#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff
Moin zusammen,
heute empfehle ich Dir das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. Juli 2023 – 2 StR 255/22. Es ist ein Parforceritt durch das Recht der Beweiswürdigung, durch Betrug und veruntreuende Unterschlagung und ein bisschen §§ 20, 21 StGB bei Spielsüchtigen. Das Landgericht hat den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 437.600,80 € angeordnet.
JurCase informiert:
Das Urteil des BGH vom 19.07.2023 (2 StR 255/22) findest du kostenfrei hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.
Was ist passiert?
Der Angeklagte war viele Jahre bei der Sparkasse angestellt und als Privatkundenberater tätig.
Er rutschte in eine schwergradige pathologische Spielsucht ab, die in Verbindung mit dem empfundenen beruflichen Druck im August 2018 zu einer vierwöchigen Krankschreibung wegen „Burn-Outs“ führte. Daneben litt der Angeklagte an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die in Kombination mit der Spielsucht ab August 2018 „das Leben des Angeklagten in seiner Gesamtheit ähnlich einer krankhaften, seelischen Störung belastete“ – Sidenote: Erfahrungsgemäß leidet auch das Umfeld, aber das ist für die revisionsrechtliche Beurteilung natürlich egal.
Zu dem von ihm seit 2012 als Privatkundenberater zu betreuenden Kundenstamm zählten sehr wohlhabende Kunden, zu denen er im Rahmen langjähriger Kundenbeziehungen ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte und denen er – wie vom Arbeitgeber gewollt ‑ jeden Wunsch von den Lippen ablas.
Seinen Kunden riet er Angeklagte auch zur Investition in physisches Gold, wofür sich einige entschieden. Das Gold wurde nach Bestellung in sogenannten „Safebags“ an die Sparkasse geliefert, wo es durch die Kunden abgeholt werden konnte oder auf Kundenwunsch auch zu den Kunden nach Hause gebracht. In diesen Fällen erhielt der Angeklagte das Gold gegen Unterzeichnung einer vorläufigen Empfangsquittung in der Sparkasse ausgehändigt und brachte es zu den Kunden nach Hause, wo diese wiederum den Erhalt des Goldes auf einer Empfangsquittung bestätigten. Die Quittung hinterlegte der Angeklagte noch am selben Tag in den Räumlichkeiten der Sparkasse an der Kasse, wo es zu einem Abgleich der Unterschriften kam. Taggleich wurde das Girokonto der Kunden in Höhe des Kaufpreises belastet.
Für die anschließende Verwahrung des Goldes waren die Kunden selbst verantwortlich. Eine Lagerung in den Räumen der Sparkasse war nur in einem durch den Kunden angemieteten Schließfach möglich. Eine anderweitige Verwahrung des Goldes in der und durch die Sparkasse war ausgeschlossen.
Von 2014 bis 2018 nahm der Angeklagte jedoch nach Unterzeichnung der Empfangsquittungen durch die Kunden das Gold auf deren Wunsch wieder an sich. Dabei gingen die Kunden, was der Angeklagte erkannte, irrig davon aus, das Gold werde in der und durch die Sparkasse – etwa in deren Tresor – sicher verwahrt. Da die Kunden nicht über ein selbst angemietetes Schließfach verfügten, war eine solche Verwahrung jedoch ausgeschlossen. Gleichwohl und in Kenntnis dieses Umstandes unterließ der Angeklagte es bewusst, die Kunden hierüber aufzuklären, nahm das Gold – ohne darüber einen Beleg zu erstellen – an sich und bewahrte es anfangs in einer abschließbaren Schublade seines Schreibtisches in der Sparkasse auf. Die durch die Kunden unterzeichneten Empfangsquittungen hinterlegte er an der Kasse.
Zumindest bei sämtlichen Goldverkäufen ab Juli 2015 ging es ihm von Anfang an darum, ungehinderten Zugriff auf das Gold der Kunden zu erlangen, um es bei bereits sicher vorhersehbarem Geldbedarf, ohne Wissen der Kunden, an die insoweit gutgläubige Frau K. zu veräußern und die Erlöse für sich zu verwenden. Von 2015 bis 2018 veräußerte er sämtliches im Schreibtisch gelagertes Gold der Kunden – auch das vor Juli 2015 an sich genommene, dieses in mindestens neun Einzelverkäufen – an Frau K., ab August 2018 stets ohne Zwischenlagerung in seinem Schreibtisch unmittelbar nach Überlassung des Goldes durch die Geschädigten. Sämtliche Erträge verwendete er für eigene Zwecke in Gestalt von Spiel- und Wetteinsätzen, Börsengeschäften und bis Juli 2018 zur Finanzierung verschiedener Aktivitäten eines Sportvereins, dessen Vorstand er war.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten in den Fällen nach Juli 2015 wegen (gewerbsmäßigen) Betruges gemäß § 263 Abs. 1 und 3 Nr. 1, 1. Alt. StGB, in den Fällen vor Juli 2015 – mangels Absicht rechtswidriger Bereicherung im Zeitpunkt der Täuschung und Vermögensverfügung der Geschädigten – wegen veruntreuender Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 2 StGB verurteilt.
Die Revisionen
Dagegen legte der Angeklagte Revision ein und führte eine Sachrüge und auch die Staatsanwaltschaft war unzufrieden, legte eine – auf einzelne Fälle beschränkte ‑ Revision in der Form einer Sachrüge ein. Während die Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg hatte, erzielte der Angeklagte nur einen Teilerfolg, der eher einem Danaergeschenk des BGH gleichkommt.
Die Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg, weil der BGH nicht glücklich war mit der Beweiswürdigung des Tatrichters. Diese sei lückenhaft, zudem fehle es an der gebotenen umfassenden Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Indizien. Mit anderen Worten: Bitte nochmal machen und tendenziell so würdigen, wie wir das vorgeben. Denn man könne dem Angeklagten kaum glauben, dass er die Goldbarren bis Juli 2015 wirklich für die Kunden verwahrte und ab Juli 2015 bereits im Übergabe- und Rückgabezeitpunkt bei den Kunden zu Hause eine Betrugsabsicht hatte.
Vielmehr hätte sich das Landgericht aus Sicht des BGH damit auseinandersetzen müssen, dass die Lagerung des Goldes in einer Schreibtischschublade gerade nicht den Wünschen der Erwerber entsprach. Diese wollten vielmehr eine sachgerechte und sichere Verwahrung, was der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen auch erkannte. Dies habe das Landgericht ebensowenig erörtert wie den Umstand, dass er keinen nachvollziehbaren Grund hatte, seine Kunden über eine fehlende sichere Verwahrmöglichkeit seitens der Sparkasse aufzuklären. Mit anderen Worten: Das war doch Quatsch, was der Euch erzählt hat. Macht das nochmal, es ist auch vor Juli 2015 ein Betrug. Für das Examen solltest Du Dir auch klarmachen, ob bereits die Lagerung in der abgeschlossenen Schublade eine schadensgleiche Vermögensgefährdung darstellen könnte, sogar unabhängig von der Feststellbarkeit einer von Beginn an bestehenden späteren Verkaufsabsicht. Dafür spricht so einiges.
Auch dass die Kammer durchgängig eine aufgrund der Spielsucht und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung begründete verminderte Schuldfähigkeit angenommene habe, sei nicht nachvollziehbar. Dazu musst du dir spätestens im Zweiten Staatsexamen einmal die Logik der §§ 20 und 21 StGB anschauen: Man muss nicht nur erkrankt sein, man muss auch aufgrund der Erkrankung in seiner Schuldfähigkeit eingeschränkt sein.
Die Revision des Angeklagten
Die Revision des Angeklagten hat in der Sache nur einen kleinen Teil-Erfolg. Der Rest ist ein Danaergeschenk. Großzügig gewährt der BGH dem Angeklagten einen „richtigen“, wenn auch schlimmeren Schuldspruch:
Die Verurteilung nach § 246 Abs. 2 StGB anstatt möglicherweise nach § 263 StGB beschwert den Angeklagten auch eingedenk des (möglicherweise) zur Anwendung kommenden § 263 Abs. 3 StGB, der im Vergleich zu § 246 Abs. 2 StGB einen höheren Strafrahmen aufweist. Zwar sei der Angeklagte durch einen „zu milden“ Schuldspruch grundsätzlich nicht beschwert. Dies ist indes dann anders zu beurteilen, wenn das vom Tatgericht angewandte Strafgesetz völlig verschieden ist von demjenigen, welches tatsächlich verletzt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 1955 – 3 StR 133/55, BGHSt 8, 34, 37; Beschluss vom 13. März 2018 – 4 StR 570/17, NJW 2018, 2655, 2658; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 353 Rn. 16; Löwe/Rosenberg/Franke, StPO, 26. Aufl., § 354 Rn. 22).
Einen kleinen Zwischen-Erfolg hat die Revision des Angeklagten dann aber auch:
Das Landgericht hatte in einigen Fällen auf Betrug durch Unterlassen erkannt. Die dadurch gemäß § 13 Abs. 2 StGB eröffnete Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB hat es jedoch aus dem Blick verloren und nicht geprüft.
!Das ist ein echter Klassiker für die Revisionsklausur! Als Bearbeiter einer solchen Klausur bist du (Verzeihung 🙂 ) ein Trüffelschwein – Du musst Assoziationsketten aufbauen wie „Unterlassen – Milderungsmöglichkeit – geprüft???“. Sofern erlaubt, mach entsprechende Notizen im Gesetz.
Allerdings handelt es sich vorliegend, wie beschrieben, um einen Zwischen-Erfolg, der sogleich wieder platzt. Der BGH nimmt der Revision des Angeklagten gleich wieder den Wind aus den Segeln: „Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht [wird] zu erwägen haben, ob nicht auch eine Täuschung durch aktives Tun in Form einer konkludenten Erklärung des Angeklagten durch die Mitnahme des Goldes in Betracht kommt.“ – bitte stellt mal ein aktives Tun fest, sagt der BGH damit.
Der echte Erfolg der Angeklagten-Revision: Das Landgericht hatte die Anwendung der §§ 20, 21 StGB teilweise versagt und dies damit begründet, dass der Angeklagte im hinteren (von mir nicht detailliert beschriebenen) Teil seiner Taten mit dem vorrangigen Ziel der Verhinderung der Aufdeckung seiner Taten bzw. Verlustgeschäfte gehandelt habe, was nur mittelbar ein weiteres Spielen habe ermöglichen sollen. Insofern möge die nächste Kammer des Landgerichts „bei der gebotenen Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen“ (bitte nehmt jemand anderen!!!) bei einer Kombination aus narzisstischer Persönlichkeitsstörung und Spielsucht zu neuen Erkenntnissen und Einschätzungen gelangen, ist nicht sicher auszuschließen, dass dies auch Auswirkungen auf die Beurteilung der Schuld in diesen beiden Fällen haben könne – also ein kleiner Lichtblick auch für den Angeklagten.
Warum solltest du die Entscheidung noch lesen?
- Die Entscheidung zeigt sehr schön auf, wie der BGH trotz des Mantras „Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, ihm allein obliegt es…“ die künftige Beweiswürdigung beeinflusst, um nicht bestellt zu sagen.
- Die Entscheidung gib dir Anlass, dich mit der Systematik der §§ 20 und 21 StGB auseinanderzusetzen, auch einmal abseits der im Ersten Staatsexamen üblichen Trunkenheit.
- Du kannst dich mit der Milderungsmöglichkeit bei Unterlassen auseinandersetzen und sie internalisieren.
Und nicht vergessen: Schreib regelmäßig Übungsklausuren!
Mit den besten Grüßen aus Hamburg
Nils Godendorff