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Neuer Beschluss des BGH – Zum Diebstahl von Bargeld am Geldautomaten und der Frage nach dem Gewahrsamsbruch

By 7. September 2021Oktober 23rd, 2023No Comments
Strafrecht

BGH, Beschluss vom 3. März 2021 ‒ 4 StR 338/20

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in seinem Beschluss vom 3. März 2021 über die Frage zu entscheiden, ob einem Bankkunden Gewahrsam an dem Bargeld im Ausgabefach eines Geldautomaten zukommt, wenn der Bankkunde zwar den Auszahlungsvorgang durch das Einführen der Karte und die Eingabe der zugehörigen PIN-Nummer bereits eingeleitet hat, jedoch ein Dritter den Geldbetrag auf dem Display eingibt und dieses Geld aus dem Ausgabefach entnimmt. Die Entscheidung des BGH orientiert sich stark an den strafrechtlichen Definitionen und einer genauen Subsumtion unter die jeweiligen Tatbestandsmerkmale, so dass sich dieser Beschluss vom 3. März 2021 wunderbar als Vorlage für eine Examensklausur eignet.

Zunächst zum Sachverhalt:

Die geschädigten Bankkunden bedienten einen Geldautomaten in der Absicht Bargeld abzuheben. Nachdem diese ihre Karte eingeführt und die zugehörige PIN-Nummer eingegeben hatten, stellten sich die Angeklagten neben die Bankkunden. Die Angeklagten begaben sich zu dem Bedienfeld des Geldautomaten und gaben als auszuzahlende Geldsumme jeweils Beträge von 500 bzw. 800 € ein. Sie entnahmen das ausgegebene Bargeld aus dem Ausgabefach des Geldautomaten und entfernten sich. In einem Fall bedrängten die Angeklagten eine Bankkundin, die bereits ihre PIN-Nummer eingegeben hatte, indem sie diese von dem Geldautomaten wegschubsten. Das Landgericht verurteilte die Angeklagten jeweils wegen unterschiedlicher Diebstahlsdelikte. Der BGH hatte nunmehr über die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts zu entscheiden.

Prozessuale Besonderheit: § 349 Abs. 2 StPO

Der Beschluss des Strafsenats im vorliegenden Fall erging auf der Grundlage des § 349 Abs. 2 StPO. Dieser bestimmt: Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluss entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.“ Im vorliegenden Fall hatte der Generalbundesanwalt einen derartigen Antrag gestellt. Damit bedurfte es im hiesigen Verfahren keiner mündlichen Verhandlung und die Revision konnte durch einstimmigen Beschluss als unbegründet verworfen werden.

JurCase informiert:

Eine derartige Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO auf Revisionen in Strafsachen ist auch mit dem Grundgesetz und dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluss vom 30. Juni 2014 (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2014 – 2 BvR 792/11).

Verurteilung wegen Diebstahls ist nicht zu beanstanden

In der Sache bestätigte der BGH die Entscheidung des Landgerichts:

„Das Landgericht hat das Ansichnehmen des von den Geldautomaten
ausgegebenen Bargelds zutreffend als Diebstahl gewertet. Es hat insbesondere
zu Recht angenommen, dass die Angeklagten die Geldscheine, bei denen es
sich um für sie fremde Sachen handelte […], wegnahmen.“

Der BGH führte weiter aus, dass in den vorliegenden Fällen die Nutzer der Bankkarten im Zeitpunkt der Entnahme des Geldes durch die Angeklagten bereits einen Mit-Gewahrsam an dem Geld in dem Ausgabefach des Geldautomaten erlangt hätten. Zu dieser Entscheidung kam der BGH, indem er sich die zentralen Definitionen der Wegnahme, des Bruches fremden Gewahrsams und der tatsächlichen Sachherrschaft sowie die Maßstäbe für die Beurteilung einer Sachherrschaft und den Maßstab für die Beurteilung eines Herrschaftswillens vergegenwärtigte und schließlich präzise unter diese Definitionen subsumierte.

JurCase informiert:

Anhand dieser Vorgehensweise des BGH wird deutlich, dass auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Begründung ihrer Entscheidungen auf das grundlegende Handwerkszeug eines Juristen zurückgreift: Nämlich die Definition und Subsumtion. In der Examensklausur sollten also die Definitionen präzise beherrscht und ein großer Wert auf die genaue Subsumtion unter die Definitionen gelegt werden.

Der BGH arbeitete im vorliegenden Fall mit den folgenden Definitionen:

  • Wegnahme im Sinne des § 242 StGB ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams.“
  • „Ein Bruch fremden Gewahrsams liegt vor, wenn der Gewahrsam gegen oder ohne den Willen des Inhabers aufgehoben wird.“
  • „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Gewahrsam die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Diese liegt vor, wenn jemand auf eine Sache unter normalen Umständen einwirken kann und seiner Herrschaft keine Hindernisse entgegenstehen.“

Der BGH stellte sodann auch die Maßstäbe dar, die für die Beurteilung einer Sachherrschaft anzulegen sind:

  • „Wer die tatsächliche Sachherrschaft innehat, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls und den Anschauungen des täglichen Lebens.“
  • „[Der] Gewahrsam [ist] ein faktisches Herrschaftsverhältnis über eine Sache. Dessen Bestehen oder Nichtbestehen beurteilt sich auch danach, ob Regeln der sozialen Anschauung bestehen, nach denen die Sache einer bestimmten, ihr nicht unbedingt körperlich am nächsten stehenden Person zugeordnet wird.“

Auch den Maßstab für die Beurteilung eines Herrschaftswillens hob der BGH nochmals hervor:

  • „Der in subjektiver Hinsicht erforderliche Herrschaftswille wird ebenfalls durch die Verkehrsanschauung geprägt. Es genügt daher ein genereller, auf sämtliche in der eigenen Herrschaftssphäre befindlichen Sachen bezogener Wille.“

Im Ergebnis gelangte der BGH somit zu der folgenden Beurteilung:

„Nach diesem Maßstab steht Bargeld, das ein Geldautomat am Ende eines ordnungsgemäßen Abhebevorgangs ausgibt, mit der Bereitstellung im Ausgabefach und der hierdurch eröffneten Zugriffsmöglichkeit regelmäßig (auch) im Gewahrsam desjenigen, der diesen Vorgang durch Eingabe der Bankkarte und der PIN-Nummer in Gang gesetzt hat.“

Die Verkehrsanschauung ordne – wie der BGH weiter ausführt – das Geld gerade auch deswegen dem Nutzer der Bankkarte zu, weil es sozial üblich sei und teilweise durch Hinweise in der Bank gefordert werde, dass ein Abstand zu dem Abhebenden am Geldautomaten einzuhalten sei. Der für einen Gewahrsam in subjektiver Hinsicht erforderliche Herrschaftswille folge aus einem „antizipierten Beherrschungswillen“, denn der Nutzer der Bankkarte habe den Abhebevorgang nur gestartet, um eine Sachherrschaft über das ausgegebene Bargeld zu begründen. Dieser antizipierte Herrschaftswille erfasse – jedenfalls sofern es sich bei dem Kartennutzer auch um den Kontoinhaber handele – das gesamte Bargeld, das durch den Geldautomaten ausgegeben werde, da das Konto des Kartennutzers in dieser Höhe belastet werde. Dementsprechend sei es auch ohne Bedeutung, dass nicht der Kartennutzer selbst den jeweils abzuhebenden Betrag eingegeben habe, sondern die Angeklagten.

Schließlich stellt der BGH noch Folgendes klar:

Auch kommt es nicht darauf an, ob das Ansichnehmen des im Ausgabefach liegenden Geldes durch die Angeklagten von den Geschädigten wahrgenommen wurde oder ob dies heimlich geschah. Denn auch ein vom Bankkunden unbemerktes Ansichnehmen des Geldes änderte nichts an dessen Willen, an dem infolge seiner Eingabe bereitgestellten Geld die Sachherrschaft auszuüben.“

Hier ist also noch die Besonderheit zu berücksichtigen, dass die Annahme des „antizipierten Beherrschungswillens“ – wie der BGH meint – keine direkte Wahrnehmung der Entnahme des Geldes aus dem Ausgabefach erfordere. Vielmehr reiche es für einen „antizipierten Beherrschungswillen“ aus, dass ein Wille zur Ausübung der Sachherrschaft an dem ausgegebenen Geld bestehe. Dies deckt sich auch mit dem Maßstab zur Beurteilung des Herrschaftswillens. Wie bereits dargestellt genügt nach dem BGH für einen Herrschaftswillen „[…] ein genereller, auf sämtliche in der eigenen Herrschaftssphäre befindlichen Sachen bezogener Wille.“ Nach diesem aufgestellten Maßstab wird keine Kenntnis von der Entfernung des jeweiligen Gegenstandes aus dem Einwirkungsbereich verlangt.

Damit formulierte der BGH letztlich folgendes Ergebnis:

„Den somit begründeten Gewahrsam der jeweils geschädigten Karteninhaber an dem Geld brachen die Angeklagten, indem sie dieses dem Geldautomaten entnahmen.“

JurCase informiert:

Unbeantwortet lies der BGH im vorliegenden Fall die umstrittene Frage, „[…] ob die Herausnahme von Bargeld, das ein Geldautomat nach äußerlich ordnungsgemäßer Bedienung ausgibt, den Bruch des (gelockert fortbestehenden) Gewahrsams des den Automaten betreibenden Geldinstituts bzw. der für dieses handelnden natürlichen Personen […] darstellt oder ob die Freigabe des Geldes
als willentliche Aufgabe des Gewahrsams zu werten ist.“
(Hervorhebungen durch die Verfasserin)

Hier verwies der BGH auf die bisher zu dieser Frage ergangene Rechtsprechung:

  • BGH, Beschluss vom 16. November 2017 – 2 StR 154/17: In diesem Beschluss nahm der 2. Strafsenat des BGH an, dass der Gewahrsam des Geldinstituts ende, sofern das Bargeld ausgegeben werde. Ein Gewahrsamsbruch sei dann nicht mehr möglich.
  • BGH, Beschluss vom 21. März 2019 – 3 StR 333/18: Hier vertrat der 3. Strafsenat des BGH die Auffassung, dass ein Gewahrsamsbruch gegenüber dem Geldinstitut vorliege, wenn das Bargeld in das Ausgabefach gelange. Dies folge daraus, dass der Wille des Geldinstituts sich darauf beziehe, nur an denjenigen das Geld zu übertragen, der den Geldautomat ordnungsgemäß bediene (dies erfordere die Eingabe der Bankkarte und die Eingabe der PIN-Nummer) und nicht an eine Person, die erst später in die Vorgang eingreife.

Fazit

Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass Bankkunden ein Gewahrsam an dem Bargeld im Ausgabefach eines Geldautomaten zukommt, wenn sie bereits den Auszahlungsvorgang durch Einführen der Karte und Eingabe der zugehörigen PIN-Nummer ausgelöst haben und dieses Geld schließlich von Dritten aus dem Ausgabefach entnommen wird. Diese Frage ermittelte der BGH unter Anwendung der grundlegenden juristischen Arbeitsmethoden anhand von präzisen Definitionen und einer genauen Subsumtion. Auch wies er vermehrt auf die Beurteilung anhand der Verkehrsanschauung hin. Mit diesem grundlegenden juristischen Handwerkszeug ist es möglich, in der Examensklausur auch in unbekannten Fallkonstellationen zu glänzen. Die Definitionen und die Durchführung einer präzisen Subsumtion anhand der jeweiligen Sachverhaltsinformationen sollten also sicher beherrscht werden.

JurCase informiert:

Weiterführendes zu dieser Materie enthält folgender JurCase-Beitrag: „Fall des Monats JANUAR 2020: Automaten-Schubser doch ein Räuber?!

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Beitragsautor:

Laureen

Laureen

Laureen war zu ihrer Zeit bei uns Diplom-Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich des Strafrechts bei Nagel Schlösser Rechtsanwälte. Sie hat bei uns über verschiedene Themen berichtet, etwa zu ihrem Referendariat und vor allem zu #Gewusst: Aktuelle Rechtsprechung.

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