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Gewusst

Der Biss: Konsequenzen einer unterbliebenen Anhörung (VG Gelsenkirchen, 19 L 690/24)

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#HierZucktDeinPrüfungsamt im Öffentlichen Recht in Kooperation mit RiVG Dr. David Stadermann

Moin zusammen,
heute empfehle ich euch einen interessanten Beschluss des VG Gelsenkirchen vom 24.05.2024 (19 L 690/24). Es geht um Eilverfahren und um die Konsequenzen einer unterbliebenen Anhörung.

JurCase informiert:

Der Beschluss des VG Gelsenkirchen vom 24.05.2024 (19 L 690/24) findest du kostenfrei hier in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW.

Was ist passiert?

Der Sachverhalt (im Eilverfahren: Die Gründe zu „I.“) ist kurz: Der Hund der Antragstellerin hat offensichtlich jemanden gebissen. Daraufhin ordnete der Antragsgegner. mit sofort vollziehbarer Anordnung an, den Hund durch die Amtstierärztin begutachten zu lassen. Eine Anhörung erfolgte nicht.

Auf den entsprechenden Eilantrag stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der (Anfechtungs-)Klage wieder her.

Worum geht’s?

Um Fragen der formellen Rechtmäßigkeit im Eilverfahren! Der Beschluss bietet die Gelegenheit sich mit den Konsequenzen einer unterbliebenen Anhörung auseinanderzusetzen:

  1. 28 Abs. 1 VwVfG verlangt, dass der Empfänger eines belastenden Verwaltungsakts angehört werden muss.
  2. Zwar kann nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Gefahr im Verzug setzt voraus, dass selbst bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust eintreten würde, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge haben würde, dass die durch den VA zu treffende Regelung zu spät käme, um ihren Zweck noch zu erreichen. Hier lagen zwischen dem Zeitpunkt, an dem der Ag. Kenntnis von dem Vorfall erlangt hat, und dem Erlass der Anordnung vier Werktage. In diesem Zeitraum wäre es möglich gewesen, die Antragstellerin mit dem geschilderten Vorfall – ggf. unter sehr kurzer Fristsetzung, telefonisch oder mündlich – unter Benennung der beabsichtigten Maßnahmen zu konfrontieren.
  3. Aber auch, wenn keine Ausnahme von der Anhörungspflicht greift, ist der VA nicht zwingend rechtswidrig. Denn nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG kann die fehlende Anhörung geheilt werden. Dies setzt allerdings voraus, dass dem wesentlichen Zweck des Anhörungserfordernisses nachträglich genügt wird. Dieser liegt darin, dem Betroffenen vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes Gelegenheit zu geben, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern, und ihm hierdurch rechtliches Gehör zu gewähren. Die entsprechende Stellungnahme des Betroffenen ist bei der anschließenden Entscheidung zu berücksichtigen. Dies ist hier nicht erfolgt.
  4. Steht also fest, dass grundsätzlich angehört werden muss, keine Ausnahme greift und auch nicht geheilt worden ist, ist zu prüfen, ob das Fehlen der Anhörung nach § 46 VwVfG unbeachtlich ist. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines VA, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Von einer solchen Offensichtlichkeit kann vorliegend keine Rede sein. Hiergegen spricht bereits der Umstand, dass sich die Entscheidung der Behörde ausschließlich auf die Schilderungen eines an dem in Rede stehenden Vorfall Beteiligten stützt. Dass die Einbeziehung einer Sachverhaltsschilderung der Antragstellerin zu einer anderen Würdigung führen könnte, ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen.
  5. Achtung: In anderen Ländern muss der „80-V-er“-Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gerichtet werden. Denn maßgeblich ist, ob das jeweilige Land (wie hier Nordrhein-Westfalen) von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO das Widerspruchsverfahren (in Teilen) abzuschaffen. Und für die ganz Ausgeschlafene: Im Ausgangsfall war noch eine Zwangsmittelandrohung streitgegenständlich. Da insoweit die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist (hier: § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 JustG NRW), ist der Eilantrag insoweit auf Anordnung (nicht auf Wiederherstellung) gerichtet.

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Beitragsautor:

Dr. David Stadermann

Dr. David Stadermann

Dr. David Stadermann ist Richter am Verwaltungsgericht in Hamburg und Lehrbeauftragter an der HAW. Auf LinkedIn gibt Dr. Stadermann in Bezug auf der Öffentliche Recht Hinweise auf höchst- bzw. obergerichtliche Rechtsprechung, aber auch sonstige Ereignisse, die aufgrund ihrer Aktualität gerne in mündlichen Prüfungen verarbeitet werden können. Die Reihe #HierZucktDeinPrüfungsamt in Kooperation mit Herrn Dr. Stadermann findest du auch bei JurCase!

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