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Gewusst

Die (noch nicht ganz) befangene Staatsanwaltschaft (5 StR 473/23)

By 21. Oktober 2024No Comments
HierZucktDeinPrüfungsamt

#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff

Moin zusammen,
heute empfehle ich Dir einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 18.01.2024 – 5 StR 473/23, NStZ-RR 2024, 252.

Was ist geschehen?

Das Landgericht verurteilte den Angeklagten (nur) wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe von 190 Tagessätzen. Viel gewichtiger: Bezüglich der vorgeworfenen mehrfachen Vergewaltigung der Nebenklägerin sprach es den Angeklagten frei.

Wer revidiert?

Der Angeklagte revidierte und erhob die Sachrüge und die Verfahrensrüge. Mit der Sachrüge erzielte er einen kleinen Teilerfolg, die versuchte Nötigung war nach Ansicht des BGH nur eine Bedrohung. Geschenkt.

Viel wichtiger, insbesondere für Referendar:innen, die eine Revisionsklausur schreiben, war die Verfahrensrüge. Mit der Verfahrensrüge wird beanstandet, dass das Verfahren, mit dem das Gericht zum Urteil gelangt ist, falsch gelaufen ist.

Was ist im Verfahren geschehen?

Wie beschrieben: Vorgeworfen wurde dem Angeklagten auch die sechsfache Vergewaltigung der Nebenklägerin. Die Hauptverhandlung verlief nach allem was man lesen kann so, wie Hauptverhandlungen in solchen Fällen laufen: Angespannt, mit ggf. kritischen Nachfragen des Gerichts und ggf. noch kritischeren Nachfragen der Verteidigung. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft war durchgehend dieselbe. Und diese führte in ihrem Schlussvortrag aus, sie sei bei Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen und im konkreten Fall befangen. Denn sie empfinde es als unerträglich, wenn sich eine Frau als Opfer sexualisierter Gewalt im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung kritischen Fragen des Gerichts und der Verteidigung stellen und wegen ihres Aussageverhaltens rechtfertigen müsse.

Das Hauptverhandlungsprotokoll vermerkte:

„Die Vertreterin der StA hält den Schlussvortrag: Sie sei in Fällen häuslicher und sexueller Gewalt als Feministin und persönlich Betr. befangen. Das sei unproblematisch, denn sie lege es hier offen. Mehrfach habe sie überlegt, ob sie einen Befangenheitsantrag stelle, davon aber letztlich abgesehen. Das Verhalten der Kammer sei zunächst nicht zu beanstanden gewesen, weil sie der Geschädigten viel Raum für ihre Aussage gegeben habe. Im weiteren Verlauf habe die Kammer die Geschädigte aber kritischer betrachtet als manchen Zeugen. Daher möge sich die Kammer des Confirmation Bias ebenso bewusst sein, wie sie ihre Befangenheit offengelegt habe“.

Der Angeklagte wendet sich dagegen mit der Verfahrensrüge: Das gesamte Verfahren sei fehlerhaft gewesen und damit auch sein (verbliebende) Verurteilung wegen der (zT gefährlichen) Körperverletzungen und der Bedrohung, denn die Staatsanwältin sei die ganze Zeit befangen gewesen, auch wenn sie dies erst im Schlussvortrag offenbart habe.

Was macht der BGH daraus?

Die Verfahrensrüge dringt vor dem BGH nicht durch. Denn:

„Das Fehlverhalten der Sitzungsvertreterin hatte aber noch nicht ein Ausmaß angenommen, das – gemessen an den hierfür geltenden strengen Maßstäben – einen Verfahrensfehler begründen würde. Zum einen hat sie trotz der ihren Schlussvortrag einleitenden Vorbemerkung beantragt, den Angeklagten in mehreren Fällen freizusprechen. Zum anderen ergibt sich aus der dienstlichen Erklärung des Strafkammervorsitzenden, dass ihr Verhalten in der Hauptverhandlung im Übrigen nicht zu beanstanden und die Begründung ihrer Schlussvorträge auf der Grundlage der Beweiserhebung vertretbar und nicht offensichtlich von verfahrensfremden Überlegungen bestimmt gewesen das Fehlverhalten der Staatsanwältin habe.“

Gemeint ist damit: Mit Bedenken noch 4 Punkte. Und bitte nicht nochmal.

Was folgt für die Examensklausur, was sind die

Key Takeaways!?

  • Die Besorgnis, der Sitzungsvertreter der StA sei befangen, kann im Einzelfall einen relativen Revisionsgrund nach § 337 StPO begründen.
  • Die §§ 22 ff. StPO (lesen!) sind nicht unmittelbar anwendbar, und auch nicht analog. Auch die in § 141 ff. GVG niedergelegten Grundsätze zwingen nicht dazu, die §§ 22 ff. StPO analog anzuwenden.
  • Unter welchem Gesichtspunkt die „befangene“ Staatsanwältin nun eigentlich einen Verfahrensverstoß darstellen kann, wissen wir damit noch immer nicht, aber: es geht.
  • Hierbei wird nicht der strenge Maßstab wie bei einem der zur Entscheidung berufenen Richter angelegt.
  • Maßstab für die Beurteilung ist die Rolle der StA als „Wächter der Gesetze“ sowie der hieraus folgenden Pflicht zur Objektivität, die insbesondere in § 160 Abs. 2 StPO ihren Niederschlag im Gesetz gefunden hat.
  • Das Fragerecht der Verfahrensbeteiligten und die richterliche Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gehen weit. Im Sinne der Wahrheitsfindung sind geeignete und zur Sache gehörende Fragen (vgl. §§ 239 Abs. 2, 241 Abs. 2 StPO) an Zeugen aber selbst dann zulässig, wenn sie zur Unehre gereichen können oder den persönlichen Lebensbereich betreffen, falls sie zur Aufklärung der Wahrheit unerlässlich sind (vgl. § 68a Abs. 1 StPO).

Warum solltest Du die Entscheidung noch lesen?

  1. Weil ich einen Besen fresse, wenn diese Fragestellung nicht in einem der nächsten Revisionsklausuren-Durchgänge läuft.
  2. Weil die Entscheidung sehr schön die Rechte der Verfahrensbeteiligten und die Pflichten des Gerichts bei der Befragung abmaßt.
  3. Weil diese Entscheidungen selten sind. Im Verfahrensalltag wird eine Befangenheit der StA immer wieder mal behauptet, aber eher selten ist etwas dran und so gut wie nie führt das Ganze zu einer BGH-Entscheidung.
  4. Weil sämtliche angesprochenen Normen in einer derartigen Klausurkonstellation vorkommen sollten – dann bist Du schon mal sicher im Bereich ausreichend, eher besser.

Und nicht vergessen: Schreibt Klausuren!

Mit den besten Grüßen aus Hamburg
Nils Godendorff

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Beitragsautor:

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff ist vorsitzender Richter am Landgericht in Hamburg. Auf LinkedIn gibt Dr. Godendorff unter dem Hashtag #HierZucktDeinPrüfungsamt Hinweise zu examensrelevanten strafrechtlichen Entscheidungen. Die Reihe #HierZucktDeinPrüfungsamt in Kooperation mit Herrn Dr. Godendorff findest du auch bei JurCase!

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