Die Entscheidung des Quartals von HLB Schumacher Hallermann
In Kooperation mit der Kanzlei HLB Schumacher Hallermann präsentieren wir dir zusätzlich zu den bei uns exklusiven examensrelevanten Fällen in unserem unserem Digitalmagazin Assessor Juris die Entscheidung des Quartals. Diese wird unter Supervision von Rechtsanwalt Dr. Lennart Brüggemann von qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen für dich ausformuliert bzw. bearbeitet. Verfasser dieser Entscheidung ist dieses Mal Herr Christian Lederer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann.
Hinweis vom HLB-Team:
Mit zweierlei Maß misst zuweilen der Gesetzgeber. Beispiele für eine solche gesetzliche Privilegierung bestimmter Bevölkerungs- oder Berufsgruppen sind selbst dem geschulten Rechtsanwender meist nicht auf Anhieb geläufig, da sie regelmäßig nur wenig Praxisrelevanz entfalten. In den Strafverfolgungsstatistiken dominiert die ubiquitäre Delinquenz (laut aktuellen Statistiken insbesondere Cyberkriminalität, wie Waren- und Dienstleistungsbetrug, Beleidigung im Internet oder Missbrauch persönlicher Daten) und überschattet die Prävalenz von Delikten wie „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“ (§ 188 StGB) oder „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“ (§ 90 StGB).
Eine Ausnahme bilden die §§ 113 ff. StGB. Sie verkörpern wohl die klausurwichtigsten Tatbestände, wenn es um Straftaten gegen Amtsträger geht. Schutzgut ist die staatliche Dienst- und Vollstreckungstätigkeit. Die Ausübung von Zwang gegen andere Personen ist im Allgemeinen durch den Tatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) unter Strafe gestellt. Richtet sich der Zwang jedoch gegen einen Amtsträger beim Vollzug einer konkreten hoheitlichen Maßnahme, ist § 113 StGB Spezialvorschrift gegenüber § 240 StGB und verdrängt diesen auf Ebene der Konkurrenz (h.M.). Praktische Relevanz erfährt dieser Bereich aktuell nicht zuletzt aufgrund diverser medienwirksamer (Klima-)Demonstrationen und diesbezüglicher Entscheidungen (vgl. z.B. KG Berlin, Beschl. v. 16.8.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23, NJW 2023, 2792).
Dieses Mal nehmen wir uns einer Entscheidung des Oberlandesgerichts („OLG“) Frankfurt a. M. vor (3. Strafsenat, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423) und liefern dem Leser spannende Einblicke in den Alltag einer deutschen Justizvollzugsanstalt. In diesem „besonderen Gewaltverhältnis“ kommt es naturgemäß zu angespannten Situationen, die Widerstandspotentiale bieten (zur Geltung von Grundrechten im „besonderen Gewaltverhältnis“ vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.03.1972 – 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, 1). Die Entscheidung beleuchtet dabei den „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff“ des § 113 Abs. 3 StGB.
Die Hintergründe der Entscheidung
Dem Urteil des OLG Frankfurt a.M. liegt ein Zwischenfall zugrunde, welcher sich im Jahr 2021 in einer Justizvollzugsanstalt in Hessen ereignete (Zum nachfolgenden Sachverhalt s. OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423.). Im der Haftraum eines Strafgefangenen kam es zu einem versehentlichen Bruch der Fensterscheibe. Glassplitter zierten den Boden der Zelle. Um die notwendigen Reparatur- und Sicherheitsmaßnahmen vornehmen zu können, teilte ein Justizvollzugsbeamter dem Strafgefangenen (Angeklagten) mit, dass er den Haftraum verlassen müsse. Hiermit war dieser nicht einverstanden, was er lautstark und verbal aggressiv zum Ausdruck brachte. Aufgrund der seiner Einschätzung nach gefährlichen Situation entschied sich der Justizvollzugsbeamter, gemeinsam mit weiteren Beamten unter Anlegung von Schutzkleidung einschließlich Schutzhelmen und -handschuhen den Haftraum zu betreten und den Strafgefangenen herauszuholen. Nach der Entscheidung des dienstranghöchsten Beamten vor Ort sollte der Strafgefangene nicht in einen normalen Haftraum, sondern in den besonders gesicherten Haftraum verbracht werden. Dazu forderte er weitere Verstärkung an. Als die Beamten den Haftraum betraten, den Strafgefangen aufforderten, sich auf den Boden zu legen, und dieser erkannte, dass er aus seiner Sicht ungerechtfertigt in den besonders gesicherten Haftraum verbracht werden sollte, leistete er erhebliche Gegenwehr. Im Rahmen eines massiven und lautstarken Gerangels schlug er u.a. einem Beamten auf den behelmten Kopf, verdrehte einem Beamten den Daumen und biss ihm in den Handschuh. Es vergingen mehr als 5 Minuten bis der Strafgefangene auf dem Boden fixiert werden konnte.
Das Amtsgericht Kassel verurteilte den Strafgefangenen wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Demgegenüber sprach das Landgericht Kassel den Strafgefangenen frei. Nach Auffassung der Kammer nach hatten die Vollstreckungsbeamten rechtswidrig gehandelt, da die Verbringung des Gefangenen in den besonders gesicherten Haftraum („bgH“) nicht durch den Anstaltsleiter oder dessen Stellvertreter angeordnet wurde und auch keine Gefahr in Verzug vorlag. Der Strafgefangene habe deshalb in Notwehr gehandelt. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Revision der Staatsanwaltschaft vor dem OLG Frankfurt a.M. (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423.).
Die Entscheidung
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 27.01.23 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kleine Strafkammer des LG zurückverwiesen (§ 355 StPO); ein vollständiger Freispruch von allen Anklagepunkten kommt nicht in Betracht (FYI: Das strafrechtliche Revisionsverfahren als reine Rechtsfehlerinstanz gem. §§ 333 ff. StPO ist neben der Beschwerde (§§ 304 ff. StPO) und der Berufung (neue Tatsacheninstanz; §§ 312 ff. StPO) eines der drei Rechtsmittel der StPO, welche sich grds. (§ 307 Abs. 1 StPO) durch Suspensiv- und Devolutiveffekt auszeichnen (S: hemmt Eintritt der formellen Rechtskraft; D: Verfahren geht in höhere Instanz).).
I. Strafbarkeit gem. §§ 113, 114 StGB
Hinweis: Im Gegensatz zu § 113 StGB setzt der § 114 StGB schlicht die bloße dienstliche Tätigkeit durch den Vollstreckungsbeamten voraus, nicht die Vornahme einer konkreten Vollstreckungshandlung. Daraus folgt, dass § 114 StGB auch solche tätlichen Angriffe erfasst, die während der Durchführung allgemeiner Diensthandlungen (Streifenfahrt, Befragung etc.) erfasst. Dies gewährleistet einen umfassenden Schutz der Beamten selbst, nicht (nur) des staatlichen Handelns. Die Prüfschemata der §§ 113, 114 StGB laufen dabei aufgrund der gesetzgeberischen Verweistechnik in § 114 StGB weitgehend simultan.
Der Strafgefangene hat die Justizvollzugsbeamten in Ausübung ihrer Tätigkeit im Sinne des § 114 Abs. 1 StGB willentlich tätlich angegriffen, indem er während des Gerangels auf diese körperlich einwirkte, insbesondere einem Beamten den Daumen verdrehte und in den Handschuh biss sowie einem weiteren Beamten auf den Helm schlug.
Fraglich ist allerdings, ob die Diensthandlung rechtmäßig war. Über § 114 Abs. 3 StGB findet die objektive Strafbarkeitsbedingung des § 113 Abs. 3 StGB Anwendung, wenn die Diensthandlung eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB ist (FYI: § 113 Abs. 3 StGB ist als objektive Strafbarkeitsbedingung erst nach dem subjektiven Tatbestand zu prüfen (zum strafrechtlichen Begriff der Rechtmäßigkeit mehr in der dogmatischen Vertiefung); ebenso der Tod oder die schwere Verletzung eines Menschen beim Tatbestand der Beteiligung an einer Schlägerei, § 231 StGB, die „im Rausch begangene Tat“ beim „Vollrausch“ gem. § 323a StGB, die „Nichterweislichkeit der ehrenrührigen Tatsache“ bei übler Nachrede, § 186 StGB.) Dies ist hier der Fall. Die Justizvollzugsbeamten haben als Amtsträger die nach § 50 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 HVollzG angeordnete besondere Sicherungsmaßnahme der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum durchgesetzt.
Ausgehend von der Auffassung des Landgerichts prüft das Oberlandesgericht nunmehr, ob erstens die Anordnung der zwangsweisen Verbringung in den besonders gesichterten Haftraum ohne weitere Deeskalierungsversuche, zweitens die fehlende Ankündigung der Anwendung unmittelbaren Zwangs sowie drittens die fehlende Zuständigkeit zur Anordnung der Verbringung in den besonders gesicherten Haftraum zur Rechtswidrigkeit der Diensthandlung im Sinne des § 113 Abs. 3 StGB führen.
1. Anordnung ohne weitere Deeskalationsversuche
Im Ausgangspunkt hebt das Oberlandesgericht hervor, dass Versuche der Deeskalation im Umgang mit aufgebrachten Strafgefangenen von großer Bedeutung sind und ihr Fehlen u. U. auch Folgen für die rechtliche Bewertung von Vollzugsmaßnahmen haben kann (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 7.). Vor dem Hintergrund schließt der erkennende Senat nicht aus, dass ein geschulter und motivierter Beamter bei dem 1. Aufsuchen des Strafgefangenen gute Chancen gehabt hätte, diesem zu erklären, dass es sich angesichts der Gefährlichkeit der Scherben im Haftraum unabhängig von dessen Person nicht vermeiden lasse, den Gefangenen für kurze Zeit in einen anderen Haftraum unterzubringen, bis sichergestellt sei, dass sich im Haftraum keine als Waffe einsetzbaren Scherben mehr befanden. Dass der anordnende Beamte angesichts der Reaktion des Strafgefangenen sich gleichwohl dafür entschieden hat, den Haftraum ohne weitere Erörterungen zu verlassen und die nötigenfalls zwangsweise Verbringung des Strafgefangenen in einen besonders gesicherten Haftraum anzuordnen, war nach Auffassung des Senats aber nicht materiell rechtswidrig i. S. des HStVollzG (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 9.). Denn bei der Fesselung und der Verbringung in einen besonders gesicherten Haftraum handele es sich um besondere Sicherungsmaßnahmen nach § 51 Abs. 2 Nrn. 5 und 6 HStVollzG. Diesbezüglich stehe der Anstalt ein Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum zu, der von den Gerichten nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen sei. Selbst wenn man die Entscheidung, keine weiteren Gesprächsversuche zu unternehmen, für rechtswidrig i. S. des HStVollzG halten würde, läge hier allenfalls ein Beurteilungsfehler vor, der jedenfalls nicht als rechtswidrig i. S. von § 113 Abs. 3 StGB einzuordnen sei.
Nach den unwidersprochenen Angaben der Klägerin, die durch die Zurückweisung höherer Kaufpreisangebote anderer Interessenten gestützt werden, wurde der Kaufpreis von 5.000 EUR in dem schriftlichen Vertrag nur deshalb vereinbart, um den weiteren Kaufpreis in Höhe von 30.000 EUR in bar „an der Steuer vorbei“ zu zahlen. Die Parteien haben demnach einen Entschluss gefasst und umgesetzt, gegenüber der Finanzbehörde (Finanzamt) unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen, namentlich die Höhe des wirklichen Kaufpreises, welche sich unmittelbar auf die Steuerlast auswirkt, zu machen und dadurch Steuern zu verkürzen (OLG Hamm, Urt. v. 06.02.2023 – 2 U 78/22, NJW 2023, 1891 (1892)).
2. Fehlende Ankündigung der Anwendung unmittelbaren Zwangs
Anders als Landgericht meint, waren die Beamten nach Auffassung des Oberlandesgerichts nicht verpflichtet, die beabsichtigte Anwendung unmittelbaren Zwangs gem. § 53 Abs. 4 HStVollzG vorher ausdrücklich anzukündigen (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 11.)
Die Beamten durften davon absehen, die Rückkehr durch mehrere Beamte in Schutzkleidung, um den Gefangenen zu fesseln und in einen anderen Haftraum zu verbringen, anzukündigen, da die sofortige Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Abwehr einer Gefahr notwendig war (§ 53 Abs. 4 S. 2 HStVollzG). Bedenkt man neben der nicht unbeträchtlichen Aggressivität des Strafgefangenen, dass sich Glasscherben im Haftraum befanden, so ist gegen die Beurteilung, dass man die vom Strafgefangenen missbilligte Verbringung in einen anderen Haftraum nicht ankündigen sollte, um so die Wahrscheinlichkeit möglichst gering zu halten, dass er sich mit einer als Waffe geeigneten Scherbe bewaffnen und die Beamten damit angreifen werde, von Rechts wegen nichts zu erinnern. Insbesondere bereitet das Tragen von Schutzkleidung keinen vollständigen Schutz (Zum Ganzen OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 12.).
3. Fehlende Zuständigkeit
Da es sich bei dem besonders gesicherten Haftraum nicht um einen gewöhnlichen Haftraum handelt, bestimmt das HStVollzG gewisse formelle Anforderungen an damit verbundene Vollstreckungshandlungen. Die Verbringung ist nach dem HStVollzG rechtswidrig i.S.d. § 113 Abs. 3 StGB, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden.
a) Verfahrensfehler
So muss gem. § 50 Abs. 2 Nr. 5, § 51 Abs. 1 S. 1 HStVollzG vor der Verbringung eines Häftlings in einen besonders gesicherten Haftraum vorher durch den Anstaltsleiter oder dessen Vertreter eine diesbezügliche Anordnung ergehen. An einer solchen fehlte es jedoch hier, woraus ein unheilbarer Verfahrensfehler folgte. Bemerkenswert ist hierbei die Ergründung des Telos der Norm, welcher einer zunächst denkbaren, auf § 75 Abs. 1 S. 2 HStVollzG gestützten Delegation der Entscheidung auf den jeweils ranghöchsten vor Ort anwesenden Beamten entgegensteht: Es ist gerade Sinn der Entscheidungszuständigkeit nach §§ 50, 51 HStVollzG, dass der Sachverhalt „sine ira et studio (FYI: lat. für „ohne Zorn und Eifer“ (Tacitus); bildungssprachlich für: „ohne emotionale Beteiligung und Parteinahme“, „sachlich und objektiv“.) durch einen am gegenständlichen Sachverhalt nicht unmittelbar beteiligten übergeordneten Bediensteten“ bearbeitet wird (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 14.). Wer sich nun fragt, wie der Sachverhalt zu beurteilen ist, wenn zeitliche Not besteht, dem hilft das HStVollzG selbst ab. „Den praktischen Bedürfnissen nach einer Sofortentscheidung zu jeder Tages- und Nachtzeit wird durch die Eilanordnungsbefugnis des S. 2 genügt“ (Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. 2021, § 91 Rn. 1; KG Berlin, Urt. v. 11.05. 2005 – (5) 1 Ss 61/05 (12/05), NStZ 2006, 414.).
b) Sofortentscheidung bei Gefahr im Verzug
Gem. § 51 Abs. 1 S. 2 HStVollzG könnte Gefahr im Verzug eine Sofortentscheidung der handelnden Beamten gerechtfertigt haben. Dies hätte vorausgesetzt, dass die Entscheidung des Anstaltsleiters oder dessen Vertreters nicht hätte vorher eingeholt werden können. Es verging jedoch ein erheblicher Zeitraum zwischen dem Bruch der Scheibe und der tatsächlichen Verbringung des Strafgefangenen, in welcher u.a. Verstärkung angefordert wurde. In dieser Zeit hätte ohne Weiteres Kontakt zum (stellvertretenden) Anstaltsleiter mitsamt Einholung einer Eilentscheidung aufgenommen werden können. Eine mögliche Gefahr lag insbesondere nicht darin, dass der Gefangene sich mit einer Scherbe bewaffnen würde, um mit dieser später (qualifizierten) Widerstand zu leisten. Im Gegenteil war diese Gefahr bereits mit Bruch der Scheibe eingetreten (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 15 f.). Die Beamten versuchten hier nicht einmal die Kontaktaufnahme, sondern gaben sich dem Irrglauben hin, die Aufklärung des stellvertretenden Anstaltsleiters vor gestellte Tatsachen sei ausreichend. Dieser Verfahrensfehler begründet somit die Rechtswidrigkeit i.S.d. HStVollzG (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 17.).
c) Rechtswidrigkeit im Sinne des § 113 Abs. 3 S. 1 StGB
Diese Rechtswidrigkeit nach dem HStVollzG müsste auch die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung i.S.v. § 113 Abs. 3 S. 1 entfallen lassen. So streitig die Grenzen des „strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs“ auch seien mögen, sei weitgehend anerkannt, dass es – mangels schutzwürdiger Interessen des Staates daran, staatliche Vollstreckungshandlungen strafrechtlich zu schützen, wenn diese bereits formell rechtswidrig sind – jedenfalls dann an der Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungshandlung fehlt, wenn die Entscheidung für die Vollstreckung von einem unzuständigen Beamten getroffen wird (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 19 f..).
Eine strengere Strömung nimmt eine strafrechtliche Rechtmäßigkeit selbst dann an, wenn bei formell rechtswidrigen Vollstreckungshandlungen „etwaige Rechtsfehler aber nur begrenztes Gewicht hätten“ (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 21.). Eine derartig übermäßig ausdehnende Auslegung kollidiert jedoch in nicht unerheblichem Maße mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz sowie dem verfassungsrechtlichen Willkürverbot. Zudem kann den legitimen Schutzinteressen der Vollzugsbeamten bereits durch angemessene Einschränkungen des Notwehrrechts des Widerstandleistenden und dem § 114 StGB ausreichend Rechnung getragen werden (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 22).
Jedenfalls nach h.M. ist im Ergebnis die objektive Strafbarkeitsbedingung gem. § 113 Abs. 3 S. 1 StGB– namentlich die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung der Vollstreckungsbeamten – aus o.g. Gründen nicht gegeben.
4. Ergebnis
S hat sich nicht gem. § 114 StGB strafbar gemacht. Auch eine Strafbarkeit wegen § 113 StGB scheidet folgerichtig aus.
II. Strafbarkeit gem. § 223 Abs. 1 StGB
Der Strafgefangene misshandelte körperlich einzelne Justizvollzugsbeamte, indem er bei einem Beamten den Daumen verdrehte und ihm in den Finger biss sowie einem weiteren Beamten auf den Helm schlug. Er tat dies unter billigender Inkaufnahme des Erfolgseintritt, mithin vorsätzlich, § 15 StGB.
Er müsste auch rechtswidrig gehandelt haben.
Hierin liegt nun die Krux und maßgebliche Erkenntnis der vorliegenden Entscheidung des OLG Frankfurt a.M.: Der tatbestandsspezifische strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff des § 113 Abs. 3 StGB gebietet hinsichtlich des allgemeinen strafrechtlichen Notwehrrechts gem. § 32 StGB zu differenzieren. „Für diese Differenzierung spricht auch der Wortlaut des § 113 Abs. 3 StGB: Die Tat ist „nicht nach dieser Vorschrift“ strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist.“ (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 22.). So können die Einschränkungen des Rechts, sich durch Notwehr gegen eine staatliche Vollstreckungsmaßnahme zu verteidigen, weitergehen, als die Einschränkungen des Rechtswidrigkeitsbegriffs in § 113 Abs. 3 StGB (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 22.). Das hat wiederum zur Folge, dass derjenige, der nicht nach §§ 113, 114 StGB bestraft werden kann, sich durchaus nach anderen Normen des StGB, z.B. § 223 StGB, strafbar machen kann. Die Vertreter eines ausgedehnten Rechtmäßigkeitsbegriffs (s.o.) nahmen regelmäßig ein vollumfängliches Handeln in Notwehr und damit eine vollumfängliche Rechtfertigung an.
Im Ergebnis steht zwar auch dem Strafgefangenen im „besonderen Gewaltverhältnis“ grundsätzlich ein Notwehrrecht zu. Immerhin hat er mit dem Einzug ins Gefängnis nicht seine notwehrfähigen Rechte abgetreten oder verloren, namentlich das Recht, nicht in einen besonders gesicherten Haftraum verbracht zu werden (FYI: Zur Geltung von Grundrechten im „besonderen Gewaltverhältnis“ vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.03.1972 – 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, 1.). Er ist also nicht rechtslos. Der Angriff der Beamten war zudem gegenwärtig.
Jedoch könnte es vorliegend hinsichtlich der Körperverletzung der Beamten an der Gebotenheit* der in Trutzwehr verübten Verteidigungshandlung des Strafgefangenen mangeln, soweit man überhaupt eine generelle Eignung dieser Verteidigungsmaßnahme gegen die Übermacht der raupenformierten Beamten in Schutzanzügen annehmen möchte (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 26.).
HLB informiert:
*Wir erinnern uns: Grundsätzlich kommt es bei der Notwehr natürlich gerade nicht auf eine Verhältnismäßigkeit der Schäden i.S.e. Güterproportionalität an (Merkspruch: Das Recht hat dem Unrecht nicht zu weichen). Gleichwohl kann es im Einzelfall Einschränkungen bedürfen. Hierfür ist gesetzlicher Anknüpfungspunkt die Gebotenheit gem. § 32 Abs. 1 StGB. Die Gebotenheit bezieht sich regelmäßig auf außergewöhnliche Umstände (normative & sozialethische Erwägungen), die z.T. in der Person des Angreifers oder des Angegriffenen liegen. Bekannte Fallgruppen sind die folgenden: 1. Eine Verteidigungshandlung, deren Folgen in krassem Missverhältnis zum drohenden Schaden stehen, ist nicht zulässig. 2. Die Notwehr gegen Angriffe Schuldunfähiger wird durch die Drei-Stufen-Theorie beschränkt. 3. Es stellt sich das Problemfeld der Notwehrprovokation (unterschieden wird die Angriffs– bzw. Absichtsprovokation und jene Fälle, in denen der Notwehrübende sein Recht gem. § 32 StGB zwar nicht zwingend provozieren wollte, aber durch (a.) rechtmäßiges & sozialadäquates (b.) rechtmäßiges & sozialwidriges (c.) oder rechtswidriges Vorverhalten gleichwohl tat). 4. Ebenso werden vereinzelt noch Einschränkungen bei Angriffen i.R.e. einer persönlichen Nähebeziehung gefordert; dies ist gleichwohl streitig, da eine solche Einschränkung de facto eine Pauschallegitimierung für Misshandlungen unter Ehegatten bewirken kann – der Einzelfall entscheidet.
Nach Auffassung des Senats sei grundsätzlich von einem Strafgefangenen zu verlangen, zur Geltendmachung von Rechtsfehlern der Vollzugsbeamten den Rechtsweg zu beschreiten (vgl. zu diesem Kriterium § 113 Abs. 4 S. 2 StGB). Insoweit hätte dem Strafgefangenen ein Eilantrag nach § 114 Abs. 2 StVollzG offen gestanden. Allein die Antragstellung hätte zwar keine aufschiebende Wirkung gehabt, so dass Rechtsbehelfe die faktische Durchsetzung der Anordnung nicht rechtzeitig verhindern konnten. Der Strafgefangenen hätte aber angesichts der Schwere des Eingriffs immerhin die Möglichkeit gehabt, nachträglich Fortsetzungsfeststellungsklage zu erheben (vgl. Arloth/Krä,StVollzG, 5. Aufl. 2021, § 89 Rn. 13 m. w. N..) und so die Rechtmäßigkeit des Handelns der Vollzugsbeamten zumindest einer nachträglichen Kontrolle zu unterwerfen (Zum Ganzen OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 27.). Zur ausnahmsweise genauer zu prüfenden Gebotenheit führt das Gericht aus:
„Der angesichts der zu Recht bestehenden staatlichen Übermacht ohnehin kaum geeignete Versuch, seine Rechte mit körperlicher Gewalt durchzusetzen, war jedenfalls soweit der Angeklagte, wie vom Landgericht festgestellt, vorsätzlich die Verletzung von Beamten in Kauf genommen hat, grob unverhältnismäßig. Es bedarf der Berücksichtigung, dass die Gewalt hier von grundsätzlich zur staatlichen Gewaltausübung legitimierten Beamten ausgeübt wurde, die bei ihrer Dienstausübung des Schutzes bedürfen. Darauf, dass es extreme Fälle Missbrauchs staatlicher Macht geben könnte, in denen der Stempel der Rechtswidrigkeit des Handelns dermaßen offenkundig ist, dass Notwehr sogar Körperverletzungen rechtfertigen könnte, kommt es vorliegend nicht an.“ (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 27.).
Die bloße Verkennung der Anordnungskompetenz bzw. der Reichweite des Begriffs der Gefahr im Verzug durch die Vollzugsbeamten rechtfertige es nach Auffassung des Senats jedenfalls vorliegend nicht, sich mit körperlichen Angriffen gegen die Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols zu wehren. Diejenigen über die Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit hinausgehenden zusätzlichen Einschränkungen, die in der Rechtsprechung und Literatur teilweise als erweitertes Verständnis des Begriffs der „strafrechtlichen Rechtswidrigkeit“ im Sinne von § 113 Abs. 3 StGB vertreten werden, hätten ihre Berechtigung stattdessen als Einschränkungen des Notwehrrechts gegen staatliches Vollstreckungshandeln (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 27.).
Vielmehr hatten also die Beamten im konkreten Geschehen des übermäßig aggressiven Strafgefangenen ihrerseits ein Notwehrrecht. Anders wäre der Fall möglicherweise zu beurteilen, wenn sich das Verhalten des Strafgefangenen darauf beschränkt hätte, sich nur mit aller Gewalt am Bett oder der Haftraumtür festzuhalten, ohne Verletzungen der Beamten billigend in Kauf zu nehmen (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.08.2023 – 3 ORs 13/23, BeckRS 2023, 23423, Rn. 28.).
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