Scootern vor Gericht zu bringen – drei Beispiele dafür, wie E-Scooter zukünftig eine Rolle in Examensklausuren spielen können. In der Examensklausur ist es ratsam:

  1. die Besonderheiten, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der E-Scooter gegenüber anderen Fortbewegungsmitteln herauszuarbeiten,
  2. den Schutzzweck der einschlägigen gesetzlichen Regelung zu erfassen
  3. sowie alle Umstände des konkreten Falles zu würdigen.

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Beitragsautor:

Laureen

Laureen

Laureen war zu ihrer Zeit bei uns Diplom-Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich des Strafrechts bei Nagel Schlösser Rechtsanwälte. Sie hat bei uns über verschiedene Themen berichtet, etwa zu ihrem Referendariat und vor allem zu #Gewusst: Aktuelle Rechtsprechung.

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