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Tindern in der Bundeswehr: Von überholten Moralvorstellungen und sexueller Selbstbestimmung

By 9. August 2022Oktober 12th, 2023No Comments
Aktuelle Rechtsprechung

Ein Beschluss des BVerwG vom 25.05.2022, Az. 2 WRB 2.21

Swipe rechts, swipe links – längst sind Dating-Apps nicht mehr aus der heutigen Gesellschaft wegzudenken. Jeder kennt sie, viele nutzen sie. Doch inwieweit ist ein Auftreten auf Dating-Apps mit einer Tätigkeit bei der Bundeswehr vereinbar? Gilt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung uneingeschränkt oder findet es seine Grenzen in berufsspezifischen Pflichten? Dieser Frage widmete sich nun das Bundesverwaltungsgericht und erntet mit seiner Entscheidung deutliche Kritik.

Soldatin erhält Disziplinarverweis

Auslöser der Debatte war das Tinder-Profil einer Bundeswehr-Soldatin. Das Profil zeigt ein Bild der Battaillonskommandeurin unter Verwendung ihres echten Vornamens. Sie beschreibt sich darunter als „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome“. Obwohl kein Bezug zu ihrer beruflichen Tätigkeit bei der Bundeswehr zu erkennen war, hatte ihr Tinder-Auftritt Konsequenzen. Nachdem ein Screenshot ihres Profils ihren Disziplinarvorgesetzten erreicht hatte, verhängte dieser einen Verweis gegen die Kommandeurin, mit der Begründung, sie sei ihrer besonderen beruflichen außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht als Soldatin nicht nachgekommen.

JurCase informiert:

Eine Tätigkeit bei der Bundeswehr erfordert „ordnungsgemäßes“ Verhalten außerhalb des Dienstes.

§ 17 Abs. 2 S. 3 des Soldatengesetzes (SG) legt fest:

„Außer Dienst hat sich der Soldat außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt.“

Genügt ein Verhalten von Bundeswehrangehörigen dieser Pflicht nicht, kann es sanktioniert werden. Welche Verhaltensweisen genau hiernach sanktionswürdig sind, ist nicht näher definiert. In der Regel handelt es sich um durch Soldatinnen und Soldaten verübte Straftaten.

Truppengericht billigt Disziplinarverweis

Gegen den Verweis legt die Soldatin Beschwerde ein. Das zuständige Truppengericht weist diese jedoch zurück und bestätigt, dass die Inhalte ihres Tinder-Profils nicht mit den Anforderungen, die an eine Tätigkeit bei der Bundeswehr gestellt werden, vereinbar seien. Zwar sei es der Soldatin vorbehalten, privat ein „promiskuitives Sexualleben“ zu führen. Die Beschreibung ihres Profils erwecke allerdings den Eindruck, dass sie sich und ihre Geschlechtspartner:innen als reine Sexobjekte sehe. Dadurch würde sowohl ihre charakterliche und moralische Eignung als Kommandeurin in Frage gestellt als auch der gute Ruf der Bundeswehr als Ganzes beeinträchtigt. Mit ihrer Präsentation auf dem Dating-Portal sei die Soldatin ihrer Wohlverhaltenspflicht nicht gerecht geworden.

Entscheidung des BVerwG

In nächster Instanz hatte nun der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) über die Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme zu entscheiden.

Die Kommandeurin begründet ihre Beschwerde gegen die Entscheidung des Truppengerichts damit, dass der Verweis einen Eingriff in ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung darstelle, der nicht gerechtfertigt sei. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ergibt sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

Weiterhin führt sie an, dass Tinder eine geschlossene Plattform sei und somit keine Gefahr bestünde, dass die Inhalte an die breite Öffentlichkeit gelangen. Der Ruf der Bundeswehr würde darüber hinaus nicht ernsthaft beeinträchtigt, womit ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nicht vorliege.

Der Senat folgt der Begründung des Truppengerichts zwar nur teilweise, bestätigt im Ergebnis allerdings dessen Rechtsauffassung.

Das Truppengericht verkenne, dass die privaten Äußerungen der Kommandeurin auf ihrem Tinder-Profil nicht das Ansehen der Bundeswehr als Ganzes beeinträchtigen. Zudem habe es die Bedeutung der sexuellen Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kommandeurin nicht ausreichend gewürdigt.

Dennoch führt auch der Senat an, dass die Formulierungen der Kommandeurin Zweifel an ihrer charakterlichen und moralischen Integrität hervorrufen.

Die sexuelle Selbstbestimmung erstrecke sich zwar neben der Intim- und Privatsphäre auch auf die Sozialsphäre und schützt somit das Recht des Einzelnen, die geschlechtlichen Beziehungen frei zu wählen und sich für ein promiskuitives Sexualleben zu entscheiden. Darunter fiele auch die Suche nach Gleichgesinnten im Internet. Ihre Grenzen finde die sexuelle Selbstbestimmung jedoch dann, wenn sie der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nicht entspricht.

Besonders die hervorgehobene dienstliche Stellung der Soldatin erfordere Rücksicht und Zurückhaltung bei der Wahl ihrer Worte und Bilder im Internet.

In der Pressemitteilung zu dem Beschluss des BVerwG heißt es:

„Die Entscheidung des Truppendienstgerichts erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig. Denn die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verlangt, dass eine Soldatin in der besonders hervorgehebenen dienstlichen Stellung einer Bataillonskommandeurin mit Personalverantwortung für ca. 1.000 Personen bei der Wahl der verwendeten Worte und Bilder im Internet Rücksicht auf ihre berufliche Stellung nimmt. Sie muss daher Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität erwecken. Die Worte „offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome“ erwecken auch aus der Sicht eines verständigen Betrachters Zweifel an der erforderlichen charakterlichen Integrität, weswegen diese Formulierung durch einen Verweis als mildeste Disziplinarmaßahme beanstandet werden durfte.“

Fazit

Der Beschluss des BVerwG sorgt nicht nur bei der Kommandeurin selbst für Enttäuschung und Verwirrung.

Geht die private sexuelle Lebensführung von Soldatinnen und Soldaten die Bundeswehr überhaupt etwas an? Hätten die Gerichte die gleiche Entscheidung getroffen, wenn es sich um das Tinder-Profil eines Heteromannes gehandelt hätte?

Der Senat legt seiner Entscheidung moralische Maßstäbe zugrunde, die im Jahr 2022 nicht mehr zeitgemäß sind. Spannend bleibt, ob die Argumentation des BVerwG einer etwaigen Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) standhält.

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Beitragsautor:

Nora Metzler

Nora Metzler

Nora ist Diplom-Juristin und studierte in Frankfurt am Main. Derzeit ist sie Studentin Master of Laws (Medienrecht) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einer Kanzlei für Wirtschaftsrecht. Sie berichtet für unsere #Gewusst-Reihe über verschiedene aktuelle, juristische Themen und examensrelevante Rechtsprechung.

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