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Rechtsprechung des Monats Oktober 2025: Amtsärztliche Untersuchung nach 15 Jahren Fehlzeit

OVG NRW, Beschl. v. 12.08.2025 – 6 B 724/25 (BeckRS 2025, 20405)

Schwerpunkt: BeamtG

In Kooperation mit Alpmann Schmidt präsentieren wir die Rechtsprechung des Monats. Hierbei handelt es sich um Rechtsprechung, die dir von erfahrenen Praktiker:innen vorgestellt wird. Zusätzlich bieten dir diese Fälle die Möglichkeit, das Schreiben von Assessorklausuren zu üben. Hast du es #GEWUSST?

Fall

Der neue Personalleiter Traub stellt fest, dass Frau Grau, eine Bundesbeamtin, seit 15 Jahren fehlt. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der letzten 5 Jahre stammen von einem Facharzt für Psychiatrie. Herr Traub ordnet eine Untersuchung von Frau Grau auf ihre Dienstfähigkeit durch einen amtsärztlichen Psychiater an.

 29.08.2025

RA Roos     

                            Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

… beantrage ich, dem AG aufzugeben, die ASt. vorläufig von der Verpflichtung freizustellen, der Untersuchungsanordnung zu folgen.

Begründung

Die Untersuchungsanordnung ist rechtswidrig. Sie verweist nur auf die 15jährige Fehlzeit. Die ASt. kann nach 15 Jahren nicht einschätzen, warum sie ärztlich untersucht werden soll. Der Eingriff ist umso intensiver, als die ASt. zu einem Psychiater geschickt wird, nicht nur zu einem Allgemeinarzt. Der AG hat sein Untersuchungsrecht außerdem nach 15 Jahren verwirkt.

Entwerfen Sie die Antragserwiderung an das Gericht.

Examenswichtiges zum Beamtenrecht: AS-Skript Materielles Verwaltungsrecht in der Assessorklausur (2023), Rn. 624 ff., zur Untersuchungsaufforderung: Rn. 655.

Leitsätze

  1. Die Dienstfähigkeit kann der Dienstherr durch ein amtsärztliches Gutachten feststellen lassen.
  2. Der Beamte muss der Gutachtenaufforderung folgen, wenn aus ihr ein hinreichender Untersuchungsanlass und eine eingegrenzte Art und Weise der Untersuchung hervorgehen.
  3. Eine 15jährige Fehlzeit wegen Erkrankung genügt als Begründung der Untersuchungsanordnung.
  4. Die Befugnis zur Untersuchungsaufforderung entfällt auch nach 15 Jahren nicht wegen Zeitablaufs.

Antragserwiderung

Ich beantrage,

den Antrag abzulehnen.

Die ASt. hat keinen Anordnungsanspruch i.S.d. § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO glaubhaft gemacht, weil die Untersuchungsanordnung rechtmäßig ist.

I. Rechtsgrundlage der Untersuchungsanordnung ist § 44 Abs. 6 BBG. Aus der Wendung „nach Weisung“ folgt die Ermächtigung des Dienstherrn zum Erlass einer Untersuchungsanordnung.

II. Die formellen Anordnungsvoraussetzungen sind erfüllt. Der AG ist als Vertreter des Dienstherrn (Bund) zuständig. Die Untersuchungsanordnung ist nach h.M. kein VA, sodass keine vorherige Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG erforderlich ist.

III. Die Untersuchungsanordnung ist auch materiell rechtmäßig.

1. Die Anordnung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, setzt tatbestandlich einen hinreichenden Anlass voraus. Die Rechtsfolge ist die Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung, deren Umfang regelmäßig zu begrenzen ist.

Querverbindung: Das Instrument der Untersuchungsaufforderung wurde im Fahrerlaubnisrecht entwickelt (vgl. § 11 FeV), näher AS-Skript Materielles Verwaltungsrecht in der Assessorklausur (2023), Rn. 583.

a) Ein hinreichender Untersuchungsanlass liegt vor, wenn tatsächliche Feststellungen die Dienstunfähigkeit des Beamten als naheliegend erscheinen lassen. Die Umstände müssen bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig. Hierzu genügen die 15 Jahre Fehlzeit der Beamtin.

b) Es genügt allerdings nicht, wenn solche tatsächlichen Anhaltspunkte für die mögliche Dienstunfähigkeit objektiv vorhanden sind. Sie müssen auch in der Untersuchungsanordnung mitgeteilt werden.

„[2] … In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine Untersuchungsanordnung, die – wie hier – auf die Fehlzeiten gesetzlichen Umfangs i.S.d. [§ 44 Abs. 1 S. 2 BBG] gestützt ist, keine Angabe von über die Dauer der krankheitsbedingten Fehlzeiten hinausgehenden Gründen für die Untersuchung enthalten muss.“

Die Untersuchungsanordnung war für die ASt. auch ohne weitere Begründung verständlich, obwohl der AG ihre Erkrankung 15 Jahre lang hingenommen hat, ohne ihre Dienstfähigkeit aufzuklären.

„[4] … Die Rechte der ASt. werden hierdurch nicht beeinträchtigt. Die ASt. weiß auch ohne eine solche Begründung, dass die Untersuchungsanordnung wegen ihrer langjährigen Erkrankung ergeht. Die amtsärztliche Untersuchung dient in einem solchen Fall dann dem Zweck festzustellen, ob Aussicht besteht, dass innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist – hier von sechs Monaten – die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist.“

2. Die Rechtsfolge der Untersuchungsanordnung muss die Fachrichtung des Arztes (z.B. innere Medizin, Psychiatrie usw.) sowie Art und Umfang der Untersuchung vorgeben. Hierzu muss der Dienstherr alle Unterlagen auswerten, die ihm Aufschluss über die mögliche Erkrankung geben. Die Untersuchung muss sich nicht auf eine allgemeine orientierende Untersuchung beschränken.

„[8] … [Auch] eine auf bloßen Fehlzeiten beruhende Untersuchungsanordnung [kann sich] auf psychiatrische Untersuchungen erstrecken.“

Konkret bestand dafür Anlass, weil die ASt. seit fünf Jahren von einem Psychiater für arbeitsunfähig erklärt worden war.

3. Die Untersuchungsanordnung ist nicht wegen Ungeeignetheit unverhältnismäßig, weil ihr Zweck nach 15 Jahren der nicht weiter aufgeklärten Wiederherstellung der Dienstfähigkeit der ASt. unerreichbar geworden ist.

„[5] …Veranlassung für die Untersuchungsanordnung hatte der AG … schon angesichts der unverändert fortbestehenden Dienstunfähigkeit der Antragstellerin infolge Erkrankung weiterhin. Angesichts dessen war er zum Erlass der Untersuchungsanordnung auch nach dem erheblichen Zeitablauf seit Beginn der Erkrankung der Antragstellerin … weiterhin berechtigt.“

Das OVG NRW (6. Senat) beschränkt sich darauf, dass Zeitablauf der Untersuchungsrecht nicht beeinträchtigt. Der BayVGH, Beschl. v. 27.02.2025 – 3 CE 24.2113, BeckRS 2025, 2849, verneint die Verwirkbarkeit ausdrücklich.

4. Die Befugnis zur Untersuchungsanordnung ist nicht verwirkt. Die Verwirkung ist eine Ausprägung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und gilt auch im öffentlichen Recht, namentlich im öffentlichen Dienstrecht. Die Befugnis zur dienstrechtlichen Untersuchungsanordnung ist nicht verwirkbar, da sie nicht verzichtbar ist. Der bloße Zeitablauf steht nicht entgegen.

Entgegen landläufiger Meinung können auch Beamte auf Lebenszeit ihren „Job verlieren“, wenn sie lange krank sind. Die dauernde Dienstunfähigkeit („DDU“) ist ein sehr scharfes Schwert, das in der Praxis allerdings meist nur zurückhaltend geführt wird.

„[5] … Bestehen Zweifel an der Dienstfähigkeit eines Beamten, kommt der Dienstherr mit der gegenüber dem Beamten ausgesprochenen Weisung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, zum einen seiner Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten nach. Zum anderen haben der Dienstherr und die Allgemeinheit ein berechtigtes Interesse daran, dass hoheitliche Aufgaben nur von Beamten wahrgenommen werden, die zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten physisch und psychisch dauerhaft in der Lage sind, aber auch daran, dass Beamte, die dienstfähig sind, ihren Dienst auch tatsächlich versehen und nicht ohne Dienstleistung vollalimentiert werden.“

Diese Rechtsprechung wurde für dich von VRVG Dr. Martin Stuttmann aufbereitet.

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Beitragsautor:

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt

Alpmann Schmidt ist ein juristischer Fachverlag, der zudem juristische Lehrgänge und Repetitorien anbietet. In Kooperation mit JurCase präsentiert Alpmann Schmidt bei uns monatlich eine Rechtsprechung des Monats. Mehr Informationen zu Alpmann Schmidt gibt es hier.

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