Problem: Mietminderung wegen Baulärms
Einordnung: Mietrecht
BGH, Urteil vom 24.11.2021 VIII ZR 258/19
EINLEITUNG
Ob Immissionen zu einem zur Minderung gem. § 536 BGB berechtigenden Mietmangel führen, beschäftigt die Gerichte nicht nur in Großstädten. In letzteren stellt Lärm eine nahezu natürliche Immission dar, seine Häufigkeit und Intensität hängt allerdings stark vom jeweiligen Belegenheitsort der Liegenschaft ab.
SACHVERHALT
Die K sind seit 2011 Mieter einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung der B in Berlin. Ab November 2017 errichtete S auf einem Grundstück auf der gegenüberliegenden Straßenseite, welches bis dahin als Kleingartenkolonie genutzt worden war, vier Wohngebäude mit sechs bis acht Vollgeschossen samt Unterkellerung und einer Tiefgarage. Die K, die die Beeinträchtigung bei B sofort angezeigt hatten, halten wegen des durch diese Baustelle auf ihre Wohnung einwirkenden Baulärms sowie wegen mit den Baumaßnahmen verbundener Staubentwicklung eine Minderung der Miete für angemessen. Die Zahlungen leisteten sie seitdem unter Vorbehalt der Rückforderung. Von der B begehren sie die anteilige Rückzahlung der bis einschließlich Mai 2018 geleisteten Miete. Zu Recht, wenn nicht feststeht, ob die Lärm- und Staubimmissionen ein erhebliches Ausmaß erreicht hatten?
Wichtig zum Verständnis des Falles: Weder das Ausgangs- noch das Berufungsgericht haben Feststellungen zum Ausmaß der Immissionen getroffen. Es geht den Klägern um eine angeblich konkludent getroffene Beschaffenheitsvereinbarung zur Immissionsfreiheit des Objekts.
LEITSÄTZE
- Nach Abschluss des Mietvertrags eintretende erhöhte Lärm- und Schmutzimmissionen begründen, auch wenn sie von einer auf einem Nachbargrundstück eines Dritten betriebenen Baustelle herrühren, bei Fehlen anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen grundsätzlich keinen gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Mietminderung berechtigenden Mangel der Mietwohnung, wenn auch der Vermieter die Immissionen ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit nach § 906 BGB hinnehmen muss (Bestätigung des Senatsurteils vom 29. April 2020 – VIII ZR 31/18; vgl. auch Senatsurteil vom 29. April 2015 – VIII ZR 197/14).
- Eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung der Mietvertragsparteien kann nicht mit der Begründung bejaht werden, die Freiheit der Wohnung von Baulärm werde regelmäßig stillschweigend zum Gegenstand einer entsprechenden Abrede der Mietvertragsparteien (Bestätigung des Senatsurteils vom 29. April 2020 – VIII ZR 31/18).
LÖSUNG
A. Anspruch der K gegen B auf anteilige Rückzahlung der Miete gem. § 812 I 1 Alt. 1 BGB
Die K könnten gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Teils der Mietzahlung haben, der der Mietminderung gem. § 536 BGB entsprechen würde.
I. Etwas erlangt
B hat Eigentum und Besitz am Bargeld und im Falle einer Zahlung durch Banküberweisung einen Anspruch aus der Gutschrift des Betrages auf seinem Konto aus § 675t BGB erlangt.
II. Durch Leistung der K
Dies erlangte B, indem die K mit der Mietzahlung eine Verbindlichkeit erfüllen wollten, mithin bewusst und zweckgerichtet das Vermögen der B mehrten. Die Bereicherung der B erfolgte deshalb auch durch Leistung der K.
III. Ohne rechtlichen Grund
Die Leistung müsste zumindest teilweise ohne rechtlichen Grund erfolgt sein. Unter Rechtsgrund versteht man jede materiell-rechtliche Rechtfertigung zum Behaltendürfen des Erlangten. Für die Überzahlung der Miete würde ein Rechtsgrund fehlen, wenn die Voraussetzungen einer Mietminderung gem. § 536 I BGB zur Zeit der Zahlung vorgelegen hätten.
1. Mietvertrag und Überlassung der Mietsache
Der zur Minderung gem. § 536 BGB nötige Mietvertrag wurde zwischen den K und B geschlossen. B hatte den K die Mietsache auch überlassen.
2. Mietmangel
Es müsste ein Mietmangel vorliegen. Ein solcher besteht gem. § 536 I BGB, wenn die Mietsache einen Mangel aufweist, welcher ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch mindert. Es steht fest, dass in der Nachbarschaft des Objekts eine Baustelle für Lärm und Staub gesorgt hat. Das Ausmaß dieser Beeinträchtigungen hingegen steht nicht fest. Fraglich ist, ob dies einen Mietmangel darstellt, der zur Minderung berechtigt.
[18] Gemäß § 536 Abs. 1 BGB ist die vereinbarte Miete kraft Gesetzes gemindert, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht. Ein derartiger Mangel ist dann gegeben, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht. Der vertraglich geschuldete Zustand bestimmt sich in erster Linie nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Mietvertragsparteien, die auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) getroffen werden können. Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung können dabei auch Umstände sein, die von außen auf die Mietsache unmittelbar einwirken (sog. Umweltfehler), wie etwa Immissionen, denen die Mietsache ausgesetzt ist. Soweit allerdings Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nach der Verkehrsanschauung bestimmt (…).
Der Mangelbegriff des § 536 I BGB erfasst auch Einwirkungen auf das Mietobjekt, deren Quelle außerhalb des Objekts, jenseits des Einflussbereichs des Vermieters liegen kann. Der Vermieter schuldet gem. § 535 I 2 BGB sowohl die Überlassung als auch die Erhaltung des Objekts in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand. Deshalb nehmen die – auch konkludent getroffenen – Beschaffenheitsvereinbarungen der Parteien diesen hohen Rang ein. Diese können auch auf die Freiheit von Immissionen gerichtet sein. Hier fehlen ausdrückliche Vereinbarungen. Deshalb kommt es auf die Verkehrsanschauung an.
Fraglich ist, ob die K mit B bei Vertragsschluss konkludent eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen haben, welche die Freiheit von Baulärm und dem aufgrund der Bauarbeiten erzeugtem Staub vorsieht. Hierfür könnte sprechen, dass die Baustelle zur Zeit des Vertragsschlusses noch nicht eröffnet war und dass zwar Baulärm in Großstädten nicht unüblich ist, die meisten Wohnraummieter jedoch davon nicht betroffen sind und deshalb im Zweifel von so einer Beschaffenheitsvereinbarung auszugehen ist.
Mit dieser Kernthese der Kläger sympathisierten die Instanzgerichte.
[20] Mit seinem – allerdings erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen – Urteil vom 29. April 2020 hat der Senat darauf hingewiesen, dass diese Sichtweise mit seiner ständigen Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine mietvertragliche Beschaffenheitsvereinbarung nicht zu vereinbaren ist (…). Denn auch eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich einer „Umweltbedingung“ reicht es jedoch nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache (nicht) einwirkenden Umstand – wie hier die Abwesenheit von Baulärm – in einer für ihn vorteilhaften Weise wahrnimmt und er sich (möglicherweise auch) wegen dieses Umstands dafür entscheidet, die Wohnung anzumieten.
Bereits im BGH vom 29.04.2020, VIII ZR 37/18 hatte der BGH anders entschieden.
[21] Zur konkludent geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung wird dieser Umstand vielmehr nur, wenn der Vermieter aus dem Verhalten des Mieters nach dem objektiv zu bestimmenden Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) erkennen musste, dass der Mieter die Fortdauer dieses bei Vertragsschluss bestehenden Umstands über die unbestimmte Dauer des Mietverhältnisses hinweg als maßgebliches Kriterium für den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung ansieht, und der Vermieter dem zustimmt. Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Mieters genügt für die Annahme einer diesbezüglichen Willensübereinstimmung selbst dann nicht, wenn sie dem Vermieter bekannt ist. Erforderlich ist jedenfalls, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert (…).
Anders ausgedrückt: Denkt der Mieter bei Vertragsschluss: „Wie schön! Kein Baulärm!“ und entscheidet er sich deshalb für den Abschluss des Mietvertrages, bedeutet das eben nicht, dass der Vermieter mit ihm die Beschaffenheitsvereinbarung trifft, dass dieser Umstand dauerhaft so bleibt.
Eine Vereinbarung liegt nur vor, wenn beide Seiten zustimmen. Eine einseitig gebliebene Vorstellung einer Partei genügt hierfür nicht.
[22] Dabei ist, soweit es um Immissionen geht, die von einem Nachbargrundstück auf die Mietsache einwirken, im Übrigen der offensichtliche und beiden Parteien bekannte Umstand zu berücksichtigen, wonach der Vermieter regelmäßig keinen Einfluss darauf hat, dass die zu Mietbeginn bestehenden Verhältnisse während der gesamten Dauer des Mietvertrags unverändert fortbestehen. Der Mieter kann daher im Allgemeinen nicht erwarten, dass der Vermieter die vertragliche Haftung für den Fortbestand derartiger „Umweltbedingungen“ übernehmen will. Die Annahme einer dahingehenden konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung wird deshalb allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen und jedenfalls konkrete Anhaltspunkte für die Übernahme einer so weitgehenden und vom Vermieter nicht beherrschbaren Haftung voraussetzen (…). [23] Derartige Umstände sind vorliegend aber weder vom Berufungsgericht festgestellt noch sonst ersichtlich.
Der Vermieter hat keinen Einfluss auf künftige Umstände, wenn sie außerhalb seines Einflussbereichs liegen. Warum sollte er also die Haftung für solche Umstände übernehmen wollen?
Fraglich ist, nach welchen objektiven Maßstäben eine Beschaffenheitsvereinbarung im Hinblick auf Lärm- und Schmutzimmissionen vorzunehmen ist.
[28] Dabei kann, wie der Senat für Lärmimmissionen, die von einem Nachbargrundstück auf die Mietsache einwirken, bereits entschieden (…) und zwischenzeitlich ausdrücklich für – wie hier – von einer benachbarten Baustelle herrührende Lärm- und Schmutzimmissionen bestätigt (…) hat, dem Vermieter nicht einseitig das Risiko einer geräusch- und schmutzintensiven Nutzungsänderung auf einem Nachbargrundstück zugewiesen werden. Es kommt vielmehr darauf an, welche Regelung die Mietvertragsparteien beisachgerechterAbwägungderbeiderseitigenInteressennachTreu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als redliche Vertragspartner getroffen hätten, wenn ihnen bei Vertragsschluss die von ihnen nicht bedachte Entwicklung in Gestalt der erhöhten Immissionsbelastung bewusst gewesen wäre. Hiernach begründen bei Fehlen anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen nachträglich erhöhte Geräusch- und Schmutzimmissionen durch Dritte jedenfalls dann grundsätzlich keinen gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Mietminderung führenden Mangel einer Mietwohnung, wenn auch der Vermieter sie ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss (§ 906 BGB); insoweit nimmt der Wohnungsmieter an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks teil (…).
Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall sind nicht ersichtlich.
Ergänzende Auslegung: Welche Abrede hätten die Parteien getroffen, wenn Ihnen die erhöhte Immissionsbelastung bewusst gewesen wäre?
[32] Dabei hat sich der Senat von der Erwägung leiten lassen, dass die in § 906 BGB angelegten Wertungen im Nachbarrecht eine Konkretisierung des allgemeinen Gebots von Treu und Glauben darstellen, mithilfe derer ein bei der Nutzung benachbarter Grundstücke möglicherweise auftretender Konflikt in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden soll. Diese im Bürgerlichen Gesetzbuch getroffene gesetzliche Wertung wird einbezogen, um der ergänzenden Vertragsauslegung im Verhältnis der Mietvertragsparteien noch stärkere rechtliche Konturen zu verleihen (…).
Der Maßstab des hypothetischen Parteiwillens richtet sich danach, ob der Vermieter eigene Entschädigungsansprüche nach § 906 II 2 BGB hätte oder ob er sie als ortsüblich hinnehmen muss.
[34] Damit sind letztlich Wertungsgesichtspunkte maßgebend, die gleichermaßen bei der Anwendung der Vorschrift des § 906 BGB – mit den Merkmalen der wesentlichen Beeinträchtigung, der ortsüblichen Benutzung und der Zumutbarkeit von Abhilfemaßnahmen – prägend sind. Die Frage, ob Geräuschimmissionen im Sinne von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB wesentlich sind, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und danach, was ihm unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist, wobei die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Geräuschbelästigung immer nur aufgrund wertender Beurteilung festgesetzt werden kann (…). Dabei kann im Fall von Geräuschimmissionen aus dem häuslichen Bereich im Rahmen des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB gerade auch die Sozialadäquanz der störenden Tätigkeit zu berücksichtigen sein, um einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen herbeizuführen (…).
Die Wertungen des § 906 BGB folgen bereits dem Gebot von Treu und Glauben. Sie werden bei der ergänzenden Vertragsauslegung herangezogen.
Auf die Sozialadäquanz kommt es an.
[35] Mithin handelt es sich bei den vom Senat im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung herangezogenen Wertungen des § 906 BGB und dem im Wohnraummietrecht bezüglich Wohnlärms anerkannten Merkmal der Sozialadäquanz nicht um grundsätzlich unterschiedliche Maßstäbe, sondern beide sind vielmehr Ausdruck dessen, was nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls unter Berücksichtigung von Treu und Glauben im Rahmen einer verständigen Interessenbewertung hinzunehmen ist. Dies übersieht das Berufungsgericht, wenn es darauf abstellt, dass § 906 BGB nur für das Verhältnis der benachbarten Grundstückseigentümer Geltung beanspruchen könne. Denn der Senat bringt diese Vorschrift in der vorliegenden Fallgestaltung nicht unmittelbar zur Anwendung. Vielmehr gelangt er bei von einem benachbarten Grundstück herrührenden Immissionen durch die von ihm vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung des § 906 BGB zu einem an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben orientierten, die beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien angemessen berücksichtigenden Ausgleich, indem er den Mieter bei Fehlen entsprechender Abreden an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks und der aus der Nachbarschaft stammenden Einwirkungen einschließlich der damit verbundenen Veränderungsrisiken jedenfalls in einem Umfang teilnehmen lässt, den der an § 906 BGB gebundene Vermieter ebenfalls nicht beeinflussen kann.
Folglich fehlt es sowohl an einer Beschaffenheitsvereinbarung, welche die Freiheit von Lärm und Staub durch Baustellen vorsieht, als auch an objektiven Kriterien zur Bemessung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen. Ein Mietminderungsgrund gem. § 536 I BGB besteht nicht. Folglich haben die K die Miete nicht anteilig ohne Rechtsgrund geleistet.
ERGEBNIS
Die K haben gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung der Miete aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB.
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