Skip to main content
Gewusst

Der Schraubendreher dreht nicht nur, er hebt auch die Unterkante (5 StR 67/23)

By 18. Dezember 2023No Comments
HierZucktDeinPrüfungsamt

#HierZucktDeinPrüfungsamt im Strafrecht in Kooperation mit VRiLG Dr. Nils Godendorff

 

Moin zusammen,
heute empfehle ich Dir das Urteil des BGH vom 20.06.2023 (5 StR 67/23). Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer (§ 250 Abs. 1 StGB) und nicht wegen besonders schwerer (§ 250 Abs. 2 StGB) räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt.

JurCase informiert:

Das Urteil des BGH vom 20.06.2023 (5 StR 67/23) findest du kostenfrei hier auf der Seite des Bundesgerichtshofs.

Was ist passiert?

Nachts im Imbiss: Der Angeklagte und der Zeuge M kommen rein, der Zeuge G ist gerade am Putzen. G ließ den Angeklagten und M an einem Spielautomaten im Nebenraum spielen, dann wurde es ungemütlich. Der Angeklagte und der Zeuge M riefen den Zeugen G zu sich. Aufgrund eines zuvor gemeinsam gefassten Tatplans hielt der Angeklagte einen handelsüblichen Schraubendreher in seiner Hand. Den hatte er für das Aufbrechen der Spielautomaten mitgebracht (was sonst 🙂 ). Der Angeklagte trat bedrohlich nah an den Zeugen G heran und schrie: „Gib mir Geld“. Dabei stand der Angeklagte etwa einen halben Meter von G. entfernt und hielt den Schraubendreher – für den Zeugen deutlich erkennbar – unbewegt in der Hand. Er wusste, dass er eventuellen Widerstand des G durch einen „jederzeit möglichen Einsatz des Schraubendrehers als Drohwerkzeug oder gegen den Körper des Zeugen G überwinden“ können würde. Wie beabsichtigt entnahm der Zeuge G 150 Euro aus der Kasse gab das Geld dem Angeklagten, der sie dem Zeugen M weiterreichte.

Im Nebenraum hebelte der Angeklagte sodann einen Spielautomaten auf und entnahm eine mit einem Extra-Schloss gesicherte Geldkassette, um das Geld darin für sich zu behalten.

Aufgrund eines am Automaten ausgelösten Alarms wurde ein Polizeibeamter aufmerksam. Der Angeklagte ergriff die Flucht, wurde angeschossen, während der Zeuge M mit dem Bargeld aus der Kasse entkam. Die Geldkassette aus dem Spielautomaten verblieb in dem Imbiss, ohne dass der Angeklagte das Geld entnehmen konnte.

Die Revisionen

Gegen die Verurteilung wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft. Beide führen eine Sachrüge gestützten Revision, die Staatsanwaltschaft will aber die Feststellungen bestehen lassen. Die Revision des Angeklagten hat der BGH verworfen, die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Was ist das nun?

Schwere oder besonders schwere räuberische Erpressung? Dies ist wichtig, schau mal in die Strafuntergrenzen des § 250 Abs. 1 und § 250 Abs. 2 StGB. Die Antwort gibt Dir schon die hiesige Überschrift: Der Schraubendreher dreht nicht nur, er hebt auch die Unterkante – und zwar auf satte fünf Jahre. Der einzige praktische Ausweg aus dieser oft recht harten Konsequenz ist übrigens der minder schwere Fall (§ 250 Abs. 3 StGB). Und auch der (einfache) versuchte Diebstahl scheint fraglich.

Die besonders schwere räuberische Erpressung

Der Angeklagte hat den Qualifikationstatbestand der besonders schweren räuberischen Erpressung gemäß §§ 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB verwirklicht, weil er bei der Tat mit dem Schraubendreher ein gefährliches Werkzeug verwendet hat. Das Tatbestandsmerkmal des Verwendens im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatmittels. Nach der Konzeption der Raubdelikte bezieht sich das Verwenden auf den Einsatz des Nötigungsmittels zur Verwirklichung des Raubtatbestands; es liegt sonach vor, wenn der Täter eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Ausübung von Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gebraucht, um die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache zu ermöglichen oder – im Fall des § 255 StGB – eine andere Person zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zuzufügen. Im Fall der Drohung muss das Tatopfer das Nötigungsmittel und die Androhung seines Einsatzes wahrnehmen. Denn hierunter ist das ausdrückliche oder schlüssige In-Aussicht-Stellen eines künftigen Übels zu verstehen, auf das der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt. Eine Drohung erfordert daher, dass der Bedrohte Kenntnis von ihr erlangt und dadurch in eine Zwangslage gerät.

Und deshalb hat der Angeklagte den Schraubendreher bei seiner Drohung nicht nur zufällig gehalten, sondern verwendet. Hierzu reichte aus, dass er seine verbale Drohung unterstrich, indem er das Werkzeug dabei gut sichtbar in der Hand hielt, und ihm bewusst war, dass der Zeuge dies wahrnahm. Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat der Angeklagte den Schraubendreher damit durchaus „als Waffenersatz eingesetzt“.

Ausdrücklich nicht nötig sind laut BGH „Hieb- oder Stichbewegungen in Richtung des Adressaten der Drohung“ oder die Androhung dessen.

Ein Schraubendreher ist nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet, einem Opfer erhebliche Körperverletzungen zuzufügen, etwa bei einem Einsatz als Stichwerkzeug.

Der Diebstahl

Und auch beim nachfolgenden Diebstahl, dem Aufhebeln des Spielautomaten nutzte der Angeklagte den Schraubendreher zum Hebeln und hielt ihn „so präsent“ dass er einen Diebstahl mit Waffen entsprechend § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB beging. Dass der Schraubendreher bei der Wegnahme aus dem Automaten nur als Aufbruchswerkzeug diente, steht der Einordnung nicht entgegen, weil die aus seiner Beschaffenheit resultierende objektive Gefährlichkeit hierdurch nicht reduziert wird. Der BGH bemüht darüber hinaus noch ein ganz pragmatisches Argument: Denn jedenfalls hätte der Angeklagte die Eignung des Schraubendrehers als „Waffenersatz“ durch dessen vorangehende Verwendung als Drohmittel sogar schon konkret illustriert.

Der Angeklagte hat den Schraubendreher zudem (auch) bei dem Diebstahl bei sich geführt. Hierzu genügt bei einem mitgebrachten Werkzeug, dass es sich für den Täter in Griffweite befand oder er sich seiner jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen konnte. Dies war durch die Feststellungen hinreichend belegt.

Warum solltest du die Entscheidung noch lesen?

  1. Die Entscheidung zeigt lehrbuchartig auf, was alles schon reichen soll, um in den ganz erheblichen Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB zu kommen.
  2. Und die Entscheidung gibt Dir Gelegenheit, Deine „Trüffelschweinfähigkeiten“ auszubauen – anders als das Landgericht wirst Du den Schraubendreher bei dem Diebstahl vielleicht nicht übersehen.
  3. Für das Zweite Staatsexamen solltest Du Dir die Voraussetzungen des minder schweren Falles aus § 250 Abs. 3 StGB noch einmal anschauen.

Und nicht vergessen: Schreib regelmäßig Übungsklausuren!

Mit den besten Grüßen aus Hamburg
Nils Godendorff

Hat dir der Beitrag gefallen?

Beitragsautor:

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff

Dr. Nils Godendorff ist vorsitzender Richter am Landgericht in Hamburg. Auf LinkedIn gibt Dr. Godendorff unter dem Hashtag #HierZucktDeinPrüfungsamt Hinweise zu examensrelevanten strafrechtlichen Entscheidungen. Die Reihe #HierZucktDeinPrüfungsamt in Kooperation mit Herrn Dr. Godendorff findest du auch bei JurCase!

Alle Beiträge von Dr. Nils Godendorff ansehen